Letzte Seereise

Seit ein paar Tagen schiebe ich diese Aufgabe vor mir her. Doch es steht noch (mindestens) ein Blog aus. Sissis letzte Seereise. Am nächsten Morgen scheint die Sonne. Routiniert gelingen mir die Vorbereitungen zur letzten Seereise. Kaffee ist drin, es kann losgehen. Mit Gregor habe ich seit längerem wieder einmal eine helfende Hand an Bord.

North Shields Ferry

Schon um 10 Uhr schleusen wir aus der Marina heraus. Es ist gerade Hochwasser, der Tidestrom gibt uns eine schöne Geschwindigkeit. Alle Fender und Leinen sind verstaut, Sissi ist klar für einen mehrtägigen Törn. Ich habe die Gelegenheit, in der schönsten Morgensonne noch ein paar Aufnahmen am Tyne zu machen. Gregor grinst, auf diesen Moment freut er sich seit Tagen.

Ufer in North Shields

Ein letztes Mal mehrere Tag am Stück unterwegs sein. Ein letztes Mal die Einsamkeit auf dem Ozean spüren. Die letzten Nachtschichten. Das letzte Mal Kochen auf schwankendem Untergrund. Ich bin ziemlich sentimental. Ich bin allerdings auch sehr froh, dass diese Etappe endlich beginnen kann. So kurz vor dem Ende des Törn will ich nicht noch tagelang festsitzen.

North Shields Fish Market

Es ist nicht einmal 11 Uhr, als wir den Fischmarkt und kurz darauf den Wellenbrecher erreichen. Draußen steht von den stürmischen Tagen der letzten Woche noch ein ordentlicher Schwell. Der Fischer hatte wahrscheinlich recht, als er uns gestern so vehement von der Abreise abgeraten hat.

Wellenbrecher

Allerdings glänzt der Wind heute mit kompletter Abwesenheit. Ich lade noch schnell eine aktuelle Vorhersage herunter und sehe das Desaster. Der Wind zieht sich von West nach Ost zurück. Das hatte ich so geplant und gewollt. Der Wind zieht sich aber viel schneller zurück, als wir ihm hinterher fahren können. Ich ahne Böses. Zum Glück haben wir genug Diesel im Tank für die gesamte Strecke. Vielleicht finden wir doch noch den Wind.

Schlepper, manövrierbehindert. Verwendet das gleiche AIS-Symbol wie die Schiffe in den Baustellen der Windparks. Dieser hat kein Wachboot.

Sissi tanzt in dem Schwell einen kleinen Pogo. Gregors Magen tanzt mit. Er geht schon kaum noch unter Deck, sondern bleibt lieber im Cockpit sitzen. Dann sehe ich nur noch, dass sich seine Gesichtsfarbe rapide verändert. Ich greife die Pütz. Er nimmt sie dankbar an. Der Tag ist gelaufen. Gregor legt sich in seine Koje.

Dahin gerafft

Da ich nicht weiß, wie es mit Gregor weitergeht, mache ich erst mal meine Routine, als würde ich alleine fahren. Ich kann nicht wissen, ob Gregor für seine Nachtschicht wieder fit ist. Ich bekomme allerdings auch beide Portionen Fisch. Ich habe extra Fisch mit Reis und Möhrengemüse gemacht, damit die erste Mahlzeit nicht so schwer im Magen liegt. Das 450g Steak muss noch bis morgen warten. Doch ich habe Glück, Gregor tritt mitsamt seinem Eimer zur Nachtschicht an.

Frachter

Am nächsten Morgen ist die Seekrankheit einigermaßen im Griff. Gregor kann sogar eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Als er dann später am Nachmittag ausgeschlafen hat, ist er sogar hungrig. Ein gutes Zeichen. Ich hole Steaks aus der Gefriertruhe. Die haben nur 250g und sind auch groß genug. Wir wollen es mit dem Essen nicht übertreiben. Dazu Babyspinat und Bratkartoffeln. Am Abend ist Gregor geheilt, das Thema holt ihn nicht mehr ein.

Windpark. Riesengroß.

Seit der Nacht, in der mich das Wachboot aus der Windpark-Baustelle vertrieben hat, habe ich meine Einstellung zum Thema „aktuelle Seekarten“ durchaus geändert. Ich hätte in Newcastle auch Zeit gehabt, mir eine aktuelle Karte zu kaufen. In manchen Gewässern wird so viel gebaut, dass sich die Situation in wenigen Jahren durchaus ändert. Die Nordsee gehört dazu. Am zweiten Tag fahren wir stundenlang an endlosen Reihen von Windrädern vorbei. Die Anlage fehlt in meinen beiden Seekarten. Meine jüngste Karte ist knapp fünf Jahre alt. Doch der Anlage fehlt, was Sissi auch fehlt – der Wind. Die Rotoren stehen still.

Riesengroße Windräder stehen still.

Mit dem Radar lässt sich die Ausdehnung des Windparks recht gut ermitteln und so können wir ihn auch umfahren. Auch wenn hier kein Wachboot Wache schiebt, möchte ich nicht zwischen den Rotoren einen Slalom fahren müssen. Nach dem Abendessen geht die Sonne unter, wir haben den Windpark hinter uns gelassen.

Bei Sonnenuntergang haben wir den Windpark hinter uns gelassen.

In der zweiten Nacht ist etwas mehr los auf dem Wasser. Ein paar Arbeitsplattformen wollen umfahren werden. Dazwischen tummeln sich immer wieder Frachter oder Fischer. Um drei Uhr morgens sind wir kurz vor dem ersten von drei Verkehrstrennungsgebieten. Das sind Einbahnstraßen auf dem Wasser, die vor allem von Frachtschiffen genutzt werden. Ich erwarte nicht viel Verkehr und bin über drei Frachter auf dem AIS erstaunt. Sie sind so schnell, dass wir keine Probleme mit ihnen haben werden. Gregor löst mich ab, ich gebe ihm noch eine Einweisung in die Situation. Eine Stunde später werde ich geweckt, plötzlich ist noch ein Fischer mit im Spiel. Eine Stunde später ändert sich das Motorengeräusch. Gregor hat massiv Gas weggenommen. Ich sehe oben einen Frachter vor dem Bug. Weit vor dem Bug. Zwei Meilen vor dem Anker. Gregor meinte, er wolle nicht zu dicht an den Riesen ran. Ist okay, aber zwei Meilen sind mir gut genug. Eine Stunde später darf ich wieder nach oben. Es ist hier auf dem Meer einfach viel zu viel los.

Oelige Windstille

Irgendwann habe ich dann doch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Am nächsten Morgen sieht das Meer noch glatter aus. Mit ein wenig Glück schaffen wir es zum Hochwasser am Nachmittag in Den Oever anzukommen. Hochwasser soll heute um 20:30 Uhr sein. Ich würde mich danach sehnen, einmal zum richtigen Zeitpunkt anzukommen. Außerdem will ich keine Nacht mehr in einer Ausweichmarina verbringen. Wir bewegen uns langsam auf das letzte Verkehrstrennungsgebiet zu. Das ist das Gebiet mit dem meisten Verkehr, direkt vor Holland. In meiner Erinnerung standen die Gasplattformen nicht so dicht vor der Küste. Doch stehen schon lange dort, sie sind in der Seekarte verzeichnet. In der Seekarte sind sogar mehr eingezeichnet, als in der Wirklichkeit vorhanden.

Die letzten Plattformen stehen kurz vor der holländischen Küste

Mit Hilfe des AIS ist es eine Kleinigkeit, eine Lücke zwischen den Frachtern zu finden. Kurz müssen wir die Geschwindigkeit etwas reduzieren, dann können wir hindurch. Ich erinnere mich noch an meine erste Querung mit Sissi, damals noch ohne AIS. Das war damals recht anstrengend. Wir mussten die Schiffe mit Radar und Peilkompass peilen. Jetzt genügt ein Blick auf die Karte. Die Schiffe sind ganz aktuell..

Verkehrstrennungsgebiet

Ein Schiffsname fällt mir besonders auf. „Ville de Bordeaux“. Der kommt hinter uns durch, als wir die zweite Hälfte schon hinter uns haben. Ein Flugzeugtransporter für Airbus.

Ville de Bordeaux

Ein letztes Mal mache ich mir Sorgen um die Navigation. Wir sehen nämlich einfach kein Land. Auch die Telefone schweigen noch. Das bin ich so dicht unter der Küste nicht mehr gewöhnt. Irgendwann ist es dann doch soweit, wir haben Land in Sicht. Ein letztes Mal. Seufz.

Land in Sicht

Typisch für Holland. Die Küstenlinie ist kaum wahrzunehmen, die Gebäude sieht man zuerst. Auf dem Wasser ist dann die Hölle los. Vor uns arbeitet ein Geschwader Krabbenkutter.

Krabbenfischer beim Krabbenfischen

Die blöden Teile haben ja auch noch Vorfahrt, wenn sie fischen. Im Zweifel nehme ich immer an, dass sie fischen. Irgendwie müssen wir da durch. Immerhin haben wir die Tide noch erwischt, wir fahren mit 7,5kn. Die Fischer fahren mit 3-4kn, also haben wir ein wenig Spielraum.

Fischer fischt nicht.

Im Endeffekt ist es dann aber nicht allzu schwer. Ich bin nicht mehr an den vielen Verkehr gewöhnt. Die Holländer sind es schon und haben das prima im Griff. So gleiten wir dann durch die Fischerboote bis Den Oever, wo mich ein Riesentrumm von Boot ziemlich erschreckt. Er kommt von links mit hoher Geschwindigkeit und hält auf die Hafeneinfahrt zu. Ich bin nicht mehr an den Verkehr gewöhnt.

Nein, es ist nicht knapp. Es sieht nur so aus.

Langsam geht die Sonne unter. Wir werden es nicht mehr mit der Tide bis ganz nach oben schaffen. An den Stellen mit der stärksten Strömung hat sie uns jedenfalls prima geholfen. Nun sehen wir, dass das Wasser langsam zum Stillstand gekommen ist. Mir wird auch klar warum. Ich bin navigatorisch manchmal ein Vollidiot.

Ankerlieger

Wir haben die Zeitzone gewechselt. Das muss ich bei der Tide natürlich berücksichtigen. Die kümmert sich nicht um die Zeitzone. Also müssen wir eine Stunde gegen den Strom motoren. Es gibt Schlimmeres. Schlimmer wäre, nicht mehr ins IJsselmeer schleusen zu können. Ich finde meinen Wateralmanak nicht. Laut Google hat die Schleuse aber noch ein paar Stunden geöffnet.

Ankert hinter der Tonne

Einige große Segelboote liegen hier vor Anker, Das scheint zum Ausflug dazu zu gehören, die Boote sind bewohnt. Eine Nacht im Wattenmeer bei diesen Bedingungen ist ein echter Traum. Ich fotografiere meinen letzten Sonnenuntergang auf meiner Reise.

Letzter Sonnenuntergang auf der Reise

Jetzt gilt es. Ich greife zum Funkgerät und spreche die Schleuse an. Ich liebe die Servicementalität der Holländer. Wir sollen einfach in den Vorhafen durchfahren. Er würde die Brücke sofort aufmachen, wenn wir im Vorhafen sind. So läuft es dann auch. Zum letzten Mal wird für Sissi auf dieser Reise eine Straße gesperrt. Dann machen wir schon in der Schleuse fest. Das einzige Boot.

In der Seeschleuse Den Oever

Natürlich bin ich beim Schleusen wieder überrascht. Man schleust ja nach unten. In meinen letzten Seeschleusen ging es immer nach oben. Nach unten in einer solch großen Schleusenkammer zu schleusen ist total einfach. Das Tor öffnet, wir sind wieder frei. Mehrere Dutzend Möwen streiten in der Ausfahrt. Es ist neblig. Wo kommt der denn her? Noch knapp 12 Meilen.

Kurz vor dem Ziel

Wir machen Sissi am Passantensteg fest. Ich freue mich riesig darüber, dass Barbara und Volker zur Begrüßung gekommen sind. Sie verbringen gerade ihren Urlaub in Stavoren. Der Motor geht aus, das Bier ist kalt. Ich bin am Ende meiner Reise angekommen. 280 Meilen in zweieinhalb Tagen Motorfahrt. Der Dieseltank ist praktisch leer.

Luxusleben

Wie immer nach einer Seepassage schlafe ich mich am nächsten Morgen erst einmal gründlich aus. Nach dem Morgenkaffee mache ich mich an die Arbeit. Diesmal ist wieder eine Reparatur fällig. Die Genua soll bitteschön wieder an ihren Platz.

Ursache

Zuerst bereite ich die Arbeiten vor. Dazu gehört auch, die Ursache für den Sturz der Genua in die Nordsee zu beseitigen. Das Genuafall ist oben am Mast gerissen und natürlich ist der längere Teil in den Mast gestürzt. Das kann die anderen Fallen blockieren und deswegen muss es raus. Es blockiert auch schon beim Herausziehen, nach fünf Minuten habe ich das Gefummel erledigt. Zum Glück habe ich noch ein Reservefall, das nun zum neuen Genuafall befördert wird.

Reservefall mutiert zum neuen Genuafall

Bisher habe ich diese Tätigkeit immer zu zweit ausgeführt. Alleine ist es ein wenig nervig. Die Genua zurecht zupfen, dann am Mast mit der Winschkurbel wieder einen Meter hochziehen. Dann wieder vorne die Genua zurecht zupfen. Und wieder an den Mast gehen und sie kommt wieder ein paar Meter höher.

Stück für Stück, Meter für Meter kommt das Segel wieder rauf.

Trotz des bedeckten Himmels komme ich bei der Arbeit ordentlich ins Schwitzen. Dafür habe ich heute aber auch schon einen Programmpunkt eingeplant, auf den ich mich besonders freue. Ich schaue nicht auf die Uhr, doch es dauert mit allen Arbeiten keine halbe Stunde, bis das Segel wieder im alten Glanz erstrahlt. Auf dem Weg nach oben kann ich es auch leicht auf eventuelle Schäden kontrollieren. Ich finde keine Schäden und das ist gut so. Ein Besuch beim Segelmacher hätte mir jetzt noch gefehlt.

Back in business!

Zum Schluss muss ich die Genua nur noch einrollen, das dauert keine Minute. Fertig. Wenn das Reservefall reißt, habe ich zur Not noch das Spifall. Wenn das reißt, muss ich ohne Genua weitersegeln. Um neue Fallen in den Mast einzuziehen, muss jemand an die Mastspitze klettern. Dass ich nicht dieser Jemand bin, habe ich in diesem Blog schon des Öfteren geschrieben. Ich gehe zum Hafenmeisterbüro, denn ich habe ein paar Fragen. Außerdem habe ich meinen Duschbeutel dabei, ich möchte die hiesigen Duschen testen.

Luxusschleuse mit Schwimmsteg

Auf dem Weg zum Hafenmeister komme ich an der Luxusschleuse mit Schwimmsteg vorbei. Damit wird Schleusen so einfach, wie längsseits an einem Steg anlegen. Es ist wirklich kein Aufwand. Auch für den Fischer links im Bild gibt es Hilfestellung. An der Schleusenwand sind Drahtseile montiert, an denen man festmachen kann. Dann kann das Boot ganz einfach nach oben fahren, ohne dass die eigenen Festmacher nachjustiert werden müssen.

Schleuse ist voll bei der Arbeit

Der Hafenmeister ist auch der Schleuser in Personalunion. Er hat gerade keine Zeit für mich, denn es haben sich in beide Richtungen schon wieder Boote angemeldet. Also gehe ich erst einmal unter die Dusche.

Duschtempel

Ich finde einen Duschtempel, der seinesgleichen sucht. In dieser Qualität habe ich das noch nie gesehen, jedenfalls nicht in den vergangenen drei Jahren. Die Fußbodenheizung in der Dusche der Oban Tavellers Marina war ja nett, auch die großen Kabinen haben gefallen. Die Regenwalddusche in Islay war toll. Doch hier ist alles beisammen, ein komplettes Badezimmer erwartet mich.

Alle Kabinen sind komplett ausgestattet.

Alle Duschkabinen sind komplett mit Waschbecken und Toilette ausgestattet. Für die, die nur auf Toilette müssen, gibt es noch separate Räumlichkeiten, deren Qualität nicht hinter den abgebildeten zurück bleibt. Die Dusche ist absolut sauber. Als ich vor einigen Jahren mit Sissi zum Königstag nach Amsterdam gefahren bin, gab es in der dortigen Marina Badezimmer mit vergleichbarer Ausstattung. Schade, dass ich kein Duschgetränk mitgenommen habe. Das Wasser fließt so lange man will. Die Temperatur ist frei einstellbar, von Eisschrank bis Hummer sind alle Einstellmöglichkeiten da. Herrlich.

Sogar eine Badewanne ist vorhanden.

Auf dem Weg nach draußen fällt mein Blick auf den Wegweiser zum Family-Bathroom. Ich öffne die Tür und bin begeistert. Allerdings muss ich sagen, dass hier die Qualität einen Tick hinter der Badewanne damals in Amsterdam zurückbleibt. In Amsterdam gab es nämlich ein großes Fenster, durch das man auf die Stadt schauen konnte. Doch wer will bitteschön bei diesen Sanitäranlagen meckern. Ich nehme mir vor, zwei- bis dreimal am Tag zu duschen.


Der Hafenmeister verrät mir dann den Preis, den ich für diesen Luxus zu zahlen habe. Es ist nicht die teuerste Marina, in der ich jemals war. In der Karibik sind die Preise höher und auch in Oban wird mehr aufgerufen . Außerdem gibt er mir noch den Tipp, zu den Öffnungszeiten des Restaurants baden zu gehen. Vorher solle ich mir einen Gin-Tonic holen und diesen dann in der Badewanne genießen. Ich frage nach Supermärkten und Busverbindungen. Es gibt fußläufig erreichbar einen kleinen Supermarkt. Ansonsten gibt es nichts. Für die Busverbindungen muss er eine Kollegin anrufen, denn er kommt immer mit dem Auto zur Arbeit. Ich bringe meine Sachen zurück zu Sissi und mache mich auf den Weg zu einem kleinen Spaziergang. Neben dem Hafenmeister gibt es auch noch Google-Maps, ein zuverlässiger Begleiter bei der Suche von Bushaltestellen und Supermärkten.

Außer Betrieb

Der Supermarkt ist keine 10 Minuten von der Marina entfernt. Er hat eine Gefriertruhe mit Fertiggerichten, ein Regal mit Knabberzeug und ein Regal mit Alkohol. Dazu eine kleine Ecke mit Softdrinks und Hygieneartikeln. Die Lotterie- und Tabaktheke nimmt einen großen Raum ein. Hier werde ich wohl nicht einkaufen gehen. Direkt gegenüber ist eine Bushaltestelle, an der ich wohl nicht abfahren werde. Ich spaziere in Richtung der Metrostation. Dort zeigt mir Google auch einen ALDI an.

Katze auf Taubenjagd

In einem Hof sehe ich eine Katze, die gerne eine Taube fangen würde. Als ich sie fotografiere, lenke ich sie von ihrer Tätigkeit ab. Nach etwa drei Kilometern erreiche ich die Metrostation. Natürlich lasse ich mir ein Foto eines abfahrenden Zuges nicht nehmen. Die Metro will in den kommenden Tagen noch inspiziert werden.

Metro, gelbe Linie

Nur wenige hundert Meter von der Metro entfernt ist ALDI. In Deutschland wäre der Satz schön zweideutig, doch die Metro ist hier eindeutig ein Transportmittel. Im Inneren bietet ALDI keine Überraschungen. Davor ist eine Bushaltestelle. In etwa einer Viertelstunde soll von hier ein Bus zur Marina fahren. Der Hafenmeister hat mir geraten, nach einem gemütlichen Spaziergang zum Supermarkt einfach ein Taxi zu nehmen. Das sehe ich aber gar nicht ein. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit AIS-Stalking. Die Lycka ist in der Anfahrt auf Newcastle. Der Bus bringt mich zu einer anderen Haltestelle, die keine fünf Minuten von der Marina entfernt ist. Alles im grünen Bereich, in Oranjestad musste ich ein ganzes Stück weiter laufen. Ich schaue noch kurz beim Hafenmeister rein und bitte ihn, die Lycka zu mir an den Steg zu legen.

Lycka und Sissi

Die Wiedersehensfreude ist groß. Auf meinem langen Schlag von Peterhead nach Newcastle habe ich sie einfach überholt. Die Lycka fährt immer nur kleine Stücke und tagsüber. Auf diese Weise sehen die beiden zwar viele Marinas, aber auch nicht mehr von der Gegend als ich. Die Lycka wird am nächsten Morgen mit der passenden Tide weiterfahren, ich bleibe noch.

Eine Seefahrt, die ist lustig

Sissi ist klar zur Abfahrt. Die Tide ist klar zur Abfahrt. Nur der Wind ist es nicht. Er drückt mich immer wieder in die falsche Richtung auf den Steg. Eigentlich habe einen Plan, meine Box in Peterhead zu verlassen. Nur der Wind spielt nicht mit. Wie zum Geier soll ich die Vorleine und die Achterleine einigermaßen gleichzeitig lösen? Meine Rettung ist am anderen Ende der Marina. Ich sehe ein aus dem Caledonian Canal bekanntes Gesicht. Der Besitzer der Rawanna ist gerade auf seinem Boot bei der Arbeit. Das Boot bleibt über den Winter in Peterhead und er schlägt die Segel ab. Natürlich hilft er mir. Über Funk hole ich mir die Erlaubnis, die Marina zu verlassen. Das ist in Peterhead Vorschrift. Ich soll wegen der großen Pötte, die gerade manövrieren, noch eine Viertelstunde warten. Zeit für einen Schnack.

Große Pötte in Peterhead

Bei meinem zweiten Versuch bekomme ich die Erlaubnis. Das Ablegen klappt wunderbar, ich bin wieder unterwegs. Schnell kann ich den Hafen verlassen und der Tidestrom schiebt mich sofort wunderbar an.

Leuchtturm an der Hafeneinfahrt bzw. Ausfahrt

Wie schön ist es doch, draußen auf dem Atlantik für Stunden, Tage oder Wochen geradeaus zu segeln. Dort draußen ist nichts. Dort ist man alleine unterwegs. Hier ist jede Menge Verkehr. Kleine Fischerboote bringen Segelbootfallen aus. Zwei Frachtschiffe kommen mir mit dem Ziel Peterhead entgegen. Doch schon nach einer guten Viertelstunde bin ich frei von den vorgelagerten Riffen und kann Segel setzen. Der Motor schweigt. Es ist ein schönes Gefühl, nachdem die letzten beiden Etappen ausschließlich Motorfahrt waren.

Eineinhalb Knoten Tidestrom, der Rest ist Windkraft

Wieder einmal überkommt mich etwas Wehmut. Nun verlasse ich Schottland und nehme Kurs auf England. Die Zeit in Schottland war schön, ich bereue den Umweg durch den Kanal nicht. Ganz im Gegenteil! Gestern Abend habe ich mich aufgrund der Wettervorhersage entschieden, nicht den direkten Kurs nach Holland zu nehmen, sondern erst einmal nach Newcastle upon Tyne zu segeln. Der Wind soll die meiste Zeit in ausreichender Menge und aus einer günstigen Richtung wehen. Die letzten Meilen werde ich dann motoren müssen, sonst schaffe ich es nicht mehr mit der Tide, den Fluss Tyne hinauf zu fahren. Doch bis dahin liegen noch knapp 150 Meilen vor mir.

Blick zurück nach Schottland

Weiter und weiter entferne ich mich von der Küste und damit auch von den Segelbootfallen. Der Tag verspricht, ein perfekter Segeltag zu werden. Nicht zu viel Wind und nicht zu wenig. Die einzige Konzession meinerseits an die Nordsee ist, dass ich nicht mit dem Windpiloten fahre, sondern den elektrischen Autopiloten einsetze. So hält Sissi immer den Kurs, auch wenn die Segel nicht immer perfekt stehen. Auf diese Weise verspreche ich mir, dass es einfacher sein wird, die Heerscharen von Fischerbooten zu vermeiden.

Noch sieht man die Küstenlinie

BBC sendet immer noch im „Die-Königin-ist-tot-Modus“. Auf ruhige Musik folgen Reportagen über die Aufbahrung in Edinburgh und über die langen Warteschlangen, die sich gebildet haben. Dann kommen wieder O-Töne von Menschen, die sich an ihre persönlichen Erlebnisse mit der Queen erinnern. Langsam bekomme ich den Eindruck, dass die Dame jeden Briten irgendwann einmal persönlich getroffen hat und dass jetzt jeder Brite im Radio sein persönliches Erlebnis erzählt. Auf diese Weise lässt sich natürlich leicht die 10-tägige Staatstrauer überbrücken. Ein Regenschauer zieht durch.

Der Regenbogen nach dem Regenschauer. Wieder einmal sehr schön.

Ich nutze die Zeit des Regens zur Zubereitung meines Abendessens. Immer wieder liest oder hört man, dass man vor mehrtägigen Segeltörns doch sein Essen vorkochen möge. Das müsse man dann nur noch aufwärmen. Ich halt das für Blödsinn. Auf See hat man doch sowieso nichts zu tun. Die Zeit in der Küche ist kurzweilig und man spart sogar noch Geschirr. Wenn ich das Essen vorkochen würde, käme es in eine Tupperdose. Die muss dann zusätzlich gespült werden. Auch der Topf bzw. die Pfanne zum Aufwärmen ist zusätzliches Spülgeschirr. Außerdem weiß ich doch gar nicht, worauf ich übermorgen Lust haben werde. Ich plane ja nicht „Lammsteak mit Gemüse und Bratkartoffeln“, sondern ich habe Zutaten im Boot. Die werden dann nach Lust und Laune verbraten. Ein aufgewärmtes Steak ist nur halb so gut wie das frisch gebratene. Die größte Herausforderung auf See ist außerdem nicht die Zubereitung der Mahlzeiten. Es ist die Nahrungsaufnahme. Die Speisen wollen immer wieder vom Teller herunter springen.

Lammsteak mit Gemüse und Bratkartoffeln mit einer leichten Stilton Käsesauce

Inzwischen kommt der Radiosender nur noch schwach hinein, mehr und mehr stellt sich das Hochsee-Gefühl ein. Das Mobilfunknetz ist schon lange weg. Nur noch Aberdeen Coast Guard meldet sich regelmäßig mit Wettervorhersagen, maritimen Sicherheitsinformationen und Funksprüchen zu Lotsenbooten. Nach dem Abspülen schnappe ich mir ein Buch aus der Bibliothek, das ich noch nicht gelesen habe. „The Curfew“ von T. M. Logan. Schon nach wenigen Seiten entwickelt sich die spannende Geschichte. Ich liebe solche Abende auf See.

Letzter Sonnenuntergang in Schottland.

Nachdem die Sonne untergegangen ist, lege ich das Buch beiseite und versuche, in die Nachtroutine zu finden. Ich stelle den AIS-Alarm an. Richtig müde bin ich noch nicht. Trotzdem schaffe ich das eine oder andere Nickerchen auf der Couch. Es ist wie beim letzten Mal. Kaum bin ich weg gedämmert, schon klingelt der Wecker. Dann folgt ein mehr oder minder ausführlicher Rundumblick, ein Blick auf das AIS und die Routine beginnt wieder von vorne. Ab auf die Couch. Gegen 22:30 Uhr ist plötzlich richtig viel los auf meinem AIS-Bildschirm. Jede Menge Fischerboote scheinen ihre Arbeit zu verrichten. Ich klicke die beiden mir nächsten Schiffe an und habe sofort die Bestätigung. „Fischereifahrzeug“ steht in der Beschreibung. Klar, die See ist hier ein wenig flacher. Fischer sind immer dort in größeren Mengen zu finden, wo sich die Wassertiefen ändern. Ich sehe aber keine Probleme, mich durch den Fischer-Schwarm hindurch zu mogeln.

Jede Menge Ziele auf dem AIS

Ein Alarm weckt mich. Es ist nicht der AIS-Alarm und nicht der Wecker. Der Autopilot schlägt an und kann den Kurs nicht mehr halten. Warum? Wir haben doch genug Wind. Ich steige ins Cockpit und sehe die Katastrophe. Die Genua schwimmt neben Sissi im Wasser. Offenbar ist das Genuafall gerissen, das Seil, das das Segel nach oben zieht. Also muss ich das Großsegel ebenfalls runter nehmen, damit Sissi stehen bleibt. Dann darf ich auf dem schaukelnden Vordeck die Genua Stück für Stück an Bord ziehen. Eine Heidenarbeit, denn im Segel sammelt sich immer wieder kiloweise das Nordseewasser. Dann binde ich das Segel noch längs der Reling fest und ziehe das Groß wieder hoch. Erschöpft falle ich wieder auf die Couch. Wenige Minuten später knistert das Funkgerät. Ich höre, dass Sissi gerufen wird.

1.) Fischer
2.) Genua fällt ins Wasser
3.) Ich muss den Kurs ändern
4.) Wachboot
5.) Baustelle einer Windmühle

Kann man denn nie seine Ruhe haben? Ich gehe ans Telefon – äh – an den Funk. Eine Stimme mit osteuropäischem Akzent und ohne die hier sonst gewohnte britische Höflichkeit stellt sich mir als Wachboot vor. Die Stimme fragt mich, ob ich mir im Klaren darüber bin, das ich gerade in eine Windpark-Baustelle hinein segele. Bin ich mir nicht, sonst hätte ich es nicht getan. Das ist aber nicht meine Antwort. Ich antworte höflich und entschuldige mich. Das Wachboot gibt mir die Koordinaten zweier AIS-Bojen durch, um die ich östlich herumfahren muss. Ich markiere die Positionen auf meiner Karte und fluche innerlich. Auf diesem Kurs kann ich mit dem verbliebenen Segel keinen Stich mehr machen. Also kommt das Groß wieder herunter und der Mercedes wird geweckt. Dass die Bojen auf dem AIS senden würden, halte ich aber für ein Gerücht. Ich kann sie nämlich nicht sehen. Während ich um die Begrenzung herum dampfe, bleibt das Wachboot immer in der Nähe. Dann endlich kann ich wieder auf die Couch. Bevor ich wieder ein paar Minuten schlafe, mache ich mir noch Gedanken über aktuelle Seekarten. Meine neueste Seekarte ist vier Jahre alt. Die andere ist 12 Jahre alt. Doch eine solche Wachboot-Geschichte habe ich auch schon von der Lycka gehört. Die ist mit aktuellen Seekarten ausgestattet.

Die Genua ist provisorisch gesichert.

Am folgenden Morgen wäre der Motor sowieso zum Einsatz gekommen. Der Wind hat stark nachgelassen, der Seegang auch. Unter den jetzigen Bedingungen wäre es viel leichter gewesen, die Genua aus dem Wasser zu fischen. Pech. Nach dem Morgenkaffee nehme ich mir wieder mein Buch zur Hand. Es ist wunderschönes Wetter, die Sonne scheint. Ich komme der englischen Küste näher und näher. Irgendwann habe ich wieder Fetzen vom Mobilfunknetz. Es entwickelt sich ein Chat mit Gregor aus Frankfurt, der mich in Holland besuchen will. Er will vor dem Winter noch eine Runde auf Sissi drehen. Ich frage ihn, ob er in seinem Urlaub nicht Lust hat, nach Newcastle zu kommen und mich über die Nordsee zu begleiten. Er hat Lust. Damit werde ich die letzten 300 Meilen wieder einen Partner an Bord haben.

Aidasol hat Newcastle verlassen.

Bei der Anfahrt auf den Tyne-Fluss kommt mir noch das obligatorische Kreuzfahrtschiff entgegen. Außerdem darf ich meinen ersten Sonnenuntergang in England erleben, denn inzwischen hat der Tidestrom gedreht und bremst meinen Landeanflug.

Sonnenuntergang kurz vor Newcastle

Leider wird mir flussaufwärts die Strömung voll entgegen kommen, denn das Hochwasser ist jetzt seit einer halben Stunde vorbei. Eigentlich wollte ich nicht in die Royal Quays Marina neben dem Fähranleger für die Fähre aus Amsterdam. Die Marina ist irgendwo im Industriegebiet, in der Mitte von Nirgendwo. Doch die der Innenstadt nähere St. Peter’s Marina kann ich bei dieser Tide nicht mehr erreichen. Also nehme ich, was ich bekommen kann. Zuerst melde ich mich bei Tyne VTS (Kanal 12) an, der Verkehrsleitstelle für den Fluss Tyne. Dort erhalte ich die gute Nachricht, dass ich mit keinerlei Verkehr rechnen muss. Dann rufe ich die Marina auf Kanal 80. Mir wird eine sofortige Einfahrt in die Schleuse versprochen. Angesichts der hohen Kaimauern bitte ich um eine helfende Hand. Bei der Einfahrt in die Schleusenkammer muss ich dann fast lachen. Darin befindet sich ein Schwimmsteg. Es ist die komfortabelste Schleuse, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Hier hätte ich keine Hilfe gebraucht.

Sissy-Schleuse für Sissi

Der Schleusenwärter gibt mir noch einen Lageplan und die Codes für die Eingangstür, das WiFi und die Duschen. Außerdem weist er mir einen Platz zu und schleust mich anschließend nach oben. Ich mache am Kopf von Steg D fest, hier hätte Sissi zweimal dran gepasst. Angekommen. Ich trinke noch ein Anlegerbier, dann falle ich müde in meine Koje.