Hart am Wind (Windjammer)

Der Wind kachelt. Wenn ich mich in den letzten Tagen darüber beklagt habe, dass wir zu wenig Wind haben, ist das jetzt genau das Gegenteil. Der Wind bläst ordentlich. Nur leider kommt er mal wieder fast aus der Richtung, in die wir gerne fahren würden. Also müssen wir die Zähne zusammenbeißen und Sissi so dicht wie möglich an den Wind bringen. Nicht den maximal möglichen Kurs, das wäre zu unkomfortabel. Wir müssen das austarieren und einen Kompromiss zwischen dem gewünschten Zielkurs und einem einigermaßen komfortablen Kurs finden. Im Moment ist es schrecklich unkomfortabel.

Die Wellen spülen über das Vordeck und erinnern mich an meine Versämunisse. Ich wollte vor der Abfahrt die Lüfter zugeklebt haben. Da habe ich aber vergessen, also tropft es regelmäßig aus den Lüftern in den Salon. Es ist lange nicht so schlimm, wie bei der Rückfahrt aus Kuba. Damals war Sissi eine Art Tropfsteinhöhle. Dort, wo ich das Deck abgedichtet habe, kommt fast nichts mehr durch. Nur eine von sechs Durchführungen macht noch Probleme, da werde ich nacharbeiten müssen. Leider kann man die Dichtigkeit mit dem Wasserschlauch nur bedingt prüfen, der Atlantik ist der ultimative Prüfer.

Wir fahren mit 15° bis 20° Schräglage. Das ist zu viel, da fährt Sissi weder komfortabel noch schnell. Immer wieder reffen wir die Genua ein Stück, die Antwort des Windes lässt nicht lange auf sich warten. Er nimmt einfach zu. Das Groß ist seit der Abfahrt in Guadeloupe im ersten Reff. Wir haben ein Bindereff, also müssen wir richtig arbeiten, wenn wir weiter reffen wollen. Dazu muss jemand an den Mast und das ist in der derzeitigen Situation mit zwei bis drei Meter Wellen nicht einfach und ungefährlich ist es auch nicht. Mit zunehmendem Wind kontrollieren wir nicht mehr den Kurs, inzwischen kontrolliert der Wind uns, die Wellen werfen uns dabei hin und her.

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Wir überlegen vor dem Wind abzulaufen. Dann ist es aber auch nicht leicht, das Großsegel zu reffen, schließlich fällt der Wind dann voll von hinten ein. Eigentlich ist es eine Schnapsidee. Der Wind würde den Baum hin- und herwerfen, von den Wellen einmal ganz zu schweigen. Wir haben keinen Windmesser, aber wenn das Ampèremeter 20A Ladestrom vom Windgenerator zeigt, haben wir Windstärke sechs. in den Spitzen sehe ich sogar 24A Ladestrom, das ist beinahe das Maximum. Bei 25A haben Windstärke 7. Mehr kann er nicht, mehr will ich aber auch nicht segeln.

Der Arbeitskreis beschließt, erst einmal eine neue Wetterkarte herunterzuladen, die soll kleinräumig und mit hoher Auflösung sein. Vielleicht sehen wir darauf die Lösung. Außerdem schicke ich noch ein paar Mails an erfahrenere Segler als ich es bin. Vielleicht hat jemand einen Tipp. Während ich grüble, verkriecht sich Jens in seiner Koje. Schlaf ist immer gut, wir sind sowieso zu müde.

Es ist faszinierend. Überall tost der Wind, doch immer wieder tun sich auf der genaueren Karte blaue Flecken auf. Windtote bzw. windarme Zonen innerhalb eines riesigen Tiefdruckwirbels. Wie sie hier inmitten des Ozeans zustande kommen, kann ich mir nicht erklären. Eine der Zonen ist gar nicht so weit von unserer Position entfernt. Wir können innerhalb der kommenden Stunde in den Einflussbereich kommen. Ich zupfe an der Windfahne und hoffe, dass mir noch etwas Kontrolle über den Kurs verblieben ist.

Tatsächlich nimmt der Wind innerhalb einer halben Stunde auf 15A ab, dann auf 10A, dann geht er runter auf 8A. Das ist mir genug. 8A sind etwa 4-5 Windstärken. Ich hole Jens aus der Koje und er ist von meinem Plan überzeugt. Wir packen uns beide in die Regenklamotten ein, immer wieder kommt das Wasser über das Deck gespritzt. Jens geht freiwillig an den Mast, das ist vermutlich die bessere Option. Ich habe mehr Erfahrung darin, Sissi zu steuern. Ich starte den Motor, hänge die Windfahne aus und halte das Boot von Hand im Wind. Wow, ein immenser Druck ist auf dem Ruder. So viel Druck kenne ich sonst nur vom Rückwärtsgang. Hier halten wir uns nicht an die spritsparenden 1000 Umdrehungen, der Motor wird härter gefordert. Jetzt freue ich mich über die durstigen 94 Pferdchen, die Sissi auch in diesem Wind locker auf Kurs halten.

Das Groß kommt runter. Jens bindet es am Baum fest, während ich krampfhaft versuche, nicht den Kurs zu verlieren. Der Plan geht auf. Nach nur 45 Minuten Arbeit ist das Groß eingepackt und der Motor schweigt wieder. Jetzt fahren wir mit 10° Schräglage einen besseren Kurs als vorher und sind sogar einen halben Knoten schneller. Was heißt schneller, wir sind weniger langsam. Vorher waren es 2,5 kn, jetzt sind es 3,5 kn. Kein Vergleich mit der Geschwindigkeit in den letzten Tagen. Die Bewegungen von Sissi sind nun wesentlich angenehmer.

Die Aktion war für uns beide anstrengend. Ich muss mich ausruhen und lege mich in meine Koje. Der Rest des Tages folgt der normalen Routine. Die unkonventionellste Lösung des Reffproblems kam dann per Email von Klaus. Wenn man einen entsprechenden Lümmelbeschlag hat, könnte man den Baum mit der Dirk einfach nach oben ziehen, bis er parallel zum Mast steht. Das könnten wir sogar tun, unser Baum hat dieses Gelenk. Zum Glück konnten wir das Problem auch anderweitig lösen.

Tja. Nun. Die Zeit der Etmale über 120 Meilen ist vorbei. Eine Ankunft am Freitag wird es nicht geben. Das sagt mir die Wetterkarte. Doch es steht fest, dass wir keine vier Wochen für die ganze Strecke brauchen werden. Wir sind ja noch nicht einmal drei Wochen unterwegs. Zum Sundowner kommt auch noch die Sonne raus, das erste Mal heute. Wir machen kubanischen Abend, trinken Cuba Libre mit kubanischem Rum und ich gönne mir eine kubanische Zigarre. Dabei denken wir an das brutale Geschepper und Gekrache, das wir auf der Rückreise von Kuba erlitten haben.

Am Abend freue ich mich, den Berlinern auf der Samai das Ergebnis des Relegationsspiels übermitteln zu können. Die haben nämlich keinen so guten Sportsender wie wir und müssen Daten sparen. Wenn es nach mir geht, kann der HSV so lange in der zweiten Liga bleiben, wie er in der ersten Liga war.

Anstatt die Wettervorhersage runterzuladen, probieren wir heute mal aus, das Wetter aus der Crema des Kaffees zu lesen. Vielleicht wird das dann ein besseres Wetter. In den nächsten Tagen erwarten wir viel von allem, viel Wind, viel Regen und viele Wellen.

20. Etmal: 74 nm
Position: 37°08‘N 40°53‘W
Reststrecke: 582 nm

Ein gebrauchter Tag

Jens und ich sind beide sehr müde, um nicht zu sagen durch den Wind. Der Tag schleppt sich dahin. Wir segeln einen schönen Kurs vor dem Wind, sind einigermaßen schnell und doch können wir uns nicht so recht daran erfreuen. Wir sind einfach nur müde. Abwechselnd legen wir uns hin und versuchen, ein paar Minuten Schlaf zu finden.

Jens sieht am Nachmittag noch einen großen Wal, der aber schon wieder abgetaucht ist, bis ich es aus dem Bett ins Cockpit geschafft habe. Auch eine Schule Delfine begleitet uns für eine Weile, sie sind aber zu weit weg für ein Foto. Ich versuche irgendwie, meine Nachtwache zu überleben. Dabei gelingt es mir sogar noch, ein leckeres Zwiebelbrot zu backen.

Bei der Wachablösung ist dann der Wind erst einmal weg. Mitten im Einfluss eines ordentlichen Tiefs haben wir eine windtote Zone gefunden. Das ist etwa so, als würde man über einen Fußballplatz laufen und in den einzigen Hundehaufen treten, den der Hund des Platzwarts irgendwo hinterlassen hat. Die erste Stunde finde ich keine Schlaf, während Jens sich bemüht, das Boot einigermaßen aus dieser Zone herauszufahren. In meinem Hinterkopf klingt die Musik von Nirvana (Unplugged Album in New York), obwohl ich seit Jahren kein Nirvana mehr gehört habe.

Als ich am Morgen aufwache, fühlt es sich an, als würden wir mit maximaler Geschwindigkeit segeln. Tun wir auch, aber leider auf einem Am-Wind-Kurs. Das fühlt sich viel schneller an, als es in Wirklichkeit ist. Wir sind nur mit 3-4 kn unterwegs. Ich vermute, dass sich langsam unser Problem mit dem „Ankommen“ einstellt. Das Paradebeispiel für dieses Problem ist Porto. Damals waren wir mit fünf Knoten unterwegs und drei Stunden vor Porto. Eine Stunde später waren es nur noch vier Knoten, wir waren immer noch drei Stunden von Porto entfernt. Noch eine Stunde später waren wir mit drei Knoten unterwegs und immer noch drei Stunden von Porto entfernt.

Damals haben wir den Motor angeworfen. Das machen wir diesmal nicht, die verbleibenden 160 Liter Diesel würden uns nicht helfen. Außerdem ist es noch viel zu weit. Wir würden bei diesem Gegenwind auch nicht wirklich schnell fahren können, unter Segeln sind wir immer schneller.

Der Himmel ist bedeckt, der Wind pfeift. Aber es regnet nicht. Wir sind guten Mutes. Noch ein paar Tage und wir haben es geschafft.

19. Etmal: 104 nm
Position: 36°23‘N 42°01‘W
Reststrecke: 646 nm

Der schmale Grat

Einmal mehr schreibe ich über das Wetter. Es ist momentan das wichtigste Thema für Jens und mich. Der Wind bläst mit 4-5 Windstärken aus Südwest. Wir sind im ersten Reff. Sissi läuft fünfeinhalb bis sechs Knoten, das ist genug. So ist die Fahrt gut ausbalanciert und einigermaßen komfortabel. Ich sitze seit eineinhalb Stunden am Computer und sehe mir Wetterdaten an.

So viel habe ich mich auf dem Weg in die Karibik nicht mit dem Wetter beschäftigen müssen. Der Hinweg ist ganz einfach, denn das Wetter ändert sich praktisch nicht mehr, wenn man den Passat endlich gefunden hat.

Jetzt laden wir uns zweimal täglich die Wetterdaten herunter. Die werden dann auf einer Wetterkarte eingetragen. Auf dem heutigen Bild zum Blog sind es drei verschiedene Wetterkarten, die ich kurz erklären möchte.

Links ist die Situation von heute 14 Uhr in einer großen Ansicht. Unsere Kurslinie seit der Abfahrt in Guadeloupe ist dort dargestellt, die weißen Punkte sind immer die Mittagspositionen. Die mittlere Karte stellt den gleichen Zeitpunkt dar, ich habe etwas hineingezoomt. Die Position von Sissi ist markiert. Die rechte Karte zeigt die Prognose für übermorgen 14 Uhr. Die Position, an der ich schätze, dass wir dann sein werden, habe ich auch markiert.

Die blauen Bereiche der Karte sind Zonen mit sehr wenig Wind, violette Zonen sind komplett ohne Wind. Von grün bis gelb lässt es sich prima segeln, gelbrote Bereiche sind auch noch voll okay. Aber wenn es nur noch rot ist, dann wollen wir gerne woanders sein. Die roten Zonen stellen Tiefdruckgebiete dar, die hier immer von West nach Ost wandern.

Auf dem schmalen Grat, dem Korridor zwischen den Flautezonen im Süden und den Tiefdruckgebieten im Norden müssen wir uns durch lavieren. Da die Tiefs viel schneller sind als wir, ist es wichtig, deren Zugbahn frühzeitig vorherzusehen. An dieser Stelle kommt Stefan ins Spiel. Wir haben unsere Vorhersage hier, er lädt andere Daten und rechnet mit einem anderen Wettermodell. Zumeist sind unsere Prognosen ähnlich, ich kann noch nicht sagen, welches Modell (GFS oder ECMWF) die besseren Daten liefert.

Auf dem Weg in die Karibik ist man nicht auf einen solch schmalen Korridor angewiesen. Die Passatzone ist tausend Meilen breit, oft noch breiter. Das hat Konsequenzen für die Segler. Damals haben wir innerhalb von drei Wochen lediglich sieben Schiffe gesehen, darunter drei Segelboote. Jetzt sehen wir jeden Tag andere Segelboote auf dem AIS, die zumeist einen ähnlichen Kurs fahren wie wir.

Leider ist das Wetter dermaßen unbeständig, dass sich innerhalb von 12 Stunden die Prognose komplett ändern kann. Das Tief, das uns gerade voran bringt, war ursprünglich für Ende kommender Woche angekündigt. Es hätte dann auf den Azoren sein sollen. Dafür kündigt sich für das Ende kommender Woche schon das nächste Tief an. Vielleicht schaffen wir es, vorher anzukommen.

In der Nacht ist es zunächst ruhig, wir rasen bis zur Wachablösung mit sechs bis sieben Knoten durch die Dunkelheit. Doch das ist trügerisch. Kaum habe ich mich ins Bett gelegt, wird die Fahrt immer unruhiger. Der Wind nimmt ab. Ich drehe mich nach links und rechts, finde bei dem Geschaukel keinen Schlaf. Plötzlich ist der Wind komplett weg, es schüttet wie aus Eimern. Ich finde Jens in kompletter Regenmontur im Cockpit, er versucht irgendwie, unseren Kurs zu halten. Irgendwann fahren wir eine Halse, die Fahrt wird ruhiger.

Am Morgen bin ich wie gerädert. Viel Schlaf war das in dieser Nacht nicht. Wir sind noch einem britischen Boot begegnet. Je mehr andere Segelboote ich sehe, desto mehr freue ich mich. Auf diesen Booten wird ebenfalls das Ratespiel für das Wetter von übermorgen gespielt. Es unmöglich, das Wetter von übermorgen so exakt vorherzusehen, wie wir es brauchen. Deswegen raten alle gemeinsam und machen das Unmögliche möglich!

18. Etmal: 136 nm
Position: 36°12‘N 43°47‘W
Reststrecke: 733 nm