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Wieder einmal nervt das Wetter. Kaum habe ich den gestrigen Beitrag gesendet schläft der Wind ein. Er schläft richtig ein. Die Vorhersage spricht von feinstem Segelwind, 15-18 kn aus der richtigen Richtung. Wenn ich davon 10 kn abziehe, habe ich den tatsächlichen Wind. Die Wellen werfen Sissi durch die Gegend. Der Wind reicht nicht einmal ansatzweise dafür aus, die Segel zu füllen. Natürlich lassen die Wellen nach, wenn der Wind nachlässt. Leider aber erst ein paar Stunden später. Eine Kursänderung auf Ost-Südost verschafft uns Linderung. Leider bringt uns dieser Kurs aber kaum näher an unser Ziel. Wir lassen uns mit gemächlichen 3 kn durch den regnerischen Nachmittag schaukeln.

Was bedeutet die Zahl in der Überschrift über diesem Beitrag? Kenner werden sie sofort wiedererkannt haben, es ist der Titel eines Albums von Spliff. Erschienen ist es zu einer Zeit, in der man seine Musik noch auf großen, schwarzen Scheiben im Schallplattenladen erworben hat. Der bekannteste Titel darauf ist „Carbonara“ und der geht mir den ganzen Nachmittag durch den Kopf. Da Mário sich immer mehr an das Bordleben adaptiert hat, inzwischen auch seinen Schlaf am Tag finden kann und offenbar auch seine Seekrankheit verloren hat, probiere ich es noch einmal mit Carbonara zum Abendessen. Wir essen in Cockpit, als Teigwaren wähle ich Serpentini, nicht Spaghetti. Die Serpentini haben den Vorteil, dass man sie Löffeln kann und eine Hand für den Teller frei hat. Die Carbonara bleibt im Bauch, wir sind satt und zufrieden.

Nach und nach kommt der Wind wieder. Die Stunden meiner abendlichen Wache schleppen sich dahin. Ich kann mein Buch nicht in Ruhe lesen, weil Sissi immer wieder um Zuwendung bittet. Ich kann mein Buch nicht in Ruhe lesen, weil immer wieder Regenschauer durchziehen. Mit mehr und mehr zunehmendem Wind gelingt es mir, Sissi mehr und mehr auf Ost-Nordostkurs zu drehen. Direkt Nordost wäre Cork, das ist jedoch noch nicht drin. Gegen Mitternacht haben wir endlich wieder 5 kn Speed. Die Situation ist stabil, ich beende meinen spannenden Thriller. Dann fällt mir auf, dass ich keine frischen Bücher mehr übrig habe. Für die nächste Wache muss ich mir ein Buch heraussuchen, das ich schon lange nicht mehr gelesen habe. Oder ich schaue zur Abwechslung mal einen Film.

Um 1:30 Uhr fahre ich eine Halse, jetzt sind wir auf Kurs Nord-Nordost. Passt prima, denn irgendwann heute Nacht soll der Wind mehr in Richtung Nord drehen. Da unser Kurs relativ zum Wind eingestellt ist, wird der Wind uns mitdrehen. Als ich Mário um 3 Uhr zur Ablösung wecke, gleiten wir schon mit fast 6 kn durch die Nacht.

Am Morgen wache ich auf, es fühlt sich an als wären wir im Hafen festgemacht. Keine ruckartigen Schiffsbewegungen mehr. Wir gleiten mit gefühlten 2 kn über den Ozean. Im Cockpit treffe ich auf Mário, der mich breit angrinst. Zumeist sind wir mit knapp 6 kn unterwegs, wir haben gut Strecke gemacht. Noch dazu in der richtigen Richtung, denn der Wind ist der Vorhersage gefolgt und hat gedreht. Ich genieße meinen Kaffee.

Mário ist inzwischen voll aufs Ankommen programmiert. Das merke ich am Bordcomputer, den er in der Nacht immer verstellt. Ich versuche ihm klarzumachen, dass es nichts nutzt, alle paar Minuten auf die Reststrecke zu schauen. Er schaut trotzdem. Mir reicht einmal am Tag, wenn ich das Etmal ablese und dann noch die Reststrecke ermittle. Die Reststrecke ist inzwischen unter 300 Meilen. Selbst bei ungünstigem Wind schaffen wir das in drei Tagen. Unser Ankunftstag wird wohl der Mittwoch sein. Wenn es mit der Geschwindigkeit gut passt, laufen wir bei Sonnenaufgang ein. Passt es weniger gut, wird es eben der Nachmittag. Auf jeden Fall wird es der Mittwoch.

Und da wäre noch… die Samai. Sie wird morgen in Brest ankommen, am Montag also. Ich habe die Samai immer wieder als „Raser“ tituliert. Stimmt natürlich nicht, weder Sissi noch Samai sind Regattaboote. Auf den 1100 Meilen von Santa Maria zu unseren jeweiligen Zielen hat uns Samai zwei Tage abgenommen. Ich halte das weniger für Raserei als für Glück mit dem Wetter. Wenn die Samai unsere Schwachwindtage abbekommen hätte und wir besseren Wind, hätte das genauso gut anders herum ausgehen können. Ist es nicht letzten Endes egal, ob man für die Reise 11 Tage oder 13 Tage braucht? Hauptsache man kommt gesund auf einem intakten Boot an.

10. Etmal: 112 nm
Position: 48°30‘N 13°47‘W
Reststrecke nach Cork: 290 nm

Vorgeschmack auf Irland

Mário legt sich gegen Mittag erst einmal hin und versucht, entgangenen Nachtschlaf nachzuholen. Er hat sich inzwischen einigermaßen an den Rhythmus aus Wache und Schlafen auf dem Boot gewöhnt. Zu Anfang des Törns hatte er immer Probleme, sich gegen Mittag hinzulegen und ein paar Stunden zu schlafen. Auch die ungewohnte Schlafenszeit nach dem Abendessen war für ihn ein Problem, mit noch hoch am Himmel stehender Sonne konnte er keinen Schlaf finden. Inzwischen regelt das der Ozean. Geschlafen wird, wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Mit den langen Wachen auf Sissi besteht so auch die Möglichkeit, länger am Stück zu schlafen.

Schlafen kann auch der Mercedes. Er ist inzwischen wieder abgekühlt, denn es weht ein ordentliches Lüftchen in die Segel. Wobei das zur Folge hat, dass sich der Atlantik von einem glatt gebügelten Hemd in ein verknautschtes T-Shirt verwandelt. Stunde um Stunde bauen sich mehr Wellen auf. Noch ist der Wind nicht so stark, dass er ordentlich Druck in den Segeln macht. Wir fahren nur etwa mit 4 kn Geschwindigkeit. Also knallt es immer mal wieder heftig, wenn eine Welle Sissi hin- und herschleudert. Die Segel verlieren den Wind und knallen dann wie Peitschenhiebe, wenn Sissi in der Welle zurückschnellt. Das scheppert im Rigg, das ganze Boot vibriert und es bereitet mir fast schon körperliche Schmerzen. Bitte, bitte, etwas mehr Wind! Nur ein paar Knoten, damit das System sich stabilisieren kann.

Ich probiere es mit einer Halse, bringe das Boot auf den anderen Bug. Natürlich ist es so, dass wir vor dem Wind genau nicht den Kurs laufen können, den wir eigentlich gerne haben wollen. Entweder ist unser Kurs zu weit nördlich oder zu weit östlich. Seglers Dilemma, man kann eigentlich nie auf dem gewünschten Kurs segeln. Die Wellen folgen bekanntermaßen dem Wind, deswegen ändert sich das Verhalten von Sissi auf dem anderen Bug nicht. Ich halse wieder zurück. Der nördlichere Kurs bringt uns wenigstens in eine Zone mit mehr Wind, der östlichere Kurs würde uns aus dem Wind hinaus bringen.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Schiffsbewegungen schon jetzt ganz ordentlich sind, gebe ich meinen Gedanken an die angedrohten Spaghetti Carbonara erst einmal auf. Nach einer Idee von Samai bereite ich einen Brotteig zu, in die ich die portugiesischen Frankfurter Würstchen einzubacken gedenke. Mário schläft noch, die Tür zu seiner Koje ist geschlossen. Also bereite ich auch gleich die Tomatensauce zu, in der die Würstchen versenkt werden sollen.

Pünktlich zum Abendessen dreht der Wind dann eine satte Windstärke auf. Jetzt fliegt Sissi mit knapp 6 kn durch die See. Die Schläge im Rigg sind vergessen, selbst wenn eine Welle Sissi auf dem falschen Fuß erwischt, bleibt nun der Druck in den Segeln erhalten. Lediglich wir werden durch die Gegend geschleudert. Schön, dass man das Abendessen einfach aus der Hand essen kann. Auf See sollte man immer schön die Mahlzeiten an die Möglichkeiten anpassen. Ich kann zwar bei praktisch jedem Wetter alle erdenklichen Mahlzeiten zubereiten, die Nahrungsaufnahme gestaltet sich dann jedoch problematisch. Ab einem gewissen Seegang verbieten sich Saucengerichte. Ab einem gewissen Seegang verbieten sich auch Gerichte, zu deren Konsum man Messer und Gabel braucht. Man braucht manchmal eine Hand für den Teller und löffelt mit der anderen Hand. Sonst befindet sich das Essen irgendwo im Salon.

Nach dem Essen wende ich dann noch eine gute Stunde dafür auf, die Windfahne an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Dann ist Sissi stabilisiert, der Kurs ist gut und die Geschwindigkeit ebenso. Bei klarem Himmel werde ich Zeuge eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Ein wohlbekanntes Geräusch lässt mich herumfahren, ich sehe gerade noch den wieder abtauchenden Wal. Ich habe ein blödes Sonnenuntergangsfoto geschossen, während ich den Wal hätte beim Ausblasen erwischen können. Hätte, hätte. Das war nun schon der vierte Wal, den ich nicht fotografiert habe. Entweder lag die Kamera unten im Salon, oder der Wal war zu weit weg. In allen Fällen war ich zu langsam.

Für die Nacht plane ich, die Genua etwas zu reffen. Es ist genug Wind da, wir sind schnell genug. Mário soll nicht in die Verlegenheit kommen, das Boot neu ausbalancieren zu müssen. Die Sterne zeigen sich heute Nacht zum ersten Mal nicht am Himmel. Wir fahren in ein Tiefdruckgebiet hinein. Die Wolken verkünden, was morgen wohl Wirklichkeit sein wird. Schon bei der Übergabe um 3 Uhr morgens fällt Nieselregen ist Cockpit.

Ich wache gegen 10:30 Uhr auf. Es ist klamm im Boot. Auf meinem Weg zur Kaffeemühle rutsche ich über den glitschigen Fußboden. Mário steht in Regenklamotten auf der Treppe. Es fühlt sich an, als wäre Irland nur noch einen Katzensprung entfernt. Der Kaffee kühlt schneller ab, als ich ihn trinken kann. Normalerweise ist das umgekehrt. Ich liebe richtig heißen Kaffee! Ich kann heißen Kaffee aufsaugen. Trotz des langsamen Starts gestern Mittag haben wir 106 Meilen zurückgelegt. Die richtig guten Etmale kommen jetzt noch. Von der Samai lese ich, dass sie „lediglich“ 115 Meilen geschlichen sind. Was für Raser!

9. Etmal: 106 nm
Position: 47°15‘N 15°26‘W

Eine Seefahrt, die ist lustig

Wir sind langsam unterwegs, doch immerhin segeln wir. Der Mercedes schweigt für eine Weile. Am Abend rechne ich wieder damit, dass der Motor angekurbelt werden muss. Immerhin haben wir etwas Wind und schleichen mit gut 4 kn auf unser Ziel zu. Wer aufmerksam die Stalking-Seite betrachtet, kann sich sicherlich schon ausrechnen, was unser Ziel ist. A Coruna ist längst raus aus dem Rennen, das wäre auch nur eine Notlösung gewesen für den Fall, dass der Wind komplett zusammen klappt. Brest ist inzwischen auch aus dem Rennen, das wären nun viel zu viele Meilen und da will ich auch nicht wirklich hin. Von der Liste der möglichen Ziele bleibt also Cork in Irland. Ich prognostiziere aber noch keine Ankunftszeit. Es sind noch zu viele Unbekannte mit im Spiel, insbesondere das Wetter…

Ich plane das Abendessen, ich möchte gerne mal wieder eine Spaghetti Carbonara essen. Nicht mit Sahnesauce, wie sie in 98% der Restaurants außerhalb von Italien serviert wird, sondern mit Ei. Eine leckere Carbonara eben. Meine Pläne teile ich mit Mário. Der fragt, ob ich ihm seine Carbonara nicht ohne Käse servieren kann. Außerdem fragt er, ob der gebratene Speck in der Carbonara wirklich sein muss.

Mário arbeitet beim staatlichen Gesundheitsdienst. Er hat einen Bürojob, den er nicht mag. Er würde viel lieber draußen arbeiten, zum Beispiel auf einem der Touristenboote. Dafür hat er den Bootsführerschein erworben. Außerdem hat er ein Training für Sicherheit auf See hinter sich gebracht, das Voraussetzung für die Arbeit in der Berufsschiffahrt ist. Ich würde ihm einen solchen Job auch mit ganzem Herzen gönnen, empfehlen kann ich es ihm aber nicht.

Wohl dem, dessen Crew einen Magen mit Wänden aus Edelstahl hat.

Ich gebe viel auf unsere Sissi-Bordküche. Sie hat Preise gewonnen für ihre schmackhaften Gerichte. Meine Gäste waren immer zufrieden und satt, wenn sie ihre Mahlzeiten beendet hatten. Vor Beginn der Reise fragte ich Mário, ob er bestimmte Vorlieben beim Essen hat und ob Allergien bestehen. Nein, er ist kein komplizierter Esser, er isst einfach alles. Nein, Allergien bestehen nicht. Das vereinfacht die Sache für mich. Ich muss also beim Kochen auf nichts achten, es muss nur gut schmecken.

Gleich die erste Mahlzeit, die eine Pilz-Rahmsauce enthält, führt zu einem verdauungstechnischen Desaster. Seine Laktoseunverträglichkeit hat Mário nicht als Allergie gewertet. Okay. Damit kann ich leben. Beim Einkauf für die lange Überfahrt achte ich darauf, möglichst alten Käse zu besorgen. Je älter der Käse ist, desto weniger Laktose enthält er. Das habe ich vor langer Zeit von meinem Arbeitskollegen Marco gelernt, der als laktoseintoleranter Mensch zum Beispiel keine Probleme mit Parmesan hat.

Inzwischen sind die Kartoffeln ausgegangen. Die letzten Kartoffeln haben sich in Bratkartoffeln verwandelt. Dazu grüne Bohnen und ein kleines Schweinekotelett, alles nur dezent gewürzt. Mário lobt die deutsche Küche und wünscht sich mehr davon. Würde ich gerne kochen, aber für die deutsche Küche fehlen mir definitiv die Kartoffeln. Reis ist ja ganz gut verträglich. Leider ist Reis aber auch eine verdammt langweilige Speise, die von den Gewürzen der übrigen Zutaten lebt. Das Risotto kommt nicht wirklich gut an, denn es enthält 12 Monate gereiften Azorenkäse. Und das Risotto führt zum Aufflackern der Seekrankheit, der Eimer steht wieder im Cockpit.

Man kann Speisen kochen, braten, grillen, dünsten oder auch kalt servieren. Insbesondere die Zubereitungsformen, die Geschmack in die Speisen bringen, triggern wieder die Seekrankheit. Wenn Fett im Spiel ist, triggert es die Seekrankheit. Ich weiß gar nicht mehr, was ich in meiner Küche eigentlich noch produzieren darf. Abspülen nach dem Essen triggert auch die Seekrankheit. Ich kann es an Mários sonnenverbrannter Nasenspitze sehen, dass es sich dabei nicht um Faulheit handelt. Er würde gerne seinen Pflichten nachkommen, doch seine Nase ist nach fünf Minuten an der Spüle kreidebleich.

Ich koche Reis, die restlichen grünen Bohnen und für Mário ein Ei. Für mich ein Schweinekotelett. Mários Mahlzeit wird nur dezent mit ein ganz klein wenig Salz gewürzt. Mario bekommt den Reis trocken ohne Sauce, auch die Bohnen bringen keine Sauce mit. Meinen Reis mache ich mit dem Saft des Koteletts genießbar. Während ich das Kotelett brate, verlässt Mário den Salon und setzt sich ins Cockpit. Dort nimmt er auch seine Mahlzeit ein.

Solange ich Mahlzeiten zubereite, die ohne Gewürze und ohne Gerüche auskommen, kann Mário seine Seekrankheit im Griff behalten. Das halte ich aber nicht aus. Ich möchte Geschmack in meinem Essen. Ich habe kein Problem damit, ihm eine separate Mahlzeit zuzubereiten. Die möchte ich aber nicht essen.

Wohl dem, dessen Crew einen Magen mit Wänden aus Edelstahl hat.

Ich halte es nicht mehr aus. Ich brauche definitiv mal wieder eine gute Pasta. Da muss Mário durch. Wenn alles hart auf hart kommt, spüle ich auch gerne selbst ab. Heute mache ich die Carbonara. Mário bekommt seine Carbonara ohne Speck, ohne Ei und ohne Parmesan. Guten Appetit!

8. Etmal: 103 nm
Position: 45°43‘N 16°34‘W