Wimmelbild

Dieser Beitrag wird ein wenig länger, jetzt im Hafen dafür aber auch mit vielen, vielen Bildern und ein paar Videos. Und so möchte ich auch beginnen, ein wenig Nachlese unserer Reise von Guadeloupe nach Horta. Unterwegs hatten wir teilweise sehr viel Wind, ich habe ein kleines Video geschnitten, als es mit sechs bis sieben Windstärken geblasen hat. An jenem Tag fiel die Entscheidung, so schnell wie möglich Faial anzusteuern und sich dort vor dem aufziehenden Sturm zu verstecken.

Starkwind auf dem Atlantik. Warnung: Man kann vom Zusehen schon seekrank werden!

Das letzte Bild von unserer Reise war der Vulkan Ponta do Pico, mit 2351m Höhe der höchste Berg Portugals. Dementsprechend konnte ich ihn auch schon aus 30 Meilen Entfernung sehen. Kurz vor unserer Ankunft in Horta bin ich mal wieder in den zweifelhaften Genuss eines Sonnenaufgangs gekommen. Ich genieße normalerweise viel lieber die Sonnenuntergänge, dieser Sonnenaufgang jedoch war etwas ganz besonderes. Wir haben unsere Windwette gewonnen und sind auf Faial angekommen, bevor der große Ventilator seinen Betrieb aufgenommen hat.

Blick auf die Insel Faial im Morgengrauen

Jetzt haben wir es nicht mehr eilig, die Hafeneinfahrt ist nur noch zwei Meilen entfernt und wir wollen dann doch lieber bei Tageslicht einlaufen. Ein Kontaktversuch mit der Marina auf Kanal 10 scheitert, obwohl dieser Kanal im Hafenhandbuch steht. Etwas später kann ich den Hafen auf Kanal 16 erreichen und werde sofort auf Kanal 9 geschickt, da hat sich das Hafenhandbuch geirrt. Fakt ist: Der Hafen ist voll, wir bekommen keinen Platz und werden zum Ankern verdonnert.

Nur noch wenige Meter bis Horta

Letzten Endes ist das aber gar nicht schlimm. In einer geschützten Umgebung zu ankern kann in bestimmten Situationen sogar sicherer sein, als wenn man im Hafen festgemacht ist.

Nach 25 Tagen, 19 Stunden und 2831 Seemeilen Fahrt kommen wir in Horta an.

Es ist viel los im Hafen. Natürlich ist viel los. In der Nacht haben uns noch einige Segelboote überholt, die wollten alle nach Horta. Die Boote, die schon in Horta sind, bleiben angesichts der Wettervorhersage auch dort und hüten sich davor, in den Sturm zu fahren. Außerdem ist da noch die ARC Europe, eine sogenannte Rallye für „normale Segler“. ARC steht für Atlantic Rallye for Cruisers. Die Leute zahlen einen Haufen Geld dafür, dass sie die ARC-Flagge an ihrem Boot befestigen dürfen. Die normale ARC läuft im November von den Kanaren in die Karibik. Für die Teilnehmer ist ein Platz in der Marina reserviert. Die ARC-Europe geht im Mai von St. Martin über die Azoren nach Europa.

Ein ARC-Teilnehmer setzt seinen Anker neben Sissi. Man sieht die große Flagge an seinem Mast

Jens macht den Anker klar, ich drehe eine kleine Runde durch den Hafen und sehe Cassie, den Katamaran, mit dem wir uns seit Tagen Emails schreiben. In der Nähe ist noch ein freier Spot auf 10 Metern Wassertiefe. Eigentlich etwas viel, aber an der Tiefe des Hafenbeckens ist nun einmal nichts zu ändern. Ich hätte gerne flacheres Wasser zum Ankern, dann brauchen wir nicht so viel Kette geben. Egal, wir haben 70 Meter Kette an Bord, ein nicht unerheblicher Teil davon wird geworfen. So 30 bis 40 Meter lassen wir raus, mehr geht nicht aufgrund des Schwoikreises. Das ist der Bereich, in dem sich die Boote vor Anker drehen. Zum Glück drehen sich die Boote immer alle in dieselbe Richtung, man hat also etwas mehr Platz. Der Ankerplatz scheint gut geschützt, ich fahre den Anker trotzdem mit 2500 Umdrehungen im Rückwärtsgang ein. Dadurch gräbt er sich besser in den Grund und hält viel besser. Nicht jeder macht das… später dazu mehr.

Ankergetränk

Jens hat am Vortag noch zwei Dosen Apfelwein aus seiner atlantikfeuchten Kleidung hervorgezaubert, die in unserem perfekt funktionierenden Kühlschrank so kalt geworden sind, dass ich fast die Befürchtung habe, wir könnten Apfelweineis genießen. Es ist soooo lecker. Im Funk hören wir immer wieder andere Boote, dich noch nach Horta hineinkommen, die Marina nach einem Liegeplatz fragen und dann zum Ankern geschickt werden.

Es ist viel los, außerdem kommt Wind auf.

Plötzlich ist auch der Wind da. Es wird ungemütlich. Andererseits bietet das Szenario auch eine sehr, sehr gute Unterhaltung. Hafenkino in 3D, wir liegen mittendrin und sehen uns den Film an. Es ist wie ein Wimmelbild. Wir wissen gar nicht, wohin wir zuerst schauen sollen. Direkt neben uns liegt die Mona aus Dänemark. Irgendwo habe ich das Boot schon einmal gesehen, der Schiffsname ist mit roten Herzchen eingerahmt. Während wir den Apfelwein schlürfen, entfernt sich die Mona nach und nach langsam von uns. Offenbar hält ihr Anker nicht. Wir sind gespannt, wann der Skipper das merkt.

Die gelbe Spur ist von uns. Auf dem gelben Fleck bewegen wir uns hin und her. Die lila Spuren sind von den anderen Booten. Man sieht den Schwoikreis sehr gut.

Unsere direkten Nachbarn sind nun ein Boot aus Australien, die Confidence, und ein Boot aus der Schweiz, dessen Name so klein am Heck geschrieben ist, dass wir ihn nicht ablesen können. Die Confidence wiederum liegt in einer Reihe mit der Cassie. Die nächsten Stunden peilen wir immer wieder die Nachbarn. Unser Anker sitzt, deren Anker sitzen auch. Viele andere Boote müssen ihren Anker immer wieder neu setzen.

Dieser Anker hat nicht gehalten.

Der Nachbar aus der Schweiz hat ein Problem. Ein anderes Boot, dessen Anker nicht gehalten hat, ist an seiner Ankerkette entlang gerutscht. Jetzt müssen die beiden Ankerketten voneinander getrennt werden. In der Ferne sehen wir zwei Boote, die immer wieder gegeneinander schlagen. Die Crews haben wohl schon alle Fender herausgehängt, offenbar will aber keiner umparken und seinen Anker neu setzen.

Diese beiden Boote fahren immer wieder ineinander

Derweil holen wir uns holländisches Bier in grünen Dosen, das in Frankreich in einem chinesischen Supermarkt erworben wurde, aus unserem Kühlschrank. Richtig lecker ist es nicht, doch es ist irgendwie eine Art Bier. Wir können beide nicht einfach schlafen gehen, sondern müssen die Action um uns herum beobachten. Derweil nimmt der Wind immer mehr zu.

18,4 Ampere Windstrom. So viel haben wir selten, im Hafen sowieso nicht.

An der Kaimauer liegt das Frachtschiff „Dicle Deniz“, das bald ablegen soll. Der Hafenmeister fährt mit seinem Schlauchboot von Segler zu Segler, alle Boote in der Nähe müssen ihren Anker heben und umparken. Sonst kann das Frachtschiff nicht sicher aus dem Hafen fahren. So bekommen Jens und ich noch mehr zu sehen, denn die Zahl der freien Ankerplätze wird knapp und knapper. Der Wind nimmt immer noch zu. Wir nehmen uns noch ein paar grüne Dosen aus dem Kühlschrank. Warum kein ordentlicher Frühschoppen nach knapp 3000 Seemeilen? Nach dem Frühschoppen geht Jens ins Bett, ich halte Ankerwache.

Sturm im Hafen von Horta

Im Funk hören wir Mona, unseren ehemaligen dänischen Nachbarn. Die Marina wird um Hilfe gebeten, weil das Boot durch den Hafen driftet und der Motor nicht gestartet werden kann. Das ist eine blöde Situation, der Skipper tut uns leid. Mit einem Knall öffnet sich die Fock eines der ganz großen Segelboote und flattert im Sturm. Die Crew bekommt die Situation mit viel Mühe geklärt, die Fock ist hinüber.

Situation später am Tag. Man sieht schön, wie sich die Boote bewegen, wenn der Anker hält.

Auch bei uns deutet sich ein Problem an. Die Solarzellen drohen wegzufliegen. Eine Mutter hat sich gelöst und ist schwimmen gegangen, der zugehörige Bolzen kurze Zeit später ebenfalls. Ich greife nach Werkzeug und Ersatzbolzen, schraube wieder alles gut fest und wecke durch die Arbeiten Jens aus seinem Schönheitsschlaf. Er schaut kurz was ich mache, dann geht er wieder schlafen. Jetzt bin ich hin und hergerissen. Soll ich ihn nach der Reparatur wecken oder lieber selbst die Ankerwache weiter machen. Es ist noch eine Flasche Rotwein da, ein Chianti, den ich in Aruba erworben habe. Damit geht meine Ankerwache erst einmal weiter, obwohl ich mich schon gerne hingelegt hätte. Müde bin ich durchaus. Nach dem Wachwechsel am Abend um 21 Uhr schlafe ich gut.

Nach dem Sturm ist wieder Ruhe.

Am nächsten Tag gehe ich zum Hafenmeister, um uns anzumelden. Ich erfahre nebenbei, dass es im Hafen mit 49 kn geblasen hat. Das ist ein Haufen Wind. Mona konnte gerettet werden, es ist nirgendwo größerer Schaden entstanden. Ich habe Glück, hinter mir bildet sich eine Warteschlange. Eine deutsche Frau fragt mich, ob sie vor mich kann, sie hätte nur eine kurze Frage. Dann sitzt sie am Schreibtisch des Hafenmeisters und fragt, ob sie nicht einen Liegeplatz in der Marina bekommen kann. Was für eine blöde Kuh. Diese kurze Frage hat hier jeder.

Ein Regenbogen nach dem Sturm

Dann endlich sitze ich im Büro, das sich übrigens heftig in den Wellen bewegt. Einer der beiden Hafenmeister telefoniert mit einer ankommenden Jacht. „We don’t do reservations. Come in, call us on channel 9, we’ll see if we have space.“ Ich bewundere die beiden für ihre Freundlichkeit. Die Leute kommen alle rein und müssen sofort einen Liegeplatz haben. Was mir hier in Horta ganz besonders gut gefällt ist, dass die Teilnehmer der ARC hier genau so behandelt werden, wie alle normalen Segler auch. Dass obwohl jeder von ihnen ein paar tausend Euro Eintrittsgeld für den Atlantik bezahlt hat. Es ist mir jetzt klar, warum diese wunderschöne, junge Frau mit dem ARC-Orga-T-Shirt immer wieder von Teilnehmer zu Teilnehmer läuft und verspricht, sich um ihre Anliegen zu kümmern. Sie kann ihnen zwar keinen Platz am Steg herbeizaubern, sieht dabei aber bezaubernd aus.