Entscheidende Tage

Eine Planung der Bevorratung vor der Abfahrt ist ja selbstverständlich, haben wir auch gemacht. Beim Einkauf haben wir dann noch geschaut, welche Waren wir wo kaufen, denn wir wollten die schweren Sachen nicht so weit schleppen. Der Carrefour in der Marina hat die Dinge des Grundbedarfs. Also planen wir Milch, Wasser und auch eine zusätzliche Flasche Campinggas eben bei diesem Supermarkt zu kaufen.

Für das Abendessen plane ich Tagliatelle mit Roquefortsauce, dazu eine Beilage aus gebratenen Karotten. Ich muss umplanen, denn Milch ist nicht in den Vorräten zu finden. Ärgerlich, haben wir das vergessen. Es wird eine Tomatensauce mit frischem Lauch, davon ist noch etwas da. Ansonsten geht uns so langsam das frische Gemüse aus. Das Nudelwasser wird nicht warm. Das ist normal, denn die Gasflamme brennt nicht. Beim Anschließen der neuen Gasflasche fällt uns auf, dass wir nicht nur die Milch sondern auch die Gasflasche nicht gekauft haben. Eine fast volle Flasche haben wir noch, die muss also bis zu den Azoren reichen.

Jetzt erinnere ich mich auch wieder an diesen etwas chaotischen Einkauf. Der Carrefour hatte das Wasser nicht in der Packungsgröße, die wir an Bord nehmen wollten. Dann sind wir zum Chinesen gegangen und haben das Wasser dort geholt. Den Rest beim Carrefour zu holen, haben wir schlichtweg vergessen. Ärgerlich, aber nicht entscheidend für die Überfahrt. Die Tagliatelle sind trotzdem lecker.

Sissi pflügt noch mit knapp über 6 kn durch das Wasser, als ich Jens in der Nacht wecke und mich selbst hinlege. Um 10 Uhr wache ich wieder auf. Die Segel schlagen. Wir haben die Zone der Doldrums erreicht. Doldrums, was ist das? Sind es einfach nur Klabauterleute, die uns Seglern den Wind klauen?

Die Doldrums sind eine relativ windarme Zone, die die Passatzone im Süden von den westlichen Winden im Norden abgrenzt und mehr oder minder stark ausgeprägt ist. Die Zone verschiebt sich mal nach Osten und mal nach Westen, sie ist mal mehrere 100 Meilen breit und manchmal nur 50 Meilen. Wir müssen auf jeden Fall hindurch, denn nur im Norden werden wir die westlichen Winde finden können.

Es ist kurz vor Mittag. Noch haben wir Wind, noch fahren wir mit 4 kn gemütlich am Rand der Zone entlang. Wahrscheinlich geht uns morgen der Wind ganz aus und wir werden den Motor für einen oder eineinhalb Tage anwerfen müssen. Danach können wir aber direkten Kurs auf die Azoren nehmen und müssen nicht mehr so weit nach Norden ausholen.

Eine Email von unserem Vater ist eingegangen. Unser Tracking auf der Stalking Sissi Seite funktioniert nicht mehr. Das ist schade, wir senden zweimal täglich unsere Position. Ich hoffe, Martin kann es schnell reparieren. Er bietet uns diesen Service kostenlos an, da brauchen wir uns normalerweise nicht darum kümmern. Ich habe ihm eine Mail geschickt. Wen es interessiert, der kann sich damit behelfen, die unter diesem Blog angegebene Position bei Google-Maps in das Suchfeld zu kopieren und Enter zu drücken. Dann sollte die Marke auf unsere Position springen.

In der Nacht haben wir wieder mal eine der beiden Schrauben verloren, die den Windgenerator an Ort und Stelle halten. Ich war heute früh oben und habe sie ersetzt. Wir haben eine Schraubenspur durch den Atlantik gezogen, von den Kanaren über die Kapverden in die Karibik und setzen das auf dem Rückweg fort. Schraubenkleber hilft da nichts, das habe ich versucht. Mehrfach. Mit Superkleber einkleben mag ich sie nicht. Aber wir haben noch ein knappes Dutzend Ersatzschrauben.

Gleich werde ich mir die neue Wettervorhersage herunterladen. Wir müssen jetzt etwas genauer navigieren als sonst. Die nächsten zwei bis drei Tage entscheiden wahrscheinlich über eine Woche frühere oder spätere Ankunftszeit in Horta.

9. Etmal: 132 nm
Position: 30°05‘N 56°51‘W

Wir haben die ersten 1039 nm hinter uns. Der direkte Weg zu den Azoren sind noch 1475 nm. Wir rechnen mit einem direkteren Kurs und noch gut zwei Wochen Reisezeit, wenn wir nicht vollkommen vom Wind verlassen werden.

Wind

Wind. Die notwendige Voraussetzung für das Segeln. Er bläst nie in der richtigen Stärke, kommt meist aus Richtung des Ziels und manchmal ändert sich die Windstärke auch innerhalb weniger Sekunden. Dieser Beitrag ist all jenen gewidmet, die ihr Schiff durch einen Windpiloten oder eine andere Windfahne steuern lassen und manchmal daran fast verzweifeln.

Nachmittags sind wir auf einem gemütlichen Halbwindkurs. Ich würde es einen Kochkurs nennen, denn es fällt Jens leichter, auf einem gemütlichen Kurs die Lasagne zuzubereiten. Am Abend will ich dann wieder etwas mehr Höhe laufen. Der optimale Kurs liegt etwa bei 45°, das sind ca. 80° zum Wind. Eigentlich ist das ja noch ein Halbwindkurs, gegen 20 Uhr ist die Windfahne entsprechend justiert und Sissi fährt Kurs 45°. Ich mache mich ans Spülen des Geschirrs.

Eine Bö fällt ein, Sissi läuft an den Wind und ich falle mit einem Teller in der Hand durch den Salon. Das geht so nicht, das muss ich besser justieren. Also klettere ich wieder ins Cockpit, verstelle das Leeruder der Windfahne und Sissi läuft wieder Kurs 45°. Leider kann ich auf dem Kurs den zweiten Teller nicht spülen, denn Sissi luvt in der nächsten Bö wieder hoffnungslos an und bleibt erneut auf Kurs 70° hängen.

Gegen 21 Uhr habe ich das Geschirr gespült. Zwischendrin war ich noch drei- oder viermal oben und habe die Windsteuerung neu justiert. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht. Ich rolle die Genua ein paar Umdrehungen ein, das hilft normalerweise in dieser Situation. Schon fährt Sissi brav ihre 45°.

Innerlich klopfe ich mir auf die Schultern, denn ich habe noch vor kurzen gegenüber anderen Seglern geprahlt, wie sauber Sissi mit der Windfahne ihren Kurs hält. Ich schaffe es nicht einmal bis zur Mülltonne in der Vorschiffskoje. Schwupps, es fällt wieder eine Bö ein, Sissi luvt wieder an und dreht diesmal so weit, dass wir in die Wende fahren. Ich kann es gerade noch vermeiden und rolle die Genua noch etwas kleiner.

Um 22 Uhr kämpfe ich immer noch mit der Justierung. Ich will Kurs 45° fahren, der Wind gibt es her. Nur die Wellen sind unangenehm, es gibt heftige Schläge. Inzwischen bin ich ziemlich frustriert. Allerdings sind die Böen heute aus echte Ausnahmen. Der Wind bläst mit 3 Bft, die Böen gehen bis zu 5 Bft. Das alles soll die Windfahne wegstecken, den Kurs ordentlich halten und die Fahrt soll nicht zu unkomfortabel sein.

Ich entscheide mich gegen 23 Uhr, den Kurs von 45° auf ca. 25° zu ändern, gehe nach hinten und zupfe an der Windfahne. Eine Welle kommt über das Cockpitdach und ergießt sich über mich. Danke. Sissi nimmt den neuen Kurs gut an. Ich ziehe mich um, ohne das dass Schiff nach Luv in den Wind dreht. Sissi gleitet weich durch die Wellen. Wenn jetzt eine Bö einfällt, luvt sie noch bis ca. 45° an. Lässt die Bö nach, geht unser Kurs wieder auf komfortable 25° zurück. Geht der Wind ganz runter, fahren wir für ein paar Minuten halt genau nach Norden.

Natürlich sind wir jetzt nicht mehr ganz so schnell, die Genua ist recht klein geworden. Aber wir fahren geradeaus. Unsere Geschwindigkeit pendelt zwischen 3,9 kn (Windstärke 3) und 5,9 kn (Windstärke 5). Insgesamt also ein breites Spektrum Wind, das wir verarbeiten müssen.

Am nächsten Morgen beim Kaffee erzählt mir Jens, dass er die Einstellung der Windfahne erst wieder geändert hat, als sich der Wind etwas gedreht hat. Jens will nicht nach Westen zurück fahren.

Mein Fazit: Auch wenn ein bestimmter Kurs zum Wind theoretisch möglich ist, kann es sein, dass man ihn wegen der Böen und Wellen praktisch nicht fahren kann. Es lässt sich nicht erzwingen.

Jens scheint es nicht so gut zu gehen, denn wir hatten sehr viele Reste der Lasagne übrig. Normalerweise öffnet er seine 12 Lasagnemägen und saugt die Pasta einfach ein. Ich konnte vier Portionen in den Gefrierschrank werfen. Die nächste Lasagne müssen wir nur noch aufwärmen.

8. Etmal:120 nm
Position: 27°55‘N 56°46‘W

Total bekloppt

Jörg verhält sich in letzter Zeit etwas seltsam. Ich glaube, er verliert so langsam den Verstand. Immer öfter kann ich hören, wie er Selbstgespräche führt. Irgendwie kann ich das aber auch verstehen. Es ist hier doch sehr langweilig auf dem Schiff. Der Murmeltiertag liegt zwar schon eine Weile zurück, aber ich komme mir fast so vor wie in dem Film. Die Tage wiederholen sich.

Mein Tag beginnt Nachts um 03:00 Uhr, wenn Jörg mich zur Wachablösung weckt. Dann nehme ich mir ein Kissen und eine Decke (ja, Nachts fühlen sich 26 Grad mit etwas Wind doch recht kühl an) und lege mich ins Cockpit. Der Mond ist dann schon untergegangen und ich sehe die Milchstraße in voller Pracht. Ab und an verglühen Gesteinsbrocken aus dem Weltall über mir und hinterlassen für einen kurzen Moment eine leuchtende Spur am Himmel. Was ich mir wünsche bleibt mein Geheimnis.

Irgendwann nach Sonnenaufgang, das ist hier gerade um 06:00 Uhr, meldet sich mein Magen und ich mache mir ein Frühstück. Danach genieße ich es, im Cockpit zu sitzen und aufs Meer zu schauen. Gelegentlich sehe ich irgendeinen Wasservogel, der kurz eine Runde um Sissi dreht und dann weiter fliegt. Mehr passiert hier nicht.

Gegen 10:00 Uhr wird Jörg dann meistens munter und wir trinken zusammen Kaffee. Ich kann bei seinem Kaffeedurst oft kaum mithalten und muß um den Inhalt der Kanne kämpfen. Im Anschluß verschwindet Jörg wieder nach unten und erledigt seinen Bürokram. Ich bleibe so lange oben sitzen, bis sich die Sonne über das Cockpitdach gedreht hat und ich keinen Schatten mehr finde.

Den Nachmittag sitzen wir dann gemeinsam im Salon, lesen ein Buch oder schwätzen über dies und das. So überbrücken wir die Zeit bis zum Abendessen. Beim Kochen wechseln wir uns ab. Wer nicht kocht spült ab. Heute kocht Jörg seine Leibspeise. Es gibt Steak. Morgen werde ich eine Lasagne zubereiten. Wir hatten schließlich auf dem Atlantik nördlich der Karibik noch nie eine Lasagne. Das wird allerhöchste Zeit.

Nach dem Abendessen trinke ich gerne noch eine Orangina im Cockpit und sehe dem Sonnenuntergang zu. Dann ist mein Tag zu Ende und ich lege mich schlafen.

Es ist breits ein neuer Tag angebrochen als ich diese Zeilen schreibe. Jörg schnarcht leise in seiner Kabine. Er hat letzte Nacht ein frisches Brot gebacken. Ich stehe auf, um mir ein Frühstück zu machen. „Schneidest Du mir auch eine Scheibe ab?“, fragt das Täubchen. „Klar doch, aber das bleibt unter uns. Jörg darf nicht wissen das du noch auf dem Boot bist.“