Wir haben die Segel komplett gesetzt und versuchen, den letzten Reisetag mit Anstand hinter uns zu bringen. Noch besteht die Hoffnung, dass wir vor 20 Uhr in Pointe-a-Pitre ankommen und damit zu den Öffnungszeiten der Marina. Zeitweise gleiten wir mit mehr als sechs Knoten durch das blaue Wasser, es fühlt sich toll an.
Wenn wir Kurs auf Pointe-a-Pitre setzen, läuft es auch anfangs immer sehr gut, dann drücken uns Wind und Gegenstrom wieder aus dem Kurs und Sissi möchte näher und näher an die drei Heiligen, die Inseln, die uns den direkten Weg versperren. Also kreuzen wir und kreuzen und es wird immer klarer, dass wir es nicht mehr zu den Öffnungszeiten schaffen werden.
Die Internetverbindung ist mal da und mal nicht. Das ist nicht besonders hilfreich, denn ich versuche, mit einem Abschleppunternehmen in Kontakt zu treten. Es gelingt mir, das Problem an Jens zu delegieren. Der hat in Bad Homburg eine wesentlich bessere Chance, telefonisch durchzukommen. Immer wieder schickt er mir ein Update, dass der Abschlepper, passenderweise ist sein Name Monsieur le Mer, mit anderen Notfällen viel zu tun hat. Wir sind ja kein Notfall. Im Funk kommt ein Pan Pan durch, ein Trimaran hat seinen Mast verloren, die Segel liegen im Wasser. Das liegt sogar auf unserem direkten Weg nach Pointe-a-Pitre, doch ohne Motor schaffen wir natürlich keinen direkten Kurs. Langsam mache ich mir Gedanken über einen Plan B.
Von Jens kommt wieder ein Update rein, eigentlich sagt das Update nur, dass der Abschlepper immer noch nicht erreichbar ist. Dafür hat die Marina aber angeboten, dass wenn wir es bis 19:30 Uhr schaffen, der Hafenmeister herauskommen wird und uns herein holt. Der Wind hat wieder ein wenig aufgefrischt, Sissi konnte anluven und so sagt mir der Bordcomputer, dass es 50:50 steht. Vielleicht klappt es ja mit dem Hafenmeister. Der Wind lässt eine Stunde später wieder stark nach, unser Kurs ändert sich so, dass wir Backbord in Richtung der Untiefen fahren. Wir müssen noch einen Schlag machen. Das wirft uns wieder eine Dreiviertelstunde zurück auf dem direkten Kurs. Langsam wird es dunkel.
Auf dem AIS ist der Rettungskreuzer bei seiner Arbeit gut zu sehen. Die Seenotrettung hier in der Gegend wird wiederum von Fort-de-France in Martinique aus koordiniert. Außerdem fällt mir ein Segelboot auf, die Swing. Sie ist auf dem gleichen Kurs wie wir unterwegs, dabei sehr nahe an den Untiefen und so halte ich sie für ein Boot von hier oder zumindest jemanden, der sich hier richtig gut auskennt. Außerdem gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten, zu denen man von unserer Position aus sinnvoll segeln kann. Ich gehe davon aus, dass die Swing ebenfalls nach Pointe-a-Pitre möchte und greife zum Funkgerät. Nach drei Versuchen habe ich eine sehr freundliche Frauenstimme im Lautsprecher.
Ich wünsche guten Abend und frage, ob sie nach Pointe-a-Pitre unterwegs sind. Danke Hafenmeister Paul aus Aruba, dass Du mir geholfen hast, mein Französisch zu reaktivieren. Sie sind nach Pointe-a-Pitre unterwegs. Ich erkläre unser Problem und frage, ob sie uns in den Hafen ziehen können. Nach einer kurzen Pause kommt die Frage nach dem Gewicht unserer Sissi. Dann kann ich es förmlich im Funk knistern hören, wie an Bord der Swing diskutiert wird. Dann kommt die Antwort, ja es ist möglich. Ich bedanke mich und ab diesem Moment beobachten wir uns gegenseitig auf dem AIS. Als wir einmal den Wind verlieren und einen 360° Törn fahren müssen, kommt sofort die Frage, ob etwas passiert sei. Toll!
Kurz vor der Einfahrt ist der Wind komplett weg. Während uns ein Frachtschiff entgegen kommt, treiben wir antriebslos im Wasser. Die Swing ist uns inzwischen weit davon gefahren und hat noch ein wenig Wind. Sissi läuft bei leichtem Wind überhaupt nicht, dazu ist sie zu schwer. Während die Swing umdreht, nehme ich die Segel weg. Das Großsegel kommt herunter und herunter und herunter und dann liegt es zu meinen Füßen. Der Stopper, der das normalerweise verhindern soll, hat sich verabschiedet. Hauptsache ist, dass das Segel unten ist. Die Swing übernimmt unsere Ankerleine, an deren Ende ich einen Fender angebunden habe, dann beginnt ein vollkommen unspektakulärer Abschleppvorgang. Derweil schwätzen wir über Funk, die Swing ist im Dezember aus Europa in die Karibik gesegelt, war schon in Guadeloupe, Saint Martin, Antigua und Barbuda. Ich erzähle von Aruba und Kuba. Bei vollkommener Windstille machen wir an der Tankstelle fest. Ich übergebe zwei Flaschen Rum (Diplomatico aus Venezuela und Ritual aus Kuba), Zigarren wollten sie nicht haben. Vollkommen entkräftet gehen wir zu Bett. Wir sind angekommen.
Um sieben Uhr stehe ich am folgenden Morgen schon auf, denn die Tankstelle öffnet um Acht. Eike macht sich zu Fuß auf den Weg zum Bäcker und schlägt das Angebot der Swing aus, mit dem Dinghi mitzufahren. Er will sich die Füße vertreten, weiß aber noch nicht, dass er kilometerweit um das Hafenbecken herum laufen muss. Die Swing verabschiedet sich, nach dieser Nacht gehen sie Ankern. Der Hafenmeister kommt und schleppt mich für 80 Euro in die Werft. Bei der Ankunft am Anleger treffe ich Eike wieder, der so wenigstens einen kürzeren Rückweg hatte. Die ersten Pain-au-Chocolat und das erste Baguette sind so unsagbar lecker.
Wir beginnen die Aufräumarbeiten und machen Sissi hafenfertig. Als wir uns um das Großsegel kümmern, lächele ich innerlich über Sissi. Den kleinen Stopper, der das Herausrauschen des Großsegels verhindert, haben wir schon öfter verloren. Ich habe auch einen Ersatz dafür an Bord. Den brauche ich aber nicht, denn Sissi wirft diesen Stopper anscheinend niemals ab.
Immer ordentlicher und ordentlicher wird es. Dann kann ich mich um das Telefonproblem von Eike kümmern. Wir machen ihm mein Zweitgerät klar, damit er endlich wieder mit seinen Freunden kommunizieren kann. Er nimmt das Fahrrad und fährt in einen Telefon-Reparaturladen. Dort kann er seine SIM-Karte befreien lassen, das Telefon hat aber das Zeitliche gesegnet. Es ist unreparierbar kaputt.
Ich sehe mich in der Gegend um, spreche mit Werftarbeitern und mir wird auch schon ein Motorenspezialist empfohlen. Der ist gerade nicht da und ich habe nicht den Antrieb, nach ihm zu suchen. Noch bin ich sehr, sehr müde. Im örtlichen Ausrüstungsladen sehe ich Batterien, doch die passen nicht zu den von uns verbauten. Ich sollte alle drei tauschen, dann sind aber 1500 Euro weg. Erst einmal teste ich weitere die beiden verbliebenen, bisher halten sie sich gut.
Am ersten richtigen Abend gehen wir zum Abendessen in ein Restaurant. Herrlich, die Auswahl an Speisen ist jenseits von Steak und Burgern. Natürlich gibt es das, aber es gibt auch noch viel mehr. Ich bestelle mir Entenbrust, auf den Punkt zartrosa gebraten. Genau so kommt sie auch auf den Tisch. Eike ist begeistert von seinem Entrecote, ich sehe ihn zum ersten Mal sein Essen fotografieren. Gemessen an dem, was ich vom Kontinent gewöhnt bin, ist das Essen sehr einfach. Gemessen an dem, was ich aus Aruba gewöhnt bin, ist es Gourmet-Essen vom Allerfeinsten.
Morgens um Acht beginnen die Arbeiter zu arbeiten. Mit Schleifmaschinen, Hochdruckreinigern und allen anderen Geräten, die Lärm verursachen können. Das geht dann bis 18 Uhr. Und hier wird richtig gearbeitet, kein Vergleich mit dem, was ich in Aruba beobachten konnte.
Der neue Ausblick ist nicht schön, aber er verheißt Reparatur. Deswegen schließe ich nun diesen Beitrag. In den kommenden Tagen muss ich mich um Sissi kümmern und werde eher nicht viel veröffentlichen. Wir planen, einen Mietwagen zu nehmen und die Insel zu erkunden. Wenn der Motor wieder läuft, suchen wir ein paar schöne Ankerplätze auf. Und vielleicht kommen wir noch einmal auf eine andere Insel, in ein anderes Land. Das hängt von so vielem ab, darüber möchte ich noch nicht nachdenken.
Festgemacht haben wir in Pointe-a-Pitre gegen 23 Uhr, also noch am Dienstag. Zu den Meilen des neunten Reisetages kamen noch 41 nm hinzu.