Leuchttürme in der Nacht

Loch ist die Bezeichnung für einen See, Loch kann aber auch die Bezeichnung für einen Fjord sein. Auf jeden Fall habe ich das eine oder andere Loch auf meinem Weg von Islay nach Fort William vor mir. Jetzt wird sich zeigen, ob meine Planung erfolgreich war oder ob Sissi einen der vielen Felsen auf dem Weg touchiert.

Ein letzter Blick auf die ehemalige Destillerie in Port Ellen

Mein Ablegemanöver in Port Ellen klappt perfekt. Es ist so perfekt, dass es fast schon beängstigend ist. Sowohl mein Nachbar als auch ich bereiten am Morgen unsere Boote für die Abreise vor. Am Abend vorher im Pub haben wir noch gesagt, dass der Zweite dem Ersten beim Ablegen hilft, das ist aber gar nicht nötig. Eine leichte Brise bläst Sissi vom Steg ins Hafenbecken. Mit Hilfe der Leinen gelingt es mir sogar, eine Drehbewegung in die richtige Richtung einzuleiten. Sanft gleitet Sissi aus ihrer Box. Mein Nachbar kommt ein paar Minuten später nach. Gleich nach der Hafenausfahrt ist der Wind perfekt und die Segel sind schnell oben. Der Motor ist aus, wir gleiten mit knapp 5 kn in Richtung Sound of Jura. So weit, so perfekt, so ist der Plan.

Leuchtturm Skervuile, steht einsam auf einem Felsen vor Jura

Das Wetter spielt perfekt mit. Bei Sonnenschein bzw. leicht bedecktem Himmel und vor allen Dingen ohne Regen fällt es mir leicht, zwischen den fischenden Fischerbooten, Fähren und den anderen Seglern meinen Kurs zu halten. Es herrscht praktisch kein Seegang. Eine Seemeile nach der anderen wird gefressen, mir kommen die Entfernungen kurz vor. Von Guadeloupe zu den Azoren waren es 3000 Meilen. Von den Azoren nach Cork 1400 Meilen. Von Cork zur Isle of Man noch 240 Meilen und von Man nach Islay nur noch 120 Meilen. Diesmal sind es 95 Meilen bis zu meinem Ziel, ein Katzensprung. Und nur 30 Meilen bis zur schwierigsten Stelle, der Kombination aus dem Golf von Corryvreckan (bekannt für Strömungen und Stromschnellen) und dem Sound of Luing (starke Strömungen, eng und mit vielen Felsen gespickt). Durch diese Engstelle plane ich die Durchfahrt gegen 20 Uhr, wenn sich die Tide gedreht hat und wenn noch Tageslicht herrscht.

Leider lässt der Wind mich im Stich. Ich liege unten auf der Couch und entspanne, als ich die Segel schlagen höre. Ein eindeutiges Zeichen, dass der Wind nachlässt. Innerhalb von einer halben Stunde schläft der Wind vollkommen ein, ich treibe praktisch nur noch mit 2 kn durch die Gegend. Es hilft nichts, die Segel müssen runter und der Motor brummt.

Bordküche, völlig ohne Pommes

Auf keinen Fall darf ich hungrig durch die Engstelle fahren. Während ich dem Mercedes bei seiner Arbeit zuhöre, brate ich mir ein feines Rumpsteak. Es gelingt mir perfekt, zart rosa liegt es auf dem Teller. Vor der Einfahrt in den Golf von Corryvreckan kann ich sogar noch das Geschirr spülen.

Anfahrt zum Golf von Corryvreckan

Dann ist es so weit, leider eine gute Stunde hinter dem Fahrplan. Der schiebende Strom setzt ein und Sissi beschleunigt. Sie beschleunigt allerdings gar nicht so sehr, wie ich das von einer vergangenen Durchfahrt in Erinnerung habe. Das liegt daran, dass der Neumond so nah ist und bei dieser Mondphase die Strömungen insgesamt schwächer sind. Ich hätte glatt zwei Stunden früher losfahren können.

Golf von Corryvreckan

Vielleicht hätte ich zwei Stunden früher losfahren müssen. Die Tide hat um 19:40 Uhr gedreht, es ist jetzt aber 20:30 Uhr. Schon im Golf von Corryvreckan, ein leckerer Ardbeg Whisky ist nach ihm benannt, ist die Sonne untergegangen und das Abendrot spiegelt sich im Wasser. Das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Die sogenannten Eddies packen Sissi immer wieder, drehen sie um 30° oder mehr aus dem Kurs. Der Autopilot bringt sie langsam wieder auf Kurs. Insgesamt zwar stressig aber doch noch entspannt.

Blaue Stunde im Sound of Luing

Im Sound of Luing herrscht dann die Blaue Stunde. Für Fotografen ein gefundenes Fressen, für Segler nur das Anzeichen von bald vorherrschender Dunkelheit. Ich studiere ein letztes Mal die Seekarte und die Rhythmen der beiden auf mich zukommenden Leuchttürme. Es sind sogenannte Sektorenfeuer, sie haben einen weißen, einen grünen und einen roten Sektor. Solange man sich im weißen Sektor befindet, ist man auf Kurs.

Seekarte mit geplanter (und gefahrener) Route

Mit dem ersten Leuchtturm (Fladda) gelingt es auch prima. Dann muss ich den Kurs ändern für den zweiten Leuchtturm und komme irgendwie nicht aus dem roten Sektor heraus. Die Strömungen sind inzwischen ziemlich stark, Sissi fährt mit etwa 8,5 kn und die Strecken schrumpfen. Es ist unmöglich, die Entfernung zum Leuchtfeuer bei Dunkelheit präzise zu schätzen. Doch die Kombination aus zwei Leuchttürmen und dem Kartenplotter bringt mit sicher durch die enge Durchfahrt.

Westtonne, blinkt 9 Mal
Osttonne, blinkt 3 Mal

Jetzt muss ich nur noch Bono Rock vermeiden, einen Felsen der mich an die Band U2 erinnert. Ich kann mir den Weg aussuchen, links oder rechts herum. Es ist fast 23 Uhr, als ich die Osttonne an Backbord sehe und keine Hindernisse mehr vor dem Bug liegen. Eigentlich ist es verrückt, doch jetzt kann ich mich entspannt eine Stunde aufs Ohr legen. Dann kommt die nächste Gefahrenstelle. Fischerboote sehe ich keine, auch keine Fähren oder anderen Verkehr. Der helle Fleck am Horizont ist ein vor Anker liegender Frachter, das verrät mir das AIS. Nach zweimal einer halben Stunde „Schlaf“ erreiche ich Lady‘s Rock, einen Felsen vor Oban. Darauf steht ein Leuchtturm, der zusätzlich als virtueller Leuchtturm auf dem AIS erscheint. Ich darf mich wieder eine halbe Stunde um die Navigation kümmern, dann fahre ich in den Lynn of Morvern ein. Ich reduziere die Motordrehzahl, um etwas Zeit für weiteren Schlaf zu gewinnen. Inzwischen sind es nur noch 18 Meilen bis Fort William, wenn ich weiter so rasen würde, wäre ich vor Sonnenaufgang dort.

Fort William bei absoluter Windstille

Bei Sonnenaufgang bin ich mitten im Loch Linnhe. Es sind nur noch wenige Meilen bis Fort William. Ich plane eine Ankunft um 8 Uhr morgens, das ist die Öffnungszeit des Caledonian Canal im Sommer. Das überprüfe ich gleich noch einmal und stelle fest, dass mit dem heutigen Tag für die Kanalverwaltung der Herbst begonnen hat. Öffnung um 8:30 Uhr. Ich reduziere die Drehzahl. Wenn ich zu früh ankomme, habe ich zwei doofe Optionen. Entweder mache ich an der Warteposition vor der Schleuse fest oder ich darf mindestens eine halbe Stunde vor der Schleuse im Wasser herum treiben. Ersteres ist unangenehm, weil Niedrigwasser ist und die Poller zum Festmachen hoch eben sind, unerreichbar für mich. Letzteres ist doof.

Seeschleuse in Corpach

Mein Adrenalin ist sowieso wieder auf 100%. Wie soll ich alleine durch die Seeschleuse kommen. Bei Ebbe sind es mehrere Meter Höhenunterschied. In Holland bin ich öfter alleine durch irgendwelche Schleusen durchgefahren, dort kann ich aber alles von der Mittelklampe aus erledigen. Bei 30 cm Höhenunterschied geht es alleine fast besser als mit einer Crew. Hier muss ich eine Bugleine und eine Achterleine bedienen. Ich fange an, das Manöver zu planen. An drei Stellen muss ich mich gleichzeitig aufhalten, am Bug, am Heck und im Cockpit, wo der Motor zu bedienen ist. Also bringe ich erst einmal die Fender auf beiden Seiten aus. Sicher ist sicher. Für die Bugleinen lege ich Backbord und Steuerbord die langen Parasailor-Schoten aus, die ich über die Klampe auf die Winschen im Cockpit führe. Für die Achterleinen reichen die normalen langen Festmacher aus. Die kommen auf die beiden anderen Winschen im Cockpit. Jetzt bin ich klar zum Schleusen.

Frühzug nach Mallaig

Vor mir erscheint plötzlich ein Österreicher auf dem AIS. Er ist aus Fort William gekommen, wo es seit zwei Wochen öffentliche Schwimmstege gibt. Bislang gab es dort immer nur Bojen, doch sie bauen gerade eine neue Marina auf. Der Ösi fährt mit hoher Geschwindigkeit, als würde er die Öffnung des Kanals um 8 Uhr erwarten. Sind Österreicher so schnell? Später sehe ich ihn vor der Schleuse herum bummeln. Auch ich bummele irgendwann, denn um 8:30 Uhr antwortet die Schleuse nicht auf den Funk. Ans Telefon geht nur der Anrufbeantworter. Um 8:45 Uhr sehe ich dann die Schleusenwärter, die die Schleuse für uns bereit machen. Der Ösi hat seine Fender alle Steuerbord, wir werden aufgefordert, an der Backbordseite festzumachen. Er will mir den Vortritt geben, doch um nichts in der Welt möchte ich die erste Position hinter dem Schleusentor haben. Dort sind die Strömungen am heftigsten. Zwei Kreise dreht der Ösi um Sissi, während die Crew Fender und Leinen auch die andere Seite trägt. Österreicher sind also doch langsam.

Achterleine und Bugleine auf jeweils einer Winsch

Bei der Einfahrt in die Schleuse werde ich gefragt, ob ich Einhand unterwegs bin. Sowohl bei der achteren als auch bei der vorderen Leine verfehle ich zunächst die Oberkante der Schleuse, doch dann wird alles gut. Mein Plan, die Leinen über die beiden Winschen zu führen, erweist sich als tragfähig. Ich muss im Geiste Rupert von der Piccolo Mondo danken, bei ihm habe ich diese Konstruktion vor Jahren schon einmal gesehen. Da mein Tank fast leer ist, frage ich den Schleusenwärter nach Diesel. Vor drei Jahren habe ich in Corpach schon einmal getankt. Leider ist die Tankstelle geschlossen, doch für mich öffnet er sie noch einmal. Ich bekomme Diesel zum Preis vom letzten Jahr. So billig werde ich nie wieder tanken können.

Sissi aus Finnland

Während ich darauf warte, dass die Tankstelle für mich geöffnet wird, höre ich laute Rufe. Mein Schiffsname findet Anerkennung. Ein Segelboot namens Sissi passiert mich in Richtung der Seeschleuse. Diese Sissi kommt aus Finnland.

Caledonian Canal, die ersten paar hundert Meter

Leider kann ich nicht bis Freitag in Corpach liegen bleiben. Ich fahre noch durch die nächsten beiden Schleusen bis Banavie. Dort liege ich nun an einem Pontoon, der örtliche Pub ist hinter der Baumreihe und spendet mir langsames Internet. Das WLAN-Passwort bekomme ich wie immer durch einen Besuch vor Ort. Ich bin zu müde zum kochen und genieße die Segnungen der einheimischen Küche. Fisch und Chips.

Sissi am Pontoon in Banavie

Während ich den Nachmittag mit einem Buch im Cockpit verbringe, sehe ich einen alten Bekannten den Kanal aufwärts fahren. Das norwegische Holzboot habe ich schon einmal auf Islay getroffen. Es ist Baujahr 1913 und wunderschön anzusehen. Die Eisenbahn-Drehbrücke öffnet sofort für ihn.

Schiff Baujahr 1913, die Drehbrücke ist noch älter.

Ein paar Stunden später höre ich den Harry-Potter-Dampfzug, der aus Mallaig in Richtung Fort William die Eisenbahnbrücke überquert. Bei der schönen Fotosituation muss ich einfach ein Bild machen, auch wenn der Dampfzug hoffnungslos überteuert ist, mit völlig falschem rollenden Material unterwegs ist und die Lok in die falsche Richtung steht.

Dann folgt ein Spaziergang an Neptuns Staircase vorbei, denn oberhalb der neunstufigen Schleusentreppe ist die Dusche. Anschließend noch ein Bier und dann ruft mein Bett. Gute Nacht. Ganz herzlichen Dank an Klaus von der SY Maris. Wir tauschen uns seit einiger Zeit über die Segelei und Langfahrt aus. Klaus, Du hast mich ausgezeichnet sensibilisiert für die Unwägbarkeiten des Einhandsegelns.

Adieu Islay

Seit ein paar Tagen tobt der Wind. Sicherlich wäre eine Abfahrt möglich, ich habe sie aber noch nicht geplant. Die Zeit auf Islay ist zu schön, als dass ich sie verkürzen wollte.

Wind tobt über die Bucht

Mal wieder gesellen sich zu den starken Windböen noch Regenböen hinzu. Und wie so oft kommen ein paar Segelboote quasi zur Unzeit in den Hafen gefahren. Aber man hilft sich ja gegenseitig, zwei Segler von einem benachbarten Boot und ich stehen auf dem Steg. Ein kleines Boot möchte neben Sissi anlegen. Der Skipper ist alleine unterwegs und kauert sich hinter das Ruder. Sein Manöver fährt er perfekt. Die Nachbarin greift nach der Bugleine, doch die gerät gleich ins Wasser. Ich fische sie wieder heraus und nach wenigen Minuten ist das Boot fest vertäut. Ich finde es lediglich verwunderlich, dass der Mann nicht aufsteht. Die meisten fahren ihre Anlegemanöver im Stehen. Dieses Rätsel löst sich jedoch schnell, denn kaum ist das Boot fest, schon ist der Mann auf dem Steg und rutscht zu seinen Leinen, um diese zu kontrollieren. Er hat keine Beine.

Einhandsegler ohne Beine

Nachdem er sein Boot kontrolliert hat, beginnt er, seinen Rollstuhl zusammen zu bauen. Ich kann nur sagen Chapeau, das ist Segeln von der härtesten Sorte. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es für ihn ist, bei Seegang auf dem Vordeck herum zu rutschen.

Eintracht-Fahne des Celtic Glasgow Fans

Ich muss meine Abfahrt vorbereiten und brauche noch ein paar Vorräte. Da der kleine Supermarkt in Port Ellen nur wenig Auswahl hat, nehme ich den Bus nach Bowmore. Der lässt aber auf sich warten. Irgendwann fällt mir auf, dass heute Samstag ist und der Bus nach Samstagsfahrplan fährt. Also fange ich an, die Strecke entlang zu laufen. So gelingt mir noch das Foto von der Eintracht-Fahne.

Echte Seekarte aus Papier

Für die Planung der kommenden Tour kann ich seit langem wieder einmal eine echte Seekarte benutzen. Es ist planerisch die anspruchsvollste Etappe seit tausenden von Meilen. Um nach Nordosten zu kommen, kann ich entweder linksherum oder rechtsherum um die Insel Jura fahren. Die Entfernungen unterscheiden sich nicht viel. Es hängt alles von der Tideströmung ab. Also muss ich noch den Strömungsatlas hinzu ziehen.

Strömungen fünf Stunden vor Hochwasser in Dover

Der Tidekalender sagt mir, dass es keine gute Idee ist, zwischen Islay und Jura die schmale Durchfahrt zu nehmen. Entweder muss ich mitten in der Nacht losfahren, dann würde ich aber auch mitten in der Nacht am Caledonian Canal ankommen. Oder ich fahre einen Tag früher los und übernachte noch einmal in Oban. Das gefällt mir auch nicht. Die Alternative ist der Sound of Luing. Das ist in dem kleinen schwarzen Kästchen genauer dargestellt.

Sound of Luing

Siehe da, wenn ich genau zur Zeit des Hochwassers in Dover beim Sound of Luing eintreffe, dann wird mich die Strömung schieben und nicht bremsen. Das gefällt mir, ich komme auf eine ab Abfahrtszeit in Port Ellen um etwa 11 Uhr morgens. Meine Lieblingszeit. Es erlaubt mir auch noch einen letzten Besuch im Ardview Inn, dort bleibe ich aber nicht bis zur Glocke. Mein einhand segelnder Nachbar sitzt dort bei einem Bier. Wir unterhalten uns ein paar Stunden über die Freuden des Solosegelns. Weit vor Mitternacht sind wir wieder zurück im Hafen. Wir wollen beide am Folgetag abfahren.

Hochwasser

Wieder neigt sich ein Islay-Aufenthalt dem Ende zu. Und so langsam geht auch meine Reise zu Ende. Doch mit dem Caledonian Canal kommt noch ein echter Höhepunkt auf mich zu. Ich freue mich schon auf die 29 Schleusen.

Inselhopping im Tiderevier

Ich bin inzwischen über eine Woche auf der Isle of Man. Ein Teil des ursprünglichen Plans war, den guten Wind auszunutzen, dann die Flaute auszusitzen. Eigentlich rechnete ich damit, dass wieder guter Wind kommt, um meine Reise nach Islay fortzusetzen. Denkste.

Klappbrücke über der Hafeneinfahrt von Douglas

Da mein Dieseltank noch voll ist, kann ich einen Tag Motorfahrt problemlos einplanen. Ich werde den Mercedes bemühen, um nach Islay zu kommen. Wind bzw. brauchbarer Wind ist weiterhin nicht in Sicht. Einzig das Wetter soll sich verschlechtern. Wobei verschlechtern vielleicht das falsche Wort ist, denn auf der Isle of Man sind die Landwirte ziemlich mit der Trockenheit beschäftigt. Auch die Feuerwehr muss mehr Waldbrände löschen als üblich, im lokalen Radio wird darüber berichtet.

Segelboot fährt in den Hafen von Douglas ein

Inzwischen bin ich ja im Tiderevier angekommen. Damit gibt es neben dem Wind noch einen weiteren Parameter zu betrachten – oder vielmehr zwei. Einmal ist es die Höhe der Tide, denn zum Beispiel in Douglas kann man nur im Zeitfenster zwischen zwei Stunden vor Hochwasser und zwei Stunden nach Hochwasser in den Hafen einlaufen. Unter der Klappbrücke ist ein sogenanntes „Flapgate“. Das ist eine Sperre, die das Wasser daran hindert, aus dem Hafen heraus zu laufen. Diese Sperre senkt sich bei entsprechendem Wasserstand automatisch ab und gibt den Weg frei.

Rhein bei Köln – äh – Ramsey bei Niedrigwasser

Ohne diese Sperre würde es in Douglas bei Ebbe aussehehen wie derzeit an der Elbe in Dresden, am Rhein in Köln oder in Ramsey bei Niedrigwasser. Wobei man in Ramsey ganz genau planen kann, wann das Wasser wiederkommen wird. Das ist der Unterschied zur Rheinschifffahrt im Jahr 2022.

Hier liegen die kleinen Boote in Ramsey

Ich habe zwei Möglichkeiten, um die Isle of Man herumzufahren. Entweder fahre ich um die Nordspitze, das haben Jens und ich vor drei Jahren gemacht. Damals wurden wir durch verschiedene Strömungen ganz schön durchgeschüttelt. Oder ich fahre um die Südspitze herum, auch hier sind Strömungen in der Karte eingezeichnet. Da der Zeitpunkt der Abfahrt durch das Flapgate festgelegt ist, entscheide ich mich für die Fahrt um die Südspitze. Da kann ich mit ordentlich schiebendem Tidestrom rechnen.

Freitagnachmittag in Douglas

An meinem letzten Abend bekomme ich Live-Musik frei Boot geliefert. Der Pub „The Bridge“ hat Musiker bestellt, die den ganzen Nachmittag spielen. Es bildet sich eine Menschentraube. Ich bleibe an Bord und genieße das Spektakel von dort.

Die Musik ist aus, es wird Nacht

Kurz überlege ich, ob ich nicht schon in der Nacht auslaufen soll. Immerhin ist das Hochwasser etwa um Mitternacht. Diesen Plan verwerfe ich aber sofort. Einerseits hätte ich dann zwei Nächte, die ich durchfahren muss, andererseits ist eine Ankunft in Port Ellen Samstagnacht nicht unbedingt angesagt. Der Hafen ist winzig und viele Schotten machen am Wochenende einen Ausflug auf die Inseln. Ich möchte lieber am Sonntag ankommen, dann kann ich mit einem freien Platz rechnen.

Leuchtturm in Douglas

Am Samstagmorgen besorge ich mir noch den Reiseproviant im nahe gelegenen Supermarkt. Auf dem Rückweg zum Boot gehe ich noch im Hafenmeisterbüro vorbei und bitte um Hilfe beim Ablegen. Kein falscher Stolz, ich lasse mir lieber helfen, als dass ich beim Ablegen noch einmal einen Schaden anrichte. Für meine Abfahrt plane ich die Brückenöffnung um 11:15 Uhr ein, der Hafenmeister verspricht, um 11:05 Uhr bei mir am Boot zu sein. Die Brücke öffnet bei Bedarf nämlich um viertel vor der vollen Stunde und um viertel nach. Am Funk höre ich, dass sich für die erste Brückenöffnung um 10:45 Uhr schon sehr viele Boote angemeldet haben. Ich beglückwünsche mich innerlich zu meiner Entscheidung und melde mich für die zweite Öffnung des Tages an.

Chicken Rock, Leuchtturm an der Südspitze der Isle of Man

Um 11:00 Uhr starte ich den Motor und habe die Leinen klar zum Ablegen. Über Funk bekomme ich mit, dass ein Frachtschiff ablegen wird. Die Hafenkontrolle teilt mit, dass sie die Brückenöffnung früher machen werden. Und tatsächlich geht die Brücke schon um 11:05 Uhr auf. Das passt mir gar nicht in den Kram. Ich schmeiße die Leinen sofort los und bugsiere Sissi aus ihrer Parkposition. Zwischendrin werde ich noch von der Hafenkontrolle gerufen. Das passt mir auch nicht in den Kram, denn natürlich ist der Akku der Handfunke gerade leer, ich muss in den Salon herunter, um der Hafenkontrolle zu antworten. Dabei steht Sissi im Hafenbecken und ich habe wieder Horrorvorstellungen von einer Kollision wie in Cork. Ich bekomme Sissi aber problemlos in Fahrt, die Handfunke hat wieder etwas Energie geladen. So kann ich der Hafenkontrolle antworten, dass ich auf dem Weg bin. Sie halten mich zu maximaler Eile an. Ich presche mit 6,5 kn durch das Hafenbecken. Das weckt bei den anderen Booten Hassgefühle, denn Sissi erzeugt ordentlich Schwell. Doch ich kann die Brücke noch durchfahren, bevor sie wieder geschlossen wird.

Delfine auf der Fahrt nach Islay

Draußen stelle ich die Drehzahl für 4,5 kn Reisegeschwindigkeit ein. Das ist die wirtschaftlichste Geschwindigkeit. Jetzt kann ich entspannen. Schon kurze Zeit später hat mich der schiebende Strom im Griff, der Tacho zeigt 6 kn an. Auf den Tidestrom ist eben Verlass. Am Leuchtturm „Chicken Rock“ ganz im Süden der Isle of Man knackt Sissi die 8 kn. Wäre ich um die Nordspitze gefahren, müsste ich gegen diese Strömung fahren und hätte noch eine sehr unkomfortable Fahrt über Stromschnellen. Bis hierhin habe ich alles richtig gemacht. Zum Abendessen mache ich mir Lammsteak mit asiatischem Gemüse und Reis. Lecker. Während sich die Sonne zum Horizont bewegt und ich mit einem spannendem Buch im Cockpit sitze, höre ich plötzlich die Geräusche von Delfinen. Für eine gute Viertelstunde werde ich von den Delfinen begleitet und es gelingen mir sogar ein paar Schnappschüsse.

Sonnenuntergang in der Irischen See

Später dreht der Tidestrom wieder um. Wenn man weiter als 12 Stunden fährt, hat man unweigerlich den Strom irgendwann in die ungünstige Richtung. Sissi verlangsamt irgendwann auf 2,5 kn, dann auf 2 kn. Wir parken sozusagen vor Belfast. Das ist ein prima Platz zum Parken, denn hier fahren Fähren von England nach Nordirland und wieder zurück. Es ist auch die schmalste Stelle zwischen den beiden Inseln, hier kommen viele Frachtschiffe durch. Das AIS feuert einen Alarm nach dem anderen. Ich wollte sowieso nicht schlafen.

Samstagabend vor Belfast

Ein paar Stunden später dreht der Strom wieder in meine Richtung. Sissi beschleunigt auf fast 8 kn. Und ich bin an der Hauptverkehrsstraße vorbei. Ein paar Stunden lege ich mich aufs Ohr, werde jedoch von meinem Wecker regelmäßig aus dem Schlaf gerissen. Das muss leider so sein, wenn man ohne Crew unterwegs ist. Den Sonnenaufgang verpasse ich, weil er gar nicht so richtig stattfindet. Es kommt Regen.

Islay in Sicht. Und Regen auch.

Die letzten paar Stunden bis Port Ellen ziehen sich ein wenig dahin. Die Tide hat wieder gedreht, doch hier ist zum Glück die Strömung nicht mehr so stark. Ich beobachte die Fähre, wie sie nach Port Ellen hineinfährt. Ich beobachte die Fähre, wie sie Port Ellen wieder verlässt. Das ist schön, ein Problem weniger. Ich begegne den Fähren nicht so gerne, wenn ich dicht vor einem Hafen bin. Dann mache ich Sissi klar zum Anlegen. Fender und Leinen auf beiden Seiten, ich weiß ja nicht, wo ich landen werde. Wenige Minuten später bin ich drin. Ein freundlicher Segler winkt mich zur letzten freien Box. Ich fahre rein und stecke sofort fest, denn das andere Boot in dieser Box hat sein Dinghi draußen hängen. Das ist mal wieder die Müdigkeit, ich habe das Dinghi nicht gesehen. Andererseits ist es auch eine Frechheit, wenn man im engen Hafen das Dinghi draußen liegen hat. Der freundliche Helfer klettert auf das andere Boot und räumt das Dinghi aus dem Weg. Dann liege ich fest. Willkommen auf Islay.

Sissi in Port Ellen. Mal wieder.

Der Hafenmeister begrüßt mich und will mir seinen Hafen erklären. Ich erinnere mich noch an seinen Namen und natürlich erinnere ich mich an den Hafen. Die Wifi-Antenne, die ich beim letzten Besuch noch nicht hatte, bringt das kostenlose Wifi vom Fähranleger an Bord. Der Dinghibesitzer kommt mit seiner Frau vom Einkaufen zurück und blökt mich an, was ich mit seinem Dinghi gemacht habe. Ich habe gar nichts gemacht. Ich frage ihn, ob er beide Liegeplätze bezahlt. Daraufhin hält er seinen Mund. Gerade habe ich mir wieder einen Freund fürs Leben gemacht.

Whiskybar im Ardview Inn

Nach ein paar Stunden Schlaf und einer erfrischenden Dusche im Duschtempel habe ich noch einen Tagesordnungspunkt zu erledigen. Ich besuche den örtlichen Pub mit seiner fantastischen Whiskybar. Ich bekomme die Whiskykarte hingelegt, doch nach einer halben Sekunde Nachdenken bestelle ich mir einen Ardbeg Ten.

Lecker.

Ich habe meinen Eintracht Pulli an Bord gelassen. Mit dem Barmann komme ich über Fußball ins Gespräch. Bei ihm hätte ich mit Eintracht-Klamotten kein Problem. Er ist nämlich Fan von Celtic Glasgow und er erklärt mir gleich einmal, wo ich in Port Ellen den Eintracht-Adler finden kann. Ein anderer Celtic Fan hat sich nach dem Sieg unserer Eintracht eine riesige Flagge bestellt und in seinen Garten gehängt. Mein Nachbar am Tresen arbeitet im Islay Hotel und bewirbt die Live-Musik am Donnerstagabend. Im Hintergrund füttern die Leute die Jukebox und machen Musik. Es fühlt sich gut an, wieder auf Islay zu sein.