Wie vermeide ich Seekrankheit?

Der eine wird seekrank, der andere nicht. Mancher nur manchmal, andere öfter. Woran liegt das? Es ist großteils Veranlagung. Es hängt vom Wetter ab, ich habe schon mehr Menschen bei Windstille kotzen sehen als bei Starkwind.

Rezept gegen Seekrankheit
Abends früh ins Bett, wenig Alkohol.
Ausschlafen.
Gut Frühstücken.
Genug trinken und unterwegs immer wieder essen.

Dieses Rezept hat in den meisten Fällen funktioniert. In vielen Fällen, in denen es nicht beachtet wurde, half am nächsten Seetag nur der Eimer.

Auf hoher See

Der Wind pfeift, sanft zischt das Schiff angenehm schaukelnd durch die Wellen, es ist ruhig. Die weißen Segel sind prall gefüllt. Die Sonne scheint vom blauen Himmel. Am Horizont ziehen die Möwen durch die Luft. Gelegentlich sieht man die Rückenflossen einer Delphinschule. In der Hand einen gekühlten Cocktail.

So oder so ähnlich mag sich der eine oder andere Anfänger das vorstellen, insbesondere wenn er noch nie auf einem Segelboot war. So sieht man es auch in den Prospekten der Hersteller von Segelbooten. Das ist jedoch Bullshit.

Der Wind passt eigentlich fast nie. Entweder gibt es zu viel Wind oder zu wenig. Bei zu wenig Wind torkelt das Schiff durch die Wellen, weil die Spannung fehlt, für die sonst die Segel sorgen. Weht zu viel Wind, sticht das Schiff oft in die Wellen hinein, es gibt heftige Schläge.

Manchmal scheint die Sonne. Dann brennt sie vom Himmel, wird vom Wasser gespiegelt und man muss die Augen zukneifen, um geblendet zu werden. Die Sonnenbrillen helfen nur bedingt. Manchmal regnet es. Dann sitzt man in Regenklamotten da und sucht zwischen den Böen den Frachter, den man eben noch auf dem AIS gesehen hat. Ein wolkenverhangener, bedeckter Himmel ist mir persönlich am liebsten.

Ruhig ist es auf keinen Fall. Im Frischwassertank schwappt das Wasser. Die hölzerne Innenverkleidung knarzt mit der Außenschale des Schiffs um die Wette. Ab und an schlagen Wellen gegen den Rumpf, das tut dumpfe Schläge. Wenn das Schiff zu hart in die Wellen einsetzt, kracht es wie ein starker Hammerschlag. Oft schlägt die Schiffsglocke laut an. Im Hintergrund hört man kontinuierlich das Wimmern des elektrischen Autopiloten. Bei Rollbewegungen klirren alle Gläser im Regal. Läuft der Motor, kommt auch noch das beständige Dröhnen des Diesels hinzu. Stunde für Stunde. Tag und Nacht.

Die Entspannung wird oft zu Langeweile. Bei einer kleinen Crew von zwei Personen ist man permanent müde, weil es nicht genug Schlaf gibt. Man muss aufmerksam sein, läuft aber immer wieder Gefahr, in den Schlaf zu fallen. Das ist schlecht, dann fährt man vielleicht andere Boote über den Haufen oder wird selbst zu Klump gefahren. Immer wieder muss man rundum schauen, ob sich nicht ein anderes Schiff verbirgt. Das ist fast nie der Fall, deswegen will der Körper wieder dösen, schlafen, ausruhen.

Alte Dünung, also bewegte See, ist oft noch tagelang im Wasser zu spüren. Dazu wird die See durch den aktuellen Wind bewegt. Die sanfte Schaukelbewegung wird zu einer harten Schüttelei. Jede Bewegung, die man im Schiff macht, führt zu blauen Flecken. Irgendwo ist immer eine Kante, an der man sich stoßen kann.

Jens ist benachteiligt. Wenn wir wenigstens drei oder vier Tage im Hafen waren, ist jeder Tag auf See wie der erste. Es fühlt sich für ihn an, als wäre es ein neuer Segeltörn. Deswegen lohnt es sich auch gar nicht, am ersten Seetag den großen Küchenzauber zu veranstalten. Mit dem Zeug werden doch die Fische gefüttert. Also gibt es am ersten Seetag Konserven, die dann nicht lange drin bleiben. Danach ist das vorbei, dann erträgt Jens die unangenehmsten Roll- und Stampfbewegungen und kann dabei Zwiebeln und Fleisch anbraten. Der erste Tag aber ist immer zum K*****.

Das Ziel kommt nicht näher. Bei einer Geschwindigkeit von fünf Knoten braucht man für eine Strecke von 250 Meilen etwa 50 Stunden. Dann sieht man auf dem Kartenplotter, wie jede Zehntelmeile heruntergezählt wird. Das kann an den Nerven sägen, besonders wenn man nicht auf die fünf Knoten kommt, wenn man bei Gegenwind aufkreuzen muss und sich effektiv nur mit zwei Knoten auf das Ziel zubewegt. Wenn die Tideströmung von den fünf gesegelten Knoten wieder zwei wegnimmt. Oder wenn alles das zusammen kommt, wenn man auf der Stelle segelt. Irgendwann kommt man trotzdem an.

Warum tun wir uns das an?

Weil es toll ist. Die Weite der See zu sehen, die Leere zu spüren. Die Belohnung ist dann zum Beispiel der tolle Anblick, wenn sich das Licht der Nachmittagssonne im Wasser spiegelt und rundherum nur der Horizont ist. Wenn ein Dutzend Delphine mit dem Schiff spielen. Dann leben wir den Augenblick. Dann stellt sich eine grenzenlose Entspannung und innere Ruhe ein.

Geschüttelt, nicht gerührt

Dieser Bericht entsteht gerade live auf der Überfahrt von Peterhead nach Inverness. Es ist Dienstag, der 25. Juni und kurz vor 13 Uhr Ortszeit.

Wir sind seemännisch die letzten Vollspackos. Also in echt. Nach dem gestrigen Studium der Wetterkarten und Tideströmungen wollten wir unter Motor von Peterhead bis Fraserburgh fahren, um dann dort bei passender Windrichtung und -Stärke den Parasailer herauszuziehen. Aus diesem Grund haben wir es auch nicht für nötig befunden, die Genua betriebsfähig zu machen oder das Groß klar zum Setzen zu halten.

Jetzt haben wir den Salat. Selbstverständlich wäre der Wind in Richtung und Menge mit dem Parasailor machbar, dann wäre auch Ruhe im Schiff. Auch mit der Genua könnten wir den Wind nutzen und Ruhe in den Kahn bringen. Der Wind aus nördlichen Richtungen sorgt aber dafür, dass hier eine perverse Welle steht – die Mitfahrer vom letztjährigen Schottlandtörn werden das noch kennen. Wir können nicht vor zum Bug kriechen und die Genua gangbar machen, die Gefahr ist zu groß, dass einer über Bord geht. Also arbeitet Onkel Benz weiterhin unter großer Lärmentwicklung.

Befreit vom Frühstück

Wenn man (wie ich) gerade unter Deck sitzt, ist das so ein wenig wie das Gefühl, ein Würfel in einem Knobelbecher zu sein. Wir werden geschüttelt. Jens hat die letzten Stunden mit einem flauen Gefühl im Cockpit verbracht, dann war es nach einer Kursänderung plötzlich so weit. Sein Frühstück und er gehen fortan getrennte Wege. Hoffentlich bringt ihn der Schlaf in seiner Koje wieder hoch.

Und die Moral von der Geschichte? Ganz einfach: In Zukunft haben wir immer mindestens ein Segel klar, so dass wir Ruhe in den Kahn bringen können. Die Unterwegs-Häfen Fraserburgh, Whitehills u. A. können wir bei dieser Windrichtung und Welle wahrscheinlich nicht sicher anlaufen, der Reeds rät davon ab. Also Augen auf und durch! In spätestens 10 Stunden ist der Spuk vorbei.

Ende des Live-Berichts von unserer Überfahrt.

Nachtrag: Wir konnten Whitehills doch anlaufen. Ein Telefonat mit dem Hafenmeister hat Klarheit gebracht. Für alle, die an Jens’ Problemen teilhaben möchten, habe ich hier ein kleines Filmchen von der Situation. Hätten wir wenigstens einen Fetzen Segel setzen können, wäre alles halb so wild geworden.

Geschüttelt