Neujahr

Am Neujahrstag wache ich erst gegen Mittag wieder auf. Die Nacht war sehr schön gewesen, wir haben viele neue Menschen kennengelernt und ich konnte alte Bekannte wieder treffen. Normalerweise schreibe ich nicht viel zum Thema Corona, doch eine Bemerkung muss ich hier schon machen. Alle besuchten Feiern fanden unter freiem Himmel statt. Die Teilnehmer saßen in Gruppen zusammen mit Abstand untereinander, jeweils so wie sie miteinander wohnen. Die Zahl der Covid-Fälle ist in den vergangenen beiden Wochen etwa verzehnfacht und Omikron ist auf der Insel angekommen.

Bitte, bitte, kümmere Dich um mich!!!

Nach dem Morgenkaffee wollen Eike und ich etwas Sinnvolles tun. Zum Beispiel das Großsegel hochziehen. Leider pustet der Wind immer konstant mit fünf Windstärken von achtern, es ist völlig aussichtslos. Ich sinniere über das Segeln und Segelboote nach, als mir plötzlich eine Erinnerung böse durch das Gehirn schießt. Bei einem unserer Startversuche in Richtung Azoren ist mir die Winschkurbel auf der Backbordseite beinahe ins Gesicht geschlagen. Irgendwie ist mir diese Tatsache bei der Verwandlung von Sissi in eine schwimmende Wohnung irgendwie entschwunden. Bei der Rückverwandlung in ein Segelboot kommt es aber wieder hoch. Ich schnappe mir Werkzeug und beginne, die Winsch auseinander zu nehmen. Dabei versuche ich mich zu erinnern, wann sie ihre letzte Wartung erhalten hat.

Es wird ein Winschpuzzle mit ca. 30 Teilen.

Die letzte Wartung muss wirklich sehr lange her sein. Als ich anfange, will ich noch mogeln und lediglich eine Ladung neues Fett in die Zahnräder geben. Doch die kleinen Sperrklinken, die normalerweise verhindern, dass sich die Winsch zurückdreht und damit dem Benutzer die Winschkurbel ins Gesicht schlägt, lassen sich kaum noch bewegen. Sie kleben fast in einer Masse aus altem Fett und Dreck. Ich beiße in den sauren Apfel und befreie alle Zahnräder von altem Fett. Auch den grünen Korrosionsspuren rücke ich auf den Pelz.

Nach der Reinigung bewegen sich die beiden Teile wieder wie bei einer neuen Winsch.
Die beiden Federn haben jedwede Rückstellwirkung verloren.

Es gibt insgesamt vier dieser kleinen Sperrklinken, von denen sind nur noch zwei funktionsfähig. Die anderen beiden sind in der offenen Stellung fest. Es kostet mich einige Mühe, die Einzelteile aus dem alten Fett zu stemmen. Zwei kleine Federn müssen ersetzt werden. Es kostet mich einige Mühe, die vor Monaten schon gekauften Ersatzteile zu finden. Sie sind winzig klein. Ich bin überrascht, dass sie sich am Ende genau dort befinden, wo ich sie ursprünglich vermutet aber übersehen habe. Ich werde mir noch ein paar an Bord legen, man kann davon eigentlich nicht genug haben. Das Puzzle lässt sich am Ende erstaunlich leicht wieder zusammensetzen. Drehe ich sie nun, höre ich ein zartes Klickern aus dem Inneren. Samtweich. Herrlich. Es hat nur zwei Stunden gedauert. Nun wird es schon dunkel, die andere Winsch muss bis morgen warten.

Gut gefettet und von den meisten Korrosionsspuren befreit dreht sich die Winsch wieder superleicht

Edward schickt eine Nachricht. Sein Vater würde uns gerne zu seinem selbst gemachten Seafood einladen. Er kommt uns gerne abholen. Nach dem Essen können wir mit dem Wagen nach Hause fahren. Der Autoverkauf zieht sich in die Länge, weil natürlich an den Feiertagen die entsprechenden Behörden keine Papiere ausstellen. Auch eine Autoversicherung kann man nicht abschließen, da ist keiner zu Hause. Wir freuen uns sehr, für Eike war es der erste Tag seit langem, an dem er keine Fahrstunde hatte.

Eike und Micheline. Sie ist die Mutter der beiden Söhne. Die beiden Töchter sind nicht da, sie leben bei ihrer Mutter.
Edward mit seinen zwei Söhnen. Daneben ein Cousin und hinten mit entsprechendem Abstand Dickie, der älteste Freund von Edward.

In der luftigen Veranda setzt sich das Feiern mit Abstand fort. Ich kann verstehen, warum sie das machen, denn in dieser Familie sind die meisten ungeimpft. Edwards Vater serviert uns je einen Teller mit Tintenfisch, Muscheln, Garnelen, angemacht mit Zwiebeln, Oliven und verschiedenem anderen Gemüse. Es ist – hm – gewöhnungsbedürftig. Alle dieser eigentlich leckeren Zutaten schwimmen in einer essiglastigen, sehr scharfen Marinade. Der stolze Koch erklärt, dass er das Seafood schon am 23. Dezember eingelegt hat. Ich würge mir mit Mühe einen Teller rein, Eike geht es nicht viel anders. Dann verabschieden wir uns, Eike drängt zum Aufbruch. Ich habe ihm versprochen, dass er uns in einer Nachtfahrt zu Sissi fahren darf. Er scharrt mit den Hufen. Zu Hause gönnen wir uns eine frische Carbonara. Die schmeckt so richtig gut. Außerdem gefällt mir besonders gut, dass die Carbonara von Eike gekocht wird. Er freundet sich mehr und mehr mit meinem Herd an. Vielleicht kann ich mich in Zukunft immer mal wieder bekochen lassen…

Countdown

Wir schreiben den 31.12.2021. Nur noch wenige Stunden trennen uns vom neuen Jahr. Nur noch wenige Tage, dann wollen wir die Insel verlassen.

Getreu dem Werbespruch einer großen Baumarktkette gibt es dafür auch bei uns immer noch einiges zu tun. Gestern zum Beispiel, den Tank von Sissi mit allerfeinstem Diesel zu füllen. Das wollte ich eigentlich an der Bootstankstelle in der Renaissance Marina machen, ich bin aber nicht bereit, irgendwelche Zuschläge zu zahlen, etwa für Kreditkartenzahlung oder dafür, dass ich kein Gast in der Marina bin. Da wir unser Auto noch haben, bietet sich die Straßentankstelle geradezu an. Außerdem brauchen wir noch ein paar Kanister. Von den in Spanien gekauften Dieselkanistern ist einer unterwegs zerbrochen und hat die Vorschiffskoje in unnachahmlich leckeren Dieseldunst gehüllt. Wir fahren schnell in den Baumarkt, holen die Kanister und eilen dann zur Tankstelle. Im Baumarkt erleben wir die Rückkehr längst vergessener Corona-Maßnahmen. Wir müssen jeder einen Einkaufswagen nehmen, sonst kommen wir nicht rein. Das gab es früher schon einmal.

Der Diesel muss in die Kanister.

Am Steigrohr lese ich den Pegel ab. Er ist ein wenig schwer zu erkennen, weil so viele Stromkabel hinzu gekommen sind. Noch 120 Liter im Tank, also müssen wir 160 Liter einfüllen, damit wir auf die vollen 280 Liter kommen. Okay, es sind drei Fahrten zur Tankstelle nötig. Mit der ersten Fahrt holen wir die vollen 100 Liter, auf der zweiten Fahrt noch einmal so viel und anschließend müssen wir noch drei Kanister füllen. So weit die überschlägige Kopfrechnung.

An der Tankstelle geht man normalerweise erst zur Kasse und bezahlt, dann schaltet die Kassiererin die Zapfsäule für die entsprechende Menge Sprit frei. Ich kaufe 100 Liter Diesel und bezahle sie mit US-Dollar in Bar. Ich habe nicht genug Florin. Beim zweiten Besuch kommen zu den 100 Litern Diesel (Bezahlung in US-Dollar mit Kreditkarte) noch ein paar Liter Superbenzin dazu, die ich in Bar mit Florin zahle. Beim dritten Besuch reichen die restlichen Florin aus für den Diesel. Die Kassiererin ist endgültig verwirrt, als ich ihr die bunten Scheine über den Tresen reiche. Sie hatte Dollars erwartet und mir den Betrag auch gleich umgerechnet.

Betankung per Schüttelschlauch

Auf dem Boot geht der Diesel dann per Schüttelschlauch in den Tank. Wer nicht weiß was das ist oder wie das geht, findet auf Youtube unzählige Videos. Der Inhalt der ersten sieben Kanister landet schnell im Tank. Am Steigrohr ist der Pegel nun bei ca. 250 Litern. Also passt der achte Kanister noch hinein. Doch nach wenigen Litern läuft der Tank über. Das passiert mir immer wieder, wenn ich an der Zapfsäule tanke. Genau das wollte ich mit den Kanistern vermeiden. Eine Küchenrolle geht dabei drauf, den übergelaufenen Diesel aufzunehmen. Und wir müssen das Cockpit durchwischen, der Geruch ist einfach zu penetrant.

Dinghi fahren, immer wieder ein Spaß

Das Dinghi muss weggepackt werden. Leider ist auf Sissi kein Platz, um es aufgeblasen an Deck zu transportieren. Auf vielen Segelbooten kann man das Dinghi zwischen dem Mast und dem Cockpit transportieren. Das Mittelcockpit von Sissi verbietet uns das. Vor dem Mast würden die Genuaschoten behindert werden. Hinter dem Cockpit würde es der Windfahne Windschatten geben, sie also funktionsunfähig machen. Also müssen wir es zusammenpacken und wegstauen. Vorher darf Eike noch eine Runde im und um den Hafen drehen. In Bonaire werden wir oft genug Dinghi fahren, dort liegen wir ja an einer Boje. Ich hoffe, die Boje neben der Samai bleibt frei.

Am Abend kommt Edward vorbei, um das Auto abzuholen. Eike trauert. Edward macht mit dem Wagen das Geschäft seines Lebens. Er hat die Schrottkarre für 300 Florin gekauft und in vielen Arbeitsstunden zum Laufen gebracht. Anschließend war der Wagen fast drei Monate lang für 220 Florin in der Woche an verschiedene deutsche Segler vermietet. Nun hat er einen Käufer, der ihm 1400 Florin für den Schrotthaufen ohne TÜV bezahlt. Der Motor ist in gutem Zustand, keine Frage. Auch die Bremsen sind sehr gut und die Klimaanlage funktioniert tadellos. Ansonsten braucht der Wagen lediglich eine neue Windschutzscheibe, neue Reifen, neue Stoßdämpfer, und ein paar Kleinigkeiten…

Eike trauert. Er möchte Edward seine in den letzten beiden Wochen erlernten Fahrkünste vorführen. Wir fahren noch eine Runde in die Nacht, es ist sowieso zu viel Benzin im Tank. In Aruba werden Autos nur verkauft, wenn die Tankanzeige auf „E“ steht. Edward lobt Eike. Er fühlt sich sicher. Und ja, Eike hat sich in den letzten beiden Wochen sehr gut entwickelt. Anstatt den Spaß in den Vordergrund zu stellen, bemüht er sich um eine ausgesprochen sichere Fahrweise. Das gefällt mir. Hier noch ein paar Eindrücke aus den ersten Tagen mit der Handschaltung. Ich entschuldige mich bei den Quietschboys und ACDC, den Song verwendet zu haben, doch kein Text passt besser. Zum Glück wurde die Tonspur nicht von Youtube gelöscht.

An dieser Stelle wünsche ich euch allen ein gesundes, schönes, erfolgreiches und perfektes Jahr 2022. Auf dass die Pest endlich endet! Prost Neujahr!!!

Klebrige Insel

Aruba hat es wieder einmal geschafft und mir von hinten in die Kniekehle getreten. Es ist Motortag. Endlich nehme ich die lange aufgeschobene Inspektion in Angriff. Ich hasse den Geruch von Diesel im Boot. Trotzdem wollen alle Filter gewechselt werden. Das gelingt mir sogar so erfolgreich, dass der übergelaufene Diesel in unzähligen Papiertüchern von der dicken Küchenrolle landet und das Öl ebenso. Leckeres schwarzes altes Öl. Nach zweieinhalb Stunden brummt der Motor wieder. Ein schönes Gefühl. Dafür läuft das Waschbecken im Badezimmer nicht mehr ab. Eike geht ins Wasser und entfernt jede Menge Bewuchs, bevor er überhaupt den Auslass findet. Nach etwas Kratzen und Schaben ist es soweit, gurgelnd läuft das Wasser wieder ab. So weit, so gut.


Nach der erfolgreich durchgeführten Motorinspektion will ich gleich noch den Watermaker wieder in Betrieb nehmen. Schritt für Schritt arbeite ich mich am Handbuch ab. Es kommt der Punkt, an dem steht, dass der Watermaker nun für drei Minuten gespült werden muss. Die Hochdruckpumpe fängt an zu arbeiten. Anfangs ist gut zu hören, wie die Luft aus dem System zischt. Das Pumpengeräusch wird vertrauter, kerniger und ich kann hören, wie das Wasser die Luft verdrängt. Ich stehe wieder am Navigationstisch und lese mir den nächsten Arbeitsschritt durch. Nun muss die Reinigungsflüssigkeit angemischt werden. Die benötigten Pülverchen waren bei Eike im Gepäck.

Ein Knall. Der Bereich vor dem Maschinenraum ist nass. Das Pumpengeräusch hat sich wieder verändert. Nun verteilt die Hochdruckpumpe das Spülwasser im Maschinenraum. Das Gehäuse des Feinfilters ist einfach geplatzt. Vielleicht hatte es einen Haarriss, vielleicht habe ich es zu fest zugemacht. Was auch immer die Ursache war, ich werde es nie erfahren. Wir wollen Sissi nach Bonaire segeln und dort an einer Boje festmachen. Trinkwasser per Dinghi an Bord schaffen? Ist nicht so mein Ding. Ein Platz in der kleinen Marina? Ist echt teuer. In Aruba auf das Ersatzteil warten…?

Filtergehäuse

Das Ersatzteil ist nach Bonaire bestellt. Ich habe meinem Händler geschrieben, dass ich bereit bin, Versandkosten in jeder Höhe zu zahlen. Hauptsache ist, dass das Teil schnell nach Bonaire gelangt. Wenn wir uns ein wenig einschränken, reichen die 500 Liter Wasser im Tank, bis das neue Gehäuse eingetroffen ist. Wir müssen nicht duschen, wir können uns auch am Waschbecken waschen. So leicht mache ich es dir nicht, Aruba!