Finale

So, dies ist der letzte Blog, bevor wir in Horta festmachen oder vor Anker gehen. Gerade habe ich eine Email vom Marinabüro erhalten, die Marina ist pickepackevoll. Die heiße Dusche, auf die sich Jens und ich die ganze Zeit freuen, ist damit wieder irgendwie in die weite Ferne gerückt. Wir sollen uns über Funk melden, wenn wir da sind. Ich bin mal gespannt, ob nach Mitternacht noch jemand ans Telefon geht.

Das Finale ist durchwachsen. Die Wellen sind schon ziemlich hoch, werden aber noch ein wenig höher. Dafür kommen sie aber mehr oder minder von hinten, das ist einigermaßen angenehm.

Immer wieder ziehen Regenböen durch, die uns für eine halbe Stunde den Wind klauen, danach aber alles wieder zurückgeben. Für uns wäre konstanter Wind natürlich schöner. Wir fahren eine Regatta mit einem britischen Boot (17 Meter Länge) und einem amerikanischen Boot (16 Meter Länge). Die Regatta haben wir schon verloren, bevor sie begonnen hat. Länge läuft eben, besonders in diesen Wellen. Wenn gerade kein Regen durchzieht, wärmt mich die Sonne im Cockpit.

Es ist saukalt. Zumindest empfinde ich das so. In meinem Bettbezug habe ich das Bettzeug für den Winter eingezogen. Ich trage Winterkleidung und dicke Wollsocken. Beginnt auf diesen Breitengraden um diese Jahreszeit nicht der Sommer? Immerhin sind wir so weit südlich wie die Südspitze von Sardinien.

Dieser Tage habe ich fälschlicherweise gedacht, dass unser Kühlschrank kaputt ist. Das ist falsch. Der Kühlschrank läuft prima, er hat nur die eingestellte Temperatur erreicht. Das hat er seit ein paar Jahren nicht mehr und es ist vollkommen ungewohnt für mich. Das Kühlaggregat vereist nicht mehr. Das Wasser aus dem Wasserhahn ist fast schon zu kalt zum trinken.

Während wir auf Faial zu segeln, schleppt sich der Nachmittag so dahin. Zuerst geht Jens zwei Stunden schlafen. Dann schlafe ich. Müde sind wir trotzdem. Wir sehnen uns nach einer Nacht Schlaf, in der wir uns nicht an der Matratze festklammern müssen. Eine Nacht ohne die ganzen Knarz-, Knack- und Klirrgeräusche, die seit Wochen unseren Alltag prägen.

Es ist kurz vor 21 Uhr. Wir haben unsere Bordroutine an den Abend angepasst, das Abendessen früher eingenommen und Jens schläft schon seit zwei Stunden. Ich werde ihn um Mitternacht wecken und selbst noch ein paar Stunden Schlaf nehmen. Zwischen zwei Regenschauern hat es aufgeklart und ich kann am Horizont den Vulkan der Insel Pico sehen.

LAND IN SICHT!!!!!

Es fühlt sich sehr gut an. Jetzt sind wir auch in einem Bereich angekommen, in dem die Wellen des Sturmtiefs von den Inseln Flores und Corvo ein wenig gebremst werden. Die sind zwar winzig klein und liegen 140 Meilen in Luv, doch sie werden die Wellen daran hindern, uns allzu sehr durchzuschütteln. Gegen die Windböen hilft das nicht, innerhalb der wenigen Minuten, die ich brauche, um diese Zeilen zu schreiben, knallt uns zweimal die Sollbruchstelle der Windfahnensteuerung durch, weil Windböen einfallen.

Dieser Beitrag erscheint, kurz bevor wir festgemacht haben. Ich kenne mich und ich kenne meinen Zustand. Wenn ich warten würde, bis wir in Horta festgemacht habe, würde dieser Beitrag erst gegen Ende der Woche erscheinen. Wir haben nur noch ein paar Meter, müssen in den Hafen und dann werden wir schlafen, schlafen und schlafen. Vielen Dank für die Kommentare zum Blog, wir hatten eben ein wenig Telefonnetz und ich habe alle gelesen. Ein paar warten noch auf Genehmigung, das werde ich zeitnah nachholen. Leider ist das von unterwegs nicht möglich.

Die nächsten Tage wird es hier ruhiger werden. End of transmission.

Endspurt mit Windwette

Wie schon gestern geschrieben, fahren wir in schlechtes Wetter hinein. Schlechtes Wetter heißt bei uns, dass es viel Wind geben wird (in Böen bis Windstärke neun) und dass dieser Sturm Wellen von bis zu fünf Metern Höhe produzieren wird. Besonders ungemütlich ist, dass diese Wellen alle acht Sekunden kommen sollen. Das muss man sich einmal vorstellen, alle acht Sekunden rauf und runter. Ich will das nicht erleben müssen.

Meine Finger tanzen auf dem Taschenrechner. Wir wissen genau, wie schnell Sissi in welcher Situation fahren kann. Mit Halbwind oder raumem Wind und den Wellen von hinten, sind da durchaus sieben bis acht Knoten drin. Dazu brauchen wir allerdings auch genug Wind. Dieser Wind soll kommen, sagt die Vorhersage.

Der Taschenrechner verrät mir, dass wir noch vor dem Sturm ankommen können. Wir müssen nur Vollgas fahren und auf Wind in ausreichender Menge hoffen. Dann werden wir rechtzeitig in Horta sein und können Sissi im Hafen sicher vertäuen. Anschließend setzen wir uns in eine Bar und sehen dem Sturm zu. Wenn wir Pech haben, müssen wir das draußen abwettern. Die Alternative zu Vollgas ist in jedem Fall, dass wir den Sturm auf hoher See erleben, denn wir sind schon mitten drin in dem Gebiet, welches der Sturm treffen wird. Eigentlich steht es damit außer Frage, für welche Lösung wir uns entscheiden.

Der Hafenführer sagt, dass die Marina von Horta gut geschützt ist. Er sagt auch, dass sie in den Sommermonaten stark frequentiert ist. Das ist mir egal, ich kenne Texel im Sommer. Dort liegen die Boote dann in 10er Päckchen, eines am anderen vertäut. Sicherlich ist sowas für einen Sturm nicht die beste Lösung, doch es ist allemal besser als sich den hohen Wellen zu stellen. Der doch eigentlich sehr entspannte Törn wird auf den letzten Meilen noch zu einem ausgewachsenen Abenteuer.

Zum Abendessen gibt es Pasta Bolognese, ich finde in den Tiefen der Vorratslasten noch eine Dose der Metzgerei Haase. Sie ist lediglich ein halbes Jahr abgelaufen und schmeckt immer noch sehr lecker. Anschließend genießen Jens und ich den letzten Sundowner auf diesem Törn. Entweder sind wir morgen Abend da, dann brauchen wir unser abendliches Ritual nicht mehr. Dann werden wir in der Hafenbar ein anderes Ritual zelebrieren. Oder wir sind noch nicht angekommen, dann haben wir garantiert anderes im Kopf.

Im Allgemeinen heißt es, dass man die Segel reffen soll, wenn man beginnt, über das Reffen nachzudenken. Unsere Devise ist „reffen verboten“! Außer es ist klar, dass Sissi nach dem Reffen noch schneller sein wird.

Hinter uns die untergehende Sonne, vor uns die werdende Dunkelheit der Nacht. So schießen wir mit knapp sieben Knoten durch die Wellen. Ab und an tritt uns eine Welle kräftig in die Seite, dann spritzt es manchmal sogar ins Cockpit. Nachts haben wir des Komforts wegen immer etwas gerefft. Heute Nacht werden wir das bleiben lassen. Egal wie unkomfortabel der Schlaf sein wird, es ist immer noch besser, als bei fünf Meter hohen Wellen zu schlafen. Etwas Muffensausen habe ich schon.

Die Nacht ist unruhig, der Wind schläft sogar ein wenig. Das ist schlecht, denn wir brauchen die Meilen. Am nächsten Morgen fällt mein Blick ungläubig auf das Thermometer. 16°C. Das ist mir zu kalt. Das ist kälter, als in jedem Einkaufszentrum in der Karibik. Ich bin daran nicht mehr gewöhnt.

Die Wettervorhersage hat sich etwas entschärft, es werden nicht mehr neun Windstärken angesagt, sondern nur noch bis zu sieben. Dafür sind wir etwas langsamer als erhofft. Wir werden dem starken Wind nicht davonfahren können, doch wir werden irgendwann in der kommenden Nacht den sicheren Hafen erreichen.

25. Etmal: 131 nm
Position: 38°33‘N 30°26‘W
Reststrecke: 84 nm

Sissi Space Station

Die Leinen sind los, Sissi ist unterwegs. Wir starten in unendliche Weiten, die noch nie ein Mensch zuvor…

So ist es nicht ganz. Seit Columbus sind schon ziemlich viele Schiffe hin und her über den Atlantik gesegelt oder motort. Doch eins hat sich nicht geändert, auf dem Ozean ist man etwa so weit weg von allem, als würde man in den Weltraum fliegen.

Wir haben genau das zur Verfügung, was wir an Bord genommen haben. Wir haben keine Möglichkeit, unterwegs etwas nachzuladen. Wir können nicht mal eben anhalten. Wir sind zu zweit in unserem Raumschiff. Die Welt draußen erreichen wir über Funk bzw. Satellitentelefon. Die Datenübertragung dauert unendlich lang. Unsere Energie müssen wir selbst produzieren. Der Brennstoff für das Raketentriebwerk ist sehr begrenzt. Sogar die Nahrung ist inzwischen vorproduziert und muss nur noch angerührt werden.

Seit unserem Start in Guadeloupe vor 2672 Meilen (oder knapp 5000 Kilometern) sind wir 24 Tage unterwegs. Seit wir die Doldrums passiert haben, befinden wir uns in einer stabilen Umlaufbahn. So langsam wird es Zeit, dass wir diese Umlaufbahn wieder verlassen und in den Landeanflug gehen.

Die Bodenkontrolle spricht von schlechtem Wetter in der Landezone. Wir sollen den Landeanflug verzögern, weil in der Nacht von Sonntag auf Montag ein Tiefdruckgebiet durchzieht. Das ist gar nicht so leicht, wenn man von den Fliehkräften des Planeten getrieben wird, welche wiederum die Tiefdruckgebiete rund um die Erde antreiben.

Die letzten zwei Tage waren herrliches Segeln. Viel Wind, keine unangenehme Welle und hohe Geschwindigkeit. Als ich heute morgen um 11 Uhr aufgestanden bin, stehen 8 kn auf dem Tacho. Wir müssen bremsen und reffen, das reduziert aber nur auf 7 kn. Wir reffen noch ein Stück und fahren weiterhin mit 7 kn. Also reffen wir weiter und die 7 kn stehen immer noch da. Manchmal auch nur 6 kn, Sissi möchte in den Hafen.

Es hat seit der Nacht, in der wir die Notreparatur durchgeführt haben, nicht mehr geregnet. Trotzdem hat Jens fast nur noch nasse Kleidung. Der neue Bolzen hält das Achterstag prima, doch in jener Nacht habe ich den Bolzen nicht gegen Wasser abgedichtet. Weder Jens noch ich haben daran gedacht, außerdem hätte ich gar nicht mehr den Nerv dafür gehabt. In Horta wird es viel zu tun geben für die Waschmaschinen. Nun ist die Stelle von außen mit ordentlich Sikaflex zugeschmatzt. Das wird mich später nerven, wenn die Reparatur ordentlich wiederholt werden wird. Trotzdem geht es uns gut, wir sind in bester Stimmung. Es fühlt sich nach Ankommen an.

Hinsichtlich der Reparaturen unterwegs empfehle ich, sich mit einer Tüte Chips und leckeren Getränken noch einmal den Film Apollo 13 anzusehen.

Seit ein paar Tagen funken wir regelmäßig mit einem anderen Raumschiff, einem US-Amerikanischen Katamaran mit einem thailändischen Skipper. Der schickte uns heute früh die Nachricht, dass beide Notausgangsluken durch Wasserschlag kaputt gegangen sind. Katamarane haben diese Luken unten (!), falls sie in schlechtem Wetter kentern. Nun stopfen sie alles mögliche da rein, damit nicht noch mehr Wasser ins Boot kommt. Das sind echte Probleme. Wir haben keine Zwiebeln mehr in der Küche. Zum Glück kann der Katamaran Faial schon sehen, sie müssen nur noch ca. 40 Meilen segeln.

Wir setzen eine Nachricht mit der Positionsmeldung an die Bodenkontrolle ab. Die ganze Welt kann unsere Position verfolgen. Wir überlegen, ob es zum Abendessen Trockenlasagne, Rippchen mit Kraut oder Spaghetti Bolognese geben wird. Sissi Space Station verabschiedet sich für heute, wir zünden die Bremsraketen. Das Leben ist schön.

24. Etmal: 120 nm
Position: 38°23‘N 33°07‘W
Reststrecke: 208 nm