Ich bin aufgeregt. Heute fahren wir über das Loch Ness. Es ist meine vierte Passage auf dem Loch Ness und bisher habe ich noch kein ordentliches Foto von Nessie machen können. Vorher jedoch müssen wir noch durch die Schleusen herunter. Pünktlich um 8:30 Uhr steht der Schleusenwärter auf den Pontoon und teilt uns unsere Plätze zu. Die Fingal of Caledonia wird als erstes Schiff in die Schleusen gehen. Dann kommt der Cruiser, dessen Fäkalientank nicht ausgepumpt werden muss. Dann die Freyja und dann wir. Ich bin zufrieden mit der Reihenfolge, der Platz ganz hinten in der Schleuse ist der ruhigste.
Anschließend geht es raus auf das Loch Ness. Im Gegensatz zum Loch Lochy ist hier der Himmel bedeckt und es gibt Wind. Der allerdings kommt direkt von vorne. Wir könnten nun den ganzen Tag damit verbringen, hin und her zu kreuzen. Dazu habe ich aber keine Lust. Außerdem vermeldet mein Vater den Wunsch, heute schon bis Inverness durchzufahren.
Im Osten ist der Kanalbetrieb normal. Also stelle ich die Motordrehzahl für eine Geschwindigkeit von fünf Knoten ein, damit sollten wir das Loch Ness in angemessener Zeit durchqueren können. So werden wir Inverness lange vor 17:30 Uhr erreichen, also vor dem Betriebsschluss des Kanals. Immerhin warten noch fünf Schleusen auf uns, eine einzelne Schleuse in Dochgarroch und dann eine Treppe aus vier Schleusen direkt in Inverness.
Das Ruder übernimmt hier natürlich auch wieder der Autopilot. Ich habe jetzt viel Zeit für die Küche und bereite uns ein feines Gulasch zu. Das muss stundenlang kochen und genau so habe ich das für heute geplant. Loch Ness ist über 200 Meter tief, der Tiefenmesser zeigt nur drei Striche, genau wie auf dem großen Ozean.
Als wir an Urquhart Castle vorbei kommen, werden wir von den beiden Deutschen überholt, die inzwischen ihren Fäkalientank ausgepumpt haben. Sie holen alles aus ihrem Cruiser heraus. Dann plötzlich zeigt der Tiefenmesser nicht mehr die drei Striche, sondern nur noch 18 Meter Wassertiefe. Wie kann das sein?
Ich bin ganz aufgeregt. Es kann doch eigentlich nur einen Grund geben, aus dem der Tiefenmesser eine andere als die echte Wassertiefe anzeigt. Es muss sich etwas unter Sissi befinden, das groß genug ist, ein Echo zu werfen. Kleine Süßwasserfische fallen da nicht ins Gewicht. Also sehe ich mir die Umgebung genau an und siehe da, Nessie schaut aus dem Wasser und nickt uns zu. Ich drücke den Kameraauslöser.
Wie lange habe ich darauf gewartet. Ich war mit dem Motorrad am Loch Ness. Ich bin über das Loch gesegelt und motort. Nessie hat sich entweder vor mir versteckt oder ich konnte die Kamera vor Aufregung nicht ruhig halten. Zum ersten Mal gelingt mir eine brauchbare Aufnahme.
Jetzt ist der Tag gerettet. Von mir aus können wir auch den Kanal verlassen und gleich nach Holland weiterfahren. Endlich habe ich ein Foto von Nessie. Damit gehöre ich zu einem ganz kleinen Kreis von Fotografen. Der Himmel klart ein wenig auf.
Das Loch Ness ist zu Ende und wir sind wieder im Kanal. Das Gulasch ist fertig, zum Abendessen muss ich es nur noch einmal aufwärmen. Wir kommen zum Dochgarroch Lock und ich rufe die Schleuse über Funk. Einmal, zweimal, dreimal. Es erfolgt keine Antwort. Plötzlich öffnen sich die Schleusentore. Beim Festmachen fragt mich die freundliche Schleusenwärterin, ob ich über Funk gerufen habe. Sie hätte es leider nicht gehört, weil sie den Rasen gemäht hat. Ich frage, ob wir noch bis Inverness durchkommen werden und sie bejaht. Nachdem wir abwärts gefahren sind, kommt sie mit der schlechten Nachricht. Sie hätte nicht auf die Uhrzeit geachtet. Leider kommen wir die Schleusentreppe nicht mehr herunter. Am Anlegeplatz vor den Schleusen liegt die fette Lord of the Glens und blockiert alles. Ich probiere es trotzdem, schließlich möchte mein Vater den morgigen Tag mit Sightseeing in Inverness verbringen. Es findet sich zum Glück ein passender Parkplatz, gerade groß genug für Sissi.
Nach dem Abendessen machen wir noch einen Spaziergang entlang der Marina und bis zur nächsten Schleuse dahinter. Wir wollen zum Clachnaharry Inn (Aussprache: Klacknaharry).
Ich habe an diesen Pub nur positive Erinnerungen. Das Essen ist nicht so schlecht wie üblich und der Biergarten ist direkt an der Eisenbahnstrecke. Dort habe ich schon schön in der Sonne gesessen und die vorbeifahrenden Züge fotografiert. Auch drinnen ist es gemütlich, es ist zu dunkel und zu frisch für den Biergarten. Mein Vater ist kein großer Kneipengänger, doch auch er findet dieses Etablissement ansprechend. Nach zwei Getränken spazieren wir in stockfinsterer Nacht wieder zurück zu Sissi.