Windjammer

Es ist Nachmittag, es weht kein Lüftchen. Im Salon ist es laut, der Diesel schraddelt bei 1000 rpm vor sich hin. Im Hintergrund sirrt die Propellerwelle, ihr singendes Geräusch ist im ganzen Boot präsent. Sissi schaukelt in der alten Dünung, die Gläser im Regal klingen im Schaukeltakt. Wir mussten das Großsegel runter nehmen, die Schaukelei ging zu sehr auf das Material. Seit dem schaukelt es noch mehr. Alle paar Minuten kommen größere Wellen durch, dann schaukeln wir heftiger. In den Vorratsschränken klackern dann die Dosen, die hölzerne Inneneinrichtung knarzt und knackt.

Der Himmel ist bedeckt, die Wolkendecke fast komplett. So können wir auch am Nachmittag im Cockpit sitzen, ohne einen Sonnenbrand zu riskieren. Ich schätze, dass wir 4 kn Wind von hinten haben, denn im Cockpit steht immer wieder eine Wolke aus Dieselabgasen, die uns der Wind mit etwas mehr als der Bootsgeschwindigkeit um die Nasen bläst.

Draußen schwimmen immer wieder komische Dinger herum. Zuerst meint Jens, dass ein Frachtschiff einen Container mit Haarklammern verloren haben muss. Doch diese Dinger haben alle die gleiche Farbe. Jens macht ein Foto, als eins ganz Dicht an Sissi vorbei getrieben wird. Es sieht aus der Nähe dann doch nicht wie Plastikmüll aus, sondern als ob es natürlichen Ursprungs wäre. Wir wissen nicht, was das ist, es treiben davon viele Dutzend im Wasser an uns vorbei.

Die ständige und gleichförmige Geräuschkulisse macht müde und wirr im Kopf. Ich überlege, mich eine Stunde hinzulegen, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Aufgepumpt mit dem guten Morgenkaffee bin ich noch nicht so weit für ein Mittagsschläfchen.

Diesen ganzen Lärm müssen wir etwa 24 bis 30 Stunden ertragen, bevor wir wieder den Wind mit unseren Segeln einfangen können. In der Nacht hatte ich eine Mail an unsere Schwester geschickt, in der ich über den wenigen Wind gestöhnt habe. Heute kam ihre Antwort zurück. Sie weiß nun endlich, was der Begriff „Windjammer“ bedeutet. Danke für das Stichwort, Christine! Wir jammern hier nicht, wir leiden wirklich. Niemand möchte gerne neben einer lauten Maschine schlafen.

Am Nachmittag stürzt Jens aufgeregt in seine Koje und schnappt sich die Kamera. Er hat einen Wal gesehen. Ich unterbreche meinen Job in der Küche und tatsächlich schwimmt ein paar hundert Meter entfernt von uns ein kleiner Wal. Mit dem 50mm Objektiv wird das leider nichts, der Wal taucht ab und Jens sieht ihn eine Viertelstunde später weit achteraus.

Noch nie habe ich den Motor auf einer so langen Strecke so langsam drehen lassen. Normalerweise fährt Sissi bei 1600 Umdrehungen auf glatter See mit 5,5 kn bis 6 kn dahin. Dann braucht der Fünfzylinder aber auch seine 4,5 Liter pro Stunde. Jetzt brummt er mit 1000 Umdrehungen und ich kann den Dieselverbrauch kaum errechnen. Innerhalb von 12 Stunden ist der Pegel von 260 Litern auf 250 Liter gefallen. Letztere waren prima abzulesen, erstere hätten auch 280 Liter sein können. Eine Tankfüllung bei normaler Drehzahl reicht für etwa 350 Meilen. Jetzt sind wir langsamer, kommen aber bestimmt 500 Meilen weit. Möglicherweise sogar weiter, das zeigt sich in den nächsten Flauten.

Offline-Google-Bildersuche ist lustig. Wir schicken eine Email an unsere Schwester, die wiederum versucht, im Internet Informationen zu finden. Das schickt sie uns dann per Email zu. Bisher haben wir kein Ergebnis für die schwimmenden Haarklammern.

In der Nacht höre ich im Cockpit dem Röcheln des Auspuffs zu. Regelmäßig rotzt dieser das Kühlwasser vermischt mit den Abgasen nach draußen. Weiterhin weht kein Lüftchen. Der Himmel ist bedeckt, der Mond versteckt sich hinter Wolkenbändern. Es sieht nach einer Wetteränderung aus. Die Vorhersage verspricht Segelwind ab 6 Uhr morgens. Derweil wundere ich mich über die feuchte Bank im Cockpit. Es hat doch gar nicht geregnet. Dann fällt es mir auf. Seit nunmehr fast drei Jahren habe ich nicht mehr erlebt, dass sich Morgentau bildet. Die Zeit der tropischen Nächte ist vorbei.

Leider ist es nun schon Mittag, der Motor brummt immer noch. Wir haben noch für dreieinhalb Tage Diesel im Tank. Mal sehen, wie weit wir damit kommen. Bis nach Horta reicht er jedenfalls nicht.

13. Etmal: 96 nm
Position: 32°41‘N 51°57‘W
Reststrecke: 1182 nm

Bergfest

Seit dem Mittag schweigt der Motor wieder still. Wir segeln gemütlich mit knapp 4 kn vor uns hin. Endlich ist wieder Ruhe im Boot. Die Tankanzeige sagt, dass wir etwas mehr als 100 Liter Diesel verbrannt haben. Also ist es Zeit nachzutanken. Wir haben 100 Liter in Kanistern dabei, die jetzt in den Tank passen. Tanken ist einfacher, wenn die See ruhig ist.

Nach vier von fünf Kanistern frage ich Jens, wie viel die Tankanzeige jetzt anzeigt. Es ist genug Platz im Tank. Allerdings nur für 10 der 20 Liter aus dem letzten Kanister. Dann läuft der Tank gründlich über. Bäh. Eine Sauerei. Wir müssen den ganzen Diesel wegmachen. Jetzt stinkt unsere Hochsee-Mülltonne nach Diesel. Aber der Tank ist wieder voll, wir haben etwas weniger verbraucht als abgelesen. Das könnte möglicherweise mit der Krängung nach Steuerbord und dem Steigrohr zum Ablesen an Backbord zusammenhängen.

Ein Drittel des Tanks wird wohl mit der nächsten Flaute draufgehen, die wir schon kommen sehen können. Sie wird uns heute in der Nacht erwischen. Die anderen beiden Drittel heben wir noch auf für die letzten tausend Meilen.

Am frühen Nachmittag sehen wir plötzlich ein Segelboot voraus, es ist auf einem ähnlichen Kurs unterwegs wie wir. Auf dem AIS ist es nicht zu sehen, es hat wohl keinen Sender. Ich rufe es über Funk, doch die Antwort besteht aus statischem Rauschen. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir alle Boote um uns herum auf dem AIS sehen können. Das andere Boot ist – wie könnte es anders sein – etwas schneller als wir und nach ein paar Stunden sehen wir nur noch die Mastspitze.

Gegen 1:30 Uhr wird der Himmel trotz des Vollmondes immer dunkler. Eine Mondfinsternis beginnt. Das erste Mal, dass ich dieses Naturschauspiel in voller Länge mitten auf dem Ozean erleben darf. Die weiße Scheibe wird gelb, dann orange, dann schwarz. Immer mehr Sterne kommen zum Vorschein. Ich wecke Jens gegen 1:45 Uhr, damit er auch etwas davon hat. Kurzzeitig kommt er nach oben und geht dann schon wieder schlafen. Um 2 Uhr ist es zappenduster. Nur die Sterne leuchten noch am Himmel.

Jetzt ist es passiert! Um 2:15 Uhr vermeldet der Bordcomputer, dass die Reststrecke kürzer ist als die bislang zurückgelegte Strecke. Wir haben den Gipfel erreicht und müssten Bergfest feiern. Kurz erwäge ich, Jens ein weiteres Mal zu wecken, verwerfe den Gedanken aber und bleibe mit den Augen beim Mond. Langsam wird er wieder heller. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Mondfinsternis so lange dauert. Leider zieht sich der Himmel immer mehr zu, bei der Wachablösung ist es wieder dunkel, der Mond versteckt sich hinter der Wolkendecke.

Am frühen Morgen wache ich auf. Jens hat den Motor gestartet. Die erwartete Flaute kam ein paar Stunden später, doch ist gekommen. Diesmal ist unser Bergfest ganz unspektakulär verlaufen, wir haben es nicht gefeiert. Es wäre auch unfair von mir gewesen, Jens in seiner Tiefschlafphase wegen des Bergfestes zu wecken.

Wir sparen Diesel, gehen mit der Drehzahl auf 1000 Umdrehungen herunter. Das reicht noch für knapp vier Knoten. Stefan rät uns, etwas Diesel für die letzten Meilen nach Horta zu sparen. Es deutet sich eine größere Flaute an. Mal sehen, wie unser Verbrauch bei dieser Geschwindigkeit ist. Uns stehen noch 24 Motorstunden bevor, bis wir wieder Wind haben werden.

12. Etmal: 105 nm
Position: 32°16’N 53°47’W
Reststrecke: 1277 nm
Bisher zurückgelegt: 1360 nm

Ein Tag in den Doldrums

Der Motor wummert, im Salon ist es unerträglich warm. Als hätte jemand die Heizung angestellt. Es hat ja auch jemand die Heizung angestellt, das war ich selbst. Der Verbrennungsmotor kann den Propeller nur drehen, wenn er Diesel verbrennt. Heizöl für unsere lärmende Ölheizung, deren Benutzung immer noch besser ist, als antriebslos herumzueiern. Die Klabauterleute zwitschern mir ins Ohr.

„Sie möchten nicht in der Flaute festhängen? Sie lieben das spiegelglatte Wasser nicht? Sie haben den Motor gestartet? Haben Sie genug Treibstoff? Sie finden uns auf jeder Wetterkarte. Wir können unsere Form verändern, schneller als Sie es für möglich halten. Wir können unsere Lage verändern, schneller als Ihr Boot fahren kann. Nehmen Sie sich die Zeit, sparen Sie Ihren Diesel, genießen Sie ihren Ausflug zu den Doldrums. Wir schicken Ihnen noch ein wenig alte Dünung, Segelboote unter Motor schaukeln so lustig.“

Ich gönne mir eine Dusche mit warmem Wasser. Die Wasserleitung ist im Motorraum verlegt, so dass immer etwas warmes Wasser in der Leitung steht. Durch die Motorfahrt und die daraus resultierende Kursänderung sind wir den Delfinen noch einmal begegnet.

Damit wir nicht so stark schaukeln, haben wir das Großsegel stehen gelassen. Es dämpft unsere Bewegungen zumindest ein bisschen. Liebe IJsselmeer-, Nordsee- und Ostseesegler, wir haben unseren Motorkegel nicht gesetzt. Der liegt noch originalverpackt im Schrank. Für wen sollten wir ihn hochziehen?

Die Wettervorhersage lässt uns hoffen, dass wir in der Nacht den Lärm wieder abstellen können. Bis dahin werden unsere Batterien voller als vollgeladen sein. Ich greife noch etwas Strom für den Watermaker ab, doch die 10A fallen kaum ins Gewicht. Die sind in unseren normalen Stromverbrauch eingepreist. Jens schlägt vor, über den großen Inverter einen Heizlüfter zu betreiben. Doch so weit im Norden sind wir noch nicht. Tagsüber haben wir Temperaturen um 28°C, in der Nacht kühlt es sich auf 24°C ab. Wir schalten den 110V Inverter ein und verbrauchen etwas Strom mit dem Ventilator.

Leider sind mir mit dem verstorbenen Tablet auch einzelne Mailadressen verloren gegangen, so zum Beispiel die von Soraida. Ich muss darauf warten, dass sie mir zuerst schreibt. Zuletzt haben wir vor über einem Jahr gemailt, als Barbara seekrank war und Soraida Medikamente in den Hafen von Barcadera gefahren hat. WhatsApp nutzt hier auf hoher See nichts.

Auf der Suche nach ein paar Dosen Cola für den Kühlschrank finde ich noch einen Liter Milch. Jens und ich freuen uns auf die Käsesauce heute Abend. Neben der Cola kommen noch zwei Gläser in den Kühlschrank. Wir feiern heute mit Cola-Rum, dass wir die erste Etappe unserer Reise hinter uns gebracht haben. Ab sofort können wir mehr oder minder direkt auf unser Ziel zufahren. Eine erste Abschätzung sagt, dass wir dann für die 2000 Meilen Luftlinie ca. 2500 Meilen unterwegs gewesen sein werden.

Nach dem gestrigen Beitrag geht sehr schnell eine Email bei mir ein. Maila von der Samai hat unsere Delfine als Indische Grindwale in einem Buch über Delfine und Wale gefunden. Oder sind es nur einfache Große Tümmler? Unsere Schwester Christine meint, dass wir von Großen Tümmlern begleitet worden sind. Ich habe keine Ahnung, doch es war ein außergewöhnliches Erlebnis, in der Ruhe die Tiere zwitschern zu hören.

Um 2:30 Uhr in der Nacht dreht sich der Propeller unseres Windgenerators wieder stetig. Das Großsegel steht auch wieder einigermaßen im Wind. Ich ziehe die Genua raus und stelle den Motor aus. Endlich Ruhe. Ich darf nachher schlafen, ohne das Gebrüll des Motors hören zu müssen. Ruhig fährt Sissi mit 3,5 kn auf unser Ziel zu.

„Sie wollen segeln? Aber doch nicht hier. Wir können jederzeit wieder für Windstille sorgen. Sie glauben, es hinter sich gebracht zu haben? Wir spielen mit dem Wind. Wir sind die Doldrums.“

Irgendwann am frühen Morgen kurbelt Jens wild an der Winsch. Er rollt die Genua ein. Wir müssen den Motor wieder starten. Der Wind ist wieder komplett weg. Mmmpf.

11. Etmal: 121 nm (fast nur Motor)
Position: 31°45’N 55°41’W