Praxis ist, dass wir seit Mittag mit fantastischer Geschwindigkeit segeln. Die Wellen sind noch einigermaßen klein und laufen mit uns mit. Das bringt uns in drei Stunden immerhin 20 Meilen weit voran. Wenn wir diese Geschwindigkeit halten könnten… Entspanntes Downwind-Segeln von allerbester Qualität. Doch wir fahren in ein Tiefdruckgebiet hinein. Vielmehr fahren wir am Rand eines solchen entlang, schneiden es jedoch ein wenig. Das wird uns eine Menge Wind bringen.
Gegen 17 Uhr sehe ich das erste Mal auf dieser Überfahrt die 8 kn auf der Anzeige. Wow! Eine heftige Geschwindigkeit, doch mit der Welle ist sie gerade noch handhabbar. Noch will ich nicht reffen. Der Wind dreht seit ein paar Stunden immer ein paar Grad, wir sind inzwischen fast auf Halbwindkurs. Das ist geplant, wir halten eine Geschwindigkeit zwischen 6,8 und 7,5 kn. Die alte Dame kann es ja doch! Wir fressen Seemeile und Seemeile.
Zum Abendessen mache ich uns Schweinekoteletts (die letzten) mit Paprikagemüse (die letzten) und Nudeln. Ich hätte gerne Kartoffeln dazugelegt, doch die letzten Kartoffeln sind schon seit ein paar Tagen gegessen. Natürlich werden bei der Zubereitung die Schiffsbewegungen heftiger. Mário verlässt den Salon und lässt sich lieber im Cockpit ein paar Schübe Salzwasser in den Nacken spülen. Wenn er schon draußen sitzt, darf er die Genua ein gutes Stück verkleinern. Die Nahrungsaufnahme wird eine Herausforderung. Ich hadere mit der Natur, sie hätte uns mit einer dritten Hand ausstatten sollen. Eine Hand, um den Teller zu halten, die beiden anderen für Messer und Gabel. Die pragmatische Lösung besteht darin, das Fleisch einfach vom Knochen zu knabbern.
Für das Abspülen bittet Mário um Dispens. Das ist okay, ich hatte angesichts der zunehmenden Schiffsbewegungen nichts anderes erwartet. Mehrere Böen fallen ein, doch es gelingt mir, das Geschirr unfallfrei zu reinigen und an seinen Platz zurück zu stellen. Nach einer halben Stunde an der frischen, seewassergetränkten Luft kriecht Mário in seine Koje. Ich schrumpfe die Genua inzwischen auf die Größe eines handelsüblichen Bettlakens.
Jetzt heißt es abwarten. Laut Wettervorhersage haben wir die kommenden fünf Stunden den maximalen Wind. Wenn Mários Wache morgens um drei Uhr beginnt, müssten wir aus dem Gröbsten heraus sein. Ich schreibe eine Email an meine Schwester. Das gestaltet sich schwierig, weil ich nur 10 Finger habe. Die brauche ich zum Schreiben. Mit der dritten, nicht vorhandenen Hand halte ich das Notebook fest, das sich immer wieder vom Salontisch stürzen möchte. Nach der Mail nehme ich noch ein paar Quadratmeter Genua weg, jetzt ist sie wirklich nur noch ein Alibi. Die Windfahne steuert uns wacker durch die Böen.
Ich Dummbeutel ärgere mich, dass ich nicht frühzeitig in die Regenklamotten geschlüpft bin. Wozu habe ich sie denn gekauft? Fakt ist, dass immer wieder Wellen quer über das Vordeck und manchmal auch quer durch das Cockpit spritzen. Das Dach bietet einen guten Schutz, wenn die Wellen von vorne kommen. Kommen sie von der Seite, treffen sie mich oft im Rücken. Inzwischen bin ich so nass, dass sich Regenklamotten nicht mehr lohnen. Hauptsache ist, dass ich nicht im Wind sitze. Der bläst in Böen inzwischen mit 30 kn, der Windgenerator pumpt die Batterien auf.
So eine Bö dauert zwischen 20 und 30 Minuten. Dann fällt der Wind wieder auf das normale Niveau. In den Böen rauschen wir mit knapp 8 kn durch die Gegend, bei normalem Wind sind es dann nur noch 6 kn. Das fühlt sich an, als würden wir gerade ein Hafenmanöver zum Einparken einleiten. Dabei sind 6 kn doch recht fix. Um zwei Uhr sieht es aus, als wären wir hindurch. Das Barometer steigt seit Stunden und die letzte Bö ist über eine Stunde her. Ich will mich kurz auf die Couch legen. Doch ich schaffe es nicht einmal bis zur Treppe, es pfeift im Rigg, Sissi legt sich schief und die nächste Bö ist da.
Um 3:15 Uhr ist es dann wieder einigermaßen ruhig. Jetzt dümpeln wir nur noch mit 4 kn im Wasser. Das ist okay für mich, nicht nervös ausreffen. Wer weiß, welche Böen das Tief noch für uns vorgesehen hat. Inzwischen ist auch Mário im Cockpit und ich gebe ihm Instruktionen für die Nacht. Dann winde ich mich aus den nassen Klamotten und erfreue mich an der warmen, trockenen Bettdecke. Ich bin schnell eingeschlafen.
Ich werde wach, als Mário die Genua vergrößert. Ein kurzer Blick ins Cockpit und Mário beschwert sich, dass er den Kurs nicht halten kann. Ich verliere ein paar Worte zur Windfahne und krieche wieder in die warme Koje. Gegen 11 Uhr stehe ich dann auf, eine Stunde später als sonst. Wir sind auf einem komischen Kurs, fahren eine komische Geschwindikeit und laufen in Kürze einem Fischerboot in die Quere. Ein Blick auf die Windfahne zeigt, dass sie sich wohl über die Nacht selbst verstellt hat. Das erklärt alles. Mit einem Griff ist Sissi wieder auf Kurs und wir passieren den Fischer in sicherem Abstand. Leider haben wir durch das Herumgeeier mindestens 10 Meilen auf das Etmal verloren.
Beim Morgenkaffee fotografiere ich noch eine Möwe. Der Wind ist abgeflaut, die Wellen sind akzeptabel. Heute lassen wir es ruhig angehen. In den späten Nachmittagsstunden ist der Wind sowieso weg. Dann motoren wir bis nach Cork.
Ja, ich wünsche mir oft den richtigen Wind. Wohin adressiert man diese Wünsche nur?
11. Etmal: 134 nm
Position: 49°45‘N 11°24‘W
Reststrecke nach Cork: 168 nm