Ein Tag in den Doldrums

Der Motor wummert, im Salon ist es unerträglich warm. Als hätte jemand die Heizung angestellt. Es hat ja auch jemand die Heizung angestellt, das war ich selbst. Der Verbrennungsmotor kann den Propeller nur drehen, wenn er Diesel verbrennt. Heizöl für unsere lärmende Ölheizung, deren Benutzung immer noch besser ist, als antriebslos herumzueiern. Die Klabauterleute zwitschern mir ins Ohr.

„Sie möchten nicht in der Flaute festhängen? Sie lieben das spiegelglatte Wasser nicht? Sie haben den Motor gestartet? Haben Sie genug Treibstoff? Sie finden uns auf jeder Wetterkarte. Wir können unsere Form verändern, schneller als Sie es für möglich halten. Wir können unsere Lage verändern, schneller als Ihr Boot fahren kann. Nehmen Sie sich die Zeit, sparen Sie Ihren Diesel, genießen Sie ihren Ausflug zu den Doldrums. Wir schicken Ihnen noch ein wenig alte Dünung, Segelboote unter Motor schaukeln so lustig.“

Ich gönne mir eine Dusche mit warmem Wasser. Die Wasserleitung ist im Motorraum verlegt, so dass immer etwas warmes Wasser in der Leitung steht. Durch die Motorfahrt und die daraus resultierende Kursänderung sind wir den Delfinen noch einmal begegnet.

Damit wir nicht so stark schaukeln, haben wir das Großsegel stehen gelassen. Es dämpft unsere Bewegungen zumindest ein bisschen. Liebe IJsselmeer-, Nordsee- und Ostseesegler, wir haben unseren Motorkegel nicht gesetzt. Der liegt noch originalverpackt im Schrank. Für wen sollten wir ihn hochziehen?

Die Wettervorhersage lässt uns hoffen, dass wir in der Nacht den Lärm wieder abstellen können. Bis dahin werden unsere Batterien voller als vollgeladen sein. Ich greife noch etwas Strom für den Watermaker ab, doch die 10A fallen kaum ins Gewicht. Die sind in unseren normalen Stromverbrauch eingepreist. Jens schlägt vor, über den großen Inverter einen Heizlüfter zu betreiben. Doch so weit im Norden sind wir noch nicht. Tagsüber haben wir Temperaturen um 28°C, in der Nacht kühlt es sich auf 24°C ab. Wir schalten den 110V Inverter ein und verbrauchen etwas Strom mit dem Ventilator.

Leider sind mir mit dem verstorbenen Tablet auch einzelne Mailadressen verloren gegangen, so zum Beispiel die von Soraida. Ich muss darauf warten, dass sie mir zuerst schreibt. Zuletzt haben wir vor über einem Jahr gemailt, als Barbara seekrank war und Soraida Medikamente in den Hafen von Barcadera gefahren hat. WhatsApp nutzt hier auf hoher See nichts.

Auf der Suche nach ein paar Dosen Cola für den Kühlschrank finde ich noch einen Liter Milch. Jens und ich freuen uns auf die Käsesauce heute Abend. Neben der Cola kommen noch zwei Gläser in den Kühlschrank. Wir feiern heute mit Cola-Rum, dass wir die erste Etappe unserer Reise hinter uns gebracht haben. Ab sofort können wir mehr oder minder direkt auf unser Ziel zufahren. Eine erste Abschätzung sagt, dass wir dann für die 2000 Meilen Luftlinie ca. 2500 Meilen unterwegs gewesen sein werden.

Nach dem gestrigen Beitrag geht sehr schnell eine Email bei mir ein. Maila von der Samai hat unsere Delfine als Indische Grindwale in einem Buch über Delfine und Wale gefunden. Oder sind es nur einfache Große Tümmler? Unsere Schwester Christine meint, dass wir von Großen Tümmlern begleitet worden sind. Ich habe keine Ahnung, doch es war ein außergewöhnliches Erlebnis, in der Ruhe die Tiere zwitschern zu hören.

Um 2:30 Uhr in der Nacht dreht sich der Propeller unseres Windgenerators wieder stetig. Das Großsegel steht auch wieder einigermaßen im Wind. Ich ziehe die Genua raus und stelle den Motor aus. Endlich Ruhe. Ich darf nachher schlafen, ohne das Gebrüll des Motors hören zu müssen. Ruhig fährt Sissi mit 3,5 kn auf unser Ziel zu.

„Sie wollen segeln? Aber doch nicht hier. Wir können jederzeit wieder für Windstille sorgen. Sie glauben, es hinter sich gebracht zu haben? Wir spielen mit dem Wind. Wir sind die Doldrums.“

Irgendwann am frühen Morgen kurbelt Jens wild an der Winsch. Er rollt die Genua ein. Wir müssen den Motor wieder starten. Der Wind ist wieder komplett weg. Mmmpf.

11. Etmal: 121 nm (fast nur Motor)
Position: 31°45’N 55°41’W

Willkommen bei den Doldrums

Die Segel schlagen, der Wind nimmt immer mehr ab. Wir können es nicht mehr leugnen, wir haben die berüchtigten Doldrums erreicht. Es ist früher Nachmittag und ein laues Lüftchen von ein bis zwei Windstärken weht noch. Zum Glück ist die See sehr ruhig, sonst könnten wir mit diesem Wind nicht mehr fahren. Wenn hin und wieder eine größere Welle durchgeht, knallt das Segel ein wenig.

Wir hoffen, noch bis morgen Vormittag mit zwei bis drei Knoten dahin schleichen zu können. Dann ist laut der Vorhersage Schluss mit dem Wind. Es ist sehr ruhig geworden auf Sissi. Es fehlt das Pfeifen des Windes in den Wanten, das Surren des Windgenerators und das immer wieder kommende krachende Einsetzen in die Wellen, gegen die wir segeln. Ein leichtes Gluckern des Wassers. Ein wenig Knarzen im Gebälk. Das Trinkwasser schwappt in den Tanks.

Eigentlich sagt man ja nicht „bei den Doldrums“ sondern „in den Doldrums“, doch ich stelle sie mir wie kleine Klabauterleute vor.

„Willkommen bei den Doldrums. Wir glätten die See. Stellen Sie sich ein auf ein Erlebnis der ganz anderen Art. Sie sind mitten auf dem Atlantik und der Wind ist weg. Wir sind in keiner Seekarte verzeichnet. Wir lieben es, uns auf dem Ozean auszubreiten. Du siehst uns nur in der Wetterkarte. Wir sind mal hier und mal dort. Wir regeln den Verkehr.“

Den Verkehr regeln sie wirklich. Nördlich der Doldrums segelt man nach Osten, nur dort kann man die westlichen Winde finden. Südlich blasen die Passatwinde, das ändert sich nie. Der Tag zieht sich, obwohl wir segeln und gar nicht so langsam sind. Das Boot ist so ruhig. Wir bauen uns eine Playlist mit Liedern, die alle mindestens 12 Minuten lang sind, die wir dann aber nicht bis zum Ende durchspielen lassen können. Es dauert zu lange. Das Abendessen fand vor zwei Wochen immer gegen 19:30 Uhr statt. Gerade steht Jens am Herd, das Essen ist fast fertig und es gerade einmal 17:15 Uhr.

Während ich noch den Sonnenuntergang genieße, sehe ich im Wasser immer wieder Plastikmüll an Sissi vorbei treiben. Am nächsten Morgen segeln wir tatsächlich immer noch. Wir fahren noch langsam mit 2,5 kn. Jens meint, dass er den ganzen Morgen eine Menge Plastikmüll an uns hat vorbei treiben sehen. Ich glaube, dieser Müll ist überall im Ozean zu finden. Man sieht ihn aber normalerweise nicht, weil die Wellen so hoch sind. Nennenswerte Wellen haben wir keine mehr. Wir werden bald den Motor starten müssen.

Wir sitzen beide im Salon und warten darauf, dass es Mittag wird, ich meinen „Bürokram“ erledigt habe und den Blog versenden kann. Vogelgezwitscher dringt in unsere Ohren, aber eben nicht ganz wie Vögel. Quietscht etwa die Aufhängung des Herds in der leichten Dünung? Nein. Ich gehe nach oben, suche die Vögel und finde neben uns zwei riesengroße Delfine, die mindestens drei Meter lang sind. Ich habe noch nie so große Delfine gesehen in meinem Leben und rufe Jens, der innerhalb von Sekunden mit der Kamera bereit steht. Diese Gespräche der Delfine untereinander habe ich noch nie so gehört. Das Schiff war immer lauter als die schwimmenden Begleiter. Heute fahren wir so ruhig, dass wir diese Geräusche gut hören können.

10. Etmal: 94 nm
Position: 31°18’N 57°56’W

Entscheidende Tage

Eine Planung der Bevorratung vor der Abfahrt ist ja selbstverständlich, haben wir auch gemacht. Beim Einkauf haben wir dann noch geschaut, welche Waren wir wo kaufen, denn wir wollten die schweren Sachen nicht so weit schleppen. Der Carrefour in der Marina hat die Dinge des Grundbedarfs. Also planen wir Milch, Wasser und auch eine zusätzliche Flasche Campinggas eben bei diesem Supermarkt zu kaufen.

Für das Abendessen plane ich Tagliatelle mit Roquefortsauce, dazu eine Beilage aus gebratenen Karotten. Ich muss umplanen, denn Milch ist nicht in den Vorräten zu finden. Ärgerlich, haben wir das vergessen. Es wird eine Tomatensauce mit frischem Lauch, davon ist noch etwas da. Ansonsten geht uns so langsam das frische Gemüse aus. Das Nudelwasser wird nicht warm. Das ist normal, denn die Gasflamme brennt nicht. Beim Anschließen der neuen Gasflasche fällt uns auf, dass wir nicht nur die Milch sondern auch die Gasflasche nicht gekauft haben. Eine fast volle Flasche haben wir noch, die muss also bis zu den Azoren reichen.

Jetzt erinnere ich mich auch wieder an diesen etwas chaotischen Einkauf. Der Carrefour hatte das Wasser nicht in der Packungsgröße, die wir an Bord nehmen wollten. Dann sind wir zum Chinesen gegangen und haben das Wasser dort geholt. Den Rest beim Carrefour zu holen, haben wir schlichtweg vergessen. Ärgerlich, aber nicht entscheidend für die Überfahrt. Die Tagliatelle sind trotzdem lecker.

Sissi pflügt noch mit knapp über 6 kn durch das Wasser, als ich Jens in der Nacht wecke und mich selbst hinlege. Um 10 Uhr wache ich wieder auf. Die Segel schlagen. Wir haben die Zone der Doldrums erreicht. Doldrums, was ist das? Sind es einfach nur Klabauterleute, die uns Seglern den Wind klauen?

Die Doldrums sind eine relativ windarme Zone, die die Passatzone im Süden von den westlichen Winden im Norden abgrenzt und mehr oder minder stark ausgeprägt ist. Die Zone verschiebt sich mal nach Osten und mal nach Westen, sie ist mal mehrere 100 Meilen breit und manchmal nur 50 Meilen. Wir müssen auf jeden Fall hindurch, denn nur im Norden werden wir die westlichen Winde finden können.

Es ist kurz vor Mittag. Noch haben wir Wind, noch fahren wir mit 4 kn gemütlich am Rand der Zone entlang. Wahrscheinlich geht uns morgen der Wind ganz aus und wir werden den Motor für einen oder eineinhalb Tage anwerfen müssen. Danach können wir aber direkten Kurs auf die Azoren nehmen und müssen nicht mehr so weit nach Norden ausholen.

Eine Email von unserem Vater ist eingegangen. Unser Tracking auf der Stalking Sissi Seite funktioniert nicht mehr. Das ist schade, wir senden zweimal täglich unsere Position. Ich hoffe, Martin kann es schnell reparieren. Er bietet uns diesen Service kostenlos an, da brauchen wir uns normalerweise nicht darum kümmern. Ich habe ihm eine Mail geschickt. Wen es interessiert, der kann sich damit behelfen, die unter diesem Blog angegebene Position bei Google-Maps in das Suchfeld zu kopieren und Enter zu drücken. Dann sollte die Marke auf unsere Position springen.

In der Nacht haben wir wieder mal eine der beiden Schrauben verloren, die den Windgenerator an Ort und Stelle halten. Ich war heute früh oben und habe sie ersetzt. Wir haben eine Schraubenspur durch den Atlantik gezogen, von den Kanaren über die Kapverden in die Karibik und setzen das auf dem Rückweg fort. Schraubenkleber hilft da nichts, das habe ich versucht. Mehrfach. Mit Superkleber einkleben mag ich sie nicht. Aber wir haben noch ein knappes Dutzend Ersatzschrauben.

Gleich werde ich mir die neue Wettervorhersage herunterladen. Wir müssen jetzt etwas genauer navigieren als sonst. Die nächsten zwei bis drei Tage entscheiden wahrscheinlich über eine Woche frühere oder spätere Ankunftszeit in Horta.

9. Etmal: 132 nm
Position: 30°05‘N 56°51‘W

Wir haben die ersten 1039 nm hinter uns. Der direkte Weg zu den Azoren sind noch 1475 nm. Wir rechnen mit einem direkteren Kurs und noch gut zwei Wochen Reisezeit, wenn wir nicht vollkommen vom Wind verlassen werden.