Perfekter Wind

Es ist mal wieder so weit. Wir wollen los. Heute ist ein besonderer Tag, denn wir verlassen das kontinentale Europa. Eine besondere Stimmung. Nervenkitzel und doch Normalität. Sissi ist bereit, wir haben alles geprüft. Das Rigg ist gecheckt, der Motor auch, die Vorratslasten biegen sich und der Frischwassertank ist auch voll. Was kann da noch schief gehen?

Windvorhersage für heute

Natürlich kann alles schief gehen. Wir sind aber zuversichtlich. Nicht nur für heute, auch für die nächsten Tage wird schöner Wind aus der richtigen Richtung vorhergesagt. Wir erwarten zwischen 15 und 25 Knoten Wind aus nördlichen Richtungen, können also bequem vor dem Wind fahren – unsere Lieblingsrichtung. Wir erwarten, irgendwann im Laufe des Sonntags wieder Land zu sehen. Die Kanaren.

Dort waren wir beide noch nicht. Als Flugverweigerer wollte ich dort niemals hin. Hier in Lagos wurde es in den letzten Tagen kalt und regnerisch. Ich habe heute Nacht sogar mal wieder die Winterdecke aus ihrer Versenkung geholt. Das wird sich ändern, denn angeblich herrscht auf den Kanaren „ewiger Frühling“. Mal sehen, wie sich das so anfühlt.

Mittwoch

Uns stehen fünf Tage ohne Internet bevor. Fünf Tage Dauerbetrieb des Schiffs. Fünf Tage abwechselnd schlafen und wach sein. Fünf Tage Wind, Wellen, Bewegung im Schiff, Lärm aus der Takelage und Knarzen der Inneneinrichtung. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Atlantiküberquerung im kommenden Monat und doch ein großer Schritt auf unserer Reise.

Die Windvorhersage ist für die kommenden Tage ziemlich stabil. Wir beobachten das nun schon einige Zeit und sehen auf dem Nordatlantik dicke, fette Tiefdruckgebiete, die in Richtung Nordeuropa ziehen. auf deren Rückseite bläst unser Wind. Unser perfekter Wind.

Donnerstag

Jetzt gehen wir noch einmal unter die Dusche, das ist die letzte warme Dusche bis zu den Kanaren. Anschließend ist Abfahrt. Wir fahren mal wieder in den Sonnenuntergang.

Freitag

Es ist noch sehr voll auf den Kanaren. Wir konnten in keiner Marina einen Liegeplatz reservieren und hoffen darauf, Sissi irgendwo in der Nähe einer Dusche festmachen zu können. Noch ist die ARC nicht gestartet, es liegen noch mehrere hundert Boote in Las Palmas auf Gran Canaria, die gegen Ende des Monats über den Atlantik wollen. Doch den guten Wind können und wollen wir nicht auslassen. Einen solch perfekten Wind werden wir auf absehbare Zeit nicht mehr bekommen.

Wieso ich so über die Vorhersage schwärme? Weil wir ausnahmsweise zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Weil die Vorhersage ausnahmsweise so unglaublich stabil ist. Und weil ich die Nase voll von Lagos habe.

Ferry Cat

Nur von den süßen Katzen haben wir die Nase nicht voll. Da würden wir uns noch ein paar einpacken wollen, wenn es denn machbar wäre.

Auf geht es zu neuen Ufern!

DHL – Die Historische Langsamkeit

Es ist endlich da! Das letzte Paket, auf das wir hier in Lagos gewartet haben. Es war 11 Tage unterwegs von Frankfurt am Main, seit es unsere Eltern aufgegeben haben. Wir hatten es auch fast schon aufgegeben zu warten, Susanne hat uns angeboten, es uns zu den Kanaren nachzuschicken.

Endlich angekommen!

Der Inhalt wird uns einige Wochen weiter bringen, es ist voll mit leckerem Kaffee unserer Lieblingsrösterei. Vielen Dank an unsere Eltern für die leckeren Bohnen.

Laut Google Maps sind es von Frankfurt nach Lagos etwa 2500 Kilometer, die mit dem Auto in 24 Stunden zurückgelegt werden können. Der LKW von DHL fährt sicherlich etwas langsamer und so ein Paket möchte auch noch sortiert, gescannt und liegengelassen werden. Mit 10 Tagen rechnet es sich angenehmer. 2500 Kilometer in 240 Stunden sind immerhin fünfeinhalb Knoten Geschwindigkeit. Damit war das Paket mit Sissi-Reisegeschwindigkeit unterwegs durch Europa.

Algarve

Wir seien in einer der schönsten Ecken Europas, hat mir mein ehemaliger Arbeitskollege Marco geschrieben. Irgendwie hat er damit recht. Hier an der Algarve ist die Küste wirklich wunderschön.

Steilküste zwischen Lagos und Portimao

Wir genießen auch die tollen Farben, die etwa die untergehende Sonne an die Wolken malt. So stellt man sich das vor. Das ist die pure Entspannung, man kann die Seele baumeln lassen.

Sonnenuntergangskitsch

Meine persönliche Meinung ist aber, dass es hier zu viele Touristen gibt. Wenn wir durch die Straßen gehen, hören wir vor allen Dingen zwei Sprachen – Englisch und Deutsch. Wahrscheinlich sind etwa die Hälfte der Touristen aus Großbritannien, ein weiteres Drittel kommt aus Deutschland. Auch im Oktober bzw. November sind die Straßen hier gestopft, voll mit Touristen.

Touristenmeile in der Innenstadt

Auch in der Marina bleiben wir davon nicht verschont. Alle paar Minuten startet ein Boot mit Touristen, die dann die Steilküste entlang fahren und die Grotten besuchen. Hier geht es immer noch rund!

Grotto Trips

Wenn wir mit dem Segelboot die Küste entlang fahren, haben wir natürlich den umgekehrten Blick, den ein Tourist aus dem Hotelzimmer hat. Dann sehen wir, welche grauenhaften Auswirkungen der Massentourismus auf eine wunderschöne Landschaft haben kann.

Mmpf. Wie schön könnte diese Küstenlinie sein.

So langsam werden wir Europa überdrüssig. Dort, wo das Wetter im allgemeinen warm und angenehm ist und die Landschaft eigentlich eine dramatische Schönheit haben könnte, waren die Betonmischer schon Jahrzehnte vor uns. Das war in Schottland anders, dort ist das Wetter selten so, dass es die Touristen in Scharen anzieht. Aber in Frankreich, Spanien und Portugal wurde die Küstenlinie gewaltig umgestaltet.

Es ist hier in der Ecke aber immer noch schöner, als es an vielen anderen Orten ist. Wer einen Ort sucht, an dem er dem deutschen Herbstwetter entfliehen kann, ist hier ganz gut aufgehoben.

Heute habe ich übrigens endlich mal die Seite zu Lagos aktualisiert. Dort findest du noch ein paar Bilder aus dem Ort.