Der Kühlschrank

Die Idee zu diesem Beitrag ist entstanden, als ich im Kühlschrank verzweifelt nach einer Dose Bier gesucht habe und dabei nur Cola, Eistee und Limonade gefunden habe. Zwischendurch ist mir noch eine Vorratsdose mit Gulasch begegnet, das sich wohl schon ein paar Tage im Kühlschrank versteckt hat und zwar noch lecker roch, aufgrund seines Alters jedoch in die Biotonne wandern musste.

Kühlschrank der Sissi

Den meisten Strom, den wir mit unseren beiden Kraftwerken erzeugen, wandert in diesen Kühlschrank. Das ist in Ordnung, denn wir lieben den Komfort, den uns der Kühlschrank gibt. Ein Bordkühlschrank ist jedoch eine ganz andere Nummer, als der Kühlschrank zu Hause in der Küche.

Kühlschrank – der Horrorfilm

Ein Filmplakat zum Film „Der Kühlschrank – eiskalt, böse und gemein“ hing jahrelang über meinem Bürokühlschrank. Mein Kollege Uli hat es damals mitgebracht, kurz nachdem ich den Kühlschrank in unser gemeinsames Büro getragen habe.

Jede Seglerin und jeder Segler kennt das Problem. Am Anfang des Törns ist der Kühlschrank peinlich sauber, leer, übersichtlich und riecht nicht.

Dann kommt der erste große Einkauf. Getränke und Lebensmittel für mehrere Wochen werden beschafft, an Bord geschleppt und der Kühlschrank wird beladen. Dabei macht man sich große Gedanken um die Ordnung im Reich der Kälte. Niemand möchte im Kühlschrank suchen müssen, alle gewünschten Waren sollen griffbereit liegen.

Mit viel Sorgfalt und Gehirnschmalz baut sich der Segler den Kühlschrank so voll wie möglich, denn ein voller Kühlschrank funktioniert besser als ein leerer. Außerdem gibt es bei Törnbeginn einen Haufen Zeug zu verstauen.

Die meisten Segelbootkühlschränke, die ich in meinem Leben gesehen habe, sind Toplader. Das ist praktisch. Hätten wir auf dem Segelboot einen Kühlschrank wie zu Hause, würden je nach Schräglage alle Lebensmittel beim Öffnen der Kühlschranktür auf den Boden purzeln. Okay, das stimmt nicht ganz, es gibt auch Frontlader für Segelboote. Die sind jedoch sehr teuer und der Einbau ist auch nicht immer leicht. Bei uns auf der Sissi könnten wir keinen Frontlader einbauen, denn was auf dem Foto noch rechteckig aussieht, folgt auf der hinteren Seite der Form der Bordwand.

Toplader

Dann kommt der erste Abend an Bord. Noch sind wir keinen Meter gesegelt, noch haben wir das Schiff nicht losgemacht. Ein erster Griff in den Kühlschrank fördert ein Bier zutage. Nach dem zweiten Griff und dem Schließen des Kühlschrankdeckels hört man ein Poltern im Kühlschrank. Das dritte Bier ist nun unauffindbar unter einer Lawine aus Coladosen, Käseblöcken und vakumierten Steaks verschwunden. Auf der Suche nach dem dritten Bier fällt eine Dose Crème Fraiche kopfüber auf den Korken der für das morgige Schlemmermahl kalt gestellten Weinflasche, die Folie am Deckel wird beschädigt und die Crème Fraiche verteilt sich geräuschlos über die Coladosen und zwischen den Wurstpackungen. Derweil übernimmt der Camembert die geruchliche Hoheit über den gesamten Kühlschrank.

Jetzt wird der Kühlschrank in Panik ausgeräumt, aber es sind nun weder die Spuren der Crème Fraiche zu finden, noch das Bier, das man am Vorabend garantiert in den Kühlschrank geräumt hat. Dafür findet sich dann eine Dose mit der Aufschrift „Gemüsesauce, 13.4.2018“. Wo hat sich die denn die ganze Zeit versteckt?

Sissikühlschrank von innen

Wieviel Sorgfalt man auch immer bei der Beladung des Kühlschranks aufwendet – die Ordnung ist in dem Augenblick zerstört, in dem das erste Lebensmittel aus dem Kühlschrank entnommen wird. Entnimmt man nach dem Füllen kein Lebensmittel sondern segelt sofort los, gibt es garantiert eine Welle, die das Boot so sehr krängen lässt, dass sich das Innere des Kühlschranks unmittelbar neu sortiert und somit die reguläre Unordnung in einem Segelbootkühlschrank wieder herstellt.

Wo hatte ich noch gleich die Schweinelende für heute Abend vergraben?

Ankern

Wir liegen in Portimao vor Anker. Kaum zu glauben. Wir sind knapp zweieinhalbtausend Meilen gesegelt und haben unseren Anker sich bislang nicht in den Grund eingraben gelassen. Dabei ist Ankern die Königsdisziplin der Langfahrtsegler. Vor Anker wird die Bordkasse geschont, Ankern ist immer kostenlos. Die Marina kostet Geld.

Ankerlieger in Portimao

Ankern kann man an den schönsten Orten der Welt, die Marinas sehen überall irgendwie gleich aus. Das ist etwa so wie der Unterschied zwischen „wild campen“ und einem Campingplatz.

Vor Anker liegt man ruhig. Die Ankerkette dämpft das Rucken des Schiffs im Schwell wunderbar. Liegt man bei Schwell im Hafen, knarzen und quietschen die Festmacher erbärmlich. Oft ruckt das Schiff heftig in die Leinen ein. In der Marina ist es manchmal unkomfortabel.

Ankert man, hat man es ruhig. Keine Nachbarn am Steg, die die Nacht zum Tag machen. Keine Touristen, die gaffend die Stege entlang laufen und in das Cockpit glotzen.

Warum wir bisher nicht geankert haben? Weil man dann das Dinghi aufblasen muss, um an Land zu kommen. Weil am Ankerplatz keine warme Dusche ist. Weil wir lange keinen Motor für unser Dinghi hatten. Weil es bequemer ist, zu Fuß zum Restaurant zu spazieren. Weil… Wir haben es halt nicht gemacht.

Ankerkette

Vorgestern war also ein großer Moment. Klackernd lief die Kette über die Ankerwinsch, der Anker klatschte ins Wasser. Dann haben wir ihn ordentlich eingefahren. Er hat im ersten Versucht auf perfektem Ankergrund gehalten.

Gestern hatten wir am Ankerplatz ordentlich Wind, der Windgenerator hat 15 Ampere geliefert, was er etwa ab fünf Beaufort tut. Der Anker hat gehalten.

Jetzt hat sich der Wind gedreht, unser Anker hält immer noch bombenfest. So gefällt mir das. Jetzt endlich können wir uns Langfahrtsegler nennen. Nur das Problem mit der Dusche konnten wir noch nicht abschließend zur Zufriedenheit lösen. Entweder nutzen wir die Borddusche von Sissi, die nur kaltes Wasser liefert. Oder wir nehmen das Dinghi uns fahren in die Marina rüber. Dort verkaufen sie uns sicher eine warme Dusche.

Der Countdown vor der Abfahrt

Wenn wir irgendwo fest gemacht haben, dann ist das Boot richtig fest. Das ist nicht wörtlich gemeint, jedes Boot braucht am Steg eine gewisse Bewegungsfreiheit. Sonst ist das nicht gut für die Leinen, die Klampen und die Nerven der Besatzung. Ich meine den Umbau der mobilen, segelnden Sissi zu einer Ferienwohnung im Hafen und wieder zurück. Das ist zwar inzwischen alles Routine, es strengt jedoch an und deswegen machen wir das nur, wenn es sich lohnt oder wenn wir den alten Ort gründlich satt haben. Manche Orte entwickeln darüber hinaus gewisse Klebekräfte, die einen zusätzlich festhalten.


Oft liegen wir lange an einem Ort. Wenn es dann endlich weiter gehen soll, findet in unseren Köpfen und auch in der Realität ein Countdown statt, der mindestens mal so genau durchexerziert wird, wie beim Start einer Rakete in den Weltraum. Meistens jedenfalls.

Borduhr

-86400 Sekunden
Einen Tag vor der geplanten Abfahrt prüfen wir das Wetter noch einmal. Eigentlich prüfen wir das Wetter ständig, vor der Abfahrt machen wir es aber noch viel öfter. Wir schauen, welche Vorräte noch ergänzt werden müssen und kaufen diese dann ein. Natürlich vergessen wir dabei immer wieder wichtige Dinge im Laden, das können wir irgendwie nicht verhindern. Selbst wenn wir den Einkauf gut planen und einen Einkaufszettel schreiben, vergessen wir den Zettel an Bord.

-43200 Sekunden
So zwölf Stunden vor der geplanten Abfahrt räumen wir auf. Selbst wenn Sissi erst seit zehn Minuten am Steg liegt, verteilen sich Gegenstände durch das Schiff, die alle wieder an ihrem Platz geräumt werden wollen. Liegen wir länger, wird es immer schlimmer. Wir sind nicht die einzigen, denen es so geht, dieses Problem haben alle. Sollten wir noch ein Brot brauchen, backen wir noch ein Brot. Manchmal kochen wir Essen auf Vorrat, manchmal planen wir Mahlzeiten, die wir auf See zubereiten wollen. Das kommt darauf an, ob wir nur einen kurzen Törn von weniger als 24 Stunden Dauer oder einen längeren Schlag von mehreren Tagen vor haben.

-7600 Sekunden
Zwei Stunden vor der geplanten Abfahrt fangen wir so langsam an, Sissi richtig seeklar zu machen. Wir bringen den Müll zum Müllcontainer. Oft duschen wir noch einmal. Geschirr wird noch weggespült und weggeräumt. Die Luken werden verschlossen, Wäsche eingesammelt und verräumt. Wir haben ein kritisches Seeventil, das muss geschlossen werden. Außerdem hängt da oft noch die Sonnenschutzplane über dem Baum, die will abgenommen, gefaltet und verstaut werden.

-3600 Sekunden
Eine Stunde vor der geplanten Abfahrt sammeln wir das Stromkabel für den Landstrom ein und verstauen es. Wir fangen an, die Leinen, die Sissi am Steg festhalten, so umzubauen, dass wir sie vom Boot aus mitnehmen können. Wir verabschieden uns von den Nachbarn. Ggf. wird noch ein Reff ins Großsegel eingebunden. Regelmäßig prüfen wir den Motor (Motoröl, Kühlmittel, Keilriemen) vor der Abfahrt.

-300 Sekunden
Ein paar Minuten vor der Abfahrt starten wir den Motor. Der darf schon etwas brummen, bevor wir Leistung von ihm fordern.

-60 Sekunden
Wir machen die Leinen los. Eine, noch eine, noch eine und noch eine. Lediglich eine Leine hält uns zum Schluss. Oft müssen wir schon jetzt einen Gang einlegen, das Getriebe einkuppeln, denn mit einer Leine ist die Situation nicht mehr stabil.

-10 Sekunden
Ein letzter Rundumblick, sind andere Boote im Weg? Können wir aus der Box heraus fahren?

-9, 8, 7, 6…. 3, 2, 1, 0 Sekunden
Die letzte Leine ist los, wir bewegen uns.

+60 Sekunden
Jetzt werde die Fender und Leinen verstaut. Derweil brummt der Diesel und schiebt uns raus aufs Meer.

+300 Sekunden
Wenn alle Fender und alle Seile verstaut sind, kommt die Gewissensfrage: Reicht der Wind? Dann ziehen wir die Segel hoch. Reicht der Wind noch nicht aus, brummt der Motor erst einmal weiter. Wir bemühen uns immer, nur dann aus dem Hafen zu fahren, wenn wir auch brauchbaren Wind erwarten.

+1800 Sekunden
Die Segel sind oben und der Motor wird gestoppt, das Schiff läuft auf dem elektrischen Autopiloten und die Windfahnensteuerung muss justiert werden. Ist das erledigt, schalten wir den elektrischen Autopiloten ab und fahren unter Windsteuerung.

+2143 Sekunden
Schon fertig! So schnell und einfach geht das. Dann segeln wir und können das theoretisch unendlich lange tun. Wir können jede Entfernung zurücklegen, weil unser Treibstoff nie ausgeht. So fühlt sich echte Freiheit an. Wir machen einen Sprung von ein bis vier Tagen Dauer und haben einen neuen Stellplatz für unser Wohnmobil.

Beim Anlegen läuft alles in umgekehrter Reihenfolge, nur holen wir uns keinen frischen Müll aus dem Container. Den produzieren wir selbst. Der Countdown zum Anlegen ist wesentlich kürzer. Je schneller wir fertig sind, desto schneller haben wir das verdiente Anlegerbier in der Hand.


Dann sind wir wieder fest. Für ein paar Tage. Oder für ein paar Tage mehr.