Ist es eine Straßenbahn oder ist es eine Eisenbahn? So richtig entscheiden kann ich die Frage nicht. Auf dem großen Schild über dem Straßenbahndepot steht „Electric Railway“. Auf den Fahrzeugen steht sowohl „Railway“ als auch „Tramway“. Insgesamt sehen die Züge mehr wie Straßenbahnen als wie Eisenbahnen aus, sie fahren auch nicht auf Signale. Also werde ich ab sofort die Bezeichnung Straßenbahn benutzen.
VORSICHT!!! Dieser Artikel enthält nichts außer Schienenbahnen und ein paar Tieren. Weiterlesen geschieht auf eigene Gefahr.
Ich bin eine Woche auf den Schienen der Isle of Man unterwegs gewesen und muss feststellen, dass ich die Straßenbahnstrecke noch nicht einmal in einem Stück von Anfang bis zum Ende gefahren bin. Das hole ich nun am letzten Gültigkeitstag meiner Wochenkarte nach. Während der Wartezeit auf meinen Zug kann ich noch ein Bild von der Pferdebahn machen.
Ich habe Glück und ergattere einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Im Reisegepäck habe ich den Fahrplan (aus Gewohnheit, eigentlich kenne ich ihn schon auswendig), etwas Knabberkram und ein paar Dosen Fanta. Ich stehe immer noch voll auf den Geschmack von Fanta. Die gibt es in der Karibik nicht, früher habe ich mir auch nicht viel daraus gemacht. Im Moment komme ich ohne das Getränk nicht mehr aus.
Während der Elektromotor brüllt, die Räder in den engen Kurven quietschen und auf den verschraubten Schienen klackern, lasse ich die letzte Woche Revue passieren. Das Wetter war wieder einmal unglaublich. Kein Regentropfen ist gefallen, es war aber auch die gesamte Woche vollkommen windstill. Ich hätte keine Chance gehabt, unter Segeln weiterzukommen.
So konnte ich mich fast die ganze Zeit mit dem beweglichen Industriedenkmal beschäftigen. Dabei bin ich die meiste Zeit mit dem parallel verkehrenden Bus unterwegs gewesen und habe zig Kilometer zu Fuß zurückgelegt, weil die Straße nicht immer direkt an der Bahnstrecke liegt oder sie wie auf dem Foto gar kreuzt.
Oft musste ich aufgrund großer Busverspätungen recht schnell gehen, sonst hätte ich meine Motive verpasst. Wagen 1, 2, 32 und 33 finde ich besonders schön, weil sie nicht die eckige Front von Wagen 5 oder 9 haben. Man kann den Fahrer immer erkennen. Natürlich hätte ich oftmals langsamer gehen und einen anderen Zug eine halbe Stunde später aufnehmen können. Wenn ich mir aber ein bestimmtes Motiv in den Kopf gesetzt habe, will ich das auch so machen.
Gelegentlich hat mich die MER aber auch reingelegt. Ich habe ein bestimmtes Fahrzeug erwartet und plötzlich wurde es gegen ein anderes Fahrzeug getauscht. Trotzdem bin ich sehr zufrieden mit der Ausbeute, weniger mit meinem Muskelkater in den Beinen.
Ein Problem sind bei der Straßenbahn wie bei der Eisenbahn die Hecken und Mauern an der Strecke. Es ist oft unmöglich, eine unverbaute Sicht auf die Schienenbahnen zu bekommen. In Deutschland würde ich in dieser Situation einfach die Gleise entlang laufen. Bei den gefahrenen Geschwindigkeiten und dem Lärm, den die Züge bei der Annäherung machen, wäre das vollkommen ungefährlich.
Für die drei Aufnahmen zwischen Laxey und Dhunn Glen musste ich eine viel befahrene Straße entlang gehen. Eine viel befahrene Straße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Nicht nur in Deutschland gibt es unlimitierte Straßen, es gibt sie auf der Isle auf Man ebenfalls.
Warum bin ich nicht auf den Schienen gewandert? Weil es teuer sein kann. In Deutschland hat mich zwei oder dreimal die Polizei ermahnt und von den Schienen auf die Straße geschickt. Es ist bei uns genauso verboten wie hier, doch hier drohen sie 5000 Pfund Strafe an. Für 5000 Pfund kann man ziemlich viele Fahrkarten kaufen. Ich habe keine Ahnung, wie die hiesige Polizei drauf ist, aber ich will es auch nicht darauf ankommen lassen.
Ich war dann sehr erleichtert, als ich wohlbehalten Dhunn Glen erreicht habe. Wenn die Autofahrer einen Fußgänger sehen, dann machen sie durchaus einen großen Bogen um ihn. Das Problem sind jedoch die vielen uneinsichtigen Kurven, durch die die ortskundigen Fahrer ihre schnellen Wagen (Porsche, Ferrari und Konsorten sind keine seltenen Fahrzeuge auf Man) mit hoher Drehzahl prügeln müssen. Irgendwie ist immer TT.
Es war mir sehr wichtig, mit Straßenbahnwagen Nr. 1 mitzufahren. Das Fahrzeug ist nämlich laut Guinness Buch der Rekorde der älteste sich in Betrieb befindliche Straßenbahnwagen auf der Welt. Sagen jedenfalls seine stolzen Betreiber.
Entspannter als die Fotos an der Küste waren die Fotos in Rome’s Crossing. Dort gibt es praktisch keinen Autoverkehr. Es gibt auch keinen Busverkehr, ich musste von der Bushaltestelle knapp fünf Kilometer laufen. Dafür wurde ich dann von einigen neugierigen Schafen angestarrt.
Das Foto ist dann wieder ein Beispiel dafür, dass spontan ein Straßenbahnfahrzeug gegen ein anders getauscht wurde. Eigentlich hätte ich Wagen 32 erwartet, geliefert wurde mir aber Wagen 5. Die Fernsicht an jenem Tag war gigantisch. Im Hintergrund des Fotos ist die Küste von England zu sehen. Die Berge gehören nicht mehr zur Isle of Man.
Im Ramsay an der Endhaltestelle habe ich dann eine halbe Stunde Pause, bis es zurück geht. Ich nehme mir die Zeit für einen Spaziergang zum Hafen und zurück. Ein paar Tage früher habe ich schon den Fahrer von Wagen 9 dabei fotografiert, wie er den Stromabnehmer des Fahrzeugs dreht. Das muss bei jeden Fahrtrichtungswechsel gemacht werden.
Der Zug kommt auf dem linken Gleis an. Dann wird der Stromabnehmer das erste Mal gedreht, der Motorwagen drückt den Anhänger rückwärts über die Weiche auf das andere Gleis. Dann wird der Anhänger abgekoppelt. Der Stromabnehmer wird ein weiteres Mal gedreht und der Motorwagen fährt zurück auf das Ankunftsgleis. Nun wird die Weiche gestellt, der Anhänger rollt mit Hilfe der Schwerkraft neben den Motorwagen. Dort wird der Stromabnehmer ein drittes Mal gedreht, der Motorwagen fährt jetzt auch über die Weiche auf das andere Gleis. Ein viertes Mal (auf dem Bild) wird der Stromabnehmer gedreht und der Anhänger wird wieder angekoppelt. Dann erfolgt noch eine fünfte Drehung des Stromabnehmers und der Zug ist abfahrbereit. Was eine Arbeit… Jetzt können Fahrer und Schaffner erst einmal Pause machen.
Während ich mit zwei Dutzend anderen Fahrgästen darauf warte, dass das Personal aus der Pause zurück kommt und wir in den Zug einsteigen können, tut es plötzlich einen Schlag. Eine wartende Frau ist neben mir von der Sitzbank gefallen und mit ihrem Kopf auf den Betonfußboden aufgeschlagen. Zum Glück hat sie keine blutende Wunde. Sie besteht darauf, sich wieder auf die Bank zu setzen. Sie will mit der Straßenbahn nur 10 Minuten bis nach Hause fahren. Ein anderer Wartender gibt ihr Wasser zu trinken, sie scheint von der Hitze (ca. 25°C) völlig fertig zu sein und dehydriert. Einen zweiten Sturz auf den Fußboden kann ich abwenden. Wir setzen die Frau dann einfach auf den Boden und geben ihr weiterhin Wasser. Derweil sind Fahrer und Schaffner zurück. Sie verweigern der Frau die Beförderung. Wenn sie aus dem fahrenden Zug fällt, wird es nicht so glimpflich ausgehen. Die Stationsvorsteherin wird gerufen und bringt einen Rollstuhl. Sie hat schon einen Rettungswagen gerufen. Insgesamt waren die Menschen sehr hilfsbereit.
Ich mache eine Pause in Laxey. Mit kühlem, frisch gezapften Bier arbeite ich gegen meine eigene Dehydrierung. Quatsch, ich habe genug getrunken. Wenn man aus der Karibik kommt, trinkt man eher zu viel als zu wenig. Aber das Bier ist lecker. Ich lerne einen Immobilienmakler von der Isle of Man kennen und einen Steuerberater, der aus Luxemburg nach Man ausgewandert ist. Er spricht Deutsch. Der Immobilienmakler nicht. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt und verpassen die letzte Straßenbahn nach Douglas. Bevor ich mit dem Busfahrplan punkten kann, hat der Steuerberater schon ein Taxi bestellt. Ein schöner Ausklang eine schönen Tages. Sollte ich einmal ein Geschäft auf der Isle of Man eröffnen wollen, hätte ich schon einen Steuerberater.