Der Adler ist gelandet

Wir haben die Segel komplett gesetzt und versuchen, den letzten Reisetag mit Anstand hinter uns zu bringen. Noch besteht die Hoffnung, dass wir vor 20 Uhr in Pointe-a-Pitre ankommen und damit zu den Öffnungszeiten der Marina. Zeitweise gleiten wir mit mehr als sechs Knoten durch das blaue Wasser, es fühlt sich toll an.

Wir segeln so schnell wie möglich, auf der Backbordseite sieht man immer noch die drei Heiligen. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um vier Inseln.

Wenn wir Kurs auf Pointe-a-Pitre setzen, läuft es auch anfangs immer sehr gut, dann drücken uns Wind und Gegenstrom wieder aus dem Kurs und Sissi möchte näher und näher an die drei Heiligen, die Inseln, die uns den direkten Weg versperren. Also kreuzen wir und kreuzen und es wird immer klarer, dass wir es nicht mehr zu den Öffnungszeiten schaffen werden.

Die Internetverbindung ist mal da und mal nicht. Das ist nicht besonders hilfreich, denn ich versuche, mit einem Abschleppunternehmen in Kontakt zu treten. Es gelingt mir, das Problem an Jens zu delegieren. Der hat in Bad Homburg eine wesentlich bessere Chance, telefonisch durchzukommen. Immer wieder schickt er mir ein Update, dass der Abschlepper, passenderweise ist sein Name Monsieur le Mer, mit anderen Notfällen viel zu tun hat. Wir sind ja kein Notfall. Im Funk kommt ein Pan Pan durch, ein Trimaran hat seinen Mast verloren, die Segel liegen im Wasser. Das liegt sogar auf unserem direkten Weg nach Pointe-a-Pitre, doch ohne Motor schaffen wir natürlich keinen direkten Kurs. Langsam mache ich mir Gedanken über einen Plan B.

Wir geben alles, segeln unter Vollzeug und bekommen natürlich entsprechend auch eine feine Schräglage. Man sieht Eike die Strapazen der letzten neun Tage deutlich an. Aber ich sehe auch nicht fitter aus.

Von Jens kommt wieder ein Update rein, eigentlich sagt das Update nur, dass der Abschlepper immer noch nicht erreichbar ist. Dafür hat die Marina aber angeboten, dass wenn wir es bis 19:30 Uhr schaffen, der Hafenmeister herauskommen wird und uns herein holt. Der Wind hat wieder ein wenig aufgefrischt, Sissi konnte anluven und so sagt mir der Bordcomputer, dass es 50:50 steht. Vielleicht klappt es ja mit dem Hafenmeister. Der Wind lässt eine Stunde später wieder stark nach, unser Kurs ändert sich so, dass wir Backbord in Richtung der Untiefen fahren. Wir müssen noch einen Schlag machen. Das wirft uns wieder eine Dreiviertelstunde zurück auf dem direkten Kurs. Langsam wird es dunkel.

Blick auf den Bordcomputer gegen 18 Uhr. Steuerbord voraus ist der Seenotrettungskreuzer mit dem Trimaran beschäftigt. Backbord von uns ist die Swing.

Auf dem AIS ist der Rettungskreuzer bei seiner Arbeit gut zu sehen. Die Seenotrettung hier in der Gegend wird wiederum von Fort-de-France in Martinique aus koordiniert. Außerdem fällt mir ein Segelboot auf, die Swing. Sie ist auf dem gleichen Kurs wie wir unterwegs, dabei sehr nahe an den Untiefen und so halte ich sie für ein Boot von hier oder zumindest jemanden, der sich hier richtig gut auskennt. Außerdem gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten, zu denen man von unserer Position aus sinnvoll segeln kann. Ich gehe davon aus, dass die Swing ebenfalls nach Pointe-a-Pitre möchte und greife zum Funkgerät. Nach drei Versuchen habe ich eine sehr freundliche Frauenstimme im Lautsprecher.

Ich wünsche guten Abend und frage, ob sie nach Pointe-a-Pitre unterwegs sind. Danke Hafenmeister Paul aus Aruba, dass Du mir geholfen hast, mein Französisch zu reaktivieren. Sie sind nach Pointe-a-Pitre unterwegs. Ich erkläre unser Problem und frage, ob sie uns in den Hafen ziehen können. Nach einer kurzen Pause kommt die Frage nach dem Gewicht unserer Sissi. Dann kann ich es förmlich im Funk knistern hören, wie an Bord der Swing diskutiert wird. Dann kommt die Antwort, ja es ist möglich. Ich bedanke mich und ab diesem Moment beobachten wir uns gegenseitig auf dem AIS. Als wir einmal den Wind verlieren und einen 360° Törn fahren müssen, kommt sofort die Frage, ob etwas passiert sei. Toll!

Die Swing hat Sissi an die Tankstelle geschleppt. Wir liegen fest. Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich bin.

Kurz vor der Einfahrt ist der Wind komplett weg. Während uns ein Frachtschiff entgegen kommt, treiben wir antriebslos im Wasser. Die Swing ist uns inzwischen weit davon gefahren und hat noch ein wenig Wind. Sissi läuft bei leichtem Wind überhaupt nicht, dazu ist sie zu schwer. Während die Swing umdreht, nehme ich die Segel weg. Das Großsegel kommt herunter und herunter und herunter und dann liegt es zu meinen Füßen. Der Stopper, der das normalerweise verhindern soll, hat sich verabschiedet. Hauptsache ist, dass das Segel unten ist. Die Swing übernimmt unsere Ankerleine, an deren Ende ich einen Fender angebunden habe, dann beginnt ein vollkommen unspektakulärer Abschleppvorgang. Derweil schwätzen wir über Funk, die Swing ist im Dezember aus Europa in die Karibik gesegelt, war schon in Guadeloupe, Saint Martin, Antigua und Barbuda. Ich erzähle von Aruba und Kuba. Bei vollkommener Windstille machen wir an der Tankstelle fest. Ich übergebe zwei Flaschen Rum (Diplomatico aus Venezuela und Ritual aus Kuba), Zigarren wollten sie nicht haben. Vollkommen entkräftet gehen wir zu Bett. Wir sind angekommen.

Ein früher Vogel singt auf unserem Windgenerator ein schönes, aber sehr sehr lautes Lied.

Um sieben Uhr stehe ich am folgenden Morgen schon auf, denn die Tankstelle öffnet um Acht. Eike macht sich zu Fuß auf den Weg zum Bäcker und schlägt das Angebot der Swing aus, mit dem Dinghi mitzufahren. Er will sich die Füße vertreten, weiß aber noch nicht, dass er kilometerweit um das Hafenbecken herum laufen muss. Die Swing verabschiedet sich, nach dieser Nacht gehen sie Ankern. Der Hafenmeister kommt und schleppt mich für 80 Euro in die Werft. Bei der Ankunft am Anleger treffe ich Eike wieder, der so wenigstens einen kürzeren Rückweg hatte. Die ersten Pain-au-Chocolat und das erste Baguette sind so unsagbar lecker.

Das Großsegel muss wieder klariert werden.

Wir beginnen die Aufräumarbeiten und machen Sissi hafenfertig. Als wir uns um das Großsegel kümmern, lächele ich innerlich über Sissi. Den kleinen Stopper, der das Herausrauschen des Großsegels verhindert, haben wir schon öfter verloren. Ich habe auch einen Ersatz dafür an Bord. Den brauche ich aber nicht, denn Sissi wirft diesen Stopper anscheinend niemals ab.

Hier ist der Stopper liegengeblieben

Immer ordentlicher und ordentlicher wird es. Dann kann ich mich um das Telefonproblem von Eike kümmern. Wir machen ihm mein Zweitgerät klar, damit er endlich wieder mit seinen Freunden kommunizieren kann. Er nimmt das Fahrrad und fährt in einen Telefon-Reparaturladen. Dort kann er seine SIM-Karte befreien lassen, das Telefon hat aber das Zeitliche gesegnet. Es ist unreparierbar kaputt.

Sissi liegt hafenfertig im Arbeitsbereich der Marina Bas-le-Fort

Ich sehe mich in der Gegend um, spreche mit Werftarbeitern und mir wird auch schon ein Motorenspezialist empfohlen. Der ist gerade nicht da und ich habe nicht den Antrieb, nach ihm zu suchen. Noch bin ich sehr, sehr müde. Im örtlichen Ausrüstungsladen sehe ich Batterien, doch die passen nicht zu den von uns verbauten. Ich sollte alle drei tauschen, dann sind aber 1500 Euro weg. Erst einmal teste ich weitere die beiden verbliebenen, bisher halten sie sich gut.

Windstille. Absolute Windstille in unserer zweiten Nacht. Man merkt, dass Guadeloupe eine große Insel ist und eigenes Wetter macht. Eine Stunde nach Sonnenuntergang fällt die Temperatur merklich und es wird feucht.

Am ersten richtigen Abend gehen wir zum Abendessen in ein Restaurant. Herrlich, die Auswahl an Speisen ist jenseits von Steak und Burgern. Natürlich gibt es das, aber es gibt auch noch viel mehr. Ich bestelle mir Entenbrust, auf den Punkt zartrosa gebraten. Genau so kommt sie auch auf den Tisch. Eike ist begeistert von seinem Entrecote, ich sehe ihn zum ersten Mal sein Essen fotografieren. Gemessen an dem, was ich vom Kontinent gewöhnt bin, ist das Essen sehr einfach. Gemessen an dem, was ich aus Aruba gewöhnt bin, ist es Gourmet-Essen vom Allerfeinsten.

Blick auf Sissi von der Werft aus

Morgens um Acht beginnen die Arbeiter zu arbeiten. Mit Schleifmaschinen, Hochdruckreinigern und allen anderen Geräten, die Lärm verursachen können. Das geht dann bis 18 Uhr. Und hier wird richtig gearbeitet, kein Vergleich mit dem, was ich in Aruba beobachten konnte.

Unser neuer Ausblick von Sissi

Der neue Ausblick ist nicht schön, aber er verheißt Reparatur. Deswegen schließe ich nun diesen Beitrag. In den kommenden Tagen muss ich mich um Sissi kümmern und werde eher nicht viel veröffentlichen. Wir planen, einen Mietwagen zu nehmen und die Insel zu erkunden. Wenn der Motor wieder läuft, suchen wir ein paar schöne Ankerplätze auf. Und vielleicht kommen wir noch einmal auf eine andere Insel, in ein anderes Land. Das hängt von so vielem ab, darüber möchte ich noch nicht nachdenken.

Muss definitiv gereinigt werden.

Festgemacht haben wir in Pointe-a-Pitre gegen 23 Uhr, also noch am Dienstag. Zu den Meilen des neunten Reisetages kamen noch 41 nm hinzu.

Land in Sicht!

Jede Seereise findet irgendwann ihr Ende, auch diese. So lasse ich Sissi gerade durch die Dunkelheit galoppieren, immer die Lichter von Basseterre, der Hauptstadt von Guadeloupe zu meiner linken Seite. Eike hat sich vor fünf Stunden ins Bett gelegt. Wir haben mal wieder versucht, eine Partie Schach zu spielen. Es wurden deren zwei, aber nicht mehr. Dann hat sich bei ihm die Seekrankheit wieder gemeldet und er hat sich hingelegt. Seit mehr oder minder acht Tagen hat er einen flauen Magen. Die Reisetabletten sind alle aufgegessen, genau wie das frische Fleisch, das frische Gemüse und die Schokoriegel auch. Ein paar Karotten liegen noch im Kühlschrank, doch Eike ist kein Esel, Karotten sind nicht sein Ding.

Die drei Heiligen. Diese Inseln hindern uns noch am direkten Kurs zum Ziel.

Irgendwie passt es mir nicht, den Riesenumweg zu fahren. Ich lade eine frische Wettervorhersage herunter, vielleicht finde ich eine Lösung. Wenigstens etwas Frisches hier an Bord. Beim Betrachten der windtoten Zone hinter den Bergen von Guadeloupe fällt mir auf, dass es möglich ist, diese zu durchqueren. Auch ohne Motor. Denn der Wind dreht um einige Grad und bläst diese Zone einfach weg. Wenn wir es schaffen, zwischen 19 Uhr und Mitternacht über diesen Bereich zu kommen, können wir eine gewaltige Strecke abkürzen. Der Seegang hat schon abgenommen, Guadeloupe klaut nicht nur den Wind, die Insel schützt auch vor den großen Wellen. Sissi beschleunigt auf 6,5 kn. Warpgeschwindigkeit. Die müssen wir nur noch sechs Stunden durchhalten und schwupp haben wir den traurigen Bereich hinter uns.

Zweisamkeit auf einem Segelboot ist so eine Sache. Die Kommunikation mit der Außenwelt ist auf eine dünne Satellitenverbindung beschränkt. Klar, Emails kann man immer senden und empfangen, auch Eike hat diesen Luxus genutzt. Es ist aber ein zweischneidiges Schwert. Heute kam eine Mail für Eike von einem guten Freund, der Gesprächsbedarf hat. Eike würde gerne mit ihm sprechen. Das geht halt nicht. Internet – bei uns immer verfügbar, hier ist es nicht vorhanden. Das Handy ist zu einer teuren Uhr mit Kamera degradiert. Nicht einmal die heruntergeladenen Serien kann er sich ansehen, das würde nur die Seekrankheit anfeuern. Und mit mir kann man sich auch nicht immer gut unterhalten. Während ich versuche, das Schleppen in den Hafen zu organisieren, habe ich meinen Kopf mit anderen Dingen gefüllt und bin auch nicht immer ansprechbar.

Derweil prescht Sissi mit Höchstgeschwindigkeit dorthin, wo sonst immer die tote Zone ist. Die Sechs steht eigentlich immer auf dem Tacho. Stunde um Stunde setze ich Wegpunkte in der Wetter-App und beobachte, wie sich die verbotene Zone mehr und mehr zurückzieht. Es sieht so aus, als würden wir doch schon am Dienstag ankommen. Moment – mir fällt auf, dass sich der Winddreher erst morgen ereignen wird. Heute ist Montag. Ich eile ins Cockpit und komme gerade rechtzeitig, um die Segel einfallen zu sehen. Sofort gehe ich auf Südkurs, der uns aus der Zone herausbringen soll. Sissi fährt nur noch mit dreieinhalb Knoten. Wir haben die tote Zone gefunden.

Aber eins sei mal gesagt: Mit dreieinhalb Knoten ohne nennenswerte Wellen vor Guadeloupe cruisen ist allemal besser, als mit zweieinhalb Knoten unter Motor durch die Wellen zu stampfen. Das Segeln ist sehr angenehm. Ich erinnere mich an die vielen Segeltörns mit Christoph, der mir viel über Segeltrimm beigebracht hat. So kann ich das Beste aus dem wenigen Wind herausholen. Und mir kommt eine Idee, wie Sissi selbständig den Weg um die tote Zone finden kann. Etwas luvgierig getrimmt, zieht sie bei viel Wind direkt auf das Ziel zu, bei wenig Wind hält sie sich per Leeruder aus der Zone raus. Theoretisch. Es funktioniert sogar einigermaßen.

Am Morgen stellt sich heraus, dass der Plan zur Hälfte funktioniert hat. Wir können es heute noch schaffen, es wird aber spät am Nachmittag. Die Marina hat bis 20 Uhr geöffnet, den Abschleppdienst habe ich gerade angeschrieben. Jetzt warten wir ab und segeln.

Spezielle Adresse an alle Freunde von Eike: Sein Telefon ist kaputt, er kann im Augenblick weder Whatsappen noch Telefonieren. Erst brauchen wir einen Handyshop, der es reparieren kann. Das Problem ist, dass wir die SIM-Karte nicht herausbekommen. Deswegen können wir sie leider noch nicht in mein Ersatztelefon stecken, um ihn wieder online zu bringen.

9. Etmal: 89 nm
Wir sind beinahe da…. doch die letzten Meilen ziehen sich am längsten.

Finsternis

Die schlimmen und unangenehmen Dinge passieren immer mitten in der Nacht. Mitten in der Nacht brach unser Spifall auf dem Weg von Teneriffa nach Barbados. In stockdunkler Finsternis mussten wir den Parasailor aus dem Atlantik bergen. Das brachte uns einen Zwischenstopp auf den Kapverden in Mindelo, wo wir nicht nur das Spifall, sondern auch zwei Unterwanten ersetzen mussten. Auch der Riss im Parasailor, aufgrund dessen wir ihn bis zur Reparatur in St. Lucia nicht mehr benutzen konnten, entstand in der Nacht. In der Nacht fuhren wir fast rückwärts gegen eine riesige Tonne, weil unser Propeller nicht mehr richtig funktionierte. Nachts lief das Boot voll Wasser und der Pütting des Achterstags ist auch nachts gebrochen.

 

Doch zunächst zum zweiten Segeltag. Eike und ich spielen in der Mittagshitze ein paar Partien Schach. Die Konzentration auf das Spiel unter Deck führte dann doch zu einem mulmigen Magen. Okay, wir werden unsere Schachspiele an Deck verlegen müssen. Da die Zeit, in der wir beide wach sind, arg limitiert ist, werden wir wohl bis St. Kitts nicht mehr spielen können. Ein Nickerchen bringt den Magen wieder in Ordnung. Der Wind ist ziemlich schwach, unser Kurs Nord-Nordost wird immer mehr zu einem reinen Nordkurs. Die Ostkomponente ist aber besonders wichtig.

Ein grünes Dreieck erscheint auf dem AIS-Bildschirm. Es sieht für mich aus wie ein Segelboot auf Gegenkurs. Eine kurzer Mausklick und die Bestätigung ist da. Das Dreieck ist die Samai. Wir freuen uns, sie noch einmal zu sehen. Sie haben schon 10 Meilen uns gegenüber in Richtung Osten Vorsprung. Da sollten wir nicht nur über die Wende nachdenken, sondern ebenfalls auf Gegenkurs gehen. Gesagt, getan. Wir werden zwar langsamer, dafür machen wir wesentlich mehr Strecke nach Osten gut. Wir funken die Samai an und sprechen mit Michael, der wohl schon auf den Ruf gewartet hat oder selbst gerade zur Funke greifen wollte – so schnell hat er geantwortet. Auch bei Sandra, Maila, Samuel und Michael war die Nacht ruhig und alles ist in Butter. Nach einer Weile verschwindet das Symbol wieder, die Entfernung ist zu groß geworden.

Ich brate Zwiebeln, Knoblauch, frischen Blattspinat und Steaks, der ultimative Test auf Anfälligkeit für Seekrankheit. Kein Problem. Weder die Zubereitung noch der Genuss des Abendessens machen Eike Probleme. Wir glauben, dass er über den Berg ist. Kurz sitzen wir noch gemeinsam im Cockpit, dann geht Eike zu Bett.

Getreu dem Motto „bei viel Wind kann jeder Segeln“ verschwende ich meist nicht allzu viele Gedanken auf optimalen Segeltrimm. In der Passatzone gibt es meist reichlich Wind, bei zu hoher Geschwindigkeit bohrt sich aber der Bug in die Wellen. Also fahre ich gar nicht so gerne mit Höchstgeschwindigkeit. Eigentlich will ich mich auf die Couch legen, um mich für die Nachtstunden fit zu halten. Daran ist aber erst einmal nicht zu denken. Der wenige Wind lässt das Achterliek des Großsegels flattern. Das ist die Hypotenuse des Dreiecks, als das man sich das Segel auch vorstellen kann. Dadurch wird die lose Reffleine für das zweite Reff wild herumgeschleudert und schlägt gegen das Segel. Warum? Ich habe keine Ahnung.

Eike kommt wieder in den Salon. Er kann nicht schlafen. Sein Bett ist durch die Wende zur falschen Seite geneigt, er läuft Gefahr herauszufallen. Wir müssen damit leben, der Kurs ist viel besser als auf dem anderen Bug. Wir machen richtig Strecke gut. Ein paar Minuten später fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Ich habe vergessen abzudirken, dadurch kann das Segel nicht richtig stehen. Also muss ich an den Mast. Also muss ich Eike wieder aus dem Bett scheuchen. Ich bin manchmal auch ein Depp. Da segeln wir schon mehr als 24 Stunden und die Dirk fällt mir jetzt erst ein. Doch es gilt an Bord weiterhin die Regel, dass niemand das Cockpit verlässt, wenn er alleine ist. Das Segel steht jetzt schön, der Lärm ist weg.

Kohlrabenschwarz ist die Finsternis der Nacht. Keine Spur mehr vom gestrigen schönen Sternenhimmel. Den ganze Tag über war der Himmel schon bedeckt, wir haben nicht viel Solarstrom produziert, auch nicht viel Windstrom bei der schwachen Brise. Wenn ich jetzt den Kühlschrank abschalte, sollten wir aber durch die Nacht kommen. Plötzlich richtet sich Sissi auf, der Wind ist komplett weg, die Segel schlagen. Ich habe eine Befürchtung und versuche, das Boot wieder einigermaßen auf Kurs zu bekommen. Die ersten Regentropfen treffen mich, dann kracht eine heftige Bö in die Segel. Es fühlt sich an wie ein Squall. Der Windgenerator pumpt plötzlich Unmengen Ampères in das System, das kann ich an der Drehzahl hören. Sehen kann ich gar nichts, denn der Regen fühlt sich an, als würde eine ambitionierte Freiwillige Feuerwehr um die Wette löschen. Das Großsegel fängt den Regen schön ein, durch die Falte des ersten Reffs wird er dann in Gänze über mich geschüttet. Ich frie
re uns
zittere, mir ist saukalt. Ich fluche und brülle in den Wind. Eike fragt von unten, ob er helfen kann. Ich schicke ihn wieder ins Bett, es ergibt keinen Sinn, die ganze Crew zu löschen. Nach ein paar Minuten, die sich wie eine Stunde angefühlt haben, ist der Spuk vorbei. Der Wind schläft wieder ein. Ich schnappe mir ein trockenes Handtuch, trockene Klamotten und bin in kurzer Zeit wieder aufgewärmt. Es ist ja nicht kalt hier.

Anschließend darf ich den richtigen Kurs wieder einstellen und bin gerade im Salon angekommen, als der nächste Squall durchgeht. Noch einmal heftiger Regen. Diesmal sehe ich kurzzeitig die 20 Ampère auf dem Batteriemonitor. Fünf Minuten zu 20A bringt natürlich nicht viel, doch es zeigt das Potential.

Unfit ist wohl das richtige Wort für Eikes Zustand, als er mich auf Wache ablöst. Eigentlich ist es seine Uhrzeit, als Bäcker arbeitet er zu der Zeit, in der er nun die Wache auf Sissi hat. Aber er hat nicht gut geschlafen. Auch ich schlafe nicht gut, auf dem Steuerbordbug ist nur die Koje von Jens wirklich bequem. Die ist aber gerade mit Dingen belegt. Auftragsgemäß weckt mich Eike um sechs Uhr in der Früh, weil der Wind inzwischen wieder so weit gedreht hat, dass wir nur noch einen Kurs Süd-Südost fahren. Ich denke ein paar Minuten darüber nach, dann lege ich mich wieder hin. Erst wenn es eindeutig Südkurs ist, wird gewendet. Das passiert dann morgens um Acht.

Insofern ist unfit auch das richtige Wort für meinen jetzigen Zustand. In dieser Nacht hat keiner von uns gut geschlafen. Ich grantele üblicherweise am Morgen. An Land kein Problem, auf See muss ich mir das abgewöhnen. Eike bezieht es auf sich, das ist nicht gut für das Bordklima. Ich müsste meinen Morgenkaffee vor dem Aufstehen trinken, doch wie kommt der Kaffee zu mir ins Bett? Der Wind hat ein wenig aufgefrischt, schon morgens um 10 Uhr füllen sich die Batterien zusehends. Auch unser neuer Kurs Nordost gefällt mir. Es fehlen zwar noch ein paar Grad, um St. Kitts direkt anlegen zu können, doch heute Nacht haben wir trotz aller Widrigkeiten eine ordentlich Strecke nach Osten gut gemacht. Meiner Erfahrung nach ist der zweite Seetag der schlimmste. Also geht es ab morgen aufwärts.

2. Etmal: 77 nm
Entfernung nach St. Kitts: 340 nm

Eine Bitte an alle, die die Email-Adresse unseres Satellitentelefons kennen. Bitte schickt keine großen Mails, keine Anhänge, einfach nur Text. Im Moment verstopft eine Mail mit 150kB den Posteingang. Das Herunterladen würde ewig dauern, in der Zeit fallen Unsummen Telefongebühren an.