Nach meiner ersten Kennenlern-Tour habe ich heute eine größere Tour in Newcastle geplant. Für 7,80 Pfund gibt es eine Tageskarte, die in allen Bussen, Bahnen und der Fähre gültig ist. Die will natürlich gründlich ausgenutzt werden. Außerdem möchte ich mir die beiden anderen Marinas ansehen. Preislich liegen sie unter der königlichen Marina, die sanitären Einrichtungen sind sicherlich bei weitem nicht so gut.
Die der Marina nächstgelegene Metrostation ist in North Shields. Ich erreiche sie in gut fünf Minuten mit dem Bus. Das ist nicht die Station, an der der ALDI liegt, die ist weiter von der Marina entfernt. Oberhalb der Metrostation ist eine riesige Baustelle, hier wird ein neuer Umsteigepunkt für die Busse gebaut. Die Metro selbst fährt auf ehemaligen Güterbahngleisen. Zunächst muss ich zur Station Byker fahren.
Die Züge sind schon ein paar Jährchen alt, doch sie sind sauber und angenehm unzerstört. In den Zügen ist der Konsum von Alkohol untersagt, natürlich gibt es auch ein Rauchverbot und ein Verbot für E-Zigaretten. Dafür gibt es so manchen Fahrgast, der sich Fish&Chips oder einen Burger einverleibt. Ich steige in Byker aus und gehe zur Bushaltestelle. Keine fünf Minuten später fühle ich mich in den Film „Trainspotting“ versetzt. Ein eher hagerer junger Mann kommt irgendwoher gelaufen. Er ist barfuß und trägt lediglich eine Unterhose. Dazu kreischt er, dass irgendwer die Polizei rufen soll. Zum Glück machen hier gerade ein paar Handwerker in ihren Autos Mittagspause, so dass ich mich aus der Verantwortung stehlen kann. Der junge Mann wurde offenbar ausgeraubt und steht mindestens unter der Einwirkung von schon recht viel Alkohol oder anderen Drogen. Mein Bus kommt, in wenigen Minuten erreiche ich St. Peter’s Bassin.
Hier wollte ich eigentlich mit Sissi hinfahren, diese Marina liegt acht Meilen näher an der Innenstadt als Royal Quays. Doch sie liegt keinesfalls zentraler als Royal Quays Marina, denn auch hier finden sich keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. Auch St. Peter’s Bassin ist zwischen einem reinen Wohngebiet und einem Industriegebiet eingequetscht.
Ich finde auf Anhieb auch keinen freien Liegeplatz, auf dem man Sissi problemlos unterbringen könnte. Womöglich hätte mich das Marinabüro gleich wieder zurück geschickt, obwohl der Reeds eine Menge Besucherplätze verzeichnet hat. Doch wie meine Seekarten ist mein Reeds in die Jahre gekommen, womöglich nehmen sie hier gar keine Besucher mehr. Alles sieht ein wenig gammelig und ungepflegt aus.
Ich treffe zufällig einen Bootsbesitzer. Die Marina nimmt durchaus noch Gastlieger, doch sie ist momentan gut belegt. Preise kann er mir nicht nennen, doch in den vergangenen Jahren seien die Preise gestiegen. Die Preise aus meinem Reeds sind von 2018, das habe ich in Royal Quais auch schon bemerkt. Das Marinabüro hätte nur geöffnet, wenn die Klappbrücke bedient wird. Da hat er zumindest von der anderen Seite her recht, denn die Klappbrücke kann dank Niedrigwasser derzeit nicht bedient werden und das Büro ist geschlossen.
Auf meine Frage nach Einkaufsmöglichkeiten lächelt der Bootsbesitzer. Nur mit einem Auto könne man einen brauchbaren Supermarkt erreichen. Selbst einen kleinen Supermarkt gäbe es nur oben hinter dem Recyclinghof. An dem bin ich mit dem Bus vorbeigekommen, der ist bestimmt zwei Kilometer weg. Also sieht es hier so bescheiden aus wie in Royal Quays. Die Duschen kann ich mir nicht ansehen, ich will sie mir eigentlich auch gar nicht ansehen. Für 30 Pfund Ersparnis bis zum Wochenende bin ich nicht gewillt, hierher umzuziehen.
Bus und Metro bringen mich nun in die Innenstadt. Dort wartet eine weitere Marina auf meinen Besuch. Die City Marina möchte von mir angesehen werden. Ich steige am Monument aus, mitten in der Innenstadt.
Ich habe wieder einmal eine Ahnung, wem hier eigentlich ein Denkmal gesetzt wurde. Eine kurze Recherche in Wikipedia ergibt zwei Charles Earl Grey, ich muss ein wenig länger suchen. Das Monument wurde jedenfalls für den zweiten Earl Grey errichtet, dessen größter Verdienst wohl die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien war. Den nach ihm benannten Tee hat er wohl nicht erfunden.
Ich spaziere zum Fluss. Die Architektur der Stadt gefällt mir. Sie erzählt von der Zeit des Wachstums während der Industrialisierung. Der Hafen von Newcastle hat immer noch eine große Bedeutung für England. Seit meiner Zeit in der Karibik sind mir aber am frühen Nachmittag nicht mehr so viele volltrunkene Menschen über den Weg gelaufen. Viele Geschäfte für die reichen Menschen und die große Zahl bettelnder Menschen am Straßenrand sprechen Bände. Ich bin seit langem wieder einmal in einer echten Großstadt angekommen.
Obwohl ich eigentlich noch genügend Bücher habe, kann ich an einem Buchladen nicht vorbeigehen. Er hat Sonderangebote und ich erwerbe noch zwei Bücher zum Preis von einem. Wenn ich noch länger geblieben wäre, hätte ich wohl noch mehr Bücher erstanden. Es gab nämlich noch das Angebot eines freien Kaffees, wenn man sich einen der Titel des Monats kauft.
Doch es ist ja noch eine Marina zu besichtigen, die Newcastle City Marina. Wenn ich an die City Marina in Cork denke, habe ich nicht mehr allzu große Erwartungen. In Cork handelt es sich um einen einzelnen Pontoon, der kurz vor der ersten niedrigen Brücke schwimmt. Auch die Beschreibung im Reeds spricht hier nur von einem Pontoon.
Zentral gelegen ist sie jedenfalls. Und im Gegensatz zum Pontoon in Cork gibt es hier sogar eine verschlossene Tür, die Unbefugte daran hindern soll, die Boote auszuplündern. Auf den blauen Tafeln an der rechten Seite sind Wettervorhersage, Tide und Brückenzeiten notiert. Allerdings für den 23. August 2022. Offenbar kümmert man sich doch nicht so richtig um diesen Liegeplatz.
Die Hälfte des Stegs ist mit ein paar Booten belegt. Es wäre also wirklich genug Platz für Sissi. Aber will ich wirklich tief in die Innenstadt hinein? Auf der Uferstraße tobt der Autoverkehr, auf der Uferpromenade tummeln sich die Touristen. Ein Ziehharmonikaspieler beschallt die Umgebung.
Auf der nächstgelegenen Brücke überquere ich den Fluss. Ich habe nämlich eine viel versprechende Leuchtreklame gesehen. Auf der anderen Seite ist eine Brauerei. Vielleicht kann ich mich hier mit einem selbst gebrauten Bier stärken.
Die By The River Brewery hat einen schönen Biergarten, der von der Sonne beschienen wird. Auch das Tor ist geöffnet. Doch leider hat die Brauerei selbst geschlossen, nur nebenan in der Bar kann man schon Cocktails bekommen. Dafür bin ich nicht hergekommen, darauf habe ich keine Lust. Also gehe ich wieder zurück auf das Nordufer.
Ich denke, die Duschen machen es aus. In der City Marina gibt es gar keine Duschen, nur den Hinweis auf die nächsten öffentlichen Toiletten. So habe ich mir die nächsten Tage nicht vorgestellt. Royal Quais hat auch den ganz großen Vorteil, dass man 24 Stunden am Tag ein- und ausfahren kann. Die Schleuse ist rund um die Uhr besetzt. Zwischen der City Marina und dem Meer befindet sich die jüngste Brücke von Newcastle, die Millenium Bridge. Es handelt sich um eine Klappbrücke für Fußgänger, die zweimal am Tag auf Anforderung nach Voranmeldung geöffnet wird. Das ist mir zu kompliziert.
Am Abend habe ich keine Lust zum Kochen. Das Marinarestaurant hat schon seit 17 Uhr geschlossen. In der nahen Umgebung gibt es keine weiteren Restaurants. Doch ich habe ja meine Tageskarte. Ich setze mich in den Bus nach North Shields und fahre zu einer Pizzeria. Die Pizza ist nicht besonders gut, sie ist aber auch nicht besonders schlecht. Auf dem Rückweg fängt es an zu regnen. Der Wind hat aufgefrischt, es ist merklich kälter geworden. Der angesagte Nordost ist angekommen. Vielleicht hätte ich es bis nach Holland geschafft, vielleicht auch nicht. Jetzt muss ich mir keine Gedanken mehr darüber machen.