Auf und ab. Zum Segeln braucht man Wind und Wind macht Wellen. Das ist trivial. Wir befinden uns nicht auf dem Ijsselmeer oder der Ostsee, wir befahren den Atlantik. Auf dem Ijsselmeer oder der Ostsee ist es einfach. Wenn der Wind da ist, sind auch die Wellen da. Wenn kein Wind da ist, beruhigt sich das Wasser schnell und die Wellen sind wieder weg. Das hat etwas mit der Wassertiefe zu tun und mit der Strecke, die der Wind über das Wasser blasen kann. Wenn das Wasser ein paar tausend Meter tief ist und der Wind in jeder Richtung mehrere hundert oder gar tausend Meilen Anlauf hat, dann sind die Wellen nicht sofort weg. Sie werden schwächer, bleiben aber da. Das nennt man Dünung – oder alte Dünung. Ein Sturm bei Island kann dafür sorgen, dass hier, 300 Meilen nördlich der Kapverden, immer noch mehrere Meter hohe Wellen stehen. Jetzt kommt aber noch der hiesige Wind dazu, der auch Wellen verursacht. Die sind nicht so hoch, kommen aber aus einer anderen Richtung.
Auf und ab. Wir fahren also auf der alten Dünung auf und ab, dabei schubsen uns die neuen Wellen des hiesigen Windes auch nochmal auf und ab. Immer wieder auf und ab. Manchmal laufen sie quer unter Sissi durch, dann geht es hin und her. Es schaukelt. Auf und ab und hin und her. Immer wieder. Jede Minute, jede Stunde, den ganzen Tag. Sissi tanzt in den Wellen.
Auf und ab. Wir leben damit in unserer schwimmenden Wohnung mit Meerblick. Essen, Trinken, Kochen, Backen, Spülen, Putzen, Duschen, Schlafen, Handwerken und gelegentlich nach anderen Schiffen schauen, die Segelstellung kontrollieren und den Kurs überwachen. Aber in der Hauptsache eben das, was Menschen in ihrer Wohnung an Land auch machen. Die Wohnung an Land schüttelt sich allerdings nicht so sehr, dass der Mensch vom Herd auf die Wohnzimmercouch geworfen wird. Wir haben uns das so ausgesucht. Auf und ab und hin und her. Sissi schunkelt karnevalesk.
Jens, Jakob und ich haben entschieden, dass wir etwa von Heiligabend bis Silvester einen Zwischenstopp auf Sao Vicente in Mindelo machen wollen. Die Großwetterlage sieht so aus, dass es ab Heiligabend kaum noch Wind hier in der Gegend geben wird. Auf der einen Seite ist es schade, denn wir wären gerne früher in der Karibik gewesen. Auf der anderen Seite sehen wir die Chancen. Vielleicht bekommen wir doch ein neues Spifall. Und keiner von uns war bisher auf den Kapverden, also können wir noch etwas Sightseeing einschieben. Dann wäre da noch die Versorgung mit frischem Fleisch, Obst und Gemüse. Hier wäre durchaus noch die Möglichkeit, an der einen oder anderen Stelle unsere Vorräte wieder aufzustocken. Sissi tanzt den Wiener Walzer.
Wir sehen eine Schildkröte in Richtung Kapverden schwimmen. Was macht die denn so weit draußen? Wo kommt sie her? Ein paar Stunden später sehen wir noch eine Schildkröte, die ist in derselben Richtung unterwegs. Auch ein paar Delphine können wir sehen, sie springen ca. 200 Meter hinter Sissi aus dem Wasser. Es geht hin und her, auf und ab. Sissi tanzt den Tango.
Bis dahin gleiten wir über die Wellen. Immer auf und ab. Und wir werden von den Wellen hin und hergeschubst. Die Stimmung an Bord ist entspannt. Wir fühlen uns wohl. Wir bemerken nur noch die größeren Störungen im Wellenbild, die normalen Wellen spüren wir gar nicht mehr. Das wird an Land lustig werden, besonders bei der ersten Dusche. Die geht dann nämlich auf und ab und hin und her. Zur Nachtruhe tanzt Sissi den Pogo. Jens und ich keilen uns mit Hilfe der Sitzkissen aus dem Salon in unseren Betten ein.
Auf und Ab. Hin und her. Am Morgen findet die fast schon obligatorische Reparatur statt. Die Windfahne steuert nicht mehr richtig, Sissi sucht ihren Kurs nach Lust und Laune. Diesmal ist an der Windfahne eine Schraube gebrochen. Wahrscheinlich eine Spätfolge der verloreren Schraube auf dem Weg nach Lanzarote. Mit Hilfe von Gehirnschmalz, dem Dremel und den Schrauben, die wir im Optimus Baumarkt in Arrecife gekauft haben, können wir das Problem beheben. Wir sind weiterhin zügig unterwegs. Die Wellen ändern sich nicht. Sissi tanzt Rock’n’Roll.000
6. Etmal: 127 nm
Position um 12 Uhr: N19°24′ W22°44′
Noch 192 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Noch 2149 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 710 Meilen.