Weiter, weiter, immer weiter

Mário kämpft. Er kämpft mit seinem Magen. Die Tunfischsuppe kam nicht gut an. Ich bin fast am verzweifeln. Was soll ich zubereiten, damit Mário die Probleme mit seiner Verdauung in den Griff bekommt. Ich frage ihm Löcher in den Bauch. Ich möchte wissen, welche Nahrung er normalerweise zu sich nimmt. Eigentlich keine gesunde Nahrung, Essen von Restaurants zum Mitnehmen nach Hause. Hühnerschenkel mit Pommes oder Reis. Eigentlich viel fettiges Zeug, meine Küche ist gesünder. Vielleicht zu gesund?

Wir entscheiden uns für Pizza zum Abendessen. Der Ofen will sowieso geheizt werden, weil wir ein frisches Brot brauchen. Wenn er so richtig heiß ist, geht die Pizza anschließend schnell durch. Ich knete fix den Teig und dann ist Warten angesagt. Derweil findet der Eimer wieder seinen Platz im Cockpit.

Mário kämpft mit der Windfahnensteuerung. Er hat nicht die nötige Geduld, einfach den Wind seinen Job machen zu lassen. Die Windvorhersage empfiehlt einen Kurs von 45°, also Nordost. Mit den Böen pendelt unser Kurs zwischen 30° und 60°, das ist mir gut genug. Im Durchschnitt kommen wir bei 45° heraus, das zeigt auch unsere Aufzeichnung am Bordcomputer. Mário versucht, das Pendeln zwischen den Extremen zu verhindern. Das wird jedoch durch die Windböen verursacht und kann nicht eliminiert werden. Hauptsache er ist beschäftigt, das hilft gegen die Seekrankheit.

Das Brot kommt in den Ofen, leckerer Duft weht durch den Salon. Ich schnibbele die Zutaten für die Pizza. Normalerweise braucht das Brot etwas mehr als eine Stunde, doch schon nach 45 Minuten riecht es verbrannt. Verdammt, ich habe das Backblech herausgenommen, das normalerweise für eine bessere Hitzeverteilung im Ofen sorgt. Das Weißbrot ist jetzt mehr ein Krustenbrot geworden. Dafür ist der Ofen bereit für die Pizza.

Bevor ich die Teigstücke ausrollen kann, muss ich erst einmal das Nudelholz von den Teigresten der letzten Pizza befreien. Wer hat die noch gleich gemacht? Jens! Er hat das Nudelholz zurück an seinen Platz gelegt, ohne es zu reinigen. Eieiei. Ich backe die dünnen Teigfladen kurz vor, dann werden sie belegt und in der erstaunlichen Zeit von nur 45 Minuten ziehe ich vier Pizzas durch den Ofen. Lecker! Pizza Atlantico. Mário kaut zufrieden. Ich auch.

Leider kommt immer, was sich nicht verhindern lässt. Mário bereitet das Abspülen vor und fällt kreidebleich auf die Couch. Die Seekrankheit tritt wieder einmal nach. Ich schicke ihn zu Bett und reduziere die Segelfläche. Dann fährt Sissi zwar ein wenig langsamer, das Boot ist insgesamt aber viel ruhiger.

Die Nacht verläuft ereignislos. Das wichtigste Ereignis ist, dass ich die Bordzeit eine Stunde vorwärts drehe. Nun sind wir nur noch eine Stunde in der deutschen Zeit (oder fünf Stunden vor Aruba). Sollten wir es noch nach Irland schaffen, ist das die Ortszeit. Das glaube ich aber nicht, die Windvorhersage spricht anders. Für Frankreich oder Spanien müssen wir dann die Uhr noch eine Stunde vor stellen.

Am Ende meiner Schicht wecke ich Mário, dessen Gesicht inzwischen wieder Farbe angenommen hat. Wir unterhalten uns noch kurz, er snackt seine zweite Pizza. Folgenlos. Das ist gut.

4. Etmal: 108 nm
Position: 40°43‘N 19°07‘W

XIX Grandes Festas do Divino Espírito Santo de Ponta Delgada

Es ist immer noch Freitag, mein vorletzter Tag in Ponta Delgada. Leider ist mein Brief aus Deutschland mit Teilen für die Satellitenantenne immer noch nicht angekommen. Ich bin etwas frustriert, werde aber in der nächsten Woche noch einmal in der Marina anrufen. Falls der Brief da ist, mache ich noch einen kurzen Abstecher nach Ponta Delgada, bevor ich gen Nordosten weiter segele.

Krone im Stadtzentrum

Ich sehe, dass die Krone im Stadtzentrum erleuchtet ist. Sie wurde in den vergangenen Tagen aufwändig errichtet. Das macht mich neugierig. An dem Platz, an dem ich vor kurzem noch gemeinsam mit Michael dem Jazz gelauscht habe, hat sich eine Menschenmenge versammelt. Offenbar warten sie auf ein Ereignis. Ich war bislang zu faul, mir Plakate durchzulesen, die überall in der Stadt aufgehängt sind. Auf jeden Fall hat es etwas mit der Kirche zu tun. Das Programm gibt es auch im Internet.

Die Menschen warten.

Das ganze Stadtzentrum ist großräumig abgesperrt, nur Fußgänger kommen noch durch. Anscheinend geht es gleich los. Anstatt meinen Spaziergang fortzusetzen, stelle ich mich an die Straßenecke, an der gleich etwas passieren wird. So ist es auch. Eine lange Prozession von normalen Menschen, Pfadfindern und zuletzt noch einer Musikgruppe passiert meinen Standort. Ich filme ein wenig, schließlich handelt es sich um lokale Folklore. Die Menschen auf den Azoren sind wirklich sehr katholisch.

Die Blaskapelle spielt noch eine gewisse Zeit vor dem Rathaus, doch am Ende der Straße sehe ich den nächsten Spielmannszug, der sich marschbereit macht. Also hole ich mir ein kleines Bier an der Tankstelle und warte gemeinsam mit den anderen Schaulustigen. Mit Pauken und Trompeten zieht die zweite Kapelle nach wenigen Minuten an mir vorbei. Ich gehe eine Runde um den Block und hoffe, eine Aufnahme des Auftritts machen zu können. Doch es ist voller, als bei einem Rockkonzert. Ein Durchkommen ist nicht möglich.

Wegen der Heiligen ist die Hölle los!

Dann eben nicht. Meinen Spaziergang erkläre ich hiermit für beendet und gehe zurück zu Sissi. Ich habe Hunger und muss mir noch mein Abendessen kochen.


Am folgenden Tag muss ich das Boot bereit machen für die Abfahrt. Mein neues Crewmitglied Mário wird einziehen. Außerdem müssen alle Dinge verstaut werden, die sich so auf dem Boot befinden. Während ich den Morgenkaffee genieße, kommt mir etwas komisch vor. Ich kann aber noch nicht sagen, was mir hier komisch vorkommt. Irgendwas ist anders als sonst. Mário wird mich heute Nachmittag mit dem Auto in den Supermarkt fahren. Das ist praktisch, wir müssen noch ein paar Vorräte für die Reise nach Europa besorgen. Außerdem erwarte ich Martin (SY Fairytale) in Ponta Delgada. Er will als Skipper ein Charterboot übernehmen und hat noch acht Crewmitglieder zu bespaßen. Allerdings ist sein Boot noch nicht hier.

Der letzte Wagen an der Hauptstraße wird abgeschleppt. Normalerweise ein legaler Parkplatz, aber nicht heute.

Die Hauptstraße, die direkt an der Marina vorbei führt, ist komplett gesperrt. Nur die Linienbusse werden von der Polizei noch durchgelassen. Das ist heute also anders. Ich gehe in den kleinen Supermarkt gegenüber und besorge mir Frühstücksbrötchen. Auf dem Rückweg treffe ich Martin. Er ist die fünf Kilometer vom Flughafen in die Marina gelaufen und sucht jetzt seine Crew und sein Boot.

Ochsen werden transportiert

Ich finde heraus, dass es am Nachmittag eine Parade geben wird. Als Mário an Bord kommt, beklagt er sich über die vielen gesperrten Straßen. Wir verschieben den Großeinkauf auf Santa Maria, dort wird es auch einen brauchbaren Supermarkt geben. Ein Auto werden wir auch haben, sein Vater lebt auf dieser Insel. Wir machen uns auf den Weg zu den Behörden, um für die nächste Etappe auszuchecken. Zurück auf Sissi bemerke ich, dass Jens immer noch auf der Crewliste steht, dafür Mário nicht auf die Crewliste gekommen ist. Also gehen wir noch einmal zu den Behörden und lassen den Fehler korrigieren. Warum? Ich habe denen doch die beiden Pässe in die Hand gedrückt!

Martin muss unbedingt dieses Selfie machen

Nachdem Martin die ganze Marina auf der Suche nach seinem Boot abgelaufen ist, kommt er zu Sissi und muss sich erst einmal auskotzen. Sein Charterboot ist nicht in Ponta Delgada, sondern in Horta in der Marina. Da hat sein Reiseveranstalter einen richtigen Bock geschossen. Jetzt darf er sich um den Transport der Chartergäste nach Faial kümmern, muss ein Hotel finden und außerdem seine Gruppe noch ein oder zwei Tage auf Sao Miguel bespaßen – je nachdem, wann sich freie Plätze im Flugzeug finden lassen. Seine Crew versucht gerade, den Zwei-Wochen-Einkauf für 1500€ wieder im Supermarkt zurück zu geben. Wow.

Die Parade hat begonnen

Mário und ich können hören, dass die Parade begonnen hat. Ich will ein paar Aufnahmen machen. Mário erklärt mir, dass sich alle Dörfer auf Sao Miguel hier mit ihren Spezialitäten präsentieren. Außerdem gibt es in der Innenstadt kostenlose Suppe. Die ist traditionell für die Bedürftigen gedacht und wurde auf den Dörfern ausgegeben. Heutzutage ist die Suppenküche in der Innenstadt, damit auch Touristen den Weg dorthin finden können.

Der Dudelsack klingt genau so wie in Schottland.
Der Ochsenkarren macht Lärm, wenn sich die Ochsen voran bewegen.
Ist der Ochse unwillig, dann wird er mit dem Stock zur Mitarbeit überredet.

Mário und ich machen einen kleinen Einkauf im Supermarkt gegenüber, der für die nächsten zwei Tage ausreichen muss. Den Rest werden wir in Santa Maria einkaufen. Anschließend gehen wir zum Abendessen in ein Restaurant. Der Vorteil mit einem Ortskundigen an meiner Seite ist, dass ich ein wirklich gutes Steak essen kann. Später sitzen wir noch stundenlang im Cockpit uns schwätzen. Eigentlich wollten wir ja früh zu Bett gehen.

Musik in den Segeln, Tunfisch im Topf

Es geht aufwärts. Während ich gestern fast den gesamten Tag auf der Couch verbracht habe, fühle ich mich heute wie neu geboren. Meine Müdigkeit ist wie weggeblasen. Das könnte vielleicht daran liegen, dass ich gestern insgesamt 18 Stunden mit mehr oder weniger vielen Unterbrechungen gedöst und geschlafen habe. Auch Mário fühlt sich besser. Wir wagen es, die Reisetabletten abzusetzen und schauen, ob die Seekrankheit endgültig besiegt ist. Ich schlage vor, für das Abendessen eine Tunfischsuppe zu kochen. Er findet die Idee klasse.

Eine gute Suppe braucht neben den Zutaten auch eine ordentliche Portion Zeit. So bin ich dann den ganzen Nachmittag mit der Zubereitung beschäftigt. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand. Wir löffeln genüsslich unsere Suppe. Die Seekrankheit ist wirklich besiegt. Sogar der Eimer, der seit Beginn des Törns griffbereit im Cockpit steht, durfte endlich wieder in seine Backskiste zurück. Dort fühlt er sich wohler und ist mir nicht mehr in Füßen.

Ein Knarzen kommt aus dem Funkgerät. Wir haben vor einigen Stunden das letzte Frachtschiff gesehen, ansonsten ist der AIS-Bildschirm leer. Das Knarzen wiederholt sich, eine leise Stimme ruft ein deutsches Segelboot. Die Stimme ist zwar leise, doch ich erkenne Micha von der Samai. Nachdem ich seinen morgendlichen Blog gelesen hatte, habe ich diese Begegnung für den späten Nachmittag oder frühen Abend erwartet. Wir haben unseren Vorsprung durch die langsame Segelei hergegeben. Egal, ist ja keine Regatta. Wir wollen alle gesund mit intakten Booten ankommen.

Manchmal klappt die Verbindung gut, manchmal kommt nur Rauschen aus dem schwarzen Kasten. Die Samai ist 10 Meilen östlich von uns. Ich schätze, es liegt an den Wellen. Wenn wir oben sind, können wir gut sprechen, wenn wir unten sind, ist die Verbindung tot. Unsere Antenne ist halt nicht im Masttop, sondern hinten am Geräteträger. Das reduziert die Reichweite. Fakt ist, dass es allen gut geht. Wir wünschen uns gute Fahrt.

Während meiner Wache klart der bis dato bedeckte Himmel auf und ich genieße den Anblick des Sternenhimmels. So schön habe ich ihn lange nicht gesehen. Mário erscheint im Salon, er kann aus welchen Gründen auch immer nicht schlafen. So bitte ich ihn, die gesamte Beleuchtung auszuschalten und dann ins Cockpit zu kommen. Nach wenigen Minuten sind unsere Augen an die absolute Dunkelheit gewöhnt und wir sehen die Milchstraße in ihrer ganzen Schönheit und Pracht.

Nach einer halben Stunde schalte ich die Beleuchtung wieder an. Es ist Zeit für den Logbucheintrag um Mitternacht und das Update der Stalking-Sissi-Seite. Dann fangen wir an, laut Musik zu hören. Wir werfen abwechselnd Titel in die Playlist. Mário ist nicht nur ein unkomplizierter Esser, er hat auch einen unkomplizierten Musikgeschmack. Als er aber „Dies Irae“ aus Mozarts Requiem in die Liste aufnimmt, beende ich die Session. Das ist nicht nur abseitig, das ist ein Foulspiel.

Nach einer angenehmen Nacht stehe ich ausgeschlafen auf und genieße meinen Kaffee. Die frische Wettervorhersage sieht gar nicht so schlecht aus. Ich kann zwar immer noch nicht sagen, wo wir landen werden, dafür kann ich aber schon einmal sagen, dass die für morgen eigentlich erwartete Flaute ausfällt.

3. Etmal: 114 nm
Position: 39°35‘N 20°55‘W