Wilfried Erdmann hat in einem seiner vielen Bücher seine Sehnsuchtsorte beschrieben. Whitehills in Schottland gehört dazu. Ich habe Whitehills nicht durch dieses Buch kennen gelernt, sondern durch Rupert Wachter, einen Orchestermusiker aus Hamburg, den wir vergangenes Jahr hier in Schottland kennen lernen durften. Eigentlich wollte ich Whitehills gar nicht anfahren, aber wir wurden auf dem Weg von Peterhead nach Inverness so durchgeschüttelt, dass ich gar keine andere Wahl hatte. Jens war seekrank und ich damit quasi einhändig unterwegs.
Whitehills ist für mich kein Sehnsuchtsort, aber ich liebe die Fischmanufaktur neben dem Hafen. Frischeren Fisch kann man sich nur selbst fangen. Da wir durch die raue Fahrt nicht so schnell wie geplant voran kamen, hätte uns in Inverness die Tideströmung wieder zurück gespült. Es musste also ein brauchbarer Hafen für eine Nacht her. Nach einem Telefonat mit dem supernetten Hafenmeister Bernie Milne entschied ich mich für den Versuch. Die Hafeneinfahrt ist nämlich echt eng.
Bernie sagte, er würde uns auf dem AIS beobachten und am Leuchtturm der Hafeneinfahrt erwarten. Dass er das in Begleitung seiner Kamera tat, war mir vorher zunächst nicht klar. Wir achteten bei der Anfahrt auf die Hummerkörbe und gelangten bald in Reichweite seines Objektivs.
Die Wellen rissen noch ordentlich am Ruder und der Tiefenmesser zeigte unglaublich geringe Werte. Ich hatte Bernie am Telefon unseren Tiefgang genannt und Bernie meinte, wir hätten bei der Tide „plenty of water“.
So kommen wir also in die Nähe des Leuchtturms und sehen den Hafenmeister, wie er von dort oben ein Bild nach dem anderen von uns schießt. Klasse, solche Bilder haben wir nicht viele. Eigentlich gar keine. Jens ist auch wieder von den Toten auferstanden und kann mit den Fendern helfen.
An dieser Stelle ist mir schon beim letzten Mal der Arsch auf Grundeis gegangen. Die Einfahrt ist supereng, diesmal zeigte der Tiefenmesser 1,70 Meter Tiefe an (wir haben bekanntermaßen 1,70 Meter Tiefgang, sind aber nicht voll beladen). Die Linkskurve ist so eng, dass Sissi sie nicht in einem Rutsch schaffen kann. Wir müssen anhalten, das Schiff auf „engstem Raum“ um 90° drehen und können dann erst in den Hafen rein.
Jetzt kann ich mir den Schweiß von der Stirn wischen. Nun müssen wir nur noch an einem Schwimmsteg festmachen, das ist eine der leichtesten Übungen der Welt. Und morgen geht das alles wieder retour. Bernie hat gleich beim Festmachen geholfen und uns anschließend die Speicherkarte seiner Kamera in die Hand gedrückt. Danke dafür!
Das waren heute nur 38,9 Seemeilen, für Jens waren es aber eher 389 Meilen.
Am nächsten Tag habe ich noch ein paar Bilder vom Hafen und von der Umgebung gemacht. Die Hafeneinfahrt bei Niedrigwasser sieht auf diesem Foto etwa so eng aus, wie sie in Wirklichkeit ist.
Ist man dann im Hafen angelangt, hat man zunächst den Vorhafen mit dem Schwimmsteg für die Besucher und dahinter noch den Yachthafen, in dem vor allem der Yachtclub aus Banff seine größeren Boote liegen hat. Banff hat einen sehr flachen Hafen.
Eine der Attraktionen in Whitehills ist die Tankstelle im Hafen. Sie befindet sich genau in der Durchfahrt vom äußeren zum inneren Hafen und hat eine recht hohe Kaimauer. Oben hinter der Garagentür befindet sich der Dieseltank. Wenn ein Kunde kommt, muss er unten festmachen und dann öffnet Bernie die Garagentür. Wir haben das im vergangenen Jahr gemacht, weil wir Diesel für die Nordsee-Überquerung auf dem Rückweg tanken mussten. Aus dem langen Schlauch, den Bernie dann herunter reicht, kommt der Diesel nur per Schwerkraft herunter, d.h. bei Niedrigwasser ist der Tank schneller voll.
Als ich damals Sissi im Hafenbecken wenden musste, brauchte ich jeden Quadratmeter der Wasserfläche für die Drehung. Bernie rief damals von der Tankstelle herunter, dass ich mir von Santa Claus ein Bugstrahlruder schenken lassen soll. Deswegen tanken wir dieses Jahr hier auch nicht, der Tank ist nach der vielen Segelei noch halbvoll.
Noch geschützter als im inneren Hafen kann man wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt sein Schiff abstellen. Die massiven Mauern trotzen jedem Sturm und lassen nicht eine Welle zu den Booten durch.
Bei der Einfahrt in den Hafen muss man auf die Hummerkörbe achten, die von den Fischern großzügig in der Umgebung verteilt werden. Wir haben uns telefonisch beim Hafenmeister Bernie angemeldet und er hat uns den besten Kurs verraten. Ich sage den jetzt nicht weiter, denn der kann jeden Tag ein anderer sein. Die Hummerkörbe werden ja nicht immer an derselben Stelle runtergelassen.
Früh übt sich, wer einmal ein Fischer werden möchte. Die Dorfkinder spielen abends am Steg und werfen ihre Angeln aus. Außerdem spielen sie Fangen und was Kinder sonst noch so machen. Es kommt natürlich auch zu Tränen, es wird viel gelacht und alles sieht sehr nach einer kleinen, heilen Welt aus.
Oben über dem Steg sind ein paar Eltern, die die Aufsicht wahrnehmen. Ich weiß nicht, wie das bei uns oder in Holland aussehen würde. In Holland laufen die deutschen Kinder immer mit Rettungswesten über die Stege, die Eltern meist in kurzem Abstand hinterher. Hier in Schottland achtet man sehr darauf, dass die beruflich am Wasser Beschäftigten ihre Rettungswesten bei der Arbeit tragen – trifft natürlich nicht auf die spielenden Kinder zu.
Löst man sich vom Anblick des Hafens und der spielenden Kinder, kann man einen kleinen Spaziergang von 500 Meter Länge machen und steht vor der Fischfabrik. Öffnungszeiten des Fischverkaufs von 8 bis 17 Uhr. Mmmh, lecker. Wir haben knapp 20 Pfund dort gelassen, vier schöne Fischfilets erstanden und vier geräucherte Makrelen dazu legen lassen.
Die Möve wäre wahrscheinlich auch gerne Kunde, hat aber weder Kreditkarte noch Bargeld dabei. In dieser Hinsicht sind die Schotten dann doch geizig, in vielen Orten findet man Schilder mit der Aufschrift „don’t feed the seagulls“ (Möven nicht füttern).
Ich habe mir bei meinem Spaziergang noch ein wenig mehr Zeit genommen, denn hinter der Fischfabrik beginnt der pittoreske Ort.
Die Einwohner leben seit hunderten von Jahren vom Fischfang, überall stehen kleine Fischerhäuschen. Die meisten davon sind sogar in sehr gutem Zustand, dieser Ort hier ist nicht verwaist, wie viele andere solcher kleinen Dörfer. Auch ist Whitehills der letzte Ort hier an der Küste, der eine nennenswerte Fischereiflotte hat.
Kommen wir noch einmal zurück zu Bernie, dem Hafenmeister. Er mag es gar nicht, wenn dieYachties am Abend kommen und am nächsten Tag in der Frühe wieder fahren. Dann kann man keine Beziehung aufbauen. Bernie möchte lieber mit den Leuten reden, seine Geschichten loswerden und Geschichten von den anderen hören.
Bernie war viele Jahre seines Lebens Fischer und wollte sich eigentlich schon zur Ruhe setzen und nie wieder arbeiten. Zu seiner Zeit als Fischer fand er die Segler wie eine Art Pest zu Wasser. Dann hat er aber für die Gemeinde den Job am Hafen übernommen. Inzwischen ist er 71 Jahre alt und macht den Job immer noch gerne. Seine Tochter sitzt im örtlichen Gremium, welches den Hafen verwaltet.
Es macht Spaß, Bernie bei seinen Geschichten zuzuhören. Als das mit der Fischerei immer weniger profitabel wurde, hat die Gemeinde am Anfang dieses Jahrtausends beschlossen, den Hafen zu einer Marina auszubauen.
Das Ziel war, 200 Yachten im Jahr zu bekommen. Das Ziel wurde erreicht. Es ging der Gemeinde nicht darum, dass ausschließlich die Gebühren für die Marina hereinkommen, denn die Yachties gehen auch in den Einkaufsladen, sie besuchen den Pub und kaufen Diesel. Sie bringen also Geld in den Ort. Bernie meint, das sei einer der Gründe, warum Whitehills noch einigermaßen intakt ist.
Und dann hatte er noch eine schöne Geschichte aus der Zeit, als man in den 1960ern den alten Hafen zugeschüttet und den jetzigen Hafen gebaut hat. Irgendwie hat man einen Fehler gemacht und den Vertrag für den Bau des neuen Hafens falsch formuliert. Normalerweise hätte man die Wassertiefe vertraglich an der Tide orientieren müssen, hat es aber nicht getan. Statt dessen orientierte man sich am Straßenniveau – die Tiefe des Hafens ist soundsoviel Fuß unterhalb der Straße. Der pfiffige Bauunternehmer hat darauf hin die Straße höher gelegt. Damit hatte Whitehills zunächst einen Hafen, der bei Niedrigwasser trocken gefallen ist. Das Problem ist inzwischen natürlich weg, der Hafen ist heute tief genug.
Wer hier in Whitehills vorbei kommt, sollte anlegen und den Geschichten lauschen.