Nostalgie

Ausnahmsweise haben wir alles richtig gemacht. Die Segel hätten wir zu keinem besseren Zeitpunkt runter nehmen können. Über Nacht hat der Wind ordentlich aufgefrischt und bei den Böen, die wir heute erleben, wäre die Genua immer noch an Ort und Stelle. Bravo!

Kreuzfahrtschiff im März 2020 in Bonaire

Morgen ist der 1. März. Genau vor einem Jahr waren wir in Bonaire und sahen jeden Tag ein Kreuzfahrtschiff am Anleger festmachen, an manchen Tagen auch zwei. Natürlich war irgendwo auf der anderen Seite des Planeten dieses chinesische Virus unterwegs, das hatte auf das Leben jedoch keinerlei Auswirkungen. Massenweise erstürmten die Kreuzfahrer am Morgen die Insel, am Abend verschwanden sie wieder und wir hatten an unserer Boje unsere Ruhe – bis zum nächsten Morgen.

Reisen war so unkompliziert. Und günstig. Wir wählten die gewünschte Insel aus, beim Ausklarieren bekamen wir die Dokumente für das Ziel und dann segelten wir los. Die Einreise im Zielland war unkompliziert, ich musste lediglich den mehr oder minder langen Marathon durch die unterschiedlichen Behörden erledigen. Das war dann in einem Zeitraum zwischen fünf Minuten (Martinique) bis zu zwei Stunden (St. Lucia) erledigt. In St. Lucia hat es deswegen so lange gedauert, weil die unterschiedlichen Behörden zu unterschiedlichen Zeiten ihre Mittagspause gemacht haben.

Die Behördengänge kosteten zwar mehr oder minder viel Geld, es war jedoch günstig im Vergleich zu den Kosten, die heute auf den Reisenden zukommen.

Karneval in Martinique, Februar 2020

Jetzt ist Reisen kompliziert. Und teuer. Wer heutzutage reisen möchte, muss den bürokratischen Teil fast besser vorbereiten als den seglerischen. Auf jeden Fall sollte man Zusatzvorräte für zwei Wochen an Bord haben, falls unerwartet am Zielort eine zweiwöchige Quarantäne angeordnet wird. Wir wollen uns von Aruba auf eine andere Insel bewegen. Okay, welche Alternativen haben wir denn?

Einkaufsstraße in Bridgetown, Barbados, im Januar 2020

Curacao. Die kürzest mögliche Strecke. Voraussetzung für die Einreise ist ein maximal 72 Stunden alter, negativer Covid-19 Test. Man meldet seine Reise über eine Webseite an. Man muss sogar die geschätzte Ankunftszeit vorher bekanntgeben. Das negative Testergebnis muss auf eine bestimmte Webseite hochgeladen werden. Für die Tests werden jeweils 125$ verlangt. Erreichbar ist Curacao in ca. 14 Motorstunden. Segeln ist ziemlich besch…., da der Wind direkt entgegen kommt. Man wählt als Tag der Überfahrt einen schwach windigen Tag. Die Zahl der Covid-19 Erkrankungen ist sehr gering.

Dominikanische Republik. Voraussetzung ist die Registrierung auf verschiedenen Webseiten. Einen Covid-Test verlangen sie nicht. Bei der Einreise wird die Temperatur gemessen und das war es dann auch im Prinzip. Unsere Freunde von der Chapo haben 260 Dollar Gebühren bezahlt. Darin enthalten ist der Dienstleister für den Behördendschungel. Segeln in die DR ist sehr gut möglich, der Wind weht nämlich immer aus der schönen Halbwindrichtung. Die Zahl der Neuinfektionen mit Covid ist einigermaßen hoch.

Puerto Rico. Fällt aus wegen fehlendem Krankenversicherungsschutz. Das gilt auch für die US Virgin Islands.

British Virgin Islands. Immer noch geschlossen. Gerade wurde die Öffnung auf Mitte April verschoben. Darauf können und wollen wir uns nicht verlassen.

Anguilla. Wenn man angemeldet ist, lassen sie einen rein. Auch hier gibt es Webseiten für die Anmeldung. Sie verlangen dort einen maximal fünf Tage alten, negativen Covid-19 Test. Das Problem ist hier schon einmal, dass Anguilla so weit östlich liegt, dass wir ziemlich kämpfen müssen, um dorthin zu kommen. Wir werden mehr als fünf Tage brauchen. Bei der Ankunft gibt es noch einen Covid-Test, es folgen 10 Tage Quarantäne und ein abschließender Covid-Test. Das ist ziemlich teuer, die normalen Gebühren kommen selbstverständlich noch oben drauf. Danach ist das Leben aber fein, denn es gibt keine Fälle mehr.

Party am Freitagabend in Gros Islet, St. Lucia, Februar 2020

Es gibt keine Garantien, dass sich die Regeln nicht von heute auf morgen wieder ändern. Länder können wieder schließen, wegen der Angst vor den Mutationen oder wegen – äh – keine Ahnung. Sie können schließen und sie tun es auch.

Grenada. Die absolut härteste Tour. 500 Meilen direkt gegen den Wind. 500 Meilen gegen eine Strömung von bis zu 2 kn. Noch viel härter, als von Kuba nach Aruba zu segeln. Aber unsere Freunde von der Milena Bonatti konnten dort ihre Covid-19-Impfung bekommen. Das wäre eine ziemliche Motivation für den Ritt. Quarantäne müssten wir bei einer veranschlagten Reisezeit von über 14 Tagen wohl nicht mehr machen. In Grenada wird das gute AstraZeneca benutzt.

Wenn unser Mast repariert ist, verlassen wir die Insel. Für meine Seele hätte ich gerne einen Abfahrtstermin vor dem 11. März. Am 11. März 2020 sind wir nämlich erstmals auf Aruba angekommen. Am 14 März wurden die Grenzen geschlossen. Ende des Monats auch noch der Flughafen stillgelegt. Aruba ging in den Tiefschlaf.

Lockdown. März 2020

Curacao erscheint mir unwirtschaftlich, da sich die Landschaft nur geringfügig von der Arubas unterscheidet. Die Dominikanische Republik ist eine sogenannte tief hängende Frucht, die leicht zu pflücken ist. Werden wir damit glücklich? Die ganzen Inseln im Osten sind schwer erreichbar. Sollen wir direkt nach Frankreich (Guadeloupe) fahren? Dort können wir wenigstens bevorraten, bevor es in ein paar Monaten über den Atlantik nach Europa zurück geht. Ich weiß es nicht.

Oder nehmen wir die Anstrengungen für Grenada auf uns? Die Chance auf eine Impfung und möglicherweise weniger Behördengänge und Covid-19-Tests in der Zukunft. Impfprivilegien würde ich gerne nutzen. Ich recherchiere noch.

In Jamaika gibt es immer noch keine Öffnungsperspektive. Jamaika wäre sehr leicht erreichbar. Dem Hörensagen nach wird Jamaika erst wieder die Häfen öffnen, wenn der Kreuzfahrttourismus wieder in Gang ist. Die paar Segelboote, die in der Karibik unterwegs sind, werden von den Behörden ignoriert.

Britannia im Januar 2020. Kommt uns zwischen Barbados und St. Lucia viel zu nah. Unsere Handys waren im Bordnetz. Ich kann auf die Dinger gerne verzichten.

Wir sind wahrscheinlich wieder in Europa, wenn die ersten Kreuzfahrer wieder die Karibik unsicher machen. Also wird das mit Jamaika in diesem Frühjahr nichts mehr. Schade, aber nicht zu ändern. Das Reisen war früher so einfach, so spontan. „Hey, der Wind sieht gut aus in den nächsten Tagen, lass‘ uns losfahren.“ Schnell zu den Behörden und anschließend frei sein. Man konnte unterwegs das Ziel ändern. Der Stopp auf Bonaire war spontan, wir hatten Papiere für Aruba dabei. Dabei bekomme ich nostalgische Gefühle, obwohl meine Karriere als Langfahrer bisher eher kurz ist.

Ich freue mich auf ein paar Segeltage, auch wenn diese anstrengend sind. Segeltage sind gut für den Geist.

Die Seele baumeln lassen. Januar 2020.

Start ins zweite Jahr!

Was ich hier auf Aruba treibe, hat nicht mehr viel mit Langfahrtsegeln zu tun, nicht einmal mit Segeln. Es ist Leben auf einem Segelboot. Manchmal wundere ich mich, wie viele Menschen diese Webseite besuchen. Dabei schreibe ich nur über das Leben auf einer kleinen Karibikinsel. Das hätte ich mir am 19. Juni 2019 nicht vorgestellt, als Jens und ich gemeinsam die Leinen in Stavoren lösten und zu unserem langen Segeltörn starteten.

Abendstimmung in Stavoren

Unser Weg führte uns zunächst auf ausgetretene Pfade. Zunächst überquerten wir die Nordsee. Dabei lernten wir, mit unserer neuen Technik, insbesondere dem AIS umzugehen. Die folgende Zeit in Schottland war ein Traum, denn das schottische Wetter war gar nicht schottisch, es hat nämlich fast nicht geregnet.

Seaport Marina Inverness

Kulinarisch haben wir aus Schottland mitgenommen, wie man einen Hummer zubereitet und wie man ihn anschließend mit möglichst geringem Kollateralschaden isst. Dazu gab es unzählige Fotos und eine große Zahl von Kontakten mit den Einheimischen. Wir haben viele tolle Menschen kennengelernt.

Lobster in der Pfanne

Unsere Reise führte uns über Nordirland, Isle of Man, Irland und Wales nach Guernsey. Dort waren wir mit unserer Schwester Christine und ihrem Sohn Benedikt verabredet. Die beiden haben dort ihre Sommerferien verbracht und mussten für uns einen Fleischwolf aus Frankfurt auf die Sissi schleppen.

Familientreffen auf Guernsey

Anschließend kam der erste Besuch an Bord. Christoph wollte einmal in seinem Leben die Biskaya auf einem Segelboot überqueren. Diesen Wunsch konnten wir ihm erfüllen. Wir wussten, dass wir einen erfahrenen Segler mit an Bord nehmen, schließlich sind wir oft genug zusammen unterwegs gewesen.

Windfahne

Während der Überquerung der Biskaya nutzten wir erstmals unsere Windfahnensteuerung. Das haben wir auf den kurzen Trips immer vor uns hergeschoben, der elektrische Autopilot funktioniert hervorragend. Nach der Biskaya haben wir nur noch die Windfahne benutzt. Sissi segelt viel ruhiger, wenn der Windpilot steuert. In dieser Hinsicht waren wir ziemlich dämlich. Christoph hat uns dann in Vigo verlassen, vorher machten wir noch eine gemeinsame Pilgerfahrt mit der Eisenbahn nach Santiago de Compostela.

Nach dem ersten Haarschnitt

In Spanien bzw. Portugal war es uns so warm, dass wir uns von unseren langen Haaren getrennt haben. Für mich war es der erste Friseurbesuch in diesem Jahrtausend. Es war eine meiner besseren Entscheidungen. Meine Haare sahen schon ziemlich – ähm – aus.

Lanzarote

Auf Lanzarote verbrachten wir eine ziemlich lange Zeit. Das hatte damit zu tun, dass wir auf einen Flug nach Frankfurt warteten, denn wir wollten unsere Eltern auf der Feier ihrer goldenen Hochzeit überraschen. Die Überraschung ist uns gelungen.

Wenn ich mir das obige Bild im heutigen Kontext anschaue denke ich, dass die Folgen von Covid-19 nicht unbedingt alle schlecht sein müssen. Der Genuss am Strand kann nur besser sein, wenn es dort nicht so eng ist. Da schiebe ich mal ein aktuelles Bild von hier dazwischen. Aufgenommen habe ich es bei der Wiedereröffnung der Hotelinsel, die wir als Marinagäste mitbenutzen können.

Wiedereröffnung Renaissance Island Aruba

Zugegebenermaßen hat das Hotel noch nicht geöffnet. Es läuft noch alles etwas auf Sparflamme. Das erste Wochenende waren die Einheimischen auf die Insel eingeladen. Sie konnten für einen Sonderpreis von 60 US$ übersetzen. Das kann sich auf Aruba auch nicht jeder leisten.

Cueva de los verdes

Zurück auf die Kanaren, zurück nach Europa, zurück in der Zeit. Wir waren nicht die einzigen, die die europäische Küste entlang gesegelt sind und auf den Kanaren landeten. Viele Boote haben wir immer wieder getroffen, mit einigen Crews haben sich Freundschaften entwickelt. Manche von uns sitzen in der Karibik fest, wir versuchen den Kontakt zu halten. Für diese Freundschaften sind wir sehr dankbar.

Da wir inzwischen wussten, wie anstrengend eine mehrtägige Seereise für eine Crew aus zwei Personen sein kann, haben Jens und ich uns entschlossen, auf Teneriffa einen Anhalter mitzunehmen.

Letzter Seetag auf dem Atlantik

Jakob, ein junger Österreicher, ist von Teneriffa bis Barbados auf unserer Sissi mitgefahren und hat uns auf dem Atlantik in der erwarteten Weise entlastet. Von seinem Plan, die Erde ohne Flugzeug zu umrunden, hat er inzwischen absehen müssen. Er ist inzwischen nach Österreich zurück geflogen.

Kaum auf Barbados angekommen, hatten wir schon wieder Besuch. Schon vor Monaten hatten wir uns mit Burti und Jörg verabredet. Inzwischen war es Ende Januar und Covid-19 dominierte die Medien. In der Karibik war das alles sehr weit weg.

Burti findet ihr tropisches Paradies

Die beiden begleiteten uns von Barbados über St. Lucia bis nach Martinique. Rückblickend betrachtet war der Zeitraum viel zu lang. Für mich hat sich eine der größten persönlichen Enttäuschungen meines Lebens daraus entwickelt.

Jens mit Eseln auf Bonaire

Auf dem Weg von Martinique nach Bonaire eröffnete mir Jens, dass wir nicht durch den Panamakanal fahren, sondern unseren Kurs in Richtung Deutschland ändern müssen. Das traf mich für einige Tage sehr hart. Wir machten uns daran, ein tragfähiges Restprogramm zu erarbeiten. Dazu gehörten die Inseln Bonaire (wegen des tollen Riffs und der geringen Besiedelung) und Aruba (wegen der Straßenbahn). Anschließend wollten wir uns auf Jamaika mit der Chapo treffen.

Straßenbahnselfie, als die Welt noch in Ordnung war.

Wenige Tage nach unserer Ankunft hat Aruba die Grenzen geschlossen. Die ersten Fälle von Covid-19 wurden auf der Insel gemeldet. Auch auf vielen anderen karibischen Inseln klappten die Schlagbäume herunter, ebenso in Mittelamerika. Wir saßen fest. Eine Weile planten wir, nonstop nach Deutschland zurück zu segeln.

Außerdem hatten wir noch ein Problem. Die Chapo war mitten auf dem Atlantik. Jutta und Charly wussten, dass sie sich für einige Monate nicht mehr bewegen würden können. Sie haben sich dazu entschieden, ebenfalls nach Aruba zu kommen. Das hat uns sehr gefreut, denn sie hatten noch 24 Dosen Apfelwein für uns an Bord. Aufgrund der langen Quarantänezeit von den Kapverden bis nach Aruba wurde ihnen die Einreise trotz der geschlossenen Grenze gestattet.

Wiedersehen auf Aruba

Es folgten mehrere weitgehend ereignisarme Wochen. Aruba hat komplett die öffentliche Verwaltung heruntergefahren. Nur Apotheken, Supermärkte und wenige andere Geschäfte der Grundversorgung hatten noch geöffnet. In der Nacht galt eine strenge Ausgangssperre. Jens ist zurück nach Deutschland geflogen. So können wir uns nicht monatelang auf den Geist gehen, während wir auf Aruba festhängen. Spätestens jetzt war mir klar, dass sich die Situation nicht innerhalb von ein paar Tagen entspannen würde.

Ausgangssperre

Inzwischen ist die Insel ohne Fälle von Covid-19 und bereitet die Öffnung vor. Die ersten frischen Touristen dürfen bald wieder kommen. Das öffentliche Leben unterliegt inzwischen fast keinen Einschränkungen mehr. Die Bars müssen noch um 23 Uhr schließen, Spielcasinos und Massagesalons sind noch komplett geschlossen. Die Einschränkungen halten sich also in Grenzen.

In Zukunft müssen einreisende Touristen einen maximal 72 Stunden alten Corona-Test mitbringen bzw. sie dürfen bei der Einreise einen Test für schlappe 75 US$ kaufen und sind während der eintägigen Wartezeit auf das Ergebnis in Quarantäne. Außerdem brauchen Touristen eine Krankenversicherung, die Covid-19 mit einschließt. Selbstverständlich kann diese Krankenversicherung auch vor Ort abgeschlossen werden, das kostet lediglich 15 US$ pro Tag.

Esel

Jutta und ich fahren jetzt regelmäßig zu den hiesigen Eseln und helfen bei deren Fütterung und der Reinigung des Geländes. Das ist eine angenehme Abwechslung zum Hafenalltag. Man kann nicht jeden Tag einen neuen touristischen Höhepunkt finden. Die Insel ist schließlich relativ klein.

Auch meine Kontakte zu den Arubanern werden besser. Seit man sich wieder im öffentlichen Leben begegnen kann, komme ich immer häufiger ins Gespräch. Das Gespräch ist allerdings bislang einigermaßen holprig, weil mein Papiamento stark verbesserungsfähig ist. Daran werde ich in den kommenden Wochen arbeiten.

Und ich werde mich jedes Mal freuen, wenn ich im Regen spazieren gehen darf. Dieser Tage hat es für zwei Minuten geregnet und ich war zu Fuß unterwegs. Toll.

Starkregen. Zwei Minuten lang. Die Straße wird nicht einmal richtig nass.

Was mir neben Familie und Freunden am meisten fehlt, ist der Wechsel der Jahreszeiten. Seit wir losgefahren sind, sind wir im Sommer unterwegs. Sommer in den Niederlanden und in Schottland, Irland und Frankreich. Überall war es Sommer. Je später der Monat desto südlicher waren wir unterwegs. Ich wünsche mir mal wieder so einen richtig schön verschneiten Wintertag oder den Duft von Herbstlaub nach einem Regenschauer. Ja, den Regen vermisse ich auch. Seit März hat es hier zusammen genommen keine Viertelstunde geregnet.

Nächsten Monat will ich versuchen, mit Sissi mal wieder eine Runde zu segeln. Edward und Shelley möchten testen, ob sie seekrank werden. Wenn sie nicht seekrank werden, können wir vielleicht mal einen kleinen Ausflug nach Curacao oder Bonaire machen. Seit dem 15. Juni gilt innerhalb der ABC-Inseln Reisefreiheit. Ich bin optimistisch für das zweite Jahr der Reise.

Noch nie zuvor konnte ich so viel in so kurzer Zeit erleben.

Planänderung. Abflug.

Vor ein paar Tagen schickte mir die Honorarkonsulin die Nachricht, dass ein Sonderflug von Aruba nach Amsterdam angesetzt ist. Es ist ein Flug der Niederlande nach Amsterdam, der auch Angehörige anderer EU-Mitgliedsländer mitnimmt. Jens und ich diskutierten das ausgiebig. In der Folge haben wir unsere Pläne etwas geändert.

Immer nur auf das Meer schauen können ist doof.

In wenigen Wochen besteht die Möglichkeit zum Start in Richtung Europa. Ende April öffnet sich das typische Zeitfenster. Auf unserer Route liegen Jamaika (geschlossen), Kuba (geschlossen), Bermuda (geschlossen), die Azoren (geschlossen), Portugal (geschlossen), Spanien (geschlossen), Frankreich (geschlossen und Segeln verboten) und England (noch offen). Ob England in zwei Monaten noch offen ist, kann heute noch keiner wissen. Das Zeitfenster schießt sich irgendwann Ende Juni mit dem Beginn der Hurrikansaison, die üblicherwese bis Ende November dauert.

Der direkte Weg nonstop nach Deutschland ist uns selbstverständlich nicht verbaut. Wir haben ein Segelboot mit unbegrenzter Reichweite, wir haben für Monate Proviant an Bord und wir müssen nicht tanken. Es handelt sich lediglich um schlappe 5500 Seemeilen (10175 Kilometer), die von uns in ca. 55 Tagen gesegelt werden können. Dazu kommen noch 14 Tage Selbstquarantäne vor der Abfahrt, damit wir sicherstellen können, dass wir die Seuche nicht schon an Bord haben. Also zwei Monate das Boot nicht verlassen. Irgendwie steht uns der Sinn gerade nicht danach.

Jens fliegt zurück nach Frankfurt, ich bleibe an Bord und auf Aruba. So sieht die Entscheidung aus. Nach der Hurrikansaison kommt Jens wieder zurück und wir fahren die Route, die ich oben beschrieben habe. Irgendwann machen die Länder ihre Grenzen wieder auf. Irgendwann können wir uns wieder so frei durch den Ozean bewegen, wie wir es lieben.

Der Abflug ist am 3. April um 16:30 Uhr angesetzt. Am 3. April hat aber auch Jutta Geburtstag. Wir sind zur Chapo eingeladen. Wir erklären Jutta, dass sie in ihrem Geburtstag hineinfeiern muss, wenn sie mit uns feiern möchte. Für den Abend des 2. April besorge ich die Zutaten für eine feine Abschiedslasagne. Die tragen wir zur Chapo. Dann feiern wir den letzten Abend. Dann feiern wir den Geburtstag von Jutta. Dann ist das Bier alle.

Sandalen haben ausgedient.

Am Morgen des Abflugtags werden mit leichtem Kater erst einmal die Sandalen beerdigt, die Jens schon mindestens seit einem Jahrzehnt durch Europa und nun durch die ganze Welt getragen haben. Zumindest bei mir kommt keine Sentimentalität auf. Berühren hätte ich die nicht mehr wollen.

Heute ist Abflugtag

Wir werden sentimental. Jens hat seine Sachen gepackt und kommt mit dem Gewicht gerade noch unter die Freigrenze. Ein letztes Foto gemeinsam mit Sissi. Ein letzter Schwatz mit den Chapos. Wir stehen an der Hauptstraße und warten auf Lel, einen Arubaner, den wir vor ein paar Wochen kennengelernt haben. Er hatte uns damals angeboten, dass er uns mit dem Auto fährt, wenn wir mal ein Problem haben. Das Problem liegt auf der Hand. Wir müssen zum Flughafen, es fahren aber keine Busse und keine Taxis. Lel fährt und bietet mir an, dass er mich auch wieder zurück bringt. Danke!

Gespenstisch einsam – Flughafen von Oranjestad

Am Flughafen ist erst einmal nichts los. Wir sind viel zu früh da. Natürlich haben sämtliche Grill- und Imbissbuden, Kaffeeläden und Minimärkte geschlossen. Der Flughafen ist geschlossen. Das ganze Land ist geschlossen. Wir waren so blöd, dass wir nicht daran gedacht haben. Zum Glück haben wir genug Wasser mitgenommen.

Warten, dass das Terminal öffnet

Zweieinhalb Stunden vor der geplanten Abflugzeit öffnet das Terminal. Wir haben zu diesem Zeitpunkt schon von Sicherheitsleuten erfahren, dass der Flug sich aufgrund von technischen Problemen eine Stunde verspäten wird. Jens organisiert über diesen Sicherheitsmann eine Pizza beim Lieferdienst.

Nur ein einziger Flug wird heute abgehen

Das Terminal öffnet und der Sicherheitsabstand zu den anderen Menschen ist leicht einzuhalten. Es gibt heute nur einen einzigen Flug.

Am Schalter erfährt Jens, dass er nicht auf der Passagierliste steht. Er kommt wieder nach draußen. Ich schicke der Konsulin eine Nachricht. Sie verspricht, dass sie sich sofort darum kümmert. Eine Viertelstunde später erscheint bei uns ein Mitarbeiter des Flughafens. Jens sei doch auf der Passagierliste. Er könne jetzt einchecken.

Vorne in der Schlange

Jens kommt wieder mit seinem Gepäck zurück. Er steht zwar auf der Passagierliste, es können aber derzeit nur Holländer abgefertigt werden. Der Mann, der die beiden deutschen Passagiere abfertigt, ist noch nicht eingetroffen. Also ist wieder Warten angesagt. Ich habe zwar Hunger – Jens hat vergessen, mich zu fragen, ob ich auch eine Pizza möchte – will aber nicht zurück zu Sissi, bevor Jens eingecheckt hat. Ich habe schließlich die kurze Leitung zur Konsulin.

Bescheuertes Selfie vor dem Flughafen

Es kommt wieder ein Mitarbeiter des Flughafen zu uns. Jens kann jetzt einchecken. Der dritte Versuch ist erfolgreich. Gut. Ich rufe Lel an, damit er mich abholt. Dann verabschiede ich mich von Jens. Kurz. Ich hasse Bahnhofsabschiede. Lel bringt mich zurück zu Sissi.

Den Nachmittag verbringe ich mit Telefonaten mit Freunden und der Familie. Donald Trump schickt Kriegsschiffe nach Venezuela. Wir können von Aruba aus nach Venezuela rüberschauen. Militärflugzeuge sind am Himmel zu sehen. Ich unterhalte mich noch etwas mit den Chapos.

Die Verspätung von Jens Flieger wird größer und größer. Er ist immer noch nicht in Paramaribo gestartet. Irgendwann erfährt Jens, dass der Flug auf den folgenden Tag verschoben wurde. Nach einer längeren Wartezeit kommt ein Bus und bringt die meisten verhinderten Passagiere in ein Hotel, das extra für diesen Flug wieder geöffnet wurde. Jens kommt zu Sissi zurück.

Wir feiern in kleinem Kreis den letzten Abend auf Aruba, nur Jens und ich. Im Radio hören wir, dass Deutschland erwägt, die Grenze zu Holland zu schließen. Das wäre blöd für Jens, denn er muss ja noch von Amsterdam nach Frankfurt kommen. Über die geschlossene Grenze fährt der ICE sicher nicht.

Am 4. April bekommt Jens regelmäßig Updates. Es wurde ein Ersatzteil für den Flieger nach Surinam geflogen. Der Flieger wird repariert. Es gibt eine Abflugzeit. Die Abflugzeit wird verschoben. Der Flug wird letztendlich wieder abgesagt und auf den 5. April verschoben. Ein Ersatzflugzeug kommt. Wir feiern noch einmal auf der Chapo. Wir können jetzt auf die Chapo, die Quarantänezeit ist vorbei.

Am Morgen des 5. April steckt mir der vorherige Abend in den Knochen. Die große Zahl der „letzten Abende“ zieht sich hin. Ich habe keine Lust mehr auf den letzten Abend. Wir beobachten auf flightradar24 den Flug Ersatzmaschine auf dem Weg nach Paramaribo. Es sieht alles gut aus. Die Maschine landet. Jens bekommt die Nachricht, dass sein Flug verspätet sein wird. Verspätet ist besser als verschoben.

Jens steigt in den Bus

Die Ankunft der Busse an der Marina verzögert sich auch, es wurden nicht alle Fluggäste im Hotel gefunden. Das Hotel soll sehr gut gewesen sein. Hört man. Dann kommen sie doch, ich nehme kurz Abschied von Jens und das war es dann. Für die nächsten Monate.

Der Flug nimmt eine spannende Route nach Aruba. So viel Abstand zu Venezuela, wie es möglich ist. Herr Trump hat seinen Spaß in Venezuela.

Kurz vor der Ankunft.

Jens ist derweil im Terminal und wartet auf den Abflug. Wir tauschen Nachrichten aus. Ich bin traurig und gleichzeitig glücklich. Ich freue mich für Jens, dass er die nächsten Monate in Frankfurt verbringen kann. Ich bin gespannt, wie es mir jetzt ergehen wird. Ich bin traurig, welche Richtung der Segeltörn ohne unser Verschulden genommen hat.

Warten.

Während wir noch Nachrichten tauschen, geht plötzlich alles ganz schnell. Der Flieger schwebt über dem Hafen ein, ich kann ihn von Sissi aus sehen. Ich wechsle noch zwei kurze Nachrichten mit Jens, dann muss er sein Telefon ausschalten. Dafür dauert es wieder ewig, bis ich den Start des Fliegers im Internet beobachten kann. Wir sehen uns im Spätherbst wieder.

Auf dem Weg nach Hause