Zweimal ausgelacht!

Immer noch habe ich die leise Hoffnung, dass sich meine Kamera wieder einfindet. Ich kann mich noch daran erinnern, dass vor einigen Jahren meine teure Nikon F3 alleine vom Frankfurter Hauptbahnhof mit der Straßenbahn nach Ginnheim gefahren ist. Dort wurde sie vom Straßenbahnfahrer gefunden und wieder an den Hauptbahnhof gebracht. Ich konnte sie nach einer knappen Dreiviertelstunde wieder in den Händen halten. Danke dafür!

Kirche auf dem zentralen Platz in Praia

Nachdem Jens zu einer Wanderung in den Nordwesten der Insel aufgebrochen ist, mache ich einen Spaziergang durch Praia. Dabei habe ich zwei Ziele. Einmal die Polizeistation und einmal das Büro des Busbetreibers.

Polizeihahn

Vor der Polizeistation finde ich erst einmal einen dicken Hahn, der im Blumenbeet vor sich hin döst. Ich will ihn nicht aufscheuchen, das Foto muss ich aber machen. Dann trete ich ein. Ein Polizist kommt sofort an den Schalter. Ich frage ihn, ob er ein wenig Englisch spricht, was er zunächst verneint. Trotzdem kann ich meine Frage an den Mann bringen, ob in den letzten Tagen eine Kamera abgegeben wurde. Der Polizist beginnt mich auszulachen und teilt mir mit, dass solche Gegenstände hier niemals abgegeben werden. Der Vorfall schockiert mich geringfügig. Immerhin ist Terceira nur eine kleine Insel mit weniger als 70000 Einwohnern, da könnte man sich vorstellen, dass es kein Kriminalitätsschwerpunkt ist.

Polizeistation in Praia

In Frankfurt habe ich nicht damit gerechnet, meine Kamera zurück zu erhalten. Immerhin sind wir in der Kriminalitätsstatistik immer wieder auf den vorderen Rängen zu finden. Etwas unmotiviert gehe ich trotzdem noch in das örtliche Büro des Busbetriebs. Es befindet sich in den Räumlichkeiten eines Landmaschinenhandels. Dort werden Produkte von Claas und Stiehl vertrieben, aber es gibt auch einen Tresen der EVT. Der Mann am Tresen spricht gar kein Englisch, nimmt mich aber mit zu einigen Frauen, die gerade ihre Mittagspause machen. Ich trage mein Anliegen vor und plötzlich herrscht große Heiterkeit. Ein weiteres Mal werde ich ausgelacht. Nein, Kameras und dergleichen Dinge werden niemals abgegeben.

Landeanflug über dem Ankerplatz

Zurück an Bord „genieße“ ich dann das Gefühl, das ich aus meiner ehemaligen Wohnung in Oberrad noch gut in Erinnerung habe. Ein Flugzeug nach dem anderen lärmt im Landeanflug über dem Hafen. Der Flughafen ist nicht weit entfernt und im Gegensatz zu Horta gibt es hier auch keinen Nebel, der die Landungen verhindern würde. Der Flughafen ist gut ausgebaut.

Tiefer und immer tiefer sinkt der Flieger

Es landen zumeist keine Düsenjets, sondern kleinere Propellermaschinen. Die Ferienflieger sind in der Minderzahl. Die Lärmkulisse gibt sich jedoch kaum etwas. Das einzig Gute an diesem Flughafen ist die Betriebsruhe ab Mitternacht.

Dieser Flieger ist kleiner, aber nicht viel leiser.

Ein wichtiger Grund für den hervorragenden Ausbau des Flughafens ist die Airbase der USA. Die Start- und Landebahn wird gemeinsam von zivilen und militärischen Flugzeugen genutzt. Auf dem Flightradar ist als Herkunft der Flugzeuge immer wieder Ramstein vermerkt.

Dieser dicke Brummer kommt aus Ramstein

Genau wie damals in Frankfurt sind auch hier die Militärflieger vom Lärm her eine Vollkatastrophe. Außerdem kommen sie manchmal noch nach Mitternacht rein.

Unfaire Spiele

Auf Terceira findet gerade ein zehntägiges Festival statt. Auf den Straßen tönt laute Musik aus Lautsprechern. Jörg ist das heute zu viel Trubel und so ziehe ich alleine durch die Gassen von Angra und sehe mir den Ort an. Die Straßenbeschallung findet zum Glück nur im Zentrum statt. Ein paar Gassen weiter wird es wieder ruhig.

Das Highlight ist am Nachmittag der Seilstierkampf. Seit die spanische Armee im 16. Jahrhundert mit Hilfe von Bullen nieder gerannt und so eine Invasion verhindert wurde, ist das Festival mit seinen Stierkämpfen das größte, nicht religiöse Fest auf Terceira. Fast jeder Ort auf der Insel veranstaltet diese Straßenkämpfe. Daneben laufen noch andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein Jetski-Rennen.

Wären wir in Angra vor Anker geblieben, hätten wir für dieses Jetski-Rennen einen Platz in der ersten Reihe gehabt. Ich schieße nur ein paar Fotos und laufe weiter. Jetskis, die schnell im Kreis fahren, finde ich nicht spannend genug, um länger zu bleiben. Außerdem macht sich ein kleines Hüngerchen breit. Ich muss nicht lange suchen, bis ich eine Fressbude finde. Mit einem Sandwich setze ich mich in den nächsten Park und sehe einem Pärchen beim Tauben füttern zu,

Mir wurde gesagt, dass ich wenigstens eine Stunde vor Beginn der Kämpfe vor Ort sein sollte, um einen guten Platz zu bekommen. Ich kann so das komplette Spektakel von Anfang bis Ende beobachten. Ausgehend von dem Platz vor einer Kirche sind die Straßen abgesperrt. Alle Haustüren an der Straße sind mit Brettern und Paletten gesichert. Zuschauer machen sich auf allen verfügbaren Mäuerchen breit. Anwohner öffnen Tür und und Tor, um selbst Fremde wie mich auf ihren Balkon zu lassen. Auch das hat hier Tradition und es ist schließlich gefährlich, auf der Straße zu stehen.

Ein Transporter mit vier engen Transportboxen auf der Ladefläche rollt an. Mit einem kleinen Kran werden die Boxen unter viel Getöse abgeladen und auf der Straße miteinander verzurrt. Immer wieder gibt es laute Schläge aus dem Inneren, die die Wände der Boxen zum Erzittern bringen. Bevor ein Stier auf die Straße gelassen wird, bekommt er eine Schlinge um den Hals gelegt.

10 Männer in weißen Hemden und schwarzen Hüten, die „Pastores“, nehmen dann Positionen entlang einer langen Leine ein. Fünf am Ende der Leine und fünf ein gutes Stück weiter vorne. Ihre Aufgabe ist es, den Stier daran zu hindern, unkontrolliert in die Zuschauer zu stürmen, die am Ende der Strecke an den Bierständen stehen. Sobald der Stier an der Leine hängt, begeben sich die Pastores in Position. Eine Rakete wird abgefeuert. Das ist das Zeichen für alle noch umher Stehenden, die Straße zu räumen.

Die Pastores machen sich bereit.

Jetzt wird die Box geöffnet und der Bulle laufen gelassen. Hunderte Kilo Muskelmasse setzen sich in Bewegung und stürmen auf einen der „Capinhas“ zu. Der Stierkämpfer weicht aus und fängt an, Kreise um den Stier zu drehen, der wütend und schnaubend versucht, den Capinha auf die Hörner zu nehmen.

Tanz mit dem Stier.

Nach ein paar Runden bleibt der Stier stehen, um etwas Luft zu holen. Ein weiterer Capinha steht ein Stück weiter die Straße herunter und provoziert. Der Stier nimmt erneut Anlauf und rennt los. Auf diese Weise wird der Stier langsam die Straße hinunter getrieben. Wird er dabei zu schnell oder nähert er sich dem Ende der Straße, greifen die Pastores ein und ziehen ihn an der Leine zurück. Ein fairer Kampf sieht für mich anders aus. Immer wieder versuchen auch Leute aus dem Publikum ihr Glück und wagen den Tanz mit dem Stier. Meist endet dies mit einem rettenden Sprung über den Zaun.

Rettung in letzter Sekunde.

Nach etwa 20 Minuten wird der Kampf beendet und der Stier zurück in seine Box verfrachtet. In einer kurzen Pause wird der nächste Stier vorbereitet. Das gibt den Zuschauern Zeit, sich neues Bier oder einen Snack zu kaufen. Vier Stiere sollen an den Start gehen. Die zweite Rakete wird gezündet und die Straße leert sich. Dann passiert erst mal nichts. Nach einem kurzen Moment dann laufen die Capinhas zurück zur Box. Bestürzte Blicke. So schnell sie irgendwie können, wird die Box wieder zurück auf den Transporter geladen. Für diesen Bullen war der Kampf bereits verloren, bevor er eine Chance bekam.

Ich nutze die Pause bis zum nächsten Start, um mir einen anderen Platz zu suchen. So langsam verstehe ich wie das Hin und Her funktioniert und ich möchte näher ans Geschehen. Auf die Straße. Auf Metal-Konzerten stehe ich auch gerne in der Menge und lasse mich durch die Gegend schubsen. Gemeinsam mit anderen zusammen vor dem Stier die Straße hinunter zu flüchten ist zwar was komplett anderes, kommt dem Gefühl aber auf jeden Fall sehr nah. Ein besonderes Erlebnis.

Flucht vor dem Stier.

Nach ein paar Stunden ist dann alles vorbei. Die drei verbliebenen Stiere werden abtransportiert. Die Barrikaden an den Häusern werden abgebaut. Die Stadtreinigung räumt Müll von der Straße. Ich hatte einen schönen Nachmittag voll neuer Eindrücke, Spaß und Adrenalin. Dass die Stiere durch diese Veranstaltung einen immensen Stress erleiden und so auch sterben, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

Die Kämpfe sind vorbei.

Auf dem Weg zurück finde ich noch ein süßes Kätzchen, das ich wahrscheinlich stundenlang hätte kraulen können, wenn ich nicht den letzten Bus erwischen müsste.

Miau.

Seilstierkampf

Nach der ersten Nacht in Terceira bin ich immer noch nicht richtig wach. Sissi hat sich im Schwell hin und her gerollt. An der Ankerkette herrscht fast so viel Bewegung im Boot, wie auf einer Überfahrt unter Motor. Der Kühlschrank ist ausgestiegen, ebenso der Gefrierschrank. Letzterer hat zwar noch -5°C, doch es droht der Totalverlust des Inhalts. Sind die Batterien aus Guadeloupe etwa schon wieder am Ende? Auch der Motor macht mir weiterhin Sorgen. Der Hafenmeister hat leider keinen Platz für uns im Hafen, so dass ich die Probleme erst einmal vertagen muss. Kein Mechaniker kommt per Dinghi an den Ankerplatz. Neue Batterien sind viel zu schwer für unser kleines Schlauchboot. Jens und ich steigen in den Bus nach Angra do Heroismo, wo heute die Feierlichkeiten starten sollen.

Busfahrkarte von Angra nach Praia

Die Busfahrkarte für eine knappe Stunde Busfahrt kostet den horrenden Betrag von 2,67€. Nimm das, Rhein Main Verkehrsverbund! Es gibt sogar eine Online-Fahrplanauskunft, die ich übrigens hinter dem Bild verlinkt habe. Der ÖPNV in Terceira bekommt von mir das Prädikat benutzbar. In Angra überwältigt mich dann der Lärm und die vielen Menschen machen mich komplett wuschig. Ich nehme den nächsten Bus zurück zu Sissi.

Wieder normale Werte auf den Instrumenten

Dort finde ich endlich die Muße, mich um die Probleme zu kümmern. Ich schreibe an Holger, der mir in Guadeloupe schon sehr geholfen hat. Holger ist ein begnadeter Diagnostiker und findet aus der Ferne den Wackelkontakt am Öldrucksensor. Der darauf folgende Testlauf treibt mich wieder in Richtung Wahnsinn. Plötzlich riecht es im Inneren des Bootes total nach Dieselabgasen. Es riecht, als wäre der Auspuff undicht. Ich suche mit der Taschenlampe, doch nirgendwo kann ich eine Undichtigkeit erkennen. Dann fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Am Heckspiegel habe ich ein Fenster geöffnet, das unsere Schlafkabine sehr gut durchlüftet. Dort kommen die Abgase in das Boot hinein. Ich schließe das Fenster und alles ist wieder normal.

Stecker des Gefrierschranks

Auch die Batterieprobleme lösen sich in Luft auf, denn es hat sich „lediglich“ ein Kabel in der Stromversorgung des Kühlschranks etwas gelockert. Kein Wunder bei der vielen Schaukelei, das Kabel ist jetzt besser verlegt. Der Gefrierschrank „durfte“ ebenfalls abschalten, denn sein Stecker war einfach nicht mehr gut. Diese Art Gefrierschrank ist mehr für Wohnmobile als für Boote gebaut, der Stecker zerlegt sich, als ich ihn in die Hand nehme. Eine spannende Koinzidenz, doch es sind unterschiedliche Ursachen. Kühlschrank und Gefrierschrank machen nun wieder ihren Job.

Teile der Familie kommentieren den leckeren gegrillten Oktopus mit „igitt“ und „eklig“. Finde ich gar nicht.

Jens und ich gehen am Abend ins Restaurant essen. Fisch kann man auf den Azoren überall in hervorragender Qualität bekommen, der wird direkt vor der Tür aus dem Wasser gezogen.

Am nächsten Tag gebe ich Angra noch eine Chance. Es kann ja nicht sein, dass ich mich nicht mehr unter Menschen begeben kann. Und es ist auch nicht so. Jens und ich wohnen einem Straßenstierkampf bei. Diese Stierkämpfe sind Tradition und Bestandteil des 10-Tägigen Fests auf Terceira.

Der Stier wird gelockt

Jens und ich fragen eine ansässige Familie, ob wir auf ihren Balkon kommen dürfen. Sie lassen uns herein, das hat eine gewisse Tradition bei diesen Feiern. So können wir aus sicherer Höhe dem Stierkampf zusehen.

Jetzt legt der Stier los…

Das ganze ist zumindest für die Zuschauer einigermaßen ungefährlich, denn der Stier ist an einem langen Seil befestigt. Das andere Ende des Seils halten mehrere kräftige Männer.

Jetzt geht es ein paar Mal im Kreis, bis der Stier keine Lust mehr hat.

Der Torero bekommt nach einer Runde mit dem Stier von allen Zuschauern kräftigen Applaus. Insgesamt gibt es vier Stiere zu sehen, dann ist für den Tag der Seilstierkampf beendet. Jeden Tag finden diese Inszenierungen an verschiedenen Orten auf der Insel statt.

Den dritten Stier sehen wir uns dann von der Straße aus an. In einer Hausecke steht ein alter Mann. Wir denken, dass er erfahren ist und sich einen guten Platz ausgesucht hat. Wir glauben nicht, dass er über die Gartenmauer klettern kann. Dann kommt der Stier, die Leute rennen davon. Wir sehen plötzlich, dass der alte Mann doch über die Mauer geklettert ist und zwischen uns und dem Stier befindet sich niemand mehr.

Direkt neben dem Stier

Das Tier ist beeindruckend, wie es uns mit seinen Augen mustert und ihm der Speichel aus dem Maul tropft. Jetzt versuchen wir auch, auf die andere Seite der Mauer zu kommen. Es gelingt uns, ich habe nur einen kleinen Kratzer vom Stacheldraht am Arm, Jens hat ein Loch in der Hose.

Am Ende werden die Stiere wieder verladen.

Nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Die Stiere werden auf einen LKW verladen und abtransportiert. Die Fressbuden und Bierstände klappen innerhalb von Minuten ihre Läden zu. Die Straßenreinigung ist sofort mit dem Besen dabei. Eine halbe Stunde nach dem Spektakel ist nichts mehr davon zu sehen, kein Dreck liegt mehr herum und keine leere Bierflasche kullert mehr den Berg herunter.

Die Straßenkehrer sind fix

Wir haben noch eine gute Stunde Zeit, bis unser Bus nach Praia zurück fährt. So lange gehen wir in eine Burger-Bar und genießen ein After-Stier-Bier. Außerdem einen kleinen Snack, ein Knoblauchbrot belegt mit leckerem Azorenkäse.

Anschließend spazieren wir zum Bus. In diesem Bus habe ich dann wahrscheinlich meine Kamera liegen gelassen. Ich wollte noch eine bestimmte Aufnahme aus dem Bus machen, doch der Bus fährt eine andere Strecke als am Tag zuvor. Vermutlich habe ich sie neben meinen Rucksack gelegt und nicht hinein. Leider hat ein Anruf bei den Verkehrsbetrieben nichts gebracht, die Kamera wurde nicht abgegeben.