Am frühen Nachmittag verlassen wir die Marina in Lagos und machen uns auf den Weg zu den Kanaren. Das Ziel ist erst einmal Lanzarote, die von uns aus gesehen erste der Kanareninseln. Außerdem ist dort eher Platz in den Marinas als beispielsweise auf Gran Canaria, von wo aus die ARC starten wird.
Der perfekte Wind bläst uns auf dem Zielkurs mit 6,5 Knoten voran. Für etwa eine halbe Stunde, dann sind wir um das Kap herum und der Wind lässt nach. Alles ist wie immer. Sissi verlangsamt auf 4 Knoten und der Schwell vom Atlantik setzt ein. Wir sind guter Dinge, denn endlich sind wir wieder unterwegs. So lange das Telefonnetz noch verfügbar ist, scherzen wir mit unseren Freunden und tauschen Nachrichten aus. Nach drei Stunden ist das auch vorbei, das Webradio verstummt, die Handys werden zur Seite gelegt und die Sonne geht schnell unter. Alles ist wie immer.
„Sag‘ das bloß nicht den Chapos!“, meint Jens zu mir, als er sein Mittagessen mit Neptun geteilt hat. „Sonst bekommen die Angst.“ Offenbar haben wir zu lange an derselben Stelle gelegen, sein Magen verträgt das Rollen nicht mehr. Alles ist wie immer.
Also mache ich nur ein leichtes Abendessen, Pasta Bolognese aus der Dose. Mehr lohnt sich nicht, Jens schafft es nicht einmal, seinen Teller komplett leer zu essen. Außerdem ist das Rollen so brutal, dass mir die frischen Zutaten durch den Salon geflogen wären. Sonst ist er ja das Pastatier. Jens geht schon um 19 Uhr ins Bett, ich übernehme die erste Wache. Alles ist wie immer.
Zunächst sieht es spannend auf dem AIS aus. Wir kreuzen mehrere Fahrspuren für Frachtschiffe und dort ist auch einiges los. Ein Fischer zielt eine Stunde lang immer wieder auf Sissi, ich kann ständig seine rote und grüne Positionslampe sehen. Doch er fischt langsam, wir entkommen ihm dank des wieder leicht auffrischenden Windes und müssen keinerlei Korrekturen unseres Kurses vornehmen. Gegen Mitternacht stellt sich Ruhe auf den Bildschirmen ein, eine gepflegte Langeweile macht sich breit.
Es ist unsere fünfte mehrtägige Ozeanpassage. Wir haben dreimal die Nordsee überquert, einmal die Biskaya und sind jetzt wieder für mehrere Tage auf dem blauen Wasser. Die Nordsee ist vergleichsweise kurzweilig, man kann sich mit dem Bohrinsel-Slalom beschäftigen und sieht regelmäßig Frachtschiffe und Fischerboote. Hier ist nichts los.
Ich höre mir die Sissiphonie Nr. 5 in Atlantik-Moll an und vermisse die Pauke aus dem Wassertank zunächst einmal nicht. Ein leichtes Surren vom Windgenerator, dazu das Knarzen der Inneneinrichtung bei jeder Schiffsbewegung. Dumpfe Schläge der Wellen-Drums, die gegen die Bordwand klatschen werden rhythmisch unterlegt von den im Takt klirrenden Gläsern im Glasregal. Dieser Takt gilt auch für den Herd, dessen halbkardanische Aufhängung nach einem Tropfen Öl schreit. Die Brotbackform hat sich losgerissen und schlägt in der Lasagneschale hin und her, ein paar Geschirrtücher schaffen Abhilfe. Ich liege auf der Couch, unter mir tanzen die Konservendosen in der Vorratslast Tango. Ich sortiere sie neu. Das Besteck in der Schublade schlägt seinen leisen Beat, wesentlich lauter ist der Blumenkohl, der aus seinem Netz heraus auf den Vorratsdosen für das Mehl trommelt. Mit einem dumpfen Schlag fällt der Hackenporsche in der Vorschiffskoje auf den Boden, die Ausstiegsleiter hin terher. Eine schlecht gesicherte, offene Packung Tagliatelle verteilt sich anmutig vor dem Herd.
Nach dem Monduntergang ist die Nacht sternenklar. Ich schalte für eine halbe Stunde jedwede Beleuchtung auf der Sissi aus und genieße die Unendlichkeit über mir. Sterne, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. In der Mitte zieht sich das Band der Milchstraße hindurch. Ab und an fällt eine Sternschnuppe. Ich wünsche mir mehr Wind. Gegen halb Vier wecke ich Jens, der in seiner Koje immer von einer Seite zur anderen gerollt ist und nicht viel Schlaf bekommen hat. Dafür ist seine Unpässlichkeit wie weggeblasen. Sehr gut. Alles ist wie immer. Auch ich werde durch die Gegend gerollt und finde lange keinen Schlaf.
Die vier Meter hohen Wellen sind überhaupt nicht schlimm, auf denen fährt Sissi einfach rauf und runter. Das Problem sind die kleinen Wellen, die sich darin verbergen. Die neigen, drehen und schütteln Sissi, bringen uns immer wieder vom Kurs ab und lassen das Segel schlagen und knallen.
Die Pauke aus dem Wassertank ist jetzt wieder da. Wir haben 120 Liter Wasser gemacht, der Tank ist jetzt fast ganz voll. Damit ist unser Sissiphonieorchester wieder komplett. Wir werden wohl den Rest des heutigen Tages noch brauchen, um uns an die Situation auf See zu gewöhnen. Alles ist wie immer.
Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 35°49‘N 9°40‘W
Erstes Etmal: 93,2 Meilen (mit 3,7 kn langsamer als ein DHL-Paket)
Reststrecke: 450 Meilen