Shake, rattle and roll

Nach einem schönen und ausgeruhten Tag in Whitehills fuhren wir weiter nach Inverness, wo sich das östliche Ende des Caledonian Canals befindet. Die Strecke beläuft sich etwa auf 50 Seemeilen, also braucht man mit den üblicherweise für Kalkulationen verwendeten 5 Knoten Geschwindigkeit 10 Stunden Fahrzeit. Die Kanalschleusen werden im Sommer von 8 bis 17 Uhr bedient und um 8 Uhr war auch Hochwasser in Inverness. Kurz vor Inverness kommen mehrere Engstellen, in denen eine starke Tideströmung herrscht. Deswegen war klar, dass wir bis spätestens um 8 Uhr morgens in Inverness angekommen sein müssen.

Die Wettervorhersage sprach von Gegenwind bis zu sechs Windstärken, der aber Stunde um Stunde weniger werden sollte – bis hin zur totalen Flaute. Unser Plan war somit gegen 18 Uhr in Whitehills abzufahren. Dann ist die prognostizierte Ankunftszeit irgendwo um 4 Uhr am Morgen. Es waren also vier Stunden Luft in der Kalkulation.

Wir verabschiedeten uns von Hafenmeister Bernie, starteten den Motor und wussten, dass in dieser Nacht die Segel unten bleiben würden und Onkel Benz für den Vortrieb sorgen musste.

Whitehills von See aus gesehen nach unserer Abfahrt

Das Radio lief mit hoher Lautstärke und spielte zu Filmmusik von Blues Brothers. Wir sangen die meisten Lieder mit und freuten uns auf die Fahrt in den Sonnenuntergang. Doch das Wetter ist nicht immer unser Freund, die Wettervorhersage zwar präzise aber längst nicht stundengenau. Sissi begann, wild in den Wellen zu tanzen. Immer öfter bohrte sich der Bug in eine der entgegen kommenden Wellenberge.

Im Keller wummerte der Diesel, aus den Cockpitlautsprechern dröhnte Musik. Wir haben vor Jahren schon das Spiel „Alpen-DJ“ erfunden. Damit sind wir immer wieder über die langweiligen Autobahnen durch die Alpen Richtung Kroatien zum Segeln gefahren. Das Spiel ist ganz einfach. Wir haben eine große Musiksammlung mit einer höheren fünfstelligen Zahl an Titeln. Man gibt einen Begriff ein , z.B. „Black“ oder „Sailing“ oder was auch immer. Zumeist gibt es eine Trefferliste mit mehreren Musiktiteln, die dann auf die Playliste genommen werden. Ein paar davon. Am meisten Spaß macht es, wenn einer den Begriff vorgibt und der andere dann einige Stücke auf die Liste nimmt. Wir finden immer wieder unerwartete Kleinode in unserer Sammlung.

Kreuzfahrtschiff macht Dreck

Alsbald begegnete uns ein Kreuzfahrer. Die markante Abgasfahne sahen wir lange, bevor wir das Schiff mit unseren Augen sahen. In Zeiten, in denen man bei PKWs, Zentralheizungen und BBQ-Grills auf die Emissionen achtet, erscheint eine solche Dreckschleuder wie ein aus der Zeit gefallener Anachronismus.

Ich machte eine AIS-Abfrage, um herauszufinden, um welches Schiff es sich handelt.

AIS-Information zum Kreuzfahrer

Das Schiff war also die Crown Princess. Ein nur 13 Jahre altes Schiff, das offenbar nicht einmal über eine einfache Abgasreinigung verfügt. Wir schüttelten den Kopf, weil wir das nicht verstehen konnten.

Wir schüttelten jedoch nicht nur den Kopf, denn nebenbei wurden wir von Sissi auch selbst ganz ordentlich durchgeschüttelt. Der Wind hat sich nämlich nicht an die Wettervorhersage gehalten und wurde stärker,. Dabei sollte er doch abflauen. Es baute sich eine harte Welle auf, die die Reise ein wenig unkomfortabel machte. Da das Log immer noch 4 Knoten anzeigte, war uns das allerdings egal, schließlich hatten wir vier Stunden Luft in der Kalkulation und würden auch mit vier Knoten immer noch vor dem Kippen der Tide (und damit vor dem Einsetzen der Gegenströmung) durch die Engstellen vor Inverness kommen.

Tankschiff im Gegenverkehr

Wenige Stunden später hatten wir wieder Gegenverkehr. Diesmal war es ein Tankschiff. Das rußte nicht, jedenfalls nicht so sichtbar, wie es bei dem Kreuzfahrer war. Das ist irgendwie eine komische Welt.

Die Windstärke stieg derweil in den Böen auf 7 Bft, die Wellen wurden höher und Sissi bohrte immer wieder den Bug in die Wellen. In der Konsequenz reduzierten wir die Geschwindigkeit das machte die Fahrt zwar langsamer, dafür aber um einiges komfortabler. Nur würden wir so die Tide nicht schaffen. Ich schnappte mir den Reeds Nautical Almanach,, um einen Ausweichhafen zu finden. Die sind hier aber nicht so dicht verteilt. In die meisten können wir gar nicht hereinfahren. Die sind zu klein, zu flach oder können nur bei Hochwasser angfahren werden. Also blieben wir bei unserem Plan und knüppelten weiter unter Maschine gegen den Wind an.

Um Mitternacht ging ich zu Bett. Wer mit dem Gedanken spielt, sich für teures Geld einen Parabelflug mit dem Flugzeug zu leisten, um Schwerelosigkeit zu erleben, kann das Geld auch gerne zu uns tragen. Wir fahren dann mit Sissi gegen solche Wellen an. Die Koje hob und senkte sich im Wellentakt, immer wieder verlor ich den Kontakt zu r Matratze, weil diese unter mir einfach wegsackte. Ich durfte „Schwerelosigkeit“ erleben und knallte dann wieder auf das Bett. An ruhigen Schlaf war nicht zu denken.

Nach einigen Stunden stand ich wieder auf, um Jens abzulösen. Wir sind kaum voran gekommen, haben teilweise nur 2 Seemeilen pro Stunde auf unser ZIel hin gut gemacht. Jens legte sich hin. Vorher überlegten wir, was wir machen, wenn wir die Tide verpassen. Da es keine ordentlichen Ausweichhäfen in dieser Ecke gibt, war klar, dass wir dann unter Motor auch noch gegen die Strömung fahren müssen. Noch mehr Geschüttel.

Nördlichster Punkt unseres Törns
Nebenbei bemerkt: Irgendwann in der Nacht erreichten wir den nördlichsten Punkt unserer gesamten Reise. Von hier aus wird es erst einmal nach Süden gehen, bis wir an Weihnachten in der Karibik sind.

Dann flaute der Wind aber innerhalb kurzer Zeit ab und ich konnte Gas geben. Normalerweise fahren wir unter Motor mit 1400 Umdrehungen pro Minute 5 Knoten, diesmal habe ich 2400 Umdrehungen eingestellt. Damit waren wir 7,5 Knoten schnell. Das hat zwar eine Menge Diesel gekostet wir kamen aber einigeraßen pünktlich an die enge Stelle. Vorher sahen wir noch einige Tanker auf Reede liegen die wohl darauf warteten endlich mit Öl beladen zu werden

Tanker auf Reede

An einer der Engstellen befindet sich ein Leuchtturm, gegenüber eine alte Festung. Die Festung konnte ich aufgrund des Sonnenstands nicht so ablichten, wie ich das gerne gewollt hätte, also hielt ich auf den Leuchtturm.

Chanonry Point

An dieser Stelle haben wir im vergangenen Jahr noch viele Delphine gesehen. Dieses Jahr war kein einziger Delphin zu sehen. Vom Leuchtturm aus ist es nicht mehr weit. Es war Zeit, mit dem Schleusenwärter zu funken und einen Platz in der Schleuse klar zu machen.

Wir bekamen eine Wartezeit von 50 Minuten mitgeteilt. Das Problem ist die Drehbrücke der Eisenbahn. Die kann nur aufgemacht werden, wenn kein Zug die Brücke anfährt.

Eisenbahn-Drehbrücke in Clachnaharry

In dem kleinen weißen Häuschen auf der rechten Bildseite sitzt ein Bahn-Mitarbeiter. Der kümmert sich um die Drehbrücke. Zwei Züge mussten wir abwarten, dann öffnete sich die Brücke. Wir konnten in die Seaport-Marina weiterfahren.

Sissi bekam eine neue Tankfüllung und ich habe mich erst einmal auf die Couch geworfen. Zwei Stunden unruhiger Schlaf innerhalb von 24 Stunden reichen nicht aus. Jens war genauso müde, hat das Geschüttel und Gerolle aber gut überstanden. Diesmal war er nicht seekrank und das ist gut so . Im Prinzip hat alles funktioniert, wie es geplant war. Es hat nur etwas länger gedauert.

Jetzt ist es 2 Uhr in der Früh am Folgetag und ich kann nicht schlafen. Nach sieben Tassen Kaffee, einigen Cola und einem zweistündigen Powernap am Mittag hat es mich gerade total überdreht. Egal – morgen ist Kanalfahrt angesagt, da wird es auf keinen Fall Sissi und die kleine Crew durchwürfeln. Es wird auch niemand Würfelhusten bekommen.

Eine Antwort auf „Shake, rattle and roll“

  1. Wenn ihr nahe Hochwasser da wart ist das mit den Delphinen eigentlich klar. Die lassen sich dort nämlich mit dem Gezeitenstrom das Futter ins Maul treiben. Und der Gezeitenstrom dürfte ja nicht so stark gewesen sein. Wir haben das durch zufall entdeckt weil wir in Rosemarkie Zelten wollten und der Campingplatzbesitzer uns empfahl uns lieber Delphine anzuschauen als uns beim Zeltaufbau den Arsch nassrechnen (rechnen = ruhrpott für regnen) zu lassen.
    Gruß Florian

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