Wir schreiben den 3. Januar. Mein Wecker ist auf sechs Uhr gestellt. Ich will möglichst früh am Impfzentrum sein. Diesmal ist meine geplante Ankunftszeit schon um sieben Uhr. Das sollte mich frühzeitig in die Halle bringen. Ich verbrühe mir den Mund am viel zu heißen Kaffee, den ich viel zu schnell zu trinken versuche. Es herrscht Windstille, eigentlich ideale Bedingungen, das Großsegel hochzuziehen. Soll ich Eike so früh aus dem Bett holen, dass wir vor dem Impfen noch schnell das Segel anschlagen? Da nichts an Bord „mal eben schnell“ gemacht werden kann, folge ich dem ursprünglichen Plan.
Die Scheiben des Autos müssen gewaschen werden. Den ganzen Weg entlang fahre ich in die tief stehende Morgensonne. Doch mein Plan geht auf. Pünktlich um Sieben bin ich in Santa Cruz. Der Wachmann grüßt mich, als ich auf den Parkplatz fahre. Sehr gut, der Parkplatz ist noch ganz leer. Es scheint, als würde mein Plan wirklich aufgehen. Ich reihe mich in die kurze Warteschlange ein. In einer Stunde werde ich in der Halle sein und unter den ersten, die gepiekst werden.
Es ist erstaunlich, dass ich noch Datenvolumen übrig habe. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit Spiegel-Online, chatte mit der Familie in Deutschland und sehe den anderen zu, die sich nach und nach in der Schlange einreihen. Eigentlich hätte mein Datenvolumen vor Weihnachten schon ablaufen müssen, doch es funktioniert noch einwandfrei. Anneke meinte gestern zu mir, dass es bei ihr genauso sei. Sie vermutet, dass es ein Geschenk von Setar zu den Feiertagen ist. Setar ist einer der beiden örtlichen Telefonanbieter. Etwas kommt mir aber in der ganzen Zeit komisch vor. Bei meinem letzten Besuch sind auch schon vor 8:00 Uhr Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes die Schlange entlang gelaufen und haben gefragt, wer Erstimpfung, Zweitimpfung oder Booster möchte. Aber am 3. Januar ist der Andrang so gering, das ist wahrscheinlich eingeplant und sollte mir keine Sorgen machen.
Wenige Minuten nach 8:00 Uhr kommt ein Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes und erklärt, dass heute keine Impfungen stattfinden. Er vertröstet uns auf den morgigen Tag. Ich gehe etwas frustriert zum Parkplatz und finde mein einsames Auto.
Zurück an Bord wecke ich Eike viel früher als von ihm erwartet. Plötzlich läuft eine Gestalt über das Deck und damit über seine Koje. Er vermutet einen Fremden an Bord, findet aber nur mich. Mich mit meinem Frust. Doch der Wind ist immer noch ziemlich gering. Eike bekommt eine Tasse Kaffee, dann ziehen wir das Großsegel hoch. Es ist viel weniger Arbeit, als wir mit der Genua hatten. Böiger Wind und fast kein Wind ergeben einen großen Unterschied. Sissi ist wieder ein vollwertiges Segelboot.
Was bleibt sonst noch zu tun an einem Tag wie diesem, wenn man unerwartet früh mit dem Tagewerk fertig ist? Bevorraten. Einkaufen. Wir brauchen Getränke. Getränke sind schwer und in Bonaire ist der gute Supermarkt 20 bis 30 Gehminuten vom Dinghi entfernt, je nachdem in welches Dinghidock man fährt. Das wollen wir nicht unbedingt schleppen. Eike darf die Einkaufstouren fahren. Doch schon drei oder vier Minuten nach Verlassen der Marina fällt uns ein bislang unbekanntes Geräusch am Auto auf. Ein Kratzen oder Schaben. Eike lenkt den Wagen an den Straßenrand und wir finden einen platten Vorderreifen. Unangenehm. Es ist kurz vor Mittag, die Sonne brennt. Edward wird noch mindestens drei Stunden auf der Arbeit sein. Er kann uns nicht helfen. Drei oder vier Minuten Autofahrt können als Spaziergang zurück in die Marina sehr, sehr lang werden. Ich zermartere mir das Gehirn. Dann fällt mir ein, dass von unserem Standort aus ein Reifenreparatur-Laden lediglich 500 Meter entfernt ist. Zuerst wollen wir loslaufen, doch natürlich müssen wir das Auto mitnehmen. Sonst können die den Reifen nicht machen. Jetzt fahre ich. Den platten Reifen zu fahren ist Eike zu heikel. Wir schleichen mit 30 km/h zum nächsten Kreisverkehr, überqueren den vierspurigen Highway fast im Schritttempo und landen im Hof der Werkstatt.
Der Reifenhändler ist freundlich und kann auch sofort mit der Arbeit beginnen. Mir war schon vorher klar, das der alte Schlappen auf der Felge nicht mehr repariert werden kann. Was von ihm noch übrig war, habe ich mit der Fahrt auf der Felge endgültig zerstört. Ich bestelle den günstigsten Gebrauchtreifen und bekomme für 40 Florin einen neuen gebrauchten Reifen mit einigermaßen Restprofil sowie ein neues Ventil. Das alte war nämlich undicht. So können wir die Einkäufe endlich starten. In Bonaire wird es eine Weile dauern, bis wir das erste Mal in den Supermarkt laufen müssen.
Den Tag beschließen wir mit ein paar Partien Schach. Ich bin sehr glücklich, dass ich endlich einmal einen Schachspieler an Bord habe. Auf den geplanten mehrtägigen Überfahrten wird Eike hoffentlich nicht seekrank, so dass wir uns die Zeit mit dem königlichen Spiel verkürzen können.