Newcastle Marina Tour

Nach meiner ersten Kennenlern-Tour habe ich heute eine größere Tour in Newcastle geplant. Für 7,80 Pfund gibt es eine Tageskarte, die in allen Bussen, Bahnen und der Fähre gültig ist. Die will natürlich gründlich ausgenutzt werden. Außerdem möchte ich mir die beiden anderen Marinas ansehen. Preislich liegen sie unter der königlichen Marina, die sanitären Einrichtungen sind sicherlich bei weitem nicht so gut.

Metro fährt in North Shields ein

Die der Marina nächstgelegene Metrostation ist in North Shields. Ich erreiche sie in gut fünf Minuten mit dem Bus. Das ist nicht die Station, an der der ALDI liegt, die ist weiter von der Marina entfernt. Oberhalb der Metrostation ist eine riesige Baustelle, hier wird ein neuer Umsteigepunkt für die Busse gebaut. Die Metro selbst fährt auf ehemaligen Güterbahngleisen. Zunächst muss ich zur Station Byker fahren.

Die Züge haben schon ein paar Jahr auf dem Buckel

Die Züge sind schon ein paar Jährchen alt, doch sie sind sauber und angenehm unzerstört. In den Zügen ist der Konsum von Alkohol untersagt, natürlich gibt es auch ein Rauchverbot und ein Verbot für E-Zigaretten. Dafür gibt es so manchen Fahrgast, der sich Fish&Chips oder einen Burger einverleibt. Ich steige in Byker aus und gehe zur Bushaltestelle. Keine fünf Minuten später fühle ich mich in den Film „Trainspotting“ versetzt. Ein eher hagerer junger Mann kommt irgendwoher gelaufen. Er ist barfuß und trägt lediglich eine Unterhose. Dazu kreischt er, dass irgendwer die Polizei rufen soll. Zum Glück machen hier gerade ein paar Handwerker in ihren Autos Mittagspause, so dass ich mich aus der Verantwortung stehlen kann. Der junge Mann wurde offenbar ausgeraubt und steht mindestens unter der Einwirkung von schon recht viel Alkohol oder anderen Drogen. Mein Bus kommt, in wenigen Minuten erreiche ich St. Peter’s Bassin.

St. Peter’s Bassin

Hier wollte ich eigentlich mit Sissi hinfahren, diese Marina liegt acht Meilen näher an der Innenstadt als Royal Quays. Doch sie liegt keinesfalls zentraler als Royal Quays Marina, denn auch hier finden sich keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. Auch St. Peter’s Bassin ist zwischen einem reinen Wohngebiet und einem Industriegebiet eingequetscht.

Die Liegeplätze sind gut ausgelastet.

Ich finde auf Anhieb auch keinen freien Liegeplatz, auf dem man Sissi problemlos unterbringen könnte. Womöglich hätte mich das Marinabüro gleich wieder zurück geschickt, obwohl der Reeds eine Menge Besucherplätze verzeichnet hat. Doch wie meine Seekarten ist mein Reeds in die Jahre gekommen, womöglich nehmen sie hier gar keine Besucher mehr. Alles sieht ein wenig gammelig und ungepflegt aus.

Marinabüro im gelben Turm. Geschlossen. Durch die Klappbrücke geht es auf den Tyne.

Ich treffe zufällig einen Bootsbesitzer. Die Marina nimmt durchaus noch Gastlieger, doch sie ist momentan gut belegt. Preise kann er mir nicht nennen, doch in den vergangenen Jahren seien die Preise gestiegen. Die Preise aus meinem Reeds sind von 2018, das habe ich in Royal Quais auch schon bemerkt. Das Marinabüro hätte nur geöffnet, wenn die Klappbrücke bedient wird. Da hat er zumindest von der anderen Seite her recht, denn die Klappbrücke kann dank Niedrigwasser derzeit nicht bedient werden und das Büro ist geschlossen.

Niedrigwasser. Die Barriere hält ausreichend Wasser in der Marina zurück.

Auf meine Frage nach Einkaufsmöglichkeiten lächelt der Bootsbesitzer. Nur mit einem Auto könne man einen brauchbaren Supermarkt erreichen. Selbst einen kleinen Supermarkt gäbe es nur oben hinter dem Recyclinghof. An dem bin ich mit dem Bus vorbeigekommen, der ist bestimmt zwei Kilometer weg. Also sieht es hier so bescheiden aus wie in Royal Quays. Die Duschen kann ich mir nicht ansehen, ich will sie mir eigentlich auch gar nicht ansehen. Für 30 Pfund Ersparnis bis zum Wochenende bin ich nicht gewillt, hierher umzuziehen.

River Tyne am St. Peter’s Bassin

Bus und Metro bringen mich nun in die Innenstadt. Dort wartet eine weitere Marina auf meinen Besuch. Die City Marina möchte von mir angesehen werden. Ich steige am Monument aus, mitten in der Innenstadt.

Das Charles Earl Grey Monument

Ich habe wieder einmal eine Ahnung, wem hier eigentlich ein Denkmal gesetzt wurde. Eine kurze Recherche in Wikipedia ergibt zwei Charles Earl Grey, ich muss ein wenig länger suchen. Das Monument wurde jedenfalls für den zweiten Earl Grey errichtet, dessen größter Verdienst wohl die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien war. Den nach ihm benannten Tee hat er wohl nicht erfunden.

Inschrift auf dem Denkmal

Ich spaziere zum Fluss. Die Architektur der Stadt gefällt mir. Sie erzählt von der Zeit des Wachstums während der Industrialisierung. Der Hafen von Newcastle hat immer noch eine große Bedeutung für England. Seit meiner Zeit in der Karibik sind mir aber am frühen Nachmittag nicht mehr so viele volltrunkene Menschen über den Weg gelaufen. Viele Geschäfte für die reichen Menschen und die große Zahl bettelnder Menschen am Straßenrand sprechen Bände. Ich bin seit langem wieder einmal in einer echten Großstadt angekommen.

Schönes Fachwerkhaus mit Immobilienmakler

Obwohl ich eigentlich noch genügend Bücher habe, kann ich an einem Buchladen nicht vorbeigehen. Er hat Sonderangebote und ich erwerbe noch zwei Bücher zum Preis von einem. Wenn ich noch länger geblieben wäre, hätte ich wohl noch mehr Bücher erstanden. Es gab nämlich noch das Angebot eines freien Kaffees, wenn man sich einen der Titel des Monats kauft.

Ansicht mit Kirche

Doch es ist ja noch eine Marina zu besichtigen, die Newcastle City Marina. Wenn ich an die City Marina in Cork denke, habe ich nicht mehr allzu große Erwartungen. In Cork handelt es sich um einen einzelnen Pontoon, der kurz vor der ersten niedrigen Brücke schwimmt. Auch die Beschreibung im Reeds spricht hier nur von einem Pontoon.

Eingang zur City Marina

Zentral gelegen ist sie jedenfalls. Und im Gegensatz zum Pontoon in Cork gibt es hier sogar eine verschlossene Tür, die Unbefugte daran hindern soll, die Boote auszuplündern. Auf den blauen Tafeln an der rechten Seite sind Wettervorhersage, Tide und Brückenzeiten notiert. Allerdings für den 23. August 2022. Offenbar kümmert man sich doch nicht so richtig um diesen Liegeplatz.

Platz ist genug vorhanden, sogar Strom und Wasser gibt es.

Die Hälfte des Stegs ist mit ein paar Booten belegt. Es wäre also wirklich genug Platz für Sissi. Aber will ich wirklich tief in die Innenstadt hinein? Auf der Uferstraße tobt der Autoverkehr, auf der Uferpromenade tummeln sich die Touristen. Ein Ziehharmonikaspieler beschallt die Umgebung.

Drehbrücke von 1870

Auf der nächstgelegenen Brücke überquere ich den Fluss. Ich habe nämlich eine viel versprechende Leuchtreklame gesehen. Auf der anderen Seite ist eine Brauerei. Vielleicht kann ich mich hier mit einem selbst gebrauten Bier stärken.

Brauerei mit Biergarten am Fluss. Geschlossen.

Die By The River Brewery hat einen schönen Biergarten, der von der Sonne beschienen wird. Auch das Tor ist geöffnet. Doch leider hat die Brauerei selbst geschlossen, nur nebenan in der Bar kann man schon Cocktails bekommen. Dafür bin ich nicht hergekommen, darauf habe ich keine Lust. Also gehe ich wieder zurück auf das Nordufer.

Drehbrücke von oben, das Newcastle Castle im Hintergrund

Ich denke, die Duschen machen es aus. In der City Marina gibt es gar keine Duschen, nur den Hinweis auf die nächsten öffentlichen Toiletten. So habe ich mir die nächsten Tage nicht vorgestellt. Royal Quais hat auch den ganz großen Vorteil, dass man 24 Stunden am Tag ein- und ausfahren kann. Die Schleuse ist rund um die Uhr besetzt. Zwischen der City Marina und dem Meer befindet sich die jüngste Brücke von Newcastle, die Millenium Bridge. Es handelt sich um eine Klappbrücke für Fußgänger, die zweimal am Tag auf Anforderung nach Voranmeldung geöffnet wird. Das ist mir zu kompliziert.

Millenium Bridge, wird nur zweimal am Tag auf Anfrage geöffnet.

Am Abend habe ich keine Lust zum Kochen. Das Marinarestaurant hat schon seit 17 Uhr geschlossen. In der nahen Umgebung gibt es keine weiteren Restaurants. Doch ich habe ja meine Tageskarte. Ich setze mich in den Bus nach North Shields und fahre zu einer Pizzeria. Die Pizza ist nicht besonders gut, sie ist aber auch nicht besonders schlecht. Auf dem Rückweg fängt es an zu regnen. Der Wind hat aufgefrischt, es ist merklich kälter geworden. Der angesagte Nordost ist angekommen. Vielleicht hätte ich es bis nach Holland geschafft, vielleicht auch nicht. Jetzt muss ich mir keine Gedanken mehr darüber machen.

Marina bei Nacht

Luxusleben

Wie immer nach einer Seepassage schlafe ich mich am nächsten Morgen erst einmal gründlich aus. Nach dem Morgenkaffee mache ich mich an die Arbeit. Diesmal ist wieder eine Reparatur fällig. Die Genua soll bitteschön wieder an ihren Platz.

Ursache

Zuerst bereite ich die Arbeiten vor. Dazu gehört auch, die Ursache für den Sturz der Genua in die Nordsee zu beseitigen. Das Genuafall ist oben am Mast gerissen und natürlich ist der längere Teil in den Mast gestürzt. Das kann die anderen Fallen blockieren und deswegen muss es raus. Es blockiert auch schon beim Herausziehen, nach fünf Minuten habe ich das Gefummel erledigt. Zum Glück habe ich noch ein Reservefall, das nun zum neuen Genuafall befördert wird.

Reservefall mutiert zum neuen Genuafall

Bisher habe ich diese Tätigkeit immer zu zweit ausgeführt. Alleine ist es ein wenig nervig. Die Genua zurecht zupfen, dann am Mast mit der Winschkurbel wieder einen Meter hochziehen. Dann wieder vorne die Genua zurecht zupfen. Und wieder an den Mast gehen und sie kommt wieder ein paar Meter höher.

Stück für Stück, Meter für Meter kommt das Segel wieder rauf.

Trotz des bedeckten Himmels komme ich bei der Arbeit ordentlich ins Schwitzen. Dafür habe ich heute aber auch schon einen Programmpunkt eingeplant, auf den ich mich besonders freue. Ich schaue nicht auf die Uhr, doch es dauert mit allen Arbeiten keine halbe Stunde, bis das Segel wieder im alten Glanz erstrahlt. Auf dem Weg nach oben kann ich es auch leicht auf eventuelle Schäden kontrollieren. Ich finde keine Schäden und das ist gut so. Ein Besuch beim Segelmacher hätte mir jetzt noch gefehlt.

Back in business!

Zum Schluss muss ich die Genua nur noch einrollen, das dauert keine Minute. Fertig. Wenn das Reservefall reißt, habe ich zur Not noch das Spifall. Wenn das reißt, muss ich ohne Genua weitersegeln. Um neue Fallen in den Mast einzuziehen, muss jemand an die Mastspitze klettern. Dass ich nicht dieser Jemand bin, habe ich in diesem Blog schon des Öfteren geschrieben. Ich gehe zum Hafenmeisterbüro, denn ich habe ein paar Fragen. Außerdem habe ich meinen Duschbeutel dabei, ich möchte die hiesigen Duschen testen.

Luxusschleuse mit Schwimmsteg

Auf dem Weg zum Hafenmeister komme ich an der Luxusschleuse mit Schwimmsteg vorbei. Damit wird Schleusen so einfach, wie längsseits an einem Steg anlegen. Es ist wirklich kein Aufwand. Auch für den Fischer links im Bild gibt es Hilfestellung. An der Schleusenwand sind Drahtseile montiert, an denen man festmachen kann. Dann kann das Boot ganz einfach nach oben fahren, ohne dass die eigenen Festmacher nachjustiert werden müssen.

Schleuse ist voll bei der Arbeit

Der Hafenmeister ist auch der Schleuser in Personalunion. Er hat gerade keine Zeit für mich, denn es haben sich in beide Richtungen schon wieder Boote angemeldet. Also gehe ich erst einmal unter die Dusche.

Duschtempel

Ich finde einen Duschtempel, der seinesgleichen sucht. In dieser Qualität habe ich das noch nie gesehen, jedenfalls nicht in den vergangenen drei Jahren. Die Fußbodenheizung in der Dusche der Oban Tavellers Marina war ja nett, auch die großen Kabinen haben gefallen. Die Regenwalddusche in Islay war toll. Doch hier ist alles beisammen, ein komplettes Badezimmer erwartet mich.

Alle Kabinen sind komplett ausgestattet.

Alle Duschkabinen sind komplett mit Waschbecken und Toilette ausgestattet. Für die, die nur auf Toilette müssen, gibt es noch separate Räumlichkeiten, deren Qualität nicht hinter den abgebildeten zurück bleibt. Die Dusche ist absolut sauber. Als ich vor einigen Jahren mit Sissi zum Königstag nach Amsterdam gefahren bin, gab es in der dortigen Marina Badezimmer mit vergleichbarer Ausstattung. Schade, dass ich kein Duschgetränk mitgenommen habe. Das Wasser fließt so lange man will. Die Temperatur ist frei einstellbar, von Eisschrank bis Hummer sind alle Einstellmöglichkeiten da. Herrlich.

Sogar eine Badewanne ist vorhanden.

Auf dem Weg nach draußen fällt mein Blick auf den Wegweiser zum Family-Bathroom. Ich öffne die Tür und bin begeistert. Allerdings muss ich sagen, dass hier die Qualität einen Tick hinter der Badewanne damals in Amsterdam zurückbleibt. In Amsterdam gab es nämlich ein großes Fenster, durch das man auf die Stadt schauen konnte. Doch wer will bitteschön bei diesen Sanitäranlagen meckern. Ich nehme mir vor, zwei- bis dreimal am Tag zu duschen.


Der Hafenmeister verrät mir dann den Preis, den ich für diesen Luxus zu zahlen habe. Es ist nicht die teuerste Marina, in der ich jemals war. In der Karibik sind die Preise höher und auch in Oban wird mehr aufgerufen . Außerdem gibt er mir noch den Tipp, zu den Öffnungszeiten des Restaurants baden zu gehen. Vorher solle ich mir einen Gin-Tonic holen und diesen dann in der Badewanne genießen. Ich frage nach Supermärkten und Busverbindungen. Es gibt fußläufig erreichbar einen kleinen Supermarkt. Ansonsten gibt es nichts. Für die Busverbindungen muss er eine Kollegin anrufen, denn er kommt immer mit dem Auto zur Arbeit. Ich bringe meine Sachen zurück zu Sissi und mache mich auf den Weg zu einem kleinen Spaziergang. Neben dem Hafenmeister gibt es auch noch Google-Maps, ein zuverlässiger Begleiter bei der Suche von Bushaltestellen und Supermärkten.

Außer Betrieb

Der Supermarkt ist keine 10 Minuten von der Marina entfernt. Er hat eine Gefriertruhe mit Fertiggerichten, ein Regal mit Knabberzeug und ein Regal mit Alkohol. Dazu eine kleine Ecke mit Softdrinks und Hygieneartikeln. Die Lotterie- und Tabaktheke nimmt einen großen Raum ein. Hier werde ich wohl nicht einkaufen gehen. Direkt gegenüber ist eine Bushaltestelle, an der ich wohl nicht abfahren werde. Ich spaziere in Richtung der Metrostation. Dort zeigt mir Google auch einen ALDI an.

Katze auf Taubenjagd

In einem Hof sehe ich eine Katze, die gerne eine Taube fangen würde. Als ich sie fotografiere, lenke ich sie von ihrer Tätigkeit ab. Nach etwa drei Kilometern erreiche ich die Metrostation. Natürlich lasse ich mir ein Foto eines abfahrenden Zuges nicht nehmen. Die Metro will in den kommenden Tagen noch inspiziert werden.

Metro, gelbe Linie

Nur wenige hundert Meter von der Metro entfernt ist ALDI. In Deutschland wäre der Satz schön zweideutig, doch die Metro ist hier eindeutig ein Transportmittel. Im Inneren bietet ALDI keine Überraschungen. Davor ist eine Bushaltestelle. In etwa einer Viertelstunde soll von hier ein Bus zur Marina fahren. Der Hafenmeister hat mir geraten, nach einem gemütlichen Spaziergang zum Supermarkt einfach ein Taxi zu nehmen. Das sehe ich aber gar nicht ein. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit AIS-Stalking. Die Lycka ist in der Anfahrt auf Newcastle. Der Bus bringt mich zu einer anderen Haltestelle, die keine fünf Minuten von der Marina entfernt ist. Alles im grünen Bereich, in Oranjestad musste ich ein ganzes Stück weiter laufen. Ich schaue noch kurz beim Hafenmeister rein und bitte ihn, die Lycka zu mir an den Steg zu legen.

Lycka und Sissi

Die Wiedersehensfreude ist groß. Auf meinem langen Schlag von Peterhead nach Newcastle habe ich sie einfach überholt. Die Lycka fährt immer nur kleine Stücke und tagsüber. Auf diese Weise sehen die beiden zwar viele Marinas, aber auch nicht mehr von der Gegend als ich. Die Lycka wird am nächsten Morgen mit der passenden Tide weiterfahren, ich bleibe noch.

Eine Seefahrt, die ist lustig

Sissi ist klar zur Abfahrt. Die Tide ist klar zur Abfahrt. Nur der Wind ist es nicht. Er drückt mich immer wieder in die falsche Richtung auf den Steg. Eigentlich habe einen Plan, meine Box in Peterhead zu verlassen. Nur der Wind spielt nicht mit. Wie zum Geier soll ich die Vorleine und die Achterleine einigermaßen gleichzeitig lösen? Meine Rettung ist am anderen Ende der Marina. Ich sehe ein aus dem Caledonian Canal bekanntes Gesicht. Der Besitzer der Rawanna ist gerade auf seinem Boot bei der Arbeit. Das Boot bleibt über den Winter in Peterhead und er schlägt die Segel ab. Natürlich hilft er mir. Über Funk hole ich mir die Erlaubnis, die Marina zu verlassen. Das ist in Peterhead Vorschrift. Ich soll wegen der großen Pötte, die gerade manövrieren, noch eine Viertelstunde warten. Zeit für einen Schnack.

Große Pötte in Peterhead

Bei meinem zweiten Versuch bekomme ich die Erlaubnis. Das Ablegen klappt wunderbar, ich bin wieder unterwegs. Schnell kann ich den Hafen verlassen und der Tidestrom schiebt mich sofort wunderbar an.

Leuchtturm an der Hafeneinfahrt bzw. Ausfahrt

Wie schön ist es doch, draußen auf dem Atlantik für Stunden, Tage oder Wochen geradeaus zu segeln. Dort draußen ist nichts. Dort ist man alleine unterwegs. Hier ist jede Menge Verkehr. Kleine Fischerboote bringen Segelbootfallen aus. Zwei Frachtschiffe kommen mir mit dem Ziel Peterhead entgegen. Doch schon nach einer guten Viertelstunde bin ich frei von den vorgelagerten Riffen und kann Segel setzen. Der Motor schweigt. Es ist ein schönes Gefühl, nachdem die letzten beiden Etappen ausschließlich Motorfahrt waren.

Eineinhalb Knoten Tidestrom, der Rest ist Windkraft

Wieder einmal überkommt mich etwas Wehmut. Nun verlasse ich Schottland und nehme Kurs auf England. Die Zeit in Schottland war schön, ich bereue den Umweg durch den Kanal nicht. Ganz im Gegenteil! Gestern Abend habe ich mich aufgrund der Wettervorhersage entschieden, nicht den direkten Kurs nach Holland zu nehmen, sondern erst einmal nach Newcastle upon Tyne zu segeln. Der Wind soll die meiste Zeit in ausreichender Menge und aus einer günstigen Richtung wehen. Die letzten Meilen werde ich dann motoren müssen, sonst schaffe ich es nicht mehr mit der Tide, den Fluss Tyne hinauf zu fahren. Doch bis dahin liegen noch knapp 150 Meilen vor mir.

Blick zurück nach Schottland

Weiter und weiter entferne ich mich von der Küste und damit auch von den Segelbootfallen. Der Tag verspricht, ein perfekter Segeltag zu werden. Nicht zu viel Wind und nicht zu wenig. Die einzige Konzession meinerseits an die Nordsee ist, dass ich nicht mit dem Windpiloten fahre, sondern den elektrischen Autopiloten einsetze. So hält Sissi immer den Kurs, auch wenn die Segel nicht immer perfekt stehen. Auf diese Weise verspreche ich mir, dass es einfacher sein wird, die Heerscharen von Fischerbooten zu vermeiden.

Noch sieht man die Küstenlinie

BBC sendet immer noch im „Die-Königin-ist-tot-Modus“. Auf ruhige Musik folgen Reportagen über die Aufbahrung in Edinburgh und über die langen Warteschlangen, die sich gebildet haben. Dann kommen wieder O-Töne von Menschen, die sich an ihre persönlichen Erlebnisse mit der Queen erinnern. Langsam bekomme ich den Eindruck, dass die Dame jeden Briten irgendwann einmal persönlich getroffen hat und dass jetzt jeder Brite im Radio sein persönliches Erlebnis erzählt. Auf diese Weise lässt sich natürlich leicht die 10-tägige Staatstrauer überbrücken. Ein Regenschauer zieht durch.

Der Regenbogen nach dem Regenschauer. Wieder einmal sehr schön.

Ich nutze die Zeit des Regens zur Zubereitung meines Abendessens. Immer wieder liest oder hört man, dass man vor mehrtägigen Segeltörns doch sein Essen vorkochen möge. Das müsse man dann nur noch aufwärmen. Ich halt das für Blödsinn. Auf See hat man doch sowieso nichts zu tun. Die Zeit in der Küche ist kurzweilig und man spart sogar noch Geschirr. Wenn ich das Essen vorkochen würde, käme es in eine Tupperdose. Die muss dann zusätzlich gespült werden. Auch der Topf bzw. die Pfanne zum Aufwärmen ist zusätzliches Spülgeschirr. Außerdem weiß ich doch gar nicht, worauf ich übermorgen Lust haben werde. Ich plane ja nicht „Lammsteak mit Gemüse und Bratkartoffeln“, sondern ich habe Zutaten im Boot. Die werden dann nach Lust und Laune verbraten. Ein aufgewärmtes Steak ist nur halb so gut wie das frisch gebratene. Die größte Herausforderung auf See ist außerdem nicht die Zubereitung der Mahlzeiten. Es ist die Nahrungsaufnahme. Die Speisen wollen immer wieder vom Teller herunter springen.

Lammsteak mit Gemüse und Bratkartoffeln mit einer leichten Stilton Käsesauce

Inzwischen kommt der Radiosender nur noch schwach hinein, mehr und mehr stellt sich das Hochsee-Gefühl ein. Das Mobilfunknetz ist schon lange weg. Nur noch Aberdeen Coast Guard meldet sich regelmäßig mit Wettervorhersagen, maritimen Sicherheitsinformationen und Funksprüchen zu Lotsenbooten. Nach dem Abspülen schnappe ich mir ein Buch aus der Bibliothek, das ich noch nicht gelesen habe. „The Curfew“ von T. M. Logan. Schon nach wenigen Seiten entwickelt sich die spannende Geschichte. Ich liebe solche Abende auf See.

Letzter Sonnenuntergang in Schottland.

Nachdem die Sonne untergegangen ist, lege ich das Buch beiseite und versuche, in die Nachtroutine zu finden. Ich stelle den AIS-Alarm an. Richtig müde bin ich noch nicht. Trotzdem schaffe ich das eine oder andere Nickerchen auf der Couch. Es ist wie beim letzten Mal. Kaum bin ich weg gedämmert, schon klingelt der Wecker. Dann folgt ein mehr oder minder ausführlicher Rundumblick, ein Blick auf das AIS und die Routine beginnt wieder von vorne. Ab auf die Couch. Gegen 22:30 Uhr ist plötzlich richtig viel los auf meinem AIS-Bildschirm. Jede Menge Fischerboote scheinen ihre Arbeit zu verrichten. Ich klicke die beiden mir nächsten Schiffe an und habe sofort die Bestätigung. „Fischereifahrzeug“ steht in der Beschreibung. Klar, die See ist hier ein wenig flacher. Fischer sind immer dort in größeren Mengen zu finden, wo sich die Wassertiefen ändern. Ich sehe aber keine Probleme, mich durch den Fischer-Schwarm hindurch zu mogeln.

Jede Menge Ziele auf dem AIS

Ein Alarm weckt mich. Es ist nicht der AIS-Alarm und nicht der Wecker. Der Autopilot schlägt an und kann den Kurs nicht mehr halten. Warum? Wir haben doch genug Wind. Ich steige ins Cockpit und sehe die Katastrophe. Die Genua schwimmt neben Sissi im Wasser. Offenbar ist das Genuafall gerissen, das Seil, das das Segel nach oben zieht. Also muss ich das Großsegel ebenfalls runter nehmen, damit Sissi stehen bleibt. Dann darf ich auf dem schaukelnden Vordeck die Genua Stück für Stück an Bord ziehen. Eine Heidenarbeit, denn im Segel sammelt sich immer wieder kiloweise das Nordseewasser. Dann binde ich das Segel noch längs der Reling fest und ziehe das Groß wieder hoch. Erschöpft falle ich wieder auf die Couch. Wenige Minuten später knistert das Funkgerät. Ich höre, dass Sissi gerufen wird.

1.) Fischer
2.) Genua fällt ins Wasser
3.) Ich muss den Kurs ändern
4.) Wachboot
5.) Baustelle einer Windmühle

Kann man denn nie seine Ruhe haben? Ich gehe ans Telefon – äh – an den Funk. Eine Stimme mit osteuropäischem Akzent und ohne die hier sonst gewohnte britische Höflichkeit stellt sich mir als Wachboot vor. Die Stimme fragt mich, ob ich mir im Klaren darüber bin, das ich gerade in eine Windpark-Baustelle hinein segele. Bin ich mir nicht, sonst hätte ich es nicht getan. Das ist aber nicht meine Antwort. Ich antworte höflich und entschuldige mich. Das Wachboot gibt mir die Koordinaten zweier AIS-Bojen durch, um die ich östlich herumfahren muss. Ich markiere die Positionen auf meiner Karte und fluche innerlich. Auf diesem Kurs kann ich mit dem verbliebenen Segel keinen Stich mehr machen. Also kommt das Groß wieder herunter und der Mercedes wird geweckt. Dass die Bojen auf dem AIS senden würden, halte ich aber für ein Gerücht. Ich kann sie nämlich nicht sehen. Während ich um die Begrenzung herum dampfe, bleibt das Wachboot immer in der Nähe. Dann endlich kann ich wieder auf die Couch. Bevor ich wieder ein paar Minuten schlafe, mache ich mir noch Gedanken über aktuelle Seekarten. Meine neueste Seekarte ist vier Jahre alt. Die andere ist 12 Jahre alt. Doch eine solche Wachboot-Geschichte habe ich auch schon von der Lycka gehört. Die ist mit aktuellen Seekarten ausgestattet.

Die Genua ist provisorisch gesichert.

Am folgenden Morgen wäre der Motor sowieso zum Einsatz gekommen. Der Wind hat stark nachgelassen, der Seegang auch. Unter den jetzigen Bedingungen wäre es viel leichter gewesen, die Genua aus dem Wasser zu fischen. Pech. Nach dem Morgenkaffee nehme ich mir wieder mein Buch zur Hand. Es ist wunderschönes Wetter, die Sonne scheint. Ich komme der englischen Küste näher und näher. Irgendwann habe ich wieder Fetzen vom Mobilfunknetz. Es entwickelt sich ein Chat mit Gregor aus Frankfurt, der mich in Holland besuchen will. Er will vor dem Winter noch eine Runde auf Sissi drehen. Ich frage ihn, ob er in seinem Urlaub nicht Lust hat, nach Newcastle zu kommen und mich über die Nordsee zu begleiten. Er hat Lust. Damit werde ich die letzten 300 Meilen wieder einen Partner an Bord haben.

Aidasol hat Newcastle verlassen.

Bei der Anfahrt auf den Tyne-Fluss kommt mir noch das obligatorische Kreuzfahrtschiff entgegen. Außerdem darf ich meinen ersten Sonnenuntergang in England erleben, denn inzwischen hat der Tidestrom gedreht und bremst meinen Landeanflug.

Sonnenuntergang kurz vor Newcastle

Leider wird mir flussaufwärts die Strömung voll entgegen kommen, denn das Hochwasser ist jetzt seit einer halben Stunde vorbei. Eigentlich wollte ich nicht in die Royal Quays Marina neben dem Fähranleger für die Fähre aus Amsterdam. Die Marina ist irgendwo im Industriegebiet, in der Mitte von Nirgendwo. Doch die der Innenstadt nähere St. Peter’s Marina kann ich bei dieser Tide nicht mehr erreichen. Also nehme ich, was ich bekommen kann. Zuerst melde ich mich bei Tyne VTS (Kanal 12) an, der Verkehrsleitstelle für den Fluss Tyne. Dort erhalte ich die gute Nachricht, dass ich mit keinerlei Verkehr rechnen muss. Dann rufe ich die Marina auf Kanal 80. Mir wird eine sofortige Einfahrt in die Schleuse versprochen. Angesichts der hohen Kaimauern bitte ich um eine helfende Hand. Bei der Einfahrt in die Schleusenkammer muss ich dann fast lachen. Darin befindet sich ein Schwimmsteg. Es ist die komfortabelste Schleuse, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Hier hätte ich keine Hilfe gebraucht.

Sissy-Schleuse für Sissi

Der Schleusenwärter gibt mir noch einen Lageplan und die Codes für die Eingangstür, das WiFi und die Duschen. Außerdem weist er mir einen Platz zu und schleust mich anschließend nach oben. Ich mache am Kopf von Steg D fest, hier hätte Sissi zweimal dran gepasst. Angekommen. Ich trinke noch ein Anlegerbier, dann falle ich müde in meine Koje.