Am vierten Tag in Kuba sind wir immer noch in Quarantäne. Uns ist die frische Nahrung ausgegangen, wir haben mit 48 bis 72 Stunden Wartezeit gerechnet, bis die Testergebnisse da sind. Heute früh fängt es ganz ordentlich an. Ich bin noch im Bett als Jorge zu Sissi kommt und mit Jens spricht. Er würde in einer halben Stunde mit dem Anruf rechnen, der das Testergebnis übermittelt. Aus der halben Stunde wird zunächst eine ganze Stunde, dann werden es zwei Stunden und dann drei. Die Uhr läuft weiter, das Testergebnis lässt auf sich warten.
Wir schneiden ein Video zu unserem Quarantänesong, Bildmaterial haben wir genug. Auch sonst ist die einzige Abwechslung, entweder die vorbeifahrenden Frachtschiffe abzulichten, Aufnahmen von den Fähren zu machen (ist langweilig, wir haben jetzt wohl alle Bilder, die man von der Marina aus machen kann) oder die Pelikane bei der Jagd zu beobachten. Hier ist die Herausforderung, den Pelikan beim Eintauchen zu erwischen. Das ist mir auf Kuba noch nicht gelungen, die einzige derartige Aufnahme bisher ist mir auf Bonaire gelungen.
Jorge hat uns gefragt, ob wir auf Sissi irgendwas haben, mit dem er seine Enkel beglücken kann. Norbert hat gefragt, ob wir von den guten FFP2-Masken ein paar für seine Frau uns seine Tochter abgeben können. Können wir, ich gebe ihm eine Packung mit fünf Stück. Der dritte Hafenmeister hat bislang noch nicht gebettelt.
Jens backt wieder ein Brot. Das erste Brot war schnell gegessen, wir haben Norbert auch ein Stück abgegeben. Bei den hiesigen Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit lässt es sich nur wenige Tage aufheben. Gutes Brot ist rar in Kuba, die Leute bekommen es wohl gegen Lebensmittelmarken und können es nicht einfach so im Laden kaufen. So habe ich Jorge jedenfalls verstanden.
Ein weiterer Marinaangestellter hat gefragt, ob wir vielleicht ein altes Handy an Bord haben, das wir nicht mehr brauchen. Klar haben wir so ein altes Tastenhandy für Notfälle noch an Bord, das habe ich ihm bisher aber nicht verraten. Man muss nicht gleich das ganze Pulver an den ersten Tagen verschießen. Ich werde ihm das Nokia gerne geben, aber nicht sofort. Jens hat ein altes Schweizer Taschenmesser für die Enkel ausgegraben.
Wir spielen drei Partien Schach, von denen ich alle drei verliere. Ich mache dumme Fehler. Das liegt sicherlich nicht an der Brillianz von Jens‘ Spiel, sondern auch daran, dass ich langsam die Nase voll von der Langeweile habe. Wenn das Internet nicht so teuer wäre, könnten wir Netflix schauen. Schnell genug ist es. Um ehrlich zu sein: Wir haben hier die schnellste Internetverbindung, die wir in der Karibik je hatten.
Youtube sperrt unser Quarantänevideo natürlich, schließlich ist es eine offenkundige Copyright-Verletzung. Also lade ich den Song auf den eigenen Webspace hoch, dort hat Google keine Möglichkeiten…. Viel Spaß!
Wenn wir morgen kein Testergebnis bekommen, werde ich langsam aber sicher unleidlich. Ich bin nicht nach Kuba gefahren, um ewig in der Marina herumzusitzen. Das Ambiente ist zwar schön, es hat sich inzwischen jedoch ein wenig abgenutzt. Wenn man die Zeit der Überfahrt hinzu rechnet, sind wir seit neun Tagen in Quarantäne.
Es ist unser dritter Tag in Kuba. Es ist der dritte Tag, an dem unsere Quarantäneflagge am Mast flattert. Wir warten den dritten Tag auf unser Testergebnis und hoffen darauf, dass die Warterei bald ein Ende hat. Durch meinen Kopf geht die Musik von Otis Redding, „Sitting on the dock of the bay“. Wir schauen dabei zu, wie Sissi von der Tide angehoben wird und wieder nach unten fährt. An unserem Betonsteg ist gut zu sehen, ob wir gerade Hochwasser oder Niedrigwasser haben. Wir fotografieren Möwen und Fähren und andere Boote. Es ist alles in etwa so spannend, wie dem Gras im Garten beim Wachsen zuzusehen.
In unserer Musiksammlung haben wir vier verschiedene Versionen des Songs. Wir hören sie alle. Natürlich gefällt mir das Original am besten, doch auch die Version von Elvis ist super. Außerdem gibt es eine Version von Sammy Hager, die ziemlich gut groovt. Nur die Version von Peter Maffay kann man eigentlich gleich von der Platte löschen, da ist kein Leben drin.
Der Hafenmeister des Tages ist ebenfalls ein sehr freundlicher Mensch. Er hat versprochen, uns sofort Bescheid zu sagen, wenn das Testergebnis eintrifft. Während Jorge und Norbert ein sehr gutes Englisch sprechen, fällt es dem heutigen Hafenmeister etwas schwer. Wir können ihn trotzdem gut verstehen. Nur seinen Namen habe ich leider nicht verstanden. Langsam gehen uns die frischen Lebensmittel aus. Entweder müssen wir auf Konserven zurückgreifen oder wir dürfen endlich raus und können Einkaufen gehen.
Die hiesige Marina ist besser mit Sanitäreinrichtungen ausgestattet als die in Aruba. Das ist nicht schwer, denn in Aruba gab es keine Toiletten und keine Duschen. Hier gibt es beides. Über die Sauberkeit kann man streiten, es ist sauberer als in so mancher Marina in Frankreich oder Kroatien. Bei so viel Personal im Marinabüro könnte man trotzdem ein wenig öfter putzen. Die Wasserhähne an den Waschbecken haben ganz schön Patina angesetzt. Der Wasserdruck bei den Duschen ist – ich hatte es schon erwähnt – verbesserungsfähig. Auf dem Foto ist der Wasserhahn voll aufgedreht. Es funktioniert aber, das Wasser ist angenehm kühl und der Weg zum Sanitärgebäude gibt uns die Möglichkeit, in der Quarantäne das Boot auch einmal zu verlassen.
An dieser Stelle möchte ich mal erklären, wie das hier mit dem Internet funktioniert. Das nahegelegene Hotel hat ein offenes WLAN. Dort buchen wir unseren Antennenverstärker mit Router ein. Anschließend nehmen wir eines der Internet-Rubbellose, die wir beim Hafenmeister für zwei US$ pro Stück erworben haben und können uns einloggen. Nach dem Login besteht die Internetverbindung für eine Stunde.
Also schreibe ich diesen Text vor, bevor wir online gehen. Ich bereite auch alle Bilder für den Upload vor. Wenn wir dann online sind, muss es alles ganz schnell gehen. Wir feuern dann aus allen Rohren. Auch Jens bereitet vor, was er in unserer Internetstunde senden will. Da wir offenbar die einzigen Nutzer dieses WLAN sind, haben wir eine ziemlich gute Bandbreite, ich war gestern ziemlich überrascht. Da wir unseren Router in das WLAN einbuchen, können wir mit allen unseren Geräten ins Internet. Wenn alle Uploads durchgeführt sind und noch Zeit ist, können wir so ineffiziente Dinge tun wie WhatsApp, Skype und so weiter. Die Bandbreite reicht zum Telefonieren aus.
Jens musste heute lachen. Ich meinte zu ihm, dass das Fotografieren der Fähren genau so ist, als würden wir zu Hause Straßenbahnen oder Busse fotografieren. Irgendwann mache ich ihn noch zu einem Nahverkehrsfreund und Fotografen. Viele andere Optionen gibt es nicht.
Zur Auswahl stehen noch die Don Pedro, die immer wieder herumfährt und eine Unzahl von Möwen und Pelikanen.
Die Bediensteten der Marina haben zwar Smartphones, die werden jedoch nicht zum Telefonieren genutzt. Mit den Smartphones werden Bilder aufgenommen. Ich habe auch schon einen der Angestellten dabei beobachtet, wie er aus seinem Telefon eine Telefonnummer herausgesucht hat. Dann ist er allerdings zum nächsten Münzfernsprecher gegangen und hat sie angerufen.
Irgendwie fühlt sich das an wie in den frühen 1990er Jahren. Viele Menschen hatten zwar mobile Telefone, sie wurden jedoch aufgrund der Kosten meist nicht genutzt. Es gab zwar Zugang zum Internet, durch die zeitabhängigen Tarife war die Nutzung jedoch teuer.
Ich entdecke meine Kamera wieder. Also nicht die im Handy eingebaute, sondern die richtige Fotokamera mit dem ordentlichen Objektiv. Die lag seit Mitte Juli nur auf dem Boot herum, denn in Aruba hatte ich irgendwie schon alles fotografiert. Also mache ich noch einmal die Aufnahme von der Fähre, von den Möwen und überhaupt. In Kuba wird es wieder viel Neues zu entdecken und zu fotografieren geben, dafür müssen sie uns allerdings aus der Quarantäne entlassen. Immer wieder fallen unsere Blicke auf das Hafenmeisterbüro. Doch der Hafenmeister lässt sich nicht blicken. Also lassen wir noch einmal unseren Quarantänesong laut über die Bordstereoanlage laufen… Ich will hier raus!!!
Wir räumen auf. Wir machen das Boot ein wenig sauber, denn wir haben sonst nichts zu tun. Wir sitzen herum und warten auf den Zoll, auf die Veterinärbehörde, auf die Lebensmittelkontrolleure und auf den Drogensuchhund. Wir warten, warten und warten.
Gegen Mittag stellt sich Norbert uns vor. Norbert ist der Verantwortliche für den heutigen Tag. Die Hafenmeister arbeiten immer 24 Stunden am Stück, dann haben sie zwei Tage frei. Jorge kommt am Donnerstag wieder, den Hafenmeister von morgen lernen wir morgen kennen. Norbert kann uns Zugangskarten für das Internet verkaufen. Eine Karte ist gut für eine Stunde Internetnutzung und kostet zwei US$. Die Preise sind ganz schön happig, wir haben aber nichts anderes erwartet. Deswegen schreibe ich diesen Artikel auch vor, um ihn später nur noch ins Blog hochzuladen. Jens backt ein Brot. Dass wir gestern einen Müllsack zur Entsorgung gegeben haben, kommt uns heute teuer zu stehen. Fünf US$ kostet die Entsorgung eines Sacks. Wir beschließen, allen Müll, der nicht stinkt, im Ankerkasten zu parken und nach Jamaika mitzunehmen. Dort ist die Entsorgung auf jeden Fall billiger.
Norbert ist der Meinung, dass der Zoll sich heute nicht mehr sehen lassen wird. Dabei war es den Leuten gestern noch sehr wichtig, dass unser Satellitentelefon möglichst schnell versiegelt wird. Außerdem haben wir noch eine Drohne an Bord, die wir zwar noch nie benutzt haben, die aber bei den Kubanern pures Entsetzen in die Gesichter gezaubert hat. Eine Drohne ist ein absolutes No-Go in Kuba. Strengstens verboten, sie soll ebenfalls versiegelt werden. Vorher macht ein Offizieller noch ein paar Bilder von der Drohne. Kein Zoll, keine Versiegelung. Wir lassen die Drohne trotzdem nicht fliegen.
Norbert meint, dass wir uns entspannen sollen. Nichts anderes machen wir seit Tagen, seit wir Aruba verlassen haben. Die Entspannung muss auch einmal ein Ende haben. Vielleicht bekommen wir morgen das negative Testergebnis.
Außerhalb unseres kleinen Kosmos spielt sich das Leben ab. Die Fähre, die dreimal täglich die Marina mit der Stadt verbindet, ist hin und wieder zu sehen, sie braucht sehr lange, denn sie hat viele Haltepunkte auf beiden Seiten des Fjords. Kleine Fischerboote und Transportboote fahren hin und her. Ich befreie die Cockpitfenster von ihrer Salzkruste, damit wir besser sehen können.
Irgendwann fährt das Lotsenboot heraus und eskortiert ein kleines Frachtschiff in den Fjord. Es sieht so aus, als hätten sie in Santiago de Cuba kein Containerterminal, denn die Schiffe, die wir bislang ein- und ausfahren gesehen haben, hatten entweder eigene Ladekräne oder sind Ro-Ro-Containerschiffe, auf die die Container mit LKWs gefahren werden können.
Am Zaun der Marina sehen wir immer wieder neugierige Passanten, die sich das neue Segelboot anschauen wollen. Manche rufen zu uns herüber, wir ignorieren das jedoch. Schließlich dürfen wir die Marina noch nicht verlassen. An dem Tag, an dem wir das erste Mal vor die Tür gehen können, werden wir wohl von einer Traube Einheimischer umringt werden, wie man von Eseln umringt wird, wenn man ein paar Karotten in den Händen hält. Nur sind die Karotten hier Dollars.
Die Luftfeuchtigkeit in Kuba ist viel geringer als in Aruba. Während es dort zumeist 75% waren, sind wir nun auf 65% herunter. Das macht das Leben angenehmer, denn bei Windstille sind wir nicht mehr sofort schweißgebadet, sondern erst nach ein paar Minuten. Glücklicherweise weht immer eine sanfte Brise.
Ich baue die WLAN-Verstärkerantenne auf. Das WIFI-Signal vom naheliegenden Hotel ist ohne Verstärker grenzwertig schlecht, mit dem Verstärker kommt es sehr gut zu Sissi herüber. Außerdem können über den zusätzlichen Router gleich mehrere Geräte ins Netz gehen, ohne dass man mehrere Internetvouchers verbrauchen müsste. So weit der Gedanke. Wie viele Daten wir übertragen werden können steht noch in den Sternen. Eine Stunde ist nicht viel.
In der Literatur steht, dass eine Zensur des Internets in Kuba praktisch nicht stattfindet. Lediglich ein paar amerikanische Seiten, die gegen die kubanische Regierung agitieren, seien gesperrt. Die eigentliche Zensur würde dadurch stattfinden, dass es praktisch kaum Möglichkeiten für die Einheimischen gibt, im Internet zu surfen. Für den Preis von einer Stunde Internetnutzung bekommt man auf Lebensmittelmärkten zwei bis drei Kilo Tomaten, dazu noch zwei Kilo Kartoffeln und ein Kilo Reis.
Wie sollen wir uns verhalten, wenn unser negatives Testergebnis da ist, der Zoll aber noch nicht bei uns war? Können wir dann einfach die nächste Fähre in die Stadt nehmen? Norbert meint ja. Wir wären frei, wenn wir das Testergebnis haben. Ich bin mir da nicht so sicher. Falls der Zoll vor dem verschlossenen Boot steht, könnte das den Humor der Zöllner vielleicht ein wenig beeinträchtigen. Abwarten, es geht hier schließlich alles ganz langsam.
Wir lesen Bücher. Das sind die Klötze aus zusammengeklebten, bedruckten Papierblättern. Auf jedem dieser Blätter sind Buchstaben aufgedruckt, auf jedem Blatt unterschiedliche Wörter. So wird eine ganze Geschichte daraus. Das funktioniert offline. Was bin ich froh, dass mir die Stegnachbarn in Aruba eine ganze Kiste voller Bücher geschenkt haben. Die wenigen Bücher, die wir vorher an Bord hatten, sind alle schon ausgelesen. Das ist der Nachteil von Büchern, man kann sie nicht updaten, sie verändern sich nicht mehr.
Auch Quarantäneschach ist ein prima Zeitvertreib. Ich fotografiere absichtlich keine Stellung, denn wir dilettieren ziemlich herum. Seit der Überfahrt über den Atlantik habe ich das Schachspiel nicht mehr in den Händen gehabt, das ist beinahe ein Jahr her. Auch Jens ist ein wenig aus der Übung und wir tun uns im Endspiel beide schwer. Das ist egal, es vertreibt die Zeit. Wir würden gerne mehr Musik hören oder Filme schauen, doch ich habe das Dateisystem der Festplatte mit den Videos und Audios zerstört. Seit 48 Stunden läuft das Restore aus dem Backup. Wenn man knapp vier Terabyte auf kleinen USB-Festplatten kopiert, kann das eine Woche oder gar länger dauern.
Schon jetzt kann ich jedem, der sich von den alltäglichen digitalen Zwängen wie WhatsApp, Instagram und Facebook für eine Weile befreien möchte, einen Aufenthalt in Kuba wärmstens ans Herz legen. Kuba ist digital detox. Jetzt aber schnell das Passwort vom Voucher freikratzen und online gehen, ich halte es bald nicht mehr aus offline.
Wow. Die Internetverbindung ist teuer, aber sie ist irre schnell. Hätte ich nicht gedacht.