Segler in der Karibik

Jens und ich leben gut auf unserem kleinen Planeten. Sissi liegt sicher im Hafen, die Supermärkte um uns herum haben geöffnet und die Regale sind voll. Wir sind gesund. Wir haben Freunde im Hafen, können Gespräche führen. Ein guter Metzger ist bequem zu Fuß erreichbar und den Hotelstrand haben wir für uns alleine.

DIe Metzgerei. Jeder Kunde darf eine Nummer ziehen und muss dann draußen warten, bis die Nummer aufgerufen wird. So wird vermieden, dass zu viele Menschen gleichzeitig im Laden stehen.

Am Hotelstrand werden wir auch nicht weggejagt. Inzwischen kennen wir alle Sicherheitsleute und die Sicherheitsleute kennen uns. Sogar ein nächtlicher Spaziergang am Wasser entlang ist während der Ausgangssperre möglich, denn der Weg wird durch mehrere Stockwerke Luxusbeton von den Blicken eventuell vorbeifahrender Polizisten abgeschirmt.

Das Ferienhotel macht Ferien. Ganz besonders bei Dunkelheit, wenn auf der ganzen Insel Ausgangssperre ist. Wir haben es gut.

Auf anderen Inseln sieht es anders aus. Wir sind in Kontakt mit Seglern auf verschiedenen Inseln. Auf Martinique liegt noch die Joint Venture II. Dort gibt es eine strenge Ausgangssperre, die Segler dort können ihre Boote nur aus wichtigem Grund verlassen. Da gehört ein Spaziergang nicht dazu. Die Supermärkte sind nur noch am Vormittag geöffnet und in den Regalen klaffen schon Lücken. Dennoch scheint Martinique noch attraktiv zu sein.

Attraktiv für Segler, die sich derzeit auf Grenada befinden, wie die Lucky Star. Dinge des täglichen Bedarfs gibt es dort zu kaufen, sonst ist aber nicht viel im Supermarkt zu finden. Das Boot für eine Atlantiküberquerung auf Grenada zu bevorraten erscheint unmöglich. Deswegen versuchen sie, die Erlaubnis zur Einreise nach Martinique zu bekommen, um dort ihre Vorräte zu ergänzen.

So geht es rundherum um die gesamte Karibik bis nach Kolumbien und Panama. Die einzelnen Segler haben einen mehr oder weniger günstigen Platz gefunden, um die nächsten Wochen zu überstehen. Die meisten sind durch Zufall an ihrem Ort gestrandet. Eine Rückfahrt nach Europa ist etwa ab Mitte April möglich. Bis dahin müssen die Boote vorbereitet werden.

Oft fehlt auch Crew. Es gibt einige Boote, deren Crewmitglieder nach Hause geflogen sind. Es hätten neue Crewmitglieder einfliegen sollen, was aber im Augenblick bekanntermaßen nicht geht. Da sitzt oft nur noch der Skipper an Bord und harrt der Dinge. Vor dem Flughafen von Aruba liegt noch ein deutsches Boot, die Tortuga. Deren Skipper ist ohne seine Crew einigermaßen aufgeschmissen, er muss aber trotzdem seine Rückfahrt planen.

Die Rückfahrt könnte beschwerlicher werden als üblich. Normalerweise machen Segelboote, die den Atlantik von West nach Ost überqueren, auf Bermuda, den Azoren und manchmal Madeira einen Zwischenstopp. Einerseits will man die schönen Landschaften nicht auslassen, andererseits ist es gut für die gesamte Crew, wenn man mal ein paar Nächte richtig ausschlafen kann.

Um es kurz zu machen: Bermuda hat die Grenzen geschlossen. Madeira ebenso. Auf den Azoren ist mit besonderer Erlaubnis ein Tankstopp und Bevorratung möglich. Das Boot darf dabei nicht verlassen werden. Es wird unangenehm.

Schlimmstenfalls müssen wir alle die 5500 Meilen nach Deutschland ohne Zwischenstopp segeln. Das wären dann ca. 50 Tage auf See. Unangenehm.

Innerhalb weniger Tage hat sich unter den gestrandeten Seglern eine WhatsApp-Gruppe gebildet. Über 100 Teilnehmer schaffen es dort im Augenblick noch, eine einigermaßen konstruktive Diskussion zu führen. Immerhin war es auf diesem Weg möglich, einige Daten zu Schiff und Crew an deutsche Behörden zu schicken. Die deutschen Außenpolitiker sollen sich darum kümmern, dass die Jachten auf der Heimreise auch in Bermuda und Madeira einlaufen kann. Immerhin ist ein Vertreter des diplomatischen Korps mit in der Gruppe. So viel zu einer einigermaßen brauchbaren Aktion. Wie ich zu der Online Petition stehe, weiß ich noch nicht. Verproviantieren muss man sowieso für den Fall der Fälle – also bis Deutschland. Ein Boot in Seenot werden sie sicher nicht abweisen.

Segler in der Presse
Focus zur Problematik gestrandeter Segler
Floatmagazin: Fluch der Karibik
Spiegel: Gefangen im Paradies
FAZ: Geleitzug aus der Karibik?

Unsere Sissi hat genug Vorräte, wir können zur Not die 5500 Meilen segeln. Dieses Wissen ist sehr, sehr beruhigend. Deswegen können wir uns entspannen und manchmal noch eine der wenigen Attraktionen, die noch geöffnet haben, besuchen.

Der Flamingo ist sehr zutraulich. Er muss nicht einmal gefüttert werden, sondern kommt auf den ausgestreckten Finger geflogen.

Attraktion. Die Latte hängt niedrig. Ein Hotelresort hätte ich vor der Seuche niemals als Attraktion bezeichnet. Noch vor ein paar Tagen war hier mehr los. Die hoteleigene Insel mit vielen Flamingos und Pelikanen war noch geöffnet, wenn auch nur für ein Dutzend Gäste. Leider ist sie inzwischen geschlossen. Wir hatten viel Spaß mit den Vögeln.

Für einen Vierteldollar bekommt man an einer Art Kaugummiautomaten Pellets, mit denen man die Vögel füttern kann. Das wissen die Vögel natürlich auch. Kaum dreht man einen Vierteldollar in den Automaten, stürzen sich unzählige Antillenkrakel und Tauben auf den ahnungslosen Menschen. Wir haben uns für einen Dreivierteldollar Spaß gekauft und ein kleines Video gedreht. Viel Spaß dabei.

Außerdem gibt es auf der Insel eine hervorragende Dusche. Sie schlägt die Personaldusche des Hotels, die wir mitbenutzen, um mehrere Flamingohalslängen. Ein paar Unbequemlichkeiten müssen wir doch erleiden.

Bescheuertes Selfie mit einem Pinguin.

Email von der Bundespolizei

Ich habe folgende Mail von der Bundespolizei bekommen. Solltest du auf deinem Boot in der Karibik festsitzen und nichts von dieser Mail wissen, die an viele Boote gegangen ist, kann ich dir gerne den Kontakt vermitteln. Ich möchte die Mailadresse des Absenders nicht auf die Webseite stellen.


Unterstützung deutscher Staatsangehöriger im Ausland
Liebe Segelfreunde,

wir sind Mitarbeiter des Piraterie-Präventionszentums (PPZ) der Bundespolizei und sind der zentrale Ansprechpartner für die deutsche Sportschifffahrt auf ihren Reisen rund um die Welt.

Durch Wolfgang BEE haben wir Ihre Erreichbarkeiten erhalten. In einem telefonischen Gespräch erläuterte Herr BEE die aktuelle Problematik der geschlossenen Häfen in der Karibik und die Überlegungen Einzelner ggf. zurück nach Deutschland zu fliegen.

Wir werden Ihre Daten von unserer Dienststelle weiter an das Auswärtige Amt steuern. Hierfür benötigen wir weitere persönlichen Daten (Name, Vorname, Geburtsdatum und Anschrift) aller sich an Bord befindlichen Personen. Weiterhin benötigen wir Ihre MMSI oder ein anderweitiges Unterscheidungssignal.

Sollten Sie die Möglichkeit einer Rückholung in Erwägung ziehen, verweisen wir Sie auf die offizielle Seite des Auswärtigen Amtes und die dortige Rückholaktion.

https://www.auswaertiges-amt.de/de/

Weiterhin empfehlen wir Ihnen, sich über die deutschen Stützpunkte von Trans Ocean, Informationen vor Ort einzuholen. Die deutschsprachigen Ansprechpartner haben eventuell Mittel und Wege oder auch Kontakte, die Ihnen kurzfristig weiterhelfen können.

Wir haben Ihnen unten eine Liste mit Adressen und Ansprechpartnern zusammengestellt.
(Es folgt eine Liste mit Konsulaten und Honorarkonsuln für die hiesige Region.)

Wir benötigen auf jeden Fall eine Rückmeldung von Ihnen.

Direktionsbereich
Bundespolizei See
Piraterie-Präventionszentrum
180702 PPZ
Neustadt, 26.03.2020
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag