Pleiten, Pech und Pannen

Ich könnte wieder über das Wetter schreiben, Wetter gibt es jeden Tag und es gefällt mir jeden Tag weniger. Doch für den heutigen Tag habe ich mir etwas anderes ausgedacht, denn hier an Bord läuft natürlich nicht alles so rund, wie wir uns das wünschen würden.

1) Der defekte Laptop-Akku

Meinen Laptop habe ich mir ein knappes halbes Jahr vor der Abreise in Deutschland gekauft. Das ist inzwischen über drei Jahre her. Seit dem sind in der Karibik an Bord von Sissi zwei Telefon-Akkus verstorben, sie haben wohl die Hitze nicht vertragen. Beide sind mehr oder minder aufgebläht. Auch der Akku unseres Tablets ist doppelt so dick geworden und sollte nicht mehr benutzt werden. Ebenso war es nötig, für die GoPro Kamera einen neuen Akku aus Deutschland einzufliegen, der war ebenfalls defekt und aufgebläht. Deshalb war ich sehr froh, dass der Laptop-Akku bisher durchgehalten hat.

Ein paar Tage nach der Abreise in Guadeloupe schließe ich den leeren Laptop an den nigelnagelneuen Inverter an. Über Nacht vergesse ich dann, den Inverter wieder auszuschalten. Das ärgert mich wegen der Energieverschwendung, doch mein Laptop sollte jetzt voll geladen sein. Ist er aber nicht, denn kaum schalte ich ihn ein, will er schon wieder geladen werden. Hä? Der war doch die ganze Zeit am Strom angeschlossen.

Also hänge ich das Netzteil des Laptops wieder an die Steckdose und will meinen Blog schreiben. Der Laptop lädt aber gar nicht, vom Inverter kommt kein Strom. Ist etwa der Inverter kaputt? Jens hat heute früh doch noch den Kaffee damit gemahlen. Wir haben zum Glück zwei Inverter, der andere lädt den Laptop anstandslos. Zum Glück hat der neue Inverter noch Garantie, die kann ich aber erst in Deutschland in Anspruch nehmen.

Ich untersuche den Inverter und stelle fest, dass der Wahlschalter für die Betriebsart nicht auf „On“ sondern auf „Auto“ steht. Ich frage Jens, ob er das umgeschaltet hat. Mit der alten Stromverteilung musste man den Einschalter direkt am Inverter bedienen. Die neue Stromverteilung hat einen Schalter am Panel. Das wusste Jens nicht, er wollte einfach nur Strom für die Kaffeemühle. Die Automatik erkennt zwar die Kaffeemühle, nicht aber das elektronische Laptop-Netzteil. Nichts ist kaputt, es ist nur ein Bedienfehler…

2) Das versalzene Essen

Jens hat uns ein leckeres Abendessen zubereitet. Wir wechseln uns in der Küche täglich ab. Er macht uns ein Kalbsschnitzel, dazu gibt es frischen, in Butter gedünsteten Lauch und Reis. Es duftet wundervoll. Ich bin enttäuscht. Das Essen ist total versalzen. Ich kann es gar nicht alles aufessen. Auch Jens ist von seiner Kreation nicht begeistert und stellt hinterher fest, dass vor allem der Lauch so versalzen ist.

3) Trockenlasagne

Ein paar Tage später gibt es Lasagne. Jens übernimmt die Zubereitung. Es ist eigentlich egal, wer von uns beiden die Lasagne zubereitet, denn wir haben dasselbe Rezept. Sie schmeckt auch immer sehr, sehr gut. Während sie im Ofen backt, füllt der leckere Duft den Salon bis in die letzte Ecke aus. Wir sind zu Tisch und ich stelle fest, dass die Lasagne sehr trocken ist. Jens nennt sie crunchy, ihm ist sie aber auch zu trocken. Es bleiben ungewöhnlich viele Reste übrig, so dass wir noch ein paar Portionen in die Gefriertruhe werfen können.

Ein paar Tage später, als wir die nächste Portion trockene Lasagne essen, mein Jens, dass er die Welt nicht mehr versteht. Er konnte früher in der Bordküche immer leckere Speisen zubereiten, doch jetzt würde ihm das Händchen fehlen.

Am nächsten Tag grabe ich im Kühlschrank nach der Butter. Dabei fällt mir ein angebrochenes Stück Salzbutter auf. Ich frage Jens, ob er damit gekocht hat. Er hat, insbesondere der Lauch hat sehr viel davon abbekommen. Ich zeige ihm die Verpackung, auf der „salted butter“ steht. Salzbutter. Die Sache mit der Lasagne klärt sich auch. Er hat zwei Portionen Gulaschfleisch gewolft, dabei hätte eine gereicht. So war nicht genug Platz in der Lasagneform für die Tomatensauce, die gute Pasta hat zu wenig Flüssigkeit bekommen…

4) Dringend und schmerzhaft

Wir sind schon ziemlich weit nördlich und ich sitze in der Abendsonne im Cockpit. Die Sonne geht unter, es wird frisch. Ich ziehe mir eine Hose an. Die einzige Hose, die mir noch passt, ist meine Arbeitshose. Es ist eine Latzhose, die nicht rutschen kann. Mein Umfang hat sich nämlich ziemlich verringert, so dass alle anderen Hosen rutschen. Es ist immer noch frisch, ich ziehe einen Pullover drüber und lese mein Buch weiter.

Irgendwie sind die Klamotten alle nicht dafür gemacht, den frischen Nordwind abzuhalten. Ich krame meine Regenhose aus dem Schrank hervor. Das ist auch eine Latzhose, sie kann nicht rutschen. Doch mein Oberkörper kühlt weiterhin aus, der Wind pfeift durch den Pulli. Ich ziehe mir einen winddichten Pullover darüber. Nun ist es angenehm. Ich lese weiter, das Buch ist sehr spannend. Und ich kenne das Buch noch nicht, das macht es doppelt spannend. Ein gewisses Bedürfnis meldet sich, doch ich will das Kapitel noch zu Ende lesen.

Das Bedürfnis wird dringender. Ich eile ins Badezimmer mit der Geschwindigkeit, die mir der Seegang erlaubt. Verdammt, die Regenhose hat keinen entsprechenden Reißverschluss, ich muss sie komplett ausziehen. Derweil falle ich im Badezimmer durch den Seegang hin und her. Die Blase schmerzt. Zuerst muss also der Pulli runter. Dann kann ich die Regenhose ausziehen. Der Schmerz nimmt zu, ich kann es kaum noch halten. Endlich und gerade noch rechtzeitig kann ich mich der Kleidung entledigen. Ab sofort kommt die Hose über den Pulli.

So, jetzt noch ein paar Worte zum Wetter. Der Wind bläst ordentlich aus Süd, wir sind recht langsam geworden, die Wellen sind hoch. Doch Sissi bringt uns Meile um Meile unserem Ziel näher.

21. Etmal: 94 nm
Position: 37°57‘N 39°21‘W
Reststrecke: 497 nm

Hart am Wind (Windjammer)

Der Wind kachelt. Wenn ich mich in den letzten Tagen darüber beklagt habe, dass wir zu wenig Wind haben, ist das jetzt genau das Gegenteil. Der Wind bläst ordentlich. Nur leider kommt er mal wieder fast aus der Richtung, in die wir gerne fahren würden. Also müssen wir die Zähne zusammenbeißen und Sissi so dicht wie möglich an den Wind bringen. Nicht den maximal möglichen Kurs, das wäre zu unkomfortabel. Wir müssen das austarieren und einen Kompromiss zwischen dem gewünschten Zielkurs und einem einigermaßen komfortablen Kurs finden. Im Moment ist es schrecklich unkomfortabel.

Die Wellen spülen über das Vordeck und erinnern mich an meine Versämunisse. Ich wollte vor der Abfahrt die Lüfter zugeklebt haben. Da habe ich aber vergessen, also tropft es regelmäßig aus den Lüftern in den Salon. Es ist lange nicht so schlimm, wie bei der Rückfahrt aus Kuba. Damals war Sissi eine Art Tropfsteinhöhle. Dort, wo ich das Deck abgedichtet habe, kommt fast nichts mehr durch. Nur eine von sechs Durchführungen macht noch Probleme, da werde ich nacharbeiten müssen. Leider kann man die Dichtigkeit mit dem Wasserschlauch nur bedingt prüfen, der Atlantik ist der ultimative Prüfer.

Wir fahren mit 15° bis 20° Schräglage. Das ist zu viel, da fährt Sissi weder komfortabel noch schnell. Immer wieder reffen wir die Genua ein Stück, die Antwort des Windes lässt nicht lange auf sich warten. Er nimmt einfach zu. Das Groß ist seit der Abfahrt in Guadeloupe im ersten Reff. Wir haben ein Bindereff, also müssen wir richtig arbeiten, wenn wir weiter reffen wollen. Dazu muss jemand an den Mast und das ist in der derzeitigen Situation mit zwei bis drei Meter Wellen nicht einfach und ungefährlich ist es auch nicht. Mit zunehmendem Wind kontrollieren wir nicht mehr den Kurs, inzwischen kontrolliert der Wind uns, die Wellen werfen uns dabei hin und her.

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Wir überlegen vor dem Wind abzulaufen. Dann ist es aber auch nicht leicht, das Großsegel zu reffen, schließlich fällt der Wind dann voll von hinten ein. Eigentlich ist es eine Schnapsidee. Der Wind würde den Baum hin- und herwerfen, von den Wellen einmal ganz zu schweigen. Wir haben keinen Windmesser, aber wenn das Ampèremeter 20A Ladestrom vom Windgenerator zeigt, haben wir Windstärke sechs. in den Spitzen sehe ich sogar 24A Ladestrom, das ist beinahe das Maximum. Bei 25A haben Windstärke 7. Mehr kann er nicht, mehr will ich aber auch nicht segeln.

Der Arbeitskreis beschließt, erst einmal eine neue Wetterkarte herunterzuladen, die soll kleinräumig und mit hoher Auflösung sein. Vielleicht sehen wir darauf die Lösung. Außerdem schicke ich noch ein paar Mails an erfahrenere Segler als ich es bin. Vielleicht hat jemand einen Tipp. Während ich grüble, verkriecht sich Jens in seiner Koje. Schlaf ist immer gut, wir sind sowieso zu müde.

Es ist faszinierend. Überall tost der Wind, doch immer wieder tun sich auf der genaueren Karte blaue Flecken auf. Windtote bzw. windarme Zonen innerhalb eines riesigen Tiefdruckwirbels. Wie sie hier inmitten des Ozeans zustande kommen, kann ich mir nicht erklären. Eine der Zonen ist gar nicht so weit von unserer Position entfernt. Wir können innerhalb der kommenden Stunde in den Einflussbereich kommen. Ich zupfe an der Windfahne und hoffe, dass mir noch etwas Kontrolle über den Kurs verblieben ist.

Tatsächlich nimmt der Wind innerhalb einer halben Stunde auf 15A ab, dann auf 10A, dann geht er runter auf 8A. Das ist mir genug. 8A sind etwa 4-5 Windstärken. Ich hole Jens aus der Koje und er ist von meinem Plan überzeugt. Wir packen uns beide in die Regenklamotten ein, immer wieder kommt das Wasser über das Deck gespritzt. Jens geht freiwillig an den Mast, das ist vermutlich die bessere Option. Ich habe mehr Erfahrung darin, Sissi zu steuern. Ich starte den Motor, hänge die Windfahne aus und halte das Boot von Hand im Wind. Wow, ein immenser Druck ist auf dem Ruder. So viel Druck kenne ich sonst nur vom Rückwärtsgang. Hier halten wir uns nicht an die spritsparenden 1000 Umdrehungen, der Motor wird härter gefordert. Jetzt freue ich mich über die durstigen 94 Pferdchen, die Sissi auch in diesem Wind locker auf Kurs halten.

Das Groß kommt runter. Jens bindet es am Baum fest, während ich krampfhaft versuche, nicht den Kurs zu verlieren. Der Plan geht auf. Nach nur 45 Minuten Arbeit ist das Groß eingepackt und der Motor schweigt wieder. Jetzt fahren wir mit 10° Schräglage einen besseren Kurs als vorher und sind sogar einen halben Knoten schneller. Was heißt schneller, wir sind weniger langsam. Vorher waren es 2,5 kn, jetzt sind es 3,5 kn. Kein Vergleich mit der Geschwindigkeit in den letzten Tagen. Die Bewegungen von Sissi sind nun wesentlich angenehmer.

Die Aktion war für uns beide anstrengend. Ich muss mich ausruhen und lege mich in meine Koje. Der Rest des Tages folgt der normalen Routine. Die unkonventionellste Lösung des Reffproblems kam dann per Email von Klaus. Wenn man einen entsprechenden Lümmelbeschlag hat, könnte man den Baum mit der Dirk einfach nach oben ziehen, bis er parallel zum Mast steht. Das könnten wir sogar tun, unser Baum hat dieses Gelenk. Zum Glück konnten wir das Problem auch anderweitig lösen.

Tja. Nun. Die Zeit der Etmale über 120 Meilen ist vorbei. Eine Ankunft am Freitag wird es nicht geben. Das sagt mir die Wetterkarte. Doch es steht fest, dass wir keine vier Wochen für die ganze Strecke brauchen werden. Wir sind ja noch nicht einmal drei Wochen unterwegs. Zum Sundowner kommt auch noch die Sonne raus, das erste Mal heute. Wir machen kubanischen Abend, trinken Cuba Libre mit kubanischem Rum und ich gönne mir eine kubanische Zigarre. Dabei denken wir an das brutale Geschepper und Gekrache, das wir auf der Rückreise von Kuba erlitten haben.

Am Abend freue ich mich, den Berlinern auf der Samai das Ergebnis des Relegationsspiels übermitteln zu können. Die haben nämlich keinen so guten Sportsender wie wir und müssen Daten sparen. Wenn es nach mir geht, kann der HSV so lange in der zweiten Liga bleiben, wie er in der ersten Liga war.

Anstatt die Wettervorhersage runterzuladen, probieren wir heute mal aus, das Wetter aus der Crema des Kaffees zu lesen. Vielleicht wird das dann ein besseres Wetter. In den nächsten Tagen erwarten wir viel von allem, viel Wind, viel Regen und viele Wellen.

20. Etmal: 74 nm
Position: 37°08‘N 40°53‘W
Reststrecke: 582 nm

Ein gebrauchter Tag

Jens und ich sind beide sehr müde, um nicht zu sagen durch den Wind. Der Tag schleppt sich dahin. Wir segeln einen schönen Kurs vor dem Wind, sind einigermaßen schnell und doch können wir uns nicht so recht daran erfreuen. Wir sind einfach nur müde. Abwechselnd legen wir uns hin und versuchen, ein paar Minuten Schlaf zu finden.

Jens sieht am Nachmittag noch einen großen Wal, der aber schon wieder abgetaucht ist, bis ich es aus dem Bett ins Cockpit geschafft habe. Auch eine Schule Delfine begleitet uns für eine Weile, sie sind aber zu weit weg für ein Foto. Ich versuche irgendwie, meine Nachtwache zu überleben. Dabei gelingt es mir sogar noch, ein leckeres Zwiebelbrot zu backen.

Bei der Wachablösung ist dann der Wind erst einmal weg. Mitten im Einfluss eines ordentlichen Tiefs haben wir eine windtote Zone gefunden. Das ist etwa so, als würde man über einen Fußballplatz laufen und in den einzigen Hundehaufen treten, den der Hund des Platzwarts irgendwo hinterlassen hat. Die erste Stunde finde ich keine Schlaf, während Jens sich bemüht, das Boot einigermaßen aus dieser Zone herauszufahren. In meinem Hinterkopf klingt die Musik von Nirvana (Unplugged Album in New York), obwohl ich seit Jahren kein Nirvana mehr gehört habe.

Als ich am Morgen aufwache, fühlt es sich an, als würden wir mit maximaler Geschwindigkeit segeln. Tun wir auch, aber leider auf einem Am-Wind-Kurs. Das fühlt sich viel schneller an, als es in Wirklichkeit ist. Wir sind nur mit 3-4 kn unterwegs. Ich vermute, dass sich langsam unser Problem mit dem „Ankommen“ einstellt. Das Paradebeispiel für dieses Problem ist Porto. Damals waren wir mit fünf Knoten unterwegs und drei Stunden vor Porto. Eine Stunde später waren es nur noch vier Knoten, wir waren immer noch drei Stunden von Porto entfernt. Noch eine Stunde später waren wir mit drei Knoten unterwegs und immer noch drei Stunden von Porto entfernt.

Damals haben wir den Motor angeworfen. Das machen wir diesmal nicht, die verbleibenden 160 Liter Diesel würden uns nicht helfen. Außerdem ist es noch viel zu weit. Wir würden bei diesem Gegenwind auch nicht wirklich schnell fahren können, unter Segeln sind wir immer schneller.

Der Himmel ist bedeckt, der Wind pfeift. Aber es regnet nicht. Wir sind guten Mutes. Noch ein paar Tage und wir haben es geschafft.

19. Etmal: 104 nm
Position: 36°23‘N 42°01‘W
Reststrecke: 646 nm