Es ist herrlich, was man sich so in sein Boot tanken kann. Zuerst bezahle ich einen Laster voll Geld für den Diesel in Bonaire, nun wird es mich eine ganze Reihe von Lastern voller Geld kosten, die Folgen der Katastrophe zu beseitigen. Es ist Freitag und die Einspritzpumpe ist schon wieder bei Bosch. Immerhin ist der Tank sauber.
Dienstagmorgen. Ich öffne den Tank. Vier Worte, die ich in in weniger als vier Sekunden schreiben kann. Vier Worte, die nicht einmal ansatzweise beschreiben, was das an Arbeit bedeutet. Die Wartungsklappe ist oberhalb des Tanks und mit 25 Bolzen fest am Tank verschraubt. Der Tank befindet sich im hintersten Winkel des Maschinenraums. Ich biege mich mit dem Oberkörper in die enge Kammer, in der einen Hand habe ich eine Ratsche, in der anderen einen Schlüssel zum Gegenhalten. Mit dem Ellenbogen kann ich mich ein wenig auf der Starterbatterie abstützen, mit einem Bein auf dem Motorblock. Bequem ist anders. Das Schwierigste ist zu verhindern, dass die gelösten Muttern hinter den Tank und damit in die Bilge fallen. Das gelingt mir glücklicherweise. Nach nur eineinhalb Stunden und mit Rückenschmerzen ist der Tank endlich geöffnet.
Der Diesel selbst wird mit einer kleinen elektrischen Pumpe in Kanister befördert. Sie müssen entsorgt werden, die wird mir niemand mehr abkaufen. Je niedriger das Niveau im Tank ist, desto dunkler sieht die Brühe aus, die noch abgepumpt werden muss. Es ist kaum vorstellbar, dass das alles von einer einzigen Tankfüllung herrührt. Doch sowohl Fred als auch Holger sind der Meinung, dass es vollkommen genügt, einmal an der falschen Stelle zu tanken.
Nach etwa einer Stunde ist der Tank leer, die Kanister sind voll und ich habe einen guten Blick auf den Umfang der Katastrophe. Ein wenig Schrubben ist notwendig. Definitiv. Das kann man nicht wegdiskutieren.
Es dauert etwa eine weitere Stunde, dann ist der Tank wieder in einem Zustand, in dem man Diesel einfüllen möchte. Das sieht gut aus. Und ja, inzwischen kann ich mir vorstellen, dass ich den Dreck alleine in Bonaire getankt habe. Die dortige Bootstankstelle kann ich jedenfalls nicht weiterempfehlen, auch wenn der Service gut, schnell und freundlich ist. Wahrscheinlich wird bei der Reinigung des Tanks regelmäßig geschlampt. Das jedenfalls erzählt Holger über so manche Straßentankstelle in Guadeloupe. Und Fred erzählt es über die Bootstankstelle in der Marina, die deswegen in der Zukunft für mich ausfällt.
Erst zwei Tage später erlaubt mir mein Rücken wieder, in den Maschinenraum zu klettern und die 25 Bolzen wieder an ihrem Platz zu bringen. Ich fluche noch etwas über den dicken Schlauch für die Zuleitung, der eigentlich einen Zentimeter zu kurz ist, aber in der richtigen Länge nicht an seinen Platz passen würde.
Die Zeit rast. Eike und ich spielen jeden Tag einige Partien Schach, die inzwischen spannend geworden sind. Nach drei Monaten intensiven Trainings für Eike kann ich ihn inzwischen nicht mehr zwischen zwei Bissen Baguette schachmatt setzen. Zu Anfang spielten wir vielleicht zehn Partien in einer Stunde, von denen ich alle gewonnen habe. Inzwischen sitzen wir an einer Partie meist über eine Stunde – es sei denn, einer von uns übersieht eine eigentlich offensichtliche Bedrohung. Auch am Donnerstag spielen wir noch ein paar Partien, bis es Zeit ist, zum Bus zu gehen.
Eikes Flieger nach Paris startet am Nachmittag, seine Zeit in der Karibik ist beendet. Im kommenden Monat wird er wieder in der Backstube und nicht in der Sonne schwitzen. Eine schöne Zeit geht zu Ende, wir haben aus der Situation immer das Beste gemacht. Leider konnte ich ihm nur einen Bruchteil dessen bieten, was ich ihm eigentlich bieten wollte. (Siehe oben, Diesel aus Bonaire. Immerhin ist Sissi nun schon seit dem 8. Februar in Guadeloupe.) Am Flughafen will ich ihn eigentlich noch bis zur Sicherheitskontrolle begleiten, doch gleich am Eingang werde ich abgewiesen. Der Zugang ist nur für Passagiere erlaubt.
Ich telefoniere noch kurz mit Christine und sage ihr Bescheid, dass ich Eike zum Flughafen gebracht habe. Mit Problemen beim Check-in rechne ich nicht, denn den haben wir am Vorabend schon durchgeführt. Dann setze ich mich in den Bus und fahre zurück zu Sissi. Ein weiterer Abschnitt der Reise ist zu Ende gegangen.
Der Bus steht im Stau, zufällig vor einem Kindergarten. Es ist gerade Feierabend, die Kinder werden von ihren Eltern abgeholt. Ich werde Zeuge einer Szene, die mir sehr nahe geht. Zuerst weiß ich gar nicht warum. Ein kleines Mädchen kommt heraus und springt zu ihrer Mutter, die mit einem Kinderwagen in der Hand wartet. Das Mädchen hat offenbar etwas gebastelt oder gemalt und ist offenkundig sehr stolz darauf. Ihre Mutter nimmt den Rucksack des Mädchens auf den Rücken, bewundert das Kunstwerk und die beiden gehen ihres Weg. Während das Mädchen unbeschwert fröhlich neben dem Kinderwagen her springt, unterhält sie sich immer noch mit ihrer Mutter. Schnell sind die drei außer Sicht. Der Bus fährt weiter.
Für die Beschreibung dieser wenige Sekunden andauernden Szene habe ich mehrere Minuten Zeit gebraucht. Erst später fällt es mir auf. Die Mutter braucht kein Auto, um ihre Tochter abzuholen. Sie hat kein Telefon in der Hand, das viel wichtiger ist als das Kunstwerk des Kindes. Alles ist so natürlich und harmonisch. Es kommt mir vor, als hätte ich eine solche Szene seit Jahren nicht gesehen.
Und es heißt wieder warten. Heute Morgen bin ich bei Holger in die Werkstatt gefahren. Er hat ein Spezialwerkzeug von Mercedes aufgetrieben, mit dem die Pumpe perfekt eingestellt werden kann. Das muss ich allerdings zuerst reparieren. Es sind zwei Kabel dran zu löten, die leider abgerissen sind. Jemand hat dieses Werkzeug ziemlich schlecht behandelt. Der Besitzer stellt es mietfrei zur Verfügung, die Reparatur ist quasi die Miete. Damit kann ich leben. Ich habe den guten Diesel aus Aruba in den Tank gefüllt und den Dieselfilter mit drei Litern Diesel gespült. Das sollte jetzt gut sein. Ein winziger Schritt ist getan, viele weitere müssen noch folgen.
Gerade erhalte ich die Nachricht, dass Eike wohlbehalten in Frankfurt angekommen ist.