12V und der dritte Geburtstag

Seit Monaten arbeite ich an der Elektrik von Sissi. Auf dem Rückweg von Kuba haben wir ziemlich viel Salzwasser im Boot gehabt und ein großer Teil der Kabel bzw. deren Verbindungsstücken ist korrodiert. Mein Ziel war es eigentlich, das bis zu meinem Geburtstag abgeschlossen zu haben. Das Ziel ist verfehlt, auch die vier kleinen Kätzchen haben ihren Anteil daran gehabt. Es ist mir nicht gerade egal, in Eile bin ich dennoch nicht. Mein neues Ziel ist, mir ein funktionsfähiges neues Schaltpaneel zum Geburtstag zu schenken. Die Stromversorgung vom alten auf den neuen Sicherungskasten umzuziehen ist ein dicker Brocken. In der Vergangenheit habe ich immer im Winterlager an der Elektrik gearbeitet. Damals musste das Boot nicht funktionieren. Jetzt ist Sissi aber bewohnt. Ich brauche zumindest Kühlschrank, Gefrierschrank, Wasserpumpe, Licht, Radio, WLAN und Lademöglichkeiten für mein Telefon, sonst ist mir das Leben zu spartanisch.

Admiral Nelson, Magellan, Captain Sparrow und Columbus

Zunächst muss ich das neue Schaltpaneel bauen. Die Trägerplatte habe ich vor ein paar Wochen in einer Schreinerei gegen zwei Heinecken getauscht. Sie wurde mir schon auf die korrekten Maße zugesägt. Ich muss mich nur noch um die Ausschnitte für die beiden Instrumente sowie für die Schalter kümmern. Die Schalter habe ich nebst Trägern in mehreren Läden über die Insel verteilt zusammengeklaubt.

Trägerplatte nach dem Sägen

Die Ausschnitte für die Schalterleisten sind sehr schön geworden. Weniger schön die Löcher für die Rundinstrumente. Da fehlte mir der passende Aufsatz für die Bohrmaschine, ich habe sie mit der Stichsäge gesägt. Sind die Instrumente an ihrem Platz, kann man die Unsauberkeiten kaum noch sehen. Mir genügt es.

Nach dem ersten Anstrich

Ich will im Salon die dunklen Wände gegen Ende der Renovierungsarbeiten in Weiß streichen. Das wird den Salon mächtig aufhellen. Deswegen fange ich mit dem Schaltpaneel an. Schon der erste Anstrich ist sehr schön geworden. Jetzt muss ich die Farbe über Nacht trocknen lassen. Die Zeit bis zu meinem Geburtstag wird knapp, doch noch ist der Termin zu halten. Ich nutze die Zeit, um die beiden neuen Sicherungskästen auf kleinen Holz-Sockeln an ihren neuen Wohnort zu bringen. Die Verkabelung ist durchweg in 3 mm² ausgeführt, ich kann also später eine fast beliebig dicke Sicherung einsetzen. Es gibt sowieso nur vier Verbraucher, die hier angeschlossen werden und mehr als 5A ziehen (Kühlschrank, Gefrierschrank, Autopilot, Radar).

Die neuen Sicherungskästen sind an Ort und Stelle, sie sind jedoch noch nicht angeschlossen.

Leider tut mir die Farbe nicht den Gefallen, innerhalb von vier Stunden zu trocknen. Die Sicherungskästen sind soweit klar für die Verkabelung. Hier kann ich erst weitermachen, wenn das neue Paneel an Ort und Stelle ist. An Bord ist also nichts mehr zu tun.

Seit ich den Gefrierschrank habe, liegen Packungen mit Blätterteig darin. Ich erinnere mich noch gut an Jens‘ Begründung, warum wir in Wales ein Nudelholz kaufen mussten. Er wollte Blätterteig für leckere Croissants selbst machen. Zu diesem Wahnsinn ist es nie gekommen, das Nudelholz war im Laufe der Zeit aber immer wieder Nützlich. Die eine oder andere Pizza haben wir an Bord gebacken. Nun ist mein Backpapier zu Ende, also fahre ich in den Supermarkt. Selbstgebackene Croissants sind schon ziemlich lecker. Beim Abschreiten der Regale finde ich das Backpapier zunächst nicht. Statt dessen finde ich ein mir bisher unbekanntes Corona-Produkt.

Corona Seife

Ich muss an die Anti-Corona-Maßnahmen der hiesigen Regierung denken und fühle mich wie in einem Déjà-vu. Wie soll ich meinen Geburtstag feiern? Wie kann ich die Maßnahmen soweit verbiegen, dass wir alle zusammen kommen können? Im vergangenen Jahr habe ich im Donkey Sanctuary gefeiert. Damals war es nicht erlaubt, am Strand zu feiern oder Alkohol zu konsumieren. Das ist seit einer Woche auch wieder verboten. In Restaurants und Bars gilt die 4-Personen-an-einem-Tisch-Regel. Das gab es im vergangenen Jahr auch. Und wir haben eine harte Ausgangssperre ab 22 Uhr. Wer danach von der Polizei auf der Straße angetroffen wird, zahlt eine Buße von 5000 Florin (wenn ich mich recht erinnere) und verbringt die Nacht im Gefängnis. Das war vergangenes Jahr auch so. Nur hatten wir im vergangenen Jahr gut 100 Corona-Fälle, jetzt sind wir knapp bei 1000. Die Intensivstation ist voll, Kranke werden nach Kolumbien ausgeflogen. Diesmal sind es nicht die Alten, diesmal sind die jungen Ungeimpften die Hauptbetroffenen. Wie ich es aus Deutschland auch mitbekomme.

Corona Kakao

Am Freitag bekommt das neue Schaltpaneel um acht Uhr morgens seinen zweiten Anstrich. Das Ergebnis gefällt mir sehr gut. Ich hoffe, dass ich die Schalter und Instrumente noch am selben Tag einbauen kann. Die Farbe muss nur schnell genug trocknen. Derweil schraube ich schon einmal das alte Paneel los und stelle es neben den Schrank. Ich trenne die Batterien vom Bordnetz. Windgenerator und Solarpaneele sind abgeschaltet. Trotzdem passiert nichts. Natürlich, den Landstromlader habe ich nicht ausgeschaltet. Ein Klick, die rote Kontrollleuchte erlischt. Alle anderen Lampen leuchten weiter, Kühlschrank und Gefrierschrank brummen. Wo kommt denn der Strom immer noch her? Nach kurzem Nachdenken ist mir klar, dass der Strom von der Starterbatterie kommt. Die ist aufgrund der langen Liegezeit über einen Schalter mit dem übrigen Netz verbunden, damit sie sich nicht selbst entlädt. Außerdem kann ich so den Motor über die Verbraucherbatterien starten, wenn es nicht anders geht. Ein Klick und es ist im Boot dunkel.

Der alte Sicherungskasten ist raus.

Jetzt werden alle unbedingt notwendigen Verbraucher auf eine einzige Sicherung gelegt. Ich habe eine schöne, kleine Stromschiene für die Lichtverteilung, auf der noch etwas Platz ist. Deswegen kommen alle Kabel erst einmal provisorisch darauf und werden an einer einzigen Sicherung im neuen Sicherungskasten abgesichert. So kann ich die Nacht überstehen. Später ist es dann doch noch möglich, den neuen Sicherungskasten zu bestücken und zu verdrahten.

Das neue Schaltpaneel

Auf dem Foto ist unschwer zu erkennen, dass ich fünf verschiedene Schalter eingebaut habe. Die sind von zwei verschiedenen Herstellern gebaut und in drei Marineshops in Aruba eingekauft. Entweder nimmt man hier, was man bekommen kann, oder man muss bestellen. Eine Bestellung hat aber nicht immer etwas damit zu tun, dass es auch zu einer Lieferung kommt. Ich warte immer noch auf den Anruf eines der Marineshops bei dem ich vor eineinhalb Monaten eigentlich 24 Schalter bestellt habe.

Das neue Paneel ist an Ort und Stelle

Mein Ziel ist fast erreicht. Da ich die Gäste erst für 17 Uhr zu meiner Geburtstagsfeier in das Jazz Cafe eingeladen habe, bleiben mir noch ein paar Stunden Zeit. Natürlich fängt alles erst einmal mit einer Autofahrt zum Baumarkt an, denn die alten Scharniere kann ich für das neue Paneel nicht mehr benutzen. Die Befestigungsschrauben sind hinüber und mir fehlen entsprechend kleine Schrauben. Entweder brauche ich Schrauben oder neue Scharniere. Die alten haben ein wenig unter dem Salzwasser gelitten, also ersetze ich sie durch neue. Nun kann das Paneel in den Schrank eingebaut und verdrahtet werden. Insbesondere die Leitungen vom Sicherungskasten müssen alle sorgsam an Ort und Stelle gebracht werden. Nicht dass die Nummern durcheinander geraten.

Alt (links) und Neu (rechts)

Jetzt ziehen noch Kühlschrank, Gefrierschrank und Kabinenbeleuchtung auf ihre neuen Schalter um. Anschließend bin ich zufrieden und betrachte den Meilenstein als erreicht. Zumindest ein Teil der Elektrik läuft auf dem neuen Sicherungskasten und Paneel, der Rest kann jetzt einfach umgeklemmt oder angeklemmt werden. Eine schöne Fleißaufgabe für die kommende Woche. Einige der alten Kabel wollen noch ersetzt werden, das ist der Herkules-Teil der Arbeiten.

Ein Eimer Bier

Etwa ein Dutzend Leute habe ich eingeladen. Erwartungsgemäß kommen die Holländer und die Deutschen zuerst. Die Arubaner sind etwas später dran. Ich habe einen einzigen Tisch bestellt, doch Wirtin Sanne verteilt die Reservierungsschilder gleich über drei benachbarte Tische. In der Folge bilden sich ein deutsch-französischer, ein holländischer und ein arubanischer Tisch heraus. Wir bestellen Pizza und lassen es uns gut gehen, außerdem werden von uns jetzt alle Corona-Regeln eingehalten. Die Polizei kommt nicht zu einer Kontrolle vorbei. Es ist der dritte Geburtstag, den ich nicht in Frankfurt feiere.

Eva vom Tierheim ist ebenfalls unter den Gästen. Leider hat sie die traurige Nachricht, dass der kleine Magellan es nicht geschafft hat. Zwei Tage vorher habe ich die vier noch einmal gefilmt. Ich glaube nicht, dass die Großen ihm das Futter weggeschnappt haben. Bei so kleinen Kätzchen ist es schwer, sie alle durchzubringen.

23. August 2021

Es regnet. Es regnet schon die ganze Nacht. Irgendwo nördlich von uns zieht mal wieder eine tropische Störung durch. Deswegen ist es beinahe windstill und das Wasser fällt aus dem Himmel. Stundenlang.

Starkregen in Aruba

Es ist egal. Ich muss raus. Soraida hat mich gerade angerufen, ein Paket für mich wurde bei ihr abgegeben. Es ist das Paket, das schon seit sieben Wochen in Aruba ist. Mein Vater war bei meinem Lieblingsmetzger in Frankfurt und hat ein paar Wurstkonserven, etwas Beef Jerk und eine Dose Apfelwein in ein Paket gepackt. Das fanden die Zöllner in Aruba nicht witzig und so entwickelte sich ein reger Nachrichtenaustausch zwischen dem Paketshop und dem Zoll in Oranjestad. Einzig das Paket gelangte nicht zu mir. Letztendlich stellte sich die Frage, ob ich gewillt bin, knapp 50 Dollar für den Zoll und noch einmal 50 Dollar für eine veterinärmedizinische Untersuchung zu zahlen. Zuzüglich der üblichen Gebühren. Ich war es nicht. Drei Werktage später landete das Paket bei Soraida. Es wurde vom Zoll nicht einmal geöffnet. Die Gebühren belaufen sich auf 125 Florin, also etwa 70 Dollar. Ich freue mich trotzdem, auch wenn der Inhalt längst nicht so viel Wert ist. Der ideelle Wert macht das allemal wieder wett.

Nasse Kreuzfahrer

Ich will noch schnell in den Supermarkt fahren, stecke aber ziemlich schnell in einem dicken Verkehrsstau fest. Eines der seltenen Kreuzfahrtschiffe (Carnival Cruises) liegt am Terminal. Das bedeutet natürlich, dass auf der Uferstraße die Touristen ständig von einer auf die andere Straßenseite torkeln. Also ist Stau, wir fahren diese Leute nicht über den Haufen.

Vor dem Tierheim ausgesetzt am 23. August

Einen Tag später bekomme ich eine Nachricht aus dem Tierheim. Ob ich mal auf der Videoüberwachung schauen kann, wer uns die Hunde und die Kätzchen vor die Tür gelegt hat. Natürlich kann ich. Es ist mir eine Freude. Innerhalb eines Tages wurden zwei Hunde und drei Kätzchen ausgesetzt. Wenn wir gute Aufnahmen haben, geben wir sie zur Polizei. Genauer gesagt bekommt sie ein bestimmter Polizist von der Hundestaffel. Der sorgt dann dafür, dass der Tierfreund eine Geldbuße zahlen muss.

Leider habe ich am Vortag bei einer ähnlichen Aktion die wichtigste Kamera abgeschaltet. Deswegen haben wir das Kennzeichen von dem Mann nicht, der uns gegen 13 Uhr die Katzen vor die Tür gelegt hat. Die Katzen mussten ohne Nahrung und ohne Wasser den ganzen Nachmittag und die folgende Nacht in ihrem Karton ausharren. Die Kätzchen sind ein paar Tage älter als die vier, die bei mir an Bord gewohnt haben. Sie können schon selbständig fressen und ihre Bedürfnisse verrichten.

Die Kennzeichen der beiden nun ehemaligen Hundehalter haben wir jedoch. Insbesondere der zweite Kerl, der uns den Hund an den Baum gekettet hat, ist besonders frech. Bei seinem ersten Besuch (hier können wir das Kennzeichen erkennen) läuft er herum und informiert sich über die Öffnungszeiten. Dann pinkelt er gegen die Mauer zum Nachbargrundstück und fährt wieder davon. Eine Dreiviertelstunde später ist er wieder da und holt den Hund aus dem Kofferraum, der dann am Baum gelassen wird. Außerdem muss er noch ein zweites Mal gegen die Mauer pinkeln. Puh.

Captain Sparrow und seine Tischmanieren

Meinen vier Babys geht es ausgezeichnet. Inzwischen müssen sie nicht mehr abgewaschen werden, sie reinigen sich selbst, wie es ein kleiner Kater machen muss. Nur Captain Sparrow muss noch ein wenig an seinen Tischmanieren arbeiten.

Tiger

Heute ist einer dieser Tage. Anneke sendete mir gestern eine Nachricht, dass sie nicht am Nachmittag sondern am Vormittag im Donkey Sanctuary sein würde. Ich war schon lange nicht mehr am Morgen dort, also habe ich mich gefreut.

Morgens um kurz vor Neun im Donkey Sanctuary

Die Morgenstunde hat ihren ganz eigenen Zauber. Bevor die Besucher kommen, stehen die Esel alle in erwartungsfroher Haltung da und begrüßen die Menschen. Sie wissen, dass in Kürze die Fütterung beginnen wird. Es ist geradezu gespenstig ruhig. Die Morgensonne streichelt weich über die Landschaft. Pünktlich um 9 Uhr ist alles aufgebaut und wir sind bereit, Besucher zu empfangen. Anneke will das Spezialfutter für die Alten fertig machen, als sie plötzlich darauf aufmerksam wird, dass Tiger merkwürdigerweise auf dem Boden liegt.

Keine Lebenszeichen mehr feststellbar, der Körper ist noch warm.

Der Körper des Babyesels ist noch war, aber Anneke kann keine Lebenszeichen mehr feststellen. Tiger war in der letzten Zeit wegen Eisenmangels in Behandlung. Deswegen trägt sie auch noch das Halfter. Ohne kann man einem Esel schlecht eine Spritze geben. Wegen ihrer schlechten Blutwerte vermutet Anneke, dass Tiger einen Herzinfarkt hatte.

Tiger ist eingeschlafen

Rund um das Baby finden sich keine Spuren, dass sie im Todeskampf lange gezappelt hätte oder sich gequält hätte. Anneke lässt ihren Mann Dirk die Videoaufzeichnungen sichten, denn dieser Stall wird von einer Kamera überwacht. Als Todeszeitpunkt wurde 6:10 Uhr festgestellt, Tiger hat sich einfach hingelegt, ist eingeschlafen und nie wieder aufgewacht.

Die Esel nehmen Abschied

Es stellt sich die Frage, was wir mit der Leiche machen. Liegenbleiben kann sie nicht lange, denn in der Hitze wird der Kadaver schnell anfangen zu stinken. Allerdings hat niemand von uns dreien ein geeignetes Auto für den Transport eines toten Esels, sei der Esel noch so klein. Wir müssen auf einen der beiden Pickup-Trucks warten, die zum Donkey Sanctuary gehören.

Es ist merkwürdig. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als Tiger mit ihrer Mutter Woods auf dem Parkplatz des Golfplatzes in San Nicolas gefangen worden sind. Damals war ich zufällig im Donkey Sanctuary, es wäre gar nicht meine Schicht gewesen. Auch der Tag, an dem Tiger das erste Mal den kleinen Stall verlassen und mit anderen Eseln herumtoben durfte, ist mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Das Video habe ich noch einmal ausgegraben.

Wir wissen alle, dass die kleinen Esel in Aruba keine großen Chancen haben. Da alle derzeit auf der Insel lebenden Esel von lediglich 20 Eseln abstammen, ist der Genpool schlecht. Wenn sie nicht gerade tot geboren werden, werden die kleinen Esel oft nicht alt. Daran kann auch die gute medizinische Betreuung im Donkey Sanctuary nicht viel helfen. Wir lassen die Esel Abschied nehmen.

Als ich das Donkey Sanctuary gegen Mittag verlasse, kann man schon etwas riechen. Es wird Zeit, dass Tiger abtransportiert wird. Traurig fahre ich zurück zu Sissi. Es ist heute einer dieser Tage.