El Golfo

Nein, nein, wir waren nicht Golf spielen. Ich kann das gar nicht und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich freiwillig über einen Golfplatz laufe. El Golfo ist ein Küstenort auf Lanzarote. Wir waren dort.

Vom Wind gepeitschte Palmen am Ortseingang von El Golfo

Wie alle (!) Orte auf Lanzarote besteht auch dieser aus weißen Häusern. Ich hatte ja versprochen, dass ich ein solches Dorf mal abbilden werde – nun ist es so weit. Dieser Ort hat viele Hotels, Fischrestaurants und dazu vor der Küste ganz tolle, brechende Wellen.

El Golfo

Vom großen Parkplatz am Ortseingang aus sind es nur wenige hundert Meter auf einem gut ausgebauten Wanderweg, bis man El Lago Verde, den grünen See erreicht. Es handelt sich um einen ehemaligen Vulkankrater, der irgendwie unterirdisch mit dem Meer verbunden ist und seine grüne Farbe durch Algen bekommen hat.

El Lago Verde

Viel mehr Informationen zum Ort und zum grünen See gibt es wie immer im verlinkten Wikipedia-Beitrag. Ich bin schon sehr froh über die Wikipedia, so muss ich das alles nicht selbst niederschreiben, sondern kann einfach einen Link legen.

Blick vom grünen See auf El Golfo

El Golfo hat keinen Hafen, die wenigen kleinen Boote sind von den Bewohnern in der nächsten Bucht an Land gezogen worden. Wenn man sich anschaut, wie der Atlantik hier auf die Küste eindrischt, möchte man sich nicht vorstellen, wie sich das in einer solchen kleinen Nussschale anfühlt. Seekrankheit für Landratten ist garantiert.

Die Boote vor El Golfo

Immer mehr freue ich mich über unsere Entscheidung, ein Auto für die Erkundung der Insel zu mieten. Nur so konnten wir in diese wunderschönen Ecken kommen. Der ÖPNV ist zwar einigermaßen ausgebaut, wir hätten jedoch niemals in so kurzer Zeit die Vielfalt der Eindrücke genießen können.

Los Hervideros

An der südlichen Lavaküste von Lanzarote liegt „Los Hervideros“. Ein beeindruckender Ort, an dem wir uns sehr erfreut haben. Es gibt Küsten, die sieht man am besten vom Boot aus, an anderen Küstenlinien möchte man mit dem Boot, erst recht mit dem Segelboot, einen größeren Abstand einhalten. Diese Lavaküste gehört dazu.

Begrüßungsschild

In Timanfaya haben wir gesehen, wo die Vulkane ausgebrochen sind und ihre Lava durch die Landschaft geschleudert haben. In Los Hervideros konnten wir sehen, wo der Lavafluss im Meer endete. Die See ist dort nicht besonders tief, das äußert sich durch beeindruckende, brechende Wellen.

Wellen brechen sich an der Küste

Bleibt man geduldig mit der Kamera für einige Minuten am selben Ort stehen, hat man die Gelegenheit zu phantastischen Aufnahmen spritzender Gischt. Die hohe Kunst ist es, zur rechten Zeit auf den Auslöser der Kamera zu drücken. Das vergisst man vor lauter Staunen sehr leicht.

Die Gischt spritzt

Das besondere an dieser Stelle sind die sogenannten Kochlöcher. Zum Namen habe ich keine Erklärung auf Wikipedia finden können, ich kann es mir nur so erklären, dass die See in diesen Löchern quasi kocht.

Eine Welle rollt an

Wenn die Welle angerollt ist, läuft sie in die Löcher hinein, wird von den Steinen reflektiert und spritzt wieder zurück. Ein toller Anblick!

Reflektierte Welle und wieder sprühende Gischt

Die Löcher sind durch natürliche Erosion entstanden, also nicht eine direkte Folge der Vulkanausbrüche. Das Gestein ist selbstverständlich vulkanischen Ursprungs.

Kochloch von außen

Für uns Touris wurden Pfade und Treppen in die Steine gehauen, damit wir es schaffen, ohne Verletzungen zu den Löchern zu gelangen. Sonst wäre es nur geübten Kletterern möglich. Jens meinte zu mir, dass man dort bestimmt prima klettern kann, weil das Gestein einen super Grip hat.

Ich stehe da nicht so sehr drauf, mir sind brauchbare Treppen wesentlich lieber. So bin ich dann auch in das Innere eines der Löcher gelangt.

Kochloch von innen

Alles das ist nichts, wo man mit seinem Schlauchboot hinein fahren möchte. Für die obige Aufnahme habe ich ein paar Minuten gebraucht, die Wellen wollten einfach nicht so wie ich. Als ich mich wieder umschaute, war schon eine lange Schlange hinter mir.

Glücklicherweise ist das ein Ort, wo man weder Eintritt zahlen muss, noch von einem Fremdenführer weiter gescheucht wird. Auch Jens hat sich am Kochloch versucht.

Jens fotografiert das kochende Wasser

Neben den schönen Aufnahmen des tosenden atlantischen Ozeans hat man von hier aus auch einen spitzenmäßigen Blick auf die kalten Vulkane.

Blick in Richtung Timanfaya

Der Touristenpfad ist mit Schildern gesäumt, die das Betreten der Gesteinsfläche verbieten. Anscheinend haben es manche Menschen übertrieben. Ich hätte gar keine Lust, in dieser unwirtlichen Ebene herum zu stapfen. Mir reicht der tolle Blick auf die Berge.

Touristenpfad

Los Hervideros ist ein beeindruckender Ort. Ich bin froh, dass wir dorthin gefahren sind. Es steht nicht auf der Top-Liste der Sehenswürdigkeiten, es gibt nicht einmal eine eigene Seite auf Wikipedia. Lanzarote gefällt mir jedenfalls mehr und mehr.

Noch ein Blick durch die Felsspalten auf das kochende Wasser

Vollmond über Puerto Calero

Mitternacht ist längst durch, Jens liegt schon eine Weile im Bett. Da gehöre ich auch hin, unser Programm für morgen ist ziemlich voll gepackt.

Eigentlich bin ich sehr müde und doch kann ich mich nicht losreißen. Ich kann mich nicht losreißen von der Stille, von der Nacht, von dem Licht, das der Mond über die Marina wirft. Wir sind auf den Kanaren angelangt. Es ist zu spät, um diese Uhrzeit noch die Meilen zu addieren, die wir zurückgelegt haben. Es waren verdammt viele Meilen. Ich bin in diesem Jahr mehr Meilen gesegelt, als ich bisher in meiner Seglerkarriere zurückgelegt habe. Jens geht es in dieser Hinsicht nicht anders.

Vollmond über der Marina

Wieder einmal ist es mitten in der Nacht. Ich habe heute keine Wache, sondern kann mich ganz auf diesen Beitrag konzentrieren, ohne regelmäßig nach anderen Schiffen Ausguck zu halten.

Der DSV verlangt für den Sportküstenschifferschein (SKS) einen Nachweis über 300 Seemeilen auf einem Segelboot. Dieser Führerschein ist nicht einmal vorgeschrieben, sondern freiwillig. Es ist der „höchste“ Führerschein, den ich besitze, und er gilt nur bis zu 12 Seemeilen von der Küste entfernt. Da war ich aber schon wesentlich weiter weg.

Es gibt noch weitere, noch höhere Führerscheine, für die ein paar Meilen mehr verlangt werden. Die habe ich nicht. Ich habe die Meilen. Jens auch. Die Meilen sind unser Bonus auf der kommenden Überquerung des Atlantik, nicht das bedruckte Papier. Dennoch stellt sich mir immer wieder die Frage, ob wir qualifiziert genug sind, den Sprung über den Atlantik zu wagen. Am Papier wird es sicherlich nicht scheitern.

Marinagebäude in Puerto Calero

Ich nehme mir ein Bier aus dem Kühlschrank und mache einen kleinen Spaziergang durch die Marina. Auf den Booten ist schon lange Stille eingekehrt, nur aus dem Marinagebäude kommt noch Lärm. Eine oder zwei Bars sind noch in Betrieb. Seit zwei Tagen hat der Wind merklich nachgelassen und das hatte zur Folge, dass einige Boote heute hereingekommen sind. Die Crews sind noch am feiern.

Andere Boote haben die Marina heute verlassen. Zwei hatten eine ARC-Flagge draußen hängen, die sind für ihre Regatta schon recht spät dran. Dass sie hier auf das Nachlassen des starken Windes gewartet haben, war ziemlich vernünftig. Die meisten Segler gehen keine unnötigen Risiken ein, sie haben Respekt vor dem Wasser.

Palmen vor dem Marinagebäude

Ich suche die Marinakatze. Sie wohnt im hiesigen Schuhgeschäft, ist aber gerade nicht zu Hause. Wahrscheinlich hat sie noch eine zweite und eine dritte Heimat. Katzen sind sehr flexibel. Sind wir Menschen das auch? Sind wir flexibel genug, drei bis vier Wochen auf dem engen, sich ständig bewegenden Raum zu leben, ohne uns zwischenzeitlich an den Hals zu gehen? Die Chancen sind gut, haben wir doch inzwischen fünf längere, mehrtägige Passagen hinter uns. Aber es ergeben alle fünf Passagen zusammen nicht die Länge, die jetzt vor uns liegt. Sind wir Traumtänzer, Heuchler, Idioten?

Eisenbahn-Kinderkarussell

Mein Spaziergang führt mich an der Kaimauer entlang. Viele Segelboote liegen hier im Hafen, die allermeisten sind ähnlich ausgerüstet wie wir. Die haben alle ähnliche Ziele, alle wollen über den Atlantik. Nur wenige Dauerlieger haben ihre Boote hier in der Marina. Man erkennt sie an der Calima-Patina und daran, dass sie nicht dauerhaft bewohnt sind. Diejenigen, die den Ozean überqueren wollen, haben oft Jahrzehnte mehr Erfahrung als Jens und ich zusammen. Kann das gut gehen?

Boote in Puerto Calero

Unsere Ausrüstung ist toll, unsere Vorräte sind gigantisch. Wir haben Navigationskram bis zum Erbrechen, Seekarten von der ganzen Welt. Wir haben Wind- und Sonnenenergie, einen Watermaker und einen guten Kühlschrank. Unser Anker gehört zu den besten, die man auf dem Markt kaufen kann. Wir haben heute vollgetankt und zusätzlich 100 Liter Diesel in Reservekanistern an Bord geschafft. Unsere Genua wurde professionell repariert, unser Großsegel ist ebenfalls topfit. Seit Roscoff haben wir es kaum noch gebraucht. Die Vorratslasten biegen sich vor lauter Konservendosen. Alle unsere Gasflaschen sind frisch nachgefüllt, damit können wir mindestens ein halbes Jahr kochen und backen.

Unsere Ausrüstung ist suboptimal. Wenn ich in Seglerblogs lese, was die Protagonisten alles an Bord installiert haben, bekomme ich gelegentlich Minderwertigkeitskomplexe. Das alles haben wir nicht. Andererseits hatte Kolumbus nicht einmal eine Seekarte, Moitissier, Erdmann, Cornell und Schenk hätten sich nach unserem Zeug die Finger abgeleckt. Wie weit muss man mit der Ausrüstung gehen? Wann ist es gut? Woher weiß man, dass man genug hat?

Steg J in Puerto Calero

Meine Schritte wenden sich wieder unserem Steg zu. Das Bier ist leer, die Dose im Müll. Wir haben ein gutes Schiff. Sissi ist zwar über 40 Jahre alt, sie ist aber stabil und schwimmt nun schon so viele Jahre. Andere Segler beneiden uns um den Komfort, den sie uns bietet.

Wir können mit unserer Ausrüstung umgehen. Wir kennen Sissi. Unsere Navigation war bislang ohne Fehl und Tadel. Wir haben uns nur wenige Fehler bei der Interpretation der Wettervorhersage geleistet. Wir ergänzen uns gegenseitig sehr gut. Was soll da noch schief gehen?

Unsere Literatur ist aktuell. Die Bordapotheke prall gefüllt und die Medizin ist noch nicht abgelaufen. Die Lebensmittel sind lecker. Wir können mit Süßwasser umgehen, als wäre es keine begrenzte Ressource.

Nach der Fahrt auf die Kanaren war ich froh, wieder im Hafen zu sein und nicht mehr den Lärm der knarzenden Verbände des Schiffs zu hören, nicht mehr auf der schwankenden Plattform durch die Gegend zu stolpern und endlich wieder ausschlafen zu können. Jetzt habe ich schon wieder die Nase voll vom Hafen.

Sissi am Steg in Puerto Calero

Es sind lediglich 2800 Meilen von hier bis nach St. Lucia oder Barbados. Das sind etwa 23 Tage bei einem 120-Meilen-Etmal. Und zwischendrin liegt noch Teneriffa, wo wir noch einmal anhalten wollen. Ich freue mich auf die Weite, auf den schier unendlich großen Ozean. Ich kann es kaum erwarten. Zweifel sind wohl normal, ich habe noch keinen Segler getroffen, der nicht an seinen Fähigkeiten gezweifelt hätte.

Unser Raumschiff ist eigentlich startklar. Nur noch ein paar Wochen, dann können wir los.