Endspurt mit Windwette

Wie schon gestern geschrieben, fahren wir in schlechtes Wetter hinein. Schlechtes Wetter heißt bei uns, dass es viel Wind geben wird (in Böen bis Windstärke neun) und dass dieser Sturm Wellen von bis zu fünf Metern Höhe produzieren wird. Besonders ungemütlich ist, dass diese Wellen alle acht Sekunden kommen sollen. Das muss man sich einmal vorstellen, alle acht Sekunden rauf und runter. Ich will das nicht erleben müssen.

Meine Finger tanzen auf dem Taschenrechner. Wir wissen genau, wie schnell Sissi in welcher Situation fahren kann. Mit Halbwind oder raumem Wind und den Wellen von hinten, sind da durchaus sieben bis acht Knoten drin. Dazu brauchen wir allerdings auch genug Wind. Dieser Wind soll kommen, sagt die Vorhersage.

Der Taschenrechner verrät mir, dass wir noch vor dem Sturm ankommen können. Wir müssen nur Vollgas fahren und auf Wind in ausreichender Menge hoffen. Dann werden wir rechtzeitig in Horta sein und können Sissi im Hafen sicher vertäuen. Anschließend setzen wir uns in eine Bar und sehen dem Sturm zu. Wenn wir Pech haben, müssen wir das draußen abwettern. Die Alternative zu Vollgas ist in jedem Fall, dass wir den Sturm auf hoher See erleben, denn wir sind schon mitten drin in dem Gebiet, welches der Sturm treffen wird. Eigentlich steht es damit außer Frage, für welche Lösung wir uns entscheiden.

Der Hafenführer sagt, dass die Marina von Horta gut geschützt ist. Er sagt auch, dass sie in den Sommermonaten stark frequentiert ist. Das ist mir egal, ich kenne Texel im Sommer. Dort liegen die Boote dann in 10er Päckchen, eines am anderen vertäut. Sicherlich ist sowas für einen Sturm nicht die beste Lösung, doch es ist allemal besser als sich den hohen Wellen zu stellen. Der doch eigentlich sehr entspannte Törn wird auf den letzten Meilen noch zu einem ausgewachsenen Abenteuer.

Zum Abendessen gibt es Pasta Bolognese, ich finde in den Tiefen der Vorratslasten noch eine Dose der Metzgerei Haase. Sie ist lediglich ein halbes Jahr abgelaufen und schmeckt immer noch sehr lecker. Anschließend genießen Jens und ich den letzten Sundowner auf diesem Törn. Entweder sind wir morgen Abend da, dann brauchen wir unser abendliches Ritual nicht mehr. Dann werden wir in der Hafenbar ein anderes Ritual zelebrieren. Oder wir sind noch nicht angekommen, dann haben wir garantiert anderes im Kopf.

Im Allgemeinen heißt es, dass man die Segel reffen soll, wenn man beginnt, über das Reffen nachzudenken. Unsere Devise ist „reffen verboten“! Außer es ist klar, dass Sissi nach dem Reffen noch schneller sein wird.

Hinter uns die untergehende Sonne, vor uns die werdende Dunkelheit der Nacht. So schießen wir mit knapp sieben Knoten durch die Wellen. Ab und an tritt uns eine Welle kräftig in die Seite, dann spritzt es manchmal sogar ins Cockpit. Nachts haben wir des Komforts wegen immer etwas gerefft. Heute Nacht werden wir das bleiben lassen. Egal wie unkomfortabel der Schlaf sein wird, es ist immer noch besser, als bei fünf Meter hohen Wellen zu schlafen. Etwas Muffensausen habe ich schon.

Die Nacht ist unruhig, der Wind schläft sogar ein wenig. Das ist schlecht, denn wir brauchen die Meilen. Am nächsten Morgen fällt mein Blick ungläubig auf das Thermometer. 16°C. Das ist mir zu kalt. Das ist kälter, als in jedem Einkaufszentrum in der Karibik. Ich bin daran nicht mehr gewöhnt.

Die Wettervorhersage hat sich etwas entschärft, es werden nicht mehr neun Windstärken angesagt, sondern nur noch bis zu sieben. Dafür sind wir etwas langsamer als erhofft. Wir werden dem starken Wind nicht davonfahren können, doch wir werden irgendwann in der kommenden Nacht den sicheren Hafen erreichen.

25. Etmal: 131 nm
Position: 38°33‘N 30°26‘W
Reststrecke: 84 nm

Sissi Space Station

Die Leinen sind los, Sissi ist unterwegs. Wir starten in unendliche Weiten, die noch nie ein Mensch zuvor…

So ist es nicht ganz. Seit Columbus sind schon ziemlich viele Schiffe hin und her über den Atlantik gesegelt oder motort. Doch eins hat sich nicht geändert, auf dem Ozean ist man etwa so weit weg von allem, als würde man in den Weltraum fliegen.

Wir haben genau das zur Verfügung, was wir an Bord genommen haben. Wir haben keine Möglichkeit, unterwegs etwas nachzuladen. Wir können nicht mal eben anhalten. Wir sind zu zweit in unserem Raumschiff. Die Welt draußen erreichen wir über Funk bzw. Satellitentelefon. Die Datenübertragung dauert unendlich lang. Unsere Energie müssen wir selbst produzieren. Der Brennstoff für das Raketentriebwerk ist sehr begrenzt. Sogar die Nahrung ist inzwischen vorproduziert und muss nur noch angerührt werden.

Seit unserem Start in Guadeloupe vor 2672 Meilen (oder knapp 5000 Kilometern) sind wir 24 Tage unterwegs. Seit wir die Doldrums passiert haben, befinden wir uns in einer stabilen Umlaufbahn. So langsam wird es Zeit, dass wir diese Umlaufbahn wieder verlassen und in den Landeanflug gehen.

Die Bodenkontrolle spricht von schlechtem Wetter in der Landezone. Wir sollen den Landeanflug verzögern, weil in der Nacht von Sonntag auf Montag ein Tiefdruckgebiet durchzieht. Das ist gar nicht so leicht, wenn man von den Fliehkräften des Planeten getrieben wird, welche wiederum die Tiefdruckgebiete rund um die Erde antreiben.

Die letzten zwei Tage waren herrliches Segeln. Viel Wind, keine unangenehme Welle und hohe Geschwindigkeit. Als ich heute morgen um 11 Uhr aufgestanden bin, stehen 8 kn auf dem Tacho. Wir müssen bremsen und reffen, das reduziert aber nur auf 7 kn. Wir reffen noch ein Stück und fahren weiterhin mit 7 kn. Also reffen wir weiter und die 7 kn stehen immer noch da. Manchmal auch nur 6 kn, Sissi möchte in den Hafen.

Es hat seit der Nacht, in der wir die Notreparatur durchgeführt haben, nicht mehr geregnet. Trotzdem hat Jens fast nur noch nasse Kleidung. Der neue Bolzen hält das Achterstag prima, doch in jener Nacht habe ich den Bolzen nicht gegen Wasser abgedichtet. Weder Jens noch ich haben daran gedacht, außerdem hätte ich gar nicht mehr den Nerv dafür gehabt. In Horta wird es viel zu tun geben für die Waschmaschinen. Nun ist die Stelle von außen mit ordentlich Sikaflex zugeschmatzt. Das wird mich später nerven, wenn die Reparatur ordentlich wiederholt werden wird. Trotzdem geht es uns gut, wir sind in bester Stimmung. Es fühlt sich nach Ankommen an.

Hinsichtlich der Reparaturen unterwegs empfehle ich, sich mit einer Tüte Chips und leckeren Getränken noch einmal den Film Apollo 13 anzusehen.

Seit ein paar Tagen funken wir regelmäßig mit einem anderen Raumschiff, einem US-Amerikanischen Katamaran mit einem thailändischen Skipper. Der schickte uns heute früh die Nachricht, dass beide Notausgangsluken durch Wasserschlag kaputt gegangen sind. Katamarane haben diese Luken unten (!), falls sie in schlechtem Wetter kentern. Nun stopfen sie alles mögliche da rein, damit nicht noch mehr Wasser ins Boot kommt. Das sind echte Probleme. Wir haben keine Zwiebeln mehr in der Küche. Zum Glück kann der Katamaran Faial schon sehen, sie müssen nur noch ca. 40 Meilen segeln.

Wir setzen eine Nachricht mit der Positionsmeldung an die Bodenkontrolle ab. Die ganze Welt kann unsere Position verfolgen. Wir überlegen, ob es zum Abendessen Trockenlasagne, Rippchen mit Kraut oder Spaghetti Bolognese geben wird. Sissi Space Station verabschiedet sich für heute, wir zünden die Bremsraketen. Das Leben ist schön.

24. Etmal: 120 nm
Position: 38°23‘N 33°07‘W
Reststrecke: 208 nm

Marathon, kein Sprint

Ich kann nicht wirklich verstehen, dass sich Menschen die Mühe machen, 42,2 km zu Fuß zurückzulegen, noch dazu im Laufschritt. Wozu hat der Mensch das Motorrad erfunden? Oder den Bus, die Bahn oder auch das Fahrrad. Meine beiden Geschwister sparen sich jedenfalls gelegentlich das Geld für die Fahrkarte, investieren in sündhaft teure Laufschuhe und tun sich das an. Wir haben den 23. Seetag und unser Segelmarathon ist noch in vollem Gange.

Das Wetter hat sich etwas beruhigt. Der Wind bläst im Mittel eine Windstärke weniger, das gleichen wir aus durch ein größeres Segel. Die Wellen sind etwas weniger hoch, das genießen wir, denn wir werden weniger durch die Gegend geschleudert.

Ansonsten sind wir nach den Ereignissen der vorigen Nacht einigermaßen müde. Gleich nach dem Frühstück legt sich Jens ins Bett, um etwas Schlaf aus der vergangenen Nacht nachzuholen. Ich schreibe ein paar Emails, schreibe Blog und kann mich auch etwas entspannen. Als Jens wieder aufwacht, bin ich an der Reihe und krieche in meine Koje. Das tut gut.

Kurz bevor ich mit dem Kochen das Abendessens anfangen will, feuert der AIS-Alarm. Auf dem Bildschirm sehen wir einen außerordentlich schnellen Frachter. Er ist mit mehr als 20 kn unterwegs und auf dem Weg nach Holland. Es dauert nicht lange, dann können wir das Schiff sehen bzw. zuerst sehen wir seine Abgasfahne. Dann kommt es näher. Wir rätseln über die ungewöhnliche Form, doch das wird sich sicher noch aufklären. Der geringste Abstand wird eine knappe Meile sein, wir haben gute Sicht.

Ich schnappe mir das Telefon. Endlich mal wieder ein neues Motiv, das ich im Blog veröffentlichen kann. So nah kommen uns die Frachter normalerweise nicht, doch dieser hier hat es echt eilig und ändert seinen Kurs keinen Millimeter. Muss er auch nicht, es passt prima. Wir können die Aufschrift an der Seite lesen. CHIQUITA. Es ist ein Bananendampfer! Dampfen tut er wirklich.

Mit Jens und den Bananen ist es so wie mit Feuer und Wasser, Sonnenschein und Dunkelheit oder Materie und Antimaterie. Beides passt einfach nicht zusammen. Läuft Jens einen Marathon, werden ihm oft Bananen angeboten. Die meisten Läufer nehmen die gerne. Jens wird dadurch eher motiviert, schneller zu laufen, weg von den Bananen. Ich esse sie gerne.

Heute koche ich mal wieder richtig, ich wärme nicht nur Dosen auf. Gut, ein paar Zutaten kommen aus Dosen, doch der gebratene Reis mit Ei, Erbsen und Thunfisch ist das Ergebnis eines Koch- und nicht eines Aufwärmvorgangs. Natürlich scharf. Unser Konzerngeschmack. Immer nur Dosen öffnen öffnet den Gaumen nicht, auch französische Luxuskonserven sind und bleiben nur Dosenfutter. Jens schickt eine Mail nach Frankfurt, in der er seinen Horror über die Begegnung mit dem Bananendampfer ausdrückt.

Ausgedrückt hat sich unser Kühlschrank. Der Kompressor läuft für ein paar Sekunden an, dann steigt er wieder aus. Normalerweise würde ich vermuten, dass es Unterspannung ist. Die Stromleitung zum Kühlschrank habe ich kürzlich erneuert, sie hat 3mm². Es kommen von den 12,9V Systemspannung auch 12,8V am Kühlschrank an. Damit muss er arbeiten. Es ärgert mich, weil es wieder ein Punkt mehr auf der Reparaturliste ist. Schlimm ist es nicht, frische Nahrung ist da nicht mehr drin. Ein paar Schokoriegel (50 oder so) und noch etwas Butter und Käse. Wir haben ja noch den Gefrierschrank.

Eine Email-Antwort auf die Bananenmail geht ein. Daran hängt ein Bild aus einem Kinderbuch. Wie die Bananen zu uns kommen. Jens erklärt mir, dass wenn er seine Freunde Angie und Daniel besucht, ihn ihre Kinder Lotta und Thore immer mit Bananen durch die Wohnung jagen. Die Kinder können nicht verstehen, dass er Bananen hasst. Ich habe im Kopf das Bild eines Marathonlaufs um den Küchentisch, immer die Kinder mit den Bananen im Nacken. Beste Grüße vom Atlantik an dieser Stelle!
Der Abend verläuft ruhig, der Wind nimmt immer mehr ab. Wir segeln mit 4 kn mehr oder minder direkt auf unser Ziel zu. Für die Nacht ist ein Winddreher mit auffrischendem Wind prognostiziert. Dann werden wir halsen und auf den anderen Bug gehen. Mal sehen, wen von uns es treffen wird.

Es ist schon früher Morgen, als ich in meiner Koje an die Wand geschleudert werde. Sissi luvt mächtig an. Ich höre, wie Jens das Segel refft. Sturzregen in Aruba-Qualität fällt vom Himmel, der Wind nimmt dabei mächtig zu. Ich bin froh, dass es nicht in meiner Wache war. Dann drehe ich mich herum und schlafe weiter. Irgendwie ist mir kalt. Am Morgen zeigt das Thermometer im Salon nur noch 19°C. Brrrr. Wintersegeln ist nicht so meins.

Noch ein paar Tage, dann sehen wir den Zieleinlauf am Ende unseres Marathons. Noch ein paar Tage bis zu einer heißen Dusche. Doch so lange müssen wir noch durchhalten. Und das ohne eine einzige Banane an Bord.

23. Etmal: 97 nm
Position: 38°15‘N 35°36‘W
Reststrecke: 325 nm