Heute vor einer Woche haben wir Aruba verlassen. Damit sind wir nun schon fast eine Woche an unserer Boje in Bonaire. Mir fällt gerade auf, dass ich noch gar kein Foto von Sissi an dieser Boje gemacht habe. Kommt noch. Und es kommen natürlich auch die nächsten Katastrophen.
Die erste Katastrophe des Tages ereignet sich vor dem Morgenkaffee. Das ist der Moment des Tages, an dem ich besonders verwundbar bin. Ich will die Kaffeemühle starten und stelle fest, dass der Einschaltknopf irgendwie komisch sitzt. Drücken kann man ihn auch nicht. Das ist ungesund. Zum Glück habe ich noch eine zweite Kaffeemühle, die ist aber eher ein Häcksler. Sie bekommt die Bohnen natürlich klein. Während ich den Kaffee genieße, sehe ich mir ein Youtube-Video an, das die Reparatur der Mühle erklärt.
Die Mühle war gar nicht so billig. Um so mehr ärgert es mich, dass Krups dort so ein billiges Teil eingebaut hat. Ansonsten ist die Mühle auch gar nicht reparaturfreundlich. Sie wurde gebaut, um im Falle eines Defekts weggeworfen zu werden.
Die nächste Katastrophe passiert, als ich den Motor starten möchte. Wir brauchen Trinkwasser und das müssen wir am Steg nachfüllen. Ich bekomme den Diesel über die Starterbatterie gar nicht gestartet, erst als ich auf die großen Hausbatterien umschaltet, kann ich ihn zur Zusammenarbeit bewegen. Ich messe die Batterie nach dem Laden und ein paar Stunden später. Die Batterie ist hinüber, eine neue muss her. Michael fährt mich zum Autoteile Händler. Vom Preis her kommt es mir vor, als sei diese Batterie nicht mit Blei sondern mit Platin gefüllt. Aber okay, Hauptsache ist, dass der Motor sich wieder starten lässt. Das Geld für den ausgefallenen zweiten Covid-Test wurde damit in eine Batterie investiert. Möglicherweise zieht der Motor auch Luft über die Dieselleitung, das kann ich noch nicht zu 100% ausschließen oder bestätigen. Der Motor und ich sind gerade keine besonders guten Freunde.
Unser Nachbarboot ist ein Seepferdchen. Darauf leben ein Paar, die ihr Geld mit Instagram verdienen. Jeden Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang, wenn das Licht am schönsten ist, wird Madame fotografiert und später im Internet in Szene gesetzt. Die Fotoshootings finde ich immer lustig. Wenn es dann veröffentlicht ist, ist alles irgendwie spontan passiert.
Etwas Entspannung war nötig, um mich wieder an die Tasten zu treiben und einen neuen Beitrag zu verfassen. Den zweiten Tag der Reise nach Bonaire war ich damit beschäftigt, Eike wieder zu den Lebenden zurück zu holen.
Bei unserem Versuch, Aruba gemeinsam mit Barbara zu verlassen, habe ich ein Wundermittel gegen die Folgen der Seekrankheit kennengelernt. Dirk, Barbaras Hausarzt, hatte uns damals die sogenannte „WHO-Elektrolytlösung“ empfohlen, Soraida hatte es uns besorgt und im Hafen Barcadera für uns hinterlegt. Damit konnten wir Barbara innerhalb weniger Stunden wieder fit machen. Seit dem habe ich mehrere Flaschen davon an Bord. Es ist ein Wundermittel.
Eike hat innerhalb von 36 Stunden nicht einmal einen Liter Wasser getrunken, dafür aber jede Menge Flüssigkeit ausgeschwitzt. Nun ist er erwartungsgemäß erschöpft und antriebslos. Das muss nicht an der Seekrankheit liegen, ist aber eine Folge davon. Erst probiere ich es mit Elotrans. Das ist ein Pülverchen zum Anrühren und soll dem Körper die nötigen Mineralien bringen. Angerührt sieht die braune Flüssigkeit im Glas aus, als möchte man sie gar nicht trinken. Wie bei Barbara folgt auch bei Eike ein Schwall großer Übelkeit und das Zeug landet gleich wieder im Eimer. Also mache ich eine Flasche meines Zaubermittels auf. Ein Schnapsglas voll landet in Eike und bleibt auch drin. Das stimmt mich positiv. Außerdem bekommt er zwei Reisetabletten. Die bleiben glücklicherweise auch drin. Ab sofort bekommt er nach Packungsbeilage die Reisetabletten und jede Stunde einen „Schnaps“. Hinterher sagt er, dass schon der erste Shot wie ein heftiger Energieträger gewirkt hat. Trotz schweren Seegangs ist Eike gegen 17 Uhr wieder einigermaßen fit im Cockpit, isst die von mir zubereitete Schonkost und genießt weiterhin die stündlichen Shots, die er sich inzwischen selbst aus dem Kühlschrank holen kann. Der Sonnenuntergang auf See ist für ihn ein Erlebnis erster Güte. Ich bin glücklich, denn wenn ich Eike einmal auf See zu den Lebenden zurück holen kann, wird es mir immer wieder gelingen. Den nächsten Törn werden wir anders vorbereiten.
Mit Sandra von der Samai wechsle ich am Abend ein paar Emails. Sie verrät mir, dass Michael uns an der Boje überraschen will. Ich bin überrascht, ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie so lange aufbleiben. Unsere Ankunft ist etwa für Mitternacht geplant. Ich versuche, die örtlichen Behörden auf Kanal 16 zu erreichen. Lediglich die Küstenwache meldet sich, ist aber an unserer Ankunft nicht interessiert. Dafür hat Michael das Gespräch mitgehört und ist informiert. Er kommt uns sichtlich mit viel Freude im Dinghi entgegen, führt uns zur freien Mooring und hilft beim Befestigen der Leinen. Dass ich ihm dafür ein eiskaltes Balashi Bier aus Aruba ins Dinghi reiche, ist doch selbstverständlich. Er freut sich, dass Eike wieder fit ist. Endlich ausschlafen. Vielen Dank für den tollen Empfang!
Auch am zweiten Tag in Bonaire bin ich extrem müde. Wir erledigen die Behördengänge. Die Holländer sind gut organisiert, hier müssen wir nur zu einem einzigen Schalter um Schlange zu stehen. Dann sind die Formalitäten aber auch in zehn Minuten durch. Wieder zurück aufs Boot und ausruhen. Eike erfreut sich am klaren Wasser und springt vom Cockpitdach aus hinein. Das konnte er in Aruba nicht.
Am Dienstag frage ich Michael, wo er sein Auto gemietet hat. Er schreibt mir, dass es ein Problem ist, derzeit ein Auto zu bekommen. Michael wird gegen Mittag vom Autovermieter abgeholt, ich darf mitfahren. Doch auch die persönliche Vorsprache im Büro bringt mir kein Auto. Michael will noch ein paar Football-Spiele herunterladen. Also fahren wir anschließend zur Internetwäscherei. Dort telefoniere ich die Autovermieter durch. Dann die Rollervermieter. Alles ist reserviert bzw. vermietet. Ich kann einen Roller für Samstag reservieren. Das wird Eike nicht gefallen, die Wartezeit ist recht lang. Seinem Bewegungsdrang sind an der Mooring gewisse Beschränkungen auferlegt. Dafür konnte ich meine zwei Jahre alte SIM-Karte aus Bonaire wieder aktivieren und etwas Internet zurück mit an Bord nehmen.
Ich bin inzwischen gut regeneriert und genieße es einfach, an Bord zu sein. Ich genieße es, dass ich nicht mehr in Aruba bin. Es fühlt sich einfach gut und richtig an. Dafür macht mir unser Stromverbrauch Sorgen. Ich weiß, dass unsere Energieversorgung Spitz auf Knopf genäht ist. Der Gefrierschrank bricht ihr das Genick. Der Motor wird ab und an aushelfen müssen. Wir werden das mit Bootsausflügen verbinden, damit der Diesel nicht einfach nur so verbrannt werden muss. An der vorgelagerten Insel Klein Bonaire gibt es verschiedene Bojen, an denen man tagsüber liegen darf. Die eigene Boje im Bojenfeld markiert man in dieser Zeit mit dem Dinghi, damit sie weiterhin als belegt gekennzeichnet ist. Ein Fender tut es allerdings auch.
Nach dem Abendessen und nach Sonnenuntergang machen wir uns noch einmal auf den Weg in die Stadt. Wobei „Stadt“ eigentlich zu viel Stadt ist. Kralendijk ist ein verschlafenes Nest. In der Nähe der Uferpromenade haben die Restaurants noch geöffnet, ansonsten laufen wir an verschiedenen, schon geschlossenen Etablissements vorbei. Der Spaziergang tut gut. Nebenbei finden wir den Laden von Budget Marine, in dem ich noch eine Bestellung abholen muss.
Zurück an Bord ist es auch bald Zeit für den Nachtschlaf. Die ersten beiden Tage haben wir gut überstanden. Am nächsten Morgen kommt von Michael eine gute Nachricht. Er hat in der örtlichen Presse gelesen, dass der zweite PCR-Test nach fünf Tagen hinfällig geworden ist. Das steht auch so auf den offiziellen Webseiten. Ich habe keine Ahnung, ob das auch für uns gilt, bin aber sofort bereit, das hierfür eingesparte Geld in ein gutes Restaurant zu tragen.
Ich hoffe, Eike erträgt die kommenden, ruhigen Tage, bis wir endlich Mobilität haben. Ich freue mich weiterhin, an einem Ort gelandet zu sein, der von Aruba verschieden ist.
Die letzten beiden Tage wären vom Wind her ideal gewesen, um nach Bonaire zu fahren. Nämlich ohne Wind. Auch der Wellengang wäre gering gewesen. Doch wir haben auf den negativen Test gewartet und fahren nun in den auffrischenden Wind hinein. Egal, ich wollte die Wettervorhersage ignorieren. Ich habe sogar in den letzten beiden Tagen keine Aktualisierung mehr heruntergeladen. Sissi ist schnell seeklar und schon um 10 Uhr morgens verlasssen wir den Hafen, in dem wir so lange waren. Wir winken Hafenmeister Paul uns seiner Frau zu, machen viel Lärm mit dem Nebelhorn. Die Stegnachbarn grüßen zurück.
Ausklariert ist schnell. Dem Beamten bei der Immigration ist es egal, wie lange ich meinen Aufenthalt überzogen habe. Es ist genau wie beim letzten Mal. Den Zollbeamten erkenne ich wieder. Als wir in meinen Papieren nach dem letzten Einreisedokument suchen, fällt ihm die eigene Unterschrift auf. Er erinnert sich, dass ich mehrfach versucht habe, Aruba zu verlassen. Er wünscht mir Glück bei diesem Versuch, heißt mich aber auch willkommen, falls ich wieder zurück komme. Es geht auf den Atlantik. Sissi beginnt zu schaukeln. Wir sind noch in der Abdeckung von Aruba, bekommen also die Wellen noch gar nicht in ihrer ganzen Pracht mit. Eike freut sich an den Schiffsbewegungen. Er meint, dass es ihm gut geht und dass er nicht seekrank wird. Er isst ein Brot mit Frikadellen und Käse belegt, fett mit Butter bestrichen. Dazu gibt es eiskalte Cola. Ich bin gespannt.
Wir erreichen Baby Beach, hier ist Aruba zu Ende. Die Wellen werden heftiger. Sissi beginnt zu tanzen. Innerhalb von Minuten umarmt Eike erstmals die Toilette und die schönen Frikadellen wandern zu den Fischen. Eike wandert in seine Koje. Nun bin ich erst einmal Einhandsegler.
Ich kenne es ja von Jens. Als er noch zur Seekrankheit neigte, kam es immer zur Eruption nach der ersten Mahlzeit. Dann hat er sich hingelegt und nach dem Aufstehen war alles vergessen. So hoffe ich es auch von Eike. Doch er ist wohl eher nach seiner Mutter geraten. Der wurde es schon auf dem Caledonian Canal mulmig. Ich fange an, halbstündige Ruhepausen einzulegen, erlaube mir auch das Wegnicken. Der Timer wird mich schon wecken. Wir sind sowieso sehr langsam unterwegs und es ist weit und breit niemand zu sehen. Als er um Mitternacht ins Cockpit kommt, hält sein Optimismus nur kurz. Er muss weiterschlafen, es ist noch nicht vorbei. Ich kann das zur Not die ganze Nacht durchhalten. Ich muss es die ganze Nacht durchhalten.
Die Seekrankheit hält sich auch noch am Morgen. Wir passieren gerade Curacao. Als amtierender Bordarzt beginne ich mit der medikamentösen Behandlung. Erfahrungen mit dem Thema konnte ich wahrlich genug sammeln. Ich versuche, ihn bis zum Abend wieder auf die Beine zu bringen. Ich möchte ein paar Stunden Schlaf am Stück. Ich bin müde. Als bordeigener Diätkoch werde ich ihm ein kleines Reis- und Gemüsegericht zu Mittag bereiten, vorausgesetzt die Medikamente schlagen an. Das Wasser muss ich als bordeigener Drill-Sergeant fast in ihn hineinbrüllen. Egal, wir fahren nach Bonaire. Dorthin kommen unsere Ersatzteile. Curacao ist keine Option.
Ich habe irgendwo einmal gelesen, das Schlimme an der Seekrankheit ist, dass es sich anfühlt als müsse man sterben. Dann merkt man, dass man nicht sterben muss. Für 24 Stunden Fahrt mit dem Wind kann man fast die doppelte Zeit gegen den Wind einplanen. Dabei tanzt das Boot in den Wellen einen klassischen Pogo.