Überfahrt nach Santa Maria

Es ist Sonntag. Vor der Marina toben die religiösen Feierlichkeiten, Mário und ich machen Sissi abfahrbereit. Immerhin weht in der Marina ein wenig Wind. Die Vorhersage verspricht zwar nicht allzu viel Wind für unsere kurze, lediglich 50 Meilen lange Reise, doch wir sind guten Mutes.

Wir verlassen die Marina

Während der Motor nur knapp über Leerlaufdrehzahl arbeitet, übt sich Mário im Verstauen der Fender und dem Einsammeln der Leinen. So lange noch an Deck gearbeitet wird, möchte ich den Hafen noch nicht verlassen. Das ist sicherer, weil sich Sissi weniger stark bewegt.

Letzter Blick auf Ponta Delgada und die Marina

Derweil schieße ich noch die obligatorischen Abschiedsbilder und sehe zu, dass wir nicht mit den einlaufenden Fischerbooten kollidieren. Blicke ich nach Backbord, bin ich noch froher, diese Insel verlassen zu können. Wieder hat ein dicker Kreuzfahrer in Ponta Delgada festgemacht. Mário meint zwar, dass dieses Jahr nur sehr wenige Kreuzfahrtschiffe überhaupt gekommen sind, doch dieser hier will wahrscheinlich Gäste zu den Feierlichkeiten bringen. Vielleicht auch nicht, wir sind jedenfalls weg.

Europa 2 in Ponta Delgada

Auf der Steuerbordseite haben wir einen ganz seltenen Anblick. Natürlich hat die portugiesische Marine auch U-Boote, doch sehen kann man sie selten. Im Gegensatz zu dem, was in der Presse über die deutschen U-Boote zu lesen ist, scheinen die portugiesischen Boote schwimm- und tauchfähig zu sein. Jedenfalls hat es dieses Exemplar bis zu den Azoren geschafft.

U-Boot. Gut getarnt.

Alle Leinen sind verstaut, wir passieren die Hafenausfahrt. Der Wind ist gut. Jetzt bin ich dran mit der Arbeit auf dem Vordeck, das Großsegel will nach oben. Es zickt zunächst ein wenig, weil ich zu blöd war, die Reffleinen rechtzeitig zu klarieren. Dann steht es an seinem Platz. Ich kehre zurück ins Cockpit. Das Ausrollen der Genua dauert nur Sekunden, dann darf der Motor schweigen. Sissi segelt wieder, endlich. Bisher waren die Inseltouren auf den Azoren ja eher Motorboot-Trips.

Endlich wieder segeln!

Das Wetter ist perfekt. Eine leichte Welle lässt uns ein wenig schaukeln, doch die Segel geben Stabilität. Der Himmel ist bedeckt, wir werden nicht von der Sonne gebraten. Es regnet nicht, Sissi läuft bei dem leichten Wind mehr oder weniger mit 5 Knoten. Es könnte kaum schöner sein.

Wir entfernen uns von Sao Miguel

Weiter und weiter entfernen wir uns von Sao Miguel. Mário schlägt vor, dass wir eine Partie Schach spielen. Endlich! Seit Eike Sissi verlassen hat, habe ich nicht mehr mit einem Menschen Schach spielen können. Es wird ein Gemetzel. Mário hat mich vorgewarnt, dass er zwar weiß, wie die Figuren ziehen, dass er aber nicht viel Erfahrung hat. Nach zwei Partien brechen wir ab, Mário fühlt ein gewisses Unwohlsein aufziehen. Er neigt ein wenig zur Seekrankheit, ist jedoch guten Mutes. Immerhin ist er immer wieder mit seiner Familie im sieben Meter langen Familienboot von Insel zu Insel gesegelt. Die kleinen Boote bewegen sich im Wasser natürlich viel mehr als Sissi, also denke ich, dass es insgesamt schon gut ausgehen wird. Nach drei Stunden allerdings können wir mit dem wenigen Wind den Kurs nicht mehr halten. Wir packen die Segel wieder ein.

Sissi ist wieder ein Motorboot geworden.

Kaum sind die Segel unten, ist der Wind auch komplett eingeschlafen. Wir hätten keinen besseren Zeitpunkt zum Einpacken finden können. Der Motor brüllt, Sissi schaukelt und es kommt, was nun kommen muss. Mário fragt, wo der beste Ort zum Kotzen ist. Ich reiche ihm einen Eimer.

Eimer.

Anschließend schicke ich Mário in seine Koje. Dort fällt er in den Dämmerzustand, den ich von den vielen Seekranken schon kenne, die in den vergangenen Jahren bei mir an Bord waren. So ist das Leben. Ich mache mir keine Gedanken, schließlich bin ich das alles auch von Jens gewohnt. Am ersten Tag fahre ich meistens alleine. Später kümmere ich mich um das Abendessen. Wie so oft übertreibe ich es. Es gibt leckere Schweinekoteletts mit Karotten-Pilzgemüse, Kartoffeln und einer schmackhaften Sauce. Mários Anteil geht über den Umweg seines Magens direkt zu den Fischen. Ich könnte mich selbst schlagen. Am ersten Tag darf man keine deftigen Gerichte reichen.

Annäherung an Santa Maria

Stunde um Stunde wummert der Motor, wir nähern uns dem Ziel. Von der Samai bekomme ich die Nachricht, dass wir eine wunderschöne Doppelbox ohne große Rangiermanöver ansteuern können. Das erfreut mein Herz, denn es ist nicht leicht, mit Sissi in einem engen Hafen zu manövrieren.

Noch eine halbe Stunde bis zur Hafeneinfahrt

Näher und näher kommen wir der Hafeneinfahrt. Santa Maria ist eine recht kleine Insel. Kaum haben wir das Land querab, ist es auch schon fast so weit, das Anlegemanöver vorzubereiten. Ich will die Samai fragen, auf welcher Seite wir die Fender ausbringen müssen. Doch bevor ich dazu komme, werde ich von Micha gefragt, auf welcher Seite ich die Fender ausbringen möchte. Es handelt sich schließlich um eine Box für zwei Boote, ich kann es mehr aussuchen. Wenn ich die Wahl habe, wähle ich immer die Backbordseite. Das macht alle Manöver einfacher.

Es wird langsam dunkel. Noch um diesen Felsen herum, dann sind wir angekommen.

Ich hole Mário aus seiner Agonie. Inzwischen sind wir im Wellenschatten der Insel, Sissi bewegt sich kaum noch. Mário ist von den Toten auferstanden und kann die Fender ausbringen. Ein letzter Blick auf die Seekarte, dann steuern wir schon den Hafen an. Micha leuchtet mit der Taschenlampe aus der Dunkelheit, um uns die Box zu zeigen. Die ganze Familie steht zur Begrüßung am Steg. Mit einem geübten Manöver fahre ich einen Bogen um einen Katamaran, damit jage ich der Crew am Steg einen kleinen Schrecken ein. Ich kann sie rufen hören. Doch Sissi braucht Raum, das habe ich im Griff. Eine Minute später ist das Boot festgemacht. Eine fünfte Person bindet ebenfalls eine Leine an die Klampe, es ist Mários Vater. Der wohnt auf Santa Maria und hat es sich nicht nehmen lassen, zur Begrüßung an den Steg zu kommen. Wir trinken alle noch ein Ankommerbier, dann ist es Zeit, zu Bett zu gehen.

Am nächsten Morgen. Sissi in Vila do Porto

Am nächsten Morgen können wir das Auto von Mários Vater leihen. Der beste Mietwagen, den ich je hatte. Er kostet nämlich keinen Cent. Bei unserer ersten kleinen Tour entsteht dieses Bild, ein schöner Blick auf die kleine, ruhige Marina. Jetzt sind wir in Santa Maria.

Ich könnte Micha treten. Irgendwann hat er den uralten Schlager von Roland Kaiser angestimmt. Jetzt verschmutzt die Schnulze meinen Gehörgang. Heutzutage könnte man diesen Text nicht mehr veröffentlichen…

Vorbei ist die Herrlichkeit

Noch fahren wir mit einer ordentlichen Geschwindigkeit in die richtige Richtung. Mit etwa fünfeinhalb Knoten gleiten wir durch die Wellen. Wir haben Halbwind, besser kann man nicht segeln. Der Eimer ist wieder in seiner Backskiste verschwunden, Mário fühlt sich viel besser. Natürlich habe ich das mit meiner leckeren Pizza erreicht, es liegt bestimmt nicht an den angenehmeren Segelbedingungen.

Für den Nachmittag habe ich eine lange Playliste mit etwa 30 Musiktiteln vorbereitet, die wir gemeinsam mit ordentlicher Lautstärke hören. Mit „gemeinsam“ meine ich, dass wir beide im Cockpit der Musik lauschen. Es wäre unmöglich, auf Sissi einen Platz zu finden, an dem man der Musik entgehen kann. Dazu ist sie viel zu laut. Anschließend werfe ich das Bordkino an, ich habe die Filmrollen von Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ gefunden. Mário kennt den Film noch nicht, ich habe ihn bestimmt schon zehnmal gesehen. Wir lachen viel, der Streifen ist einfach absurd komisch.

Nachdem Mário den Film überstanden hat, überlebt er auch noch ein urdeutsches Abendessen mit Schweineschnitzel, Bratkartoffeln und Bohnen. Wieder einmal sieht es so aus, als sei die Seekrankheit überwunden. Doch man soll ja bekanntermaßen den Tag nicht vor dem Abend loben. Apropos Abend, der beginnt früh nach dem Abendessen. Mário kriecht recht unwillig in seine Koje, nach der Zeitumstellung steht die Sonne noch recht hoch. Er findet keinen Schlaf, zieht irgendwann von der Achterkoje in die Vorschiffskoje um und mir schwant schon Böses. Wie will er nach nur drei Stunden Schlaf die Nachtwache überstehen?

Gegen 1:00 Uhr morgens stehen wir plötzlich in der absoluten Flaute. Bis hierhin hatten wir herrlichen Segelwind, doch woher kommt diese Flaute so plötzlich? Die Wettervorhersage prognostizierte feinen Segelwind bis Dienstagmittag. Es ist eben wie es ist. Die Herrlichkeit ist vorbei. Ich hoffe auf eine kurze Flaute und die in den leichten Wellen schlagenden Segel bereiten mir nahezu körperliche Schmerzen. Die Genua ist schnell eingerollt, das Großsegel in der Mitte fixiert und der Motor brummt. Er brummt das erste Mal, seit wir Santa Maria verlassen haben.

Eine Stunde später ist der Wind zurück. Ich bin erleichtert. Da ich noch einigermaßen fit bin und mein Buch spannend ist, beschließe ich, Mário eine zusätzliche Stunde Schlaf zu gönnen. Diese Idee macht er mit seinem Wecker zunichte. Ich habe ihm mehrfach gesagt, dass er den Wecker nicht stellen soll. Nicht mein Problem, ich komme pünktlich ins Bett und kann immerhin bis um 7:00 Uhr schlafen. Dann wecken mich die schlagenden Segel.

Also rollen wir die Genua wieder ein, fixieren das Großsegel in der Mitte und lassen den Motor brummen. Diesmal sind die Wellen höher, wir müssen das Groß auch noch herunter nehmen. Diese Arbeiten mag ich gar nicht, bevor ich meinen Morgenkaffee getrunken habe, doch was getan werden muss, muss eben getan werden. Anschließend verkrieche ich mich wieder unter meiner Bettdecke und hoffe auf zwei bis drei zusätzliche Stunden Schlaf.

Denkste! Um halb Neun weckt mich Mário, der Wind ist zurück. Er kommt als Gegenwind. Mit der geringen Drehzahl kann der Autopilot den Kurs nicht mehr halten. Jetzt müssen wir taktisch segeln, die Genua kommt raus, das Groß bleibt unten. Der Wind soll nicht lange halten. In den kommenden beiden Tagen haben wir sowieso Flaute vorhergesagt, der nächste Wind wird aus Westen kommen. Also nutzen wir das, was wir haben. Wir fahren dem neuen Wind entgegen. Mário fällt komplett übermüdet in seine Koje.

5. Etmal: 93,5 nm
Position: 41°51‘N 18°02‘W