Ich bin inzwischen über eine Woche auf der Isle of Man. Ein Teil des ursprünglichen Plans war, den guten Wind auszunutzen, dann die Flaute auszusitzen. Eigentlich rechnete ich damit, dass wieder guter Wind kommt, um meine Reise nach Islay fortzusetzen. Denkste.
Da mein Dieseltank noch voll ist, kann ich einen Tag Motorfahrt problemlos einplanen. Ich werde den Mercedes bemühen, um nach Islay zu kommen. Wind bzw. brauchbarer Wind ist weiterhin nicht in Sicht. Einzig das Wetter soll sich verschlechtern. Wobei verschlechtern vielleicht das falsche Wort ist, denn auf der Isle of Man sind die Landwirte ziemlich mit der Trockenheit beschäftigt. Auch die Feuerwehr muss mehr Waldbrände löschen als üblich, im lokalen Radio wird darüber berichtet.
Inzwischen bin ich ja im Tiderevier angekommen. Damit gibt es neben dem Wind noch einen weiteren Parameter zu betrachten – oder vielmehr zwei. Einmal ist es die Höhe der Tide, denn zum Beispiel in Douglas kann man nur im Zeitfenster zwischen zwei Stunden vor Hochwasser und zwei Stunden nach Hochwasser in den Hafen einlaufen. Unter der Klappbrücke ist ein sogenanntes „Flapgate“. Das ist eine Sperre, die das Wasser daran hindert, aus dem Hafen heraus zu laufen. Diese Sperre senkt sich bei entsprechendem Wasserstand automatisch ab und gibt den Weg frei.
Ohne diese Sperre würde es in Douglas bei Ebbe aussehehen wie derzeit an der Elbe in Dresden, am Rhein in Köln oder in Ramsey bei Niedrigwasser. Wobei man in Ramsey ganz genau planen kann, wann das Wasser wiederkommen wird. Das ist der Unterschied zur Rheinschifffahrt im Jahr 2022.
Ich habe zwei Möglichkeiten, um die Isle of Man herumzufahren. Entweder fahre ich um die Nordspitze, das haben Jens und ich vor drei Jahren gemacht. Damals wurden wir durch verschiedene Strömungen ganz schön durchgeschüttelt. Oder ich fahre um die Südspitze herum, auch hier sind Strömungen in der Karte eingezeichnet. Da der Zeitpunkt der Abfahrt durch das Flapgate festgelegt ist, entscheide ich mich für die Fahrt um die Südspitze. Da kann ich mit ordentlich schiebendem Tidestrom rechnen.
An meinem letzten Abend bekomme ich Live-Musik frei Boot geliefert. Der Pub „The Bridge“ hat Musiker bestellt, die den ganzen Nachmittag spielen. Es bildet sich eine Menschentraube. Ich bleibe an Bord und genieße das Spektakel von dort.
Kurz überlege ich, ob ich nicht schon in der Nacht auslaufen soll. Immerhin ist das Hochwasser etwa um Mitternacht. Diesen Plan verwerfe ich aber sofort. Einerseits hätte ich dann zwei Nächte, die ich durchfahren muss, andererseits ist eine Ankunft in Port Ellen Samstagnacht nicht unbedingt angesagt. Der Hafen ist winzig und viele Schotten machen am Wochenende einen Ausflug auf die Inseln. Ich möchte lieber am Sonntag ankommen, dann kann ich mit einem freien Platz rechnen.
Am Samstagmorgen besorge ich mir noch den Reiseproviant im nahe gelegenen Supermarkt. Auf dem Rückweg zum Boot gehe ich noch im Hafenmeisterbüro vorbei und bitte um Hilfe beim Ablegen. Kein falscher Stolz, ich lasse mir lieber helfen, als dass ich beim Ablegen noch einmal einen Schaden anrichte. Für meine Abfahrt plane ich die Brückenöffnung um 11:15 Uhr ein, der Hafenmeister verspricht, um 11:05 Uhr bei mir am Boot zu sein. Die Brücke öffnet bei Bedarf nämlich um viertel vor der vollen Stunde und um viertel nach. Am Funk höre ich, dass sich für die erste Brückenöffnung um 10:45 Uhr schon sehr viele Boote angemeldet haben. Ich beglückwünsche mich innerlich zu meiner Entscheidung und melde mich für die zweite Öffnung des Tages an.
Um 11:00 Uhr starte ich den Motor und habe die Leinen klar zum Ablegen. Über Funk bekomme ich mit, dass ein Frachtschiff ablegen wird. Die Hafenkontrolle teilt mit, dass sie die Brückenöffnung früher machen werden. Und tatsächlich geht die Brücke schon um 11:05 Uhr auf. Das passt mir gar nicht in den Kram. Ich schmeiße die Leinen sofort los und bugsiere Sissi aus ihrer Parkposition. Zwischendrin werde ich noch von der Hafenkontrolle gerufen. Das passt mir auch nicht in den Kram, denn natürlich ist der Akku der Handfunke gerade leer, ich muss in den Salon herunter, um der Hafenkontrolle zu antworten. Dabei steht Sissi im Hafenbecken und ich habe wieder Horrorvorstellungen von einer Kollision wie in Cork. Ich bekomme Sissi aber problemlos in Fahrt, die Handfunke hat wieder etwas Energie geladen. So kann ich der Hafenkontrolle antworten, dass ich auf dem Weg bin. Sie halten mich zu maximaler Eile an. Ich presche mit 6,5 kn durch das Hafenbecken. Das weckt bei den anderen Booten Hassgefühle, denn Sissi erzeugt ordentlich Schwell. Doch ich kann die Brücke noch durchfahren, bevor sie wieder geschlossen wird.
Draußen stelle ich die Drehzahl für 4,5 kn Reisegeschwindigkeit ein. Das ist die wirtschaftlichste Geschwindigkeit. Jetzt kann ich entspannen. Schon kurze Zeit später hat mich der schiebende Strom im Griff, der Tacho zeigt 6 kn an. Auf den Tidestrom ist eben Verlass. Am Leuchtturm „Chicken Rock“ ganz im Süden der Isle of Man knackt Sissi die 8 kn. Wäre ich um die Nordspitze gefahren, müsste ich gegen diese Strömung fahren und hätte noch eine sehr unkomfortable Fahrt über Stromschnellen. Bis hierhin habe ich alles richtig gemacht. Zum Abendessen mache ich mir Lammsteak mit asiatischem Gemüse und Reis. Lecker. Während sich die Sonne zum Horizont bewegt und ich mit einem spannendem Buch im Cockpit sitze, höre ich plötzlich die Geräusche von Delfinen. Für eine gute Viertelstunde werde ich von den Delfinen begleitet und es gelingen mir sogar ein paar Schnappschüsse.
Später dreht der Tidestrom wieder um. Wenn man weiter als 12 Stunden fährt, hat man unweigerlich den Strom irgendwann in die ungünstige Richtung. Sissi verlangsamt irgendwann auf 2,5 kn, dann auf 2 kn. Wir parken sozusagen vor Belfast. Das ist ein prima Platz zum Parken, denn hier fahren Fähren von England nach Nordirland und wieder zurück. Es ist auch die schmalste Stelle zwischen den beiden Inseln, hier kommen viele Frachtschiffe durch. Das AIS feuert einen Alarm nach dem anderen. Ich wollte sowieso nicht schlafen.
Ein paar Stunden später dreht der Strom wieder in meine Richtung. Sissi beschleunigt auf fast 8 kn. Und ich bin an der Hauptverkehrsstraße vorbei. Ein paar Stunden lege ich mich aufs Ohr, werde jedoch von meinem Wecker regelmäßig aus dem Schlaf gerissen. Das muss leider so sein, wenn man ohne Crew unterwegs ist. Den Sonnenaufgang verpasse ich, weil er gar nicht so richtig stattfindet. Es kommt Regen.
Die letzten paar Stunden bis Port Ellen ziehen sich ein wenig dahin. Die Tide hat wieder gedreht, doch hier ist zum Glück die Strömung nicht mehr so stark. Ich beobachte die Fähre, wie sie nach Port Ellen hineinfährt. Ich beobachte die Fähre, wie sie Port Ellen wieder verlässt. Das ist schön, ein Problem weniger. Ich begegne den Fähren nicht so gerne, wenn ich dicht vor einem Hafen bin. Dann mache ich Sissi klar zum Anlegen. Fender und Leinen auf beiden Seiten, ich weiß ja nicht, wo ich landen werde. Wenige Minuten später bin ich drin. Ein freundlicher Segler winkt mich zur letzten freien Box. Ich fahre rein und stecke sofort fest, denn das andere Boot in dieser Box hat sein Dinghi draußen hängen. Das ist mal wieder die Müdigkeit, ich habe das Dinghi nicht gesehen. Andererseits ist es auch eine Frechheit, wenn man im engen Hafen das Dinghi draußen liegen hat. Der freundliche Helfer klettert auf das andere Boot und räumt das Dinghi aus dem Weg. Dann liege ich fest. Willkommen auf Islay.
Der Hafenmeister begrüßt mich und will mir seinen Hafen erklären. Ich erinnere mich noch an seinen Namen und natürlich erinnere ich mich an den Hafen. Die Wifi-Antenne, die ich beim letzten Besuch noch nicht hatte, bringt das kostenlose Wifi vom Fähranleger an Bord. Der Dinghibesitzer kommt mit seiner Frau vom Einkaufen zurück und blökt mich an, was ich mit seinem Dinghi gemacht habe. Ich habe gar nichts gemacht. Ich frage ihn, ob er beide Liegeplätze bezahlt. Daraufhin hält er seinen Mund. Gerade habe ich mir wieder einen Freund fürs Leben gemacht.
Nach ein paar Stunden Schlaf und einer erfrischenden Dusche im Duschtempel habe ich noch einen Tagesordnungspunkt zu erledigen. Ich besuche den örtlichen Pub mit seiner fantastischen Whiskybar. Ich bekomme die Whiskykarte hingelegt, doch nach einer halben Sekunde Nachdenken bestelle ich mir einen Ardbeg Ten.
Ich habe meinen Eintracht Pulli an Bord gelassen. Mit dem Barmann komme ich über Fußball ins Gespräch. Bei ihm hätte ich mit Eintracht-Klamotten kein Problem. Er ist nämlich Fan von Celtic Glasgow und er erklärt mir gleich einmal, wo ich in Port Ellen den Eintracht-Adler finden kann. Ein anderer Celtic Fan hat sich nach dem Sieg unserer Eintracht eine riesige Flagge bestellt und in seinen Garten gehängt. Mein Nachbar am Tresen arbeitet im Islay Hotel und bewirbt die Live-Musik am Donnerstagabend. Im Hintergrund füttern die Leute die Jukebox und machen Musik. Es fühlt sich gut an, wieder auf Islay zu sein.
Hallo Jörg,
Ich lese schon lange still Deinen Blog und und bin fasziniert von deinen Erfahrungen. Auf eigenem Kiel Islay zu erreichen ist ein Lebenstraum von mir, du bist schon zum mindestens 2. Mal da!
Probiere mal den Machir Bay der Kilchoman Distillery. Der sollte dir schmecken! Oder du probierst ihn bei mir, wenn du zurück im IJsselmeer bist.
Mit Sissi bin ich sogar schon zum dritten Mal in Port Ellen. Es ist immer wieder schön.
Ein lebhafter Bericht, Jörg. Schön geschrieben, Du weckst mal wieder den Wunsch in mir, dass es 2023 endlich mit Schottland klappen muss.