Die letzten beiden Tage wären vom Wind her ideal gewesen, um nach Bonaire zu fahren. Nämlich ohne Wind. Auch der Wellengang wäre gering gewesen. Doch wir haben auf den negativen Test gewartet und fahren nun in den auffrischenden Wind hinein. Egal, ich wollte die Wettervorhersage ignorieren. Ich habe sogar in den letzten beiden Tagen keine Aktualisierung mehr heruntergeladen. Sissi ist schnell seeklar und schon um 10 Uhr morgens verlasssen wir den Hafen, in dem wir so lange waren. Wir winken Hafenmeister Paul uns seiner Frau zu, machen viel Lärm mit dem Nebelhorn. Die Stegnachbarn grüßen zurück.
Ausklariert ist schnell. Dem Beamten bei der Immigration ist es egal, wie lange ich meinen Aufenthalt überzogen habe. Es ist genau wie beim letzten Mal. Den Zollbeamten erkenne ich wieder. Als wir in meinen Papieren nach dem letzten Einreisedokument suchen, fällt ihm die eigene Unterschrift auf. Er erinnert sich, dass ich mehrfach versucht habe, Aruba zu verlassen. Er wünscht mir Glück bei diesem Versuch, heißt mich aber auch willkommen, falls ich wieder zurück komme. Es geht auf den Atlantik. Sissi beginnt zu schaukeln. Wir sind noch in der Abdeckung von Aruba, bekommen also die Wellen noch gar nicht in ihrer ganzen Pracht mit. Eike freut sich an den Schiffsbewegungen. Er meint, dass es ihm gut geht und dass er nicht seekrank wird. Er isst ein Brot mit Frikadellen und Käse belegt, fett mit Butter bestrichen. Dazu gibt es eiskalte Cola. Ich bin gespannt.
Wir erreichen Baby Beach, hier ist Aruba zu Ende. Die Wellen werden heftiger. Sissi beginnt zu tanzen. Innerhalb von Minuten umarmt Eike erstmals die Toilette und die schönen Frikadellen wandern zu den Fischen. Eike wandert in seine Koje. Nun bin ich erst einmal Einhandsegler.
Ich kenne es ja von Jens. Als er noch zur Seekrankheit neigte, kam es immer zur Eruption nach der ersten Mahlzeit. Dann hat er sich hingelegt und nach dem Aufstehen war alles vergessen. So hoffe ich es auch von Eike. Doch er ist wohl eher nach seiner Mutter geraten. Der wurde es schon auf dem Caledonian Canal mulmig. Ich fange an, halbstündige Ruhepausen einzulegen, erlaube mir auch das Wegnicken. Der Timer wird mich schon wecken. Wir sind sowieso sehr langsam unterwegs und es ist weit und breit niemand zu sehen. Als er um Mitternacht ins Cockpit kommt, hält sein Optimismus nur kurz. Er muss weiterschlafen, es ist noch nicht vorbei. Ich kann das zur Not die ganze Nacht durchhalten. Ich muss es die ganze Nacht durchhalten.
Die Seekrankheit hält sich auch noch am Morgen. Wir passieren gerade Curacao. Als amtierender Bordarzt beginne ich mit der medikamentösen Behandlung. Erfahrungen mit dem Thema konnte ich wahrlich genug sammeln. Ich versuche, ihn bis zum Abend wieder auf die Beine zu bringen. Ich möchte ein paar Stunden Schlaf am Stück. Ich bin müde. Als bordeigener Diätkoch werde ich ihm ein kleines Reis- und Gemüsegericht zu Mittag bereiten, vorausgesetzt die Medikamente schlagen an. Das Wasser muss ich als bordeigener Drill-Sergeant fast in ihn hineinbrüllen. Egal, wir fahren nach Bonaire. Dorthin kommen unsere Ersatzteile. Curacao ist keine Option.
Ich habe irgendwo einmal gelesen, das Schlimme an der Seekrankheit ist, dass es sich anfühlt als müsse man sterben. Dann merkt man, dass man nicht sterben muss. Für 24 Stunden Fahrt mit dem Wind kann man fast die doppelte Zeit gegen den Wind einplanen. Dabei tanzt das Boot in den Wellen einen klassischen Pogo.
Wenn dieser Beitrag erscheint, hat es wirklich geklappt mit unserem Plan. Dann sind wir auf jeden Fall in internationalen Gewässern und nicht mehr in Aruba.
Ich habe keine Ahnung, warum mir das Verlassen dieses kleinen, staubigen mit Kakteen bewachsenen Felsens so viele Schmerzen bereitet. Die kleinen vorbereitenden Schritte sind alle getan. Es tut mir gut, nicht mehr zu den bekannten Plätzen zu gehen. Diese Woche waren wir nicht beim Music Bingo. Wir waren nicht im Donkey Sanctuary und im Animal Shelter waren wir auch nicht. Eigentlich haben wir uns nach dem Ende unserer Isolation weitestgehend weiter isoliert. Auf keinen Fall wollen wir uns einen weiteren positiven PCR-Test einfangen. Das trennt mich auch mental von den Menschen, die ich hier kennengelernt und lieb gewonnen habe. Das tut mir gut.
Mein Schnelltest an Bord lässt endlich die böse Linie vermissen. Also entscheiden wir, am folgenden Tag zu testen. Zum Glück habe ich uns für zwei Tage einen richtigen Mietwagen besorgt. Eike darf ihn einmal fahren, er ist begeistert. Ein Auto, das nicht quietscht und das nicht klappert. Ansonsten ist mir das bei dem Mietwagen zu gefährlich. Wenn wir den kaputt machen, kostet es richtig viel Geld. Wir bringen die Wäsche noch einmal in die Wäscherei und fangen (mal wieder) mit der Verproviantierung für eine Woche Bonaire an.
Wir stehen recht früh am Morgen auf, schließlich wollen wir den Test so schnell wie möglich hinter uns bringen. Nach dem Kaffee steigen wir ins Auto und fahren weitestgehend schweigend zum Testcenter. Das Radio spielt nicht, nur die Klimaanlage rauscht. Es hängt so viel an diesem Test. Das Ergebnis muss einfach negativ werden. Morgen ist Eike einen vollen Monat in Aruba. Soraida hat mir den Tipp mit diesem Testcenter gegeben. Hier kostet ein PCR-Test nur 75 US$. Das spart mir zusammen 120 Dollar für zwei Tests ein. Wir warten eine Viertelstunde. Die Anmeldung ist schnell erledigt, die Belastung der Kreditkarte ebenso. Ich erzähle den Damen die Geschichte von meinem Test in der vergangenen Woche. Entweder habe ich ihnen Leid getan oder sie arbeiten immer so schlampig, jedenfalls war das der unprofessionellste und schnellste Mund-/Nasenabstrich, den ich je erleben durfte. Danke!!! Das gibt bestimmt ein positives Ergebnis.
Anschließend kaufen wir noch die frischen Lebensmittel für die Fahrt ein. Die dürfen auch in Bonaire noch ein paar Tage halten. Wir wollen in den ersten Tagen nicht so viel unter Menschen gehen, fünf Tage nach unserer Ankunft ist ein weiterer PCR-Test fällig.
Ein paar Stunden später fahre ich wieder rüber zum Flughafen und werde den Wagen zurückbringen. Dieses Auto hat sich voll gelohnt. Für nur zwei Tage gemietet, zum Test und zu den großen Supermärkten konnten wir fahren. Auch die Wäsche haben wir waschen lassen. So lange bleiben wir noch an Bord und vertreiben uns die Zeit. Ich kann nicht zu früh zur Autovermietung fahren.
Der Bus zurück zur Marina fährt nur fünf Mal am Tag. Als ich einsteige, fragt mich der Busfahrer, ob ich wirklich mit diesem Bus fahren will. Nur wenige Fahrgäste sind unterwegs. Nach meiner Rückkehr wird Sissi gereinigt. Der Wassertank wird gefüllt. Das Testergebnis wurde uns für 20 Uhr versprochen. Etwas nervös sind wir schon.
Für das heutige Abendessen und die Überfahrt habe ich Frikadellen vorgesehen. Ein herzhafter Snack, der sich mit den Fingern essen lässt. Heute schwitzen wir auf dem Boot bei absoluter Windstille. Morgen, wenn wir die Windstille brauchen würden, wird es wieder etwas rauer werden. Gegen 21 Uhr trifft das Testergebnis ein. Wir sind beide negativ. Ich setze mich an den Computer und fülle die Formulare aus. Nach wenigen Minuten trifft die Bestätigung aus Bonaire ein, dass wir kommen dürfen.
Vor etwa einem Jahr, als wir Kuba quasi fluchtartig verlassen haben, habe ich mich kein Bisschen um die Wettervorhersage gekümmert. Wir sind einfach losgefahren und waren bereit, unterwegs jedes Wetter zu erdulden. So ähnlich geht es mir heute auch. Diesen Beitrag schreibe ich mit Tränen in den Augen. Adieu Aruba, Scheiden tut weh.
Die Zeit in Aruba wird länger und länger. Jeden Tag fällt es mir ein wenig schwerer, die gute Laune zu behalten. Wir sind zwar jetzt mit Brief und Telefonanruf des Gesundheitsdienstes aus der Isolation entlassen, doch wir sind einigermaßen eingeschränkt in unseren Bewegungsmöglichkeiten, denn wir haben das Auto nicht mehr exklusiv. Wir teilen es uns mit Edward, der jeden Tag außer Dienstag von 7:00 Uhr bis 15 Uhr arbeitet. Während seiner Arbeitszeit können wir unsere Angelegenheiten erledigen.
Heute ist Dienstag, also muss ich nicht um 6:30 Uhr am Parkplatz auf Edward warten. Er will uns den Wagen später vorbei bringen. Am späten Vormittag frage ich ihn, um wie viel Uhr er bei uns sein wird. Die Antwort ist ernüchternd. Der Wagen ist vergangene Nacht in Noord zusammengebrochen und muss nun erst einmal repariert werden. Edward muss Micheline um 15 Uhr zur Arbeit bringen. Bis dahin muss die Reparatur erledigt sein.
Meine erste Aktion nach Ende der Isolation war es, in der Apotheke Selbsttests zu besorgen. Auf diese Weise möchte ich vermeiden, noch einmal einen positiven PCR-Test zu haben. Das ärztliche Schreiben, welches mir jederzeit ohne weiteren Test einen Flug ermöglichen würde, wird leider von Bonaire nicht als Ersatz für einen negativen PCR-Test akzeptiert. Die Eintrittskarte für das gelobte Land ist für uns Segler weiterhin der negative Test. Da fällt es mir schwer, eine positive Grundeinstellung zu bewahren.
Der Bus ist auf die Minute pünktlich. Wir bezahlen 4,50 Florin pro Nase für eine Menge Busfahrt. Die lediglich fünfmal am Tag bediente Linie, die direkt an der Marina eine Haltestelle hat, ist nämlich auf einem Rundkurs unterwegs. Wir fahren erst einmal kilometerweit nach Süden und damit von unserem Ziel weg. Dann führt der Rundkurs einen riesigen Bogen durch das Wohngebiet Sabana Basora, um dann letztendlich auf dem Rückweg nach Oranjestad noch einmal bis auf zwei Kilometer an die Marina heranzukommen. Alleine hierfür braucht der Bus eine gute halbe Stunde. Stay positive. Irgendwann kommen wir an der zentralen Busstation an.
Zunächst sucht Eike einen Tätowierer, er will sich ein Souvenir in Aruba stechen lassen. Wir finden jedoch keinen, der ihn sofort anlacht und verschiebt das Projekt auf einen späteren Zeitpunkt. Anschließend steht der Programmpunkt „Fast Food“ auf der Tagesordnung. Ich hole mir ein paar Pastechi, Eike möchte unbedingt zu einer bekannten Fleischklopsbraterei spazieren. Während er in der Schlange an der Kasse steht und ich im Schatten eines Baumes warte, klingelt mein Telefon. Edward meldet das Auto als betriebsbereit. Der Tag entwickelt sich immer mehr positiv.
Kurze Zeit später sammelt er uns ein. Um heute noch einmal in den Supermarkt zu fahren, ist es etwas zu spät. Wir haben auch noch Reste von gestern zum Essen. Also bekommt Eike noch eine Fahrstunde. Da Edward und ich vereinbaren, das Auto am folgenden Tag wieder zu teilen, fülle ich gleich ein paar Liter mehr Benzin ein, als nötig gewesen wäre. Schließlich wollen wir es am kommenden Tag noch verbrennen. Wir verabschieden uns am Hafen. Er fragt, ob ich ihm am folgenden Morgen einen Kaffee mitbringen kann. Kann ich. Je näher unsere Abreise kommt, desto anhänglicher wird Edward. Er meint, ich solle bleiben und ein Geschäft in Aruba aufbauen.
Heute ist wieder Car Sharing Tag. Ich bin um 6:30 Uhr zur vereinbarten Zeit am Parkplatz. Im Gepäck eine Thermoskanne mit Kaffee und zwei Tassen. Nach und nach trinke ich eine Tasse nach der anderen. Edward kommt nicht, er schickt auch keine Nachricht. Meine Nachrichten kommen nicht an, so viel kann ich sehen. Stay positive. Um sieben Uhr ist die Kanne leer. Um 7:30 Uhr meldet sich Edward. Er hat verschlafen und ist direkt zur Arbeit gefahren. Wenn ich will, kann ich das Auto in Renaissance abholen. Ich eile zur Bushaltestelle und erwische noch den letzten Bus des Vormittags um kurz vor Acht. Wieder eine gute Stunde Fahrt nach Oranjestad. Nach dem Aussteigen unterhalte ich mich an der Bushaltestelle kurz mit Soraida, die auf neue Fahrgäste wartet. Anschließend hole ich das Auto ab und finde die Tanknadel irgendwo im Bereich unterhalb von „leer“. Hatte ich nicht gestern…?
Okay. Stay positive. Ich zahle ja keine Miete für den Wagen. Allerdings werde ich in Zukunft weniger voll tanken. Es fehlt ja doch am nächsten Morgen. Nach 10 Minuten sind wieder ein paar Liter Benzin im Tank und ich mache mich auf den Weg, Eike in der Marina einzusammeln. Mir fällt auf, dass Edward Kühlwasser nachgefüllt hat. Die Temperaturanzeige des Motors funktioniert ausnahmsweise. Wir müssen Wäsche waschen gehen. Dann zum Supermarkt. Dann müssen die verderblichen Lebensmittel an Bord gebracht und zuletzt die Wäsche geholt werden. Es wird knapp, die Wäscherei braucht drei Stunden. Zur Not muss ich das Auto ein paar Minuten später zurück geben. Edward wird es verstehen, er hat schließlich verschlafen.
Ich bin fast am Flughafen, als plötzlich die Öldruck-Kontrolllampe anfängt hell zu leuchten. Ich nehme den Fuß vom Gas und der Motor geht aus. Mit dem Restschwung schaffe ich es gerade noch auf die Wiese an der Seite der Straße. Ich öffne die Motorhaube und es stinkt nach verbranntem Öl. Das sieht gar nicht gut aus. Ich messe den Ölstand. Zwischen Min und Max ist ein Zentimeter Unterschied, der wahre Pegel ist jedoch irgendwo fünf oder sechs Zentimeter über Maximum. Das ist Gift für jeden Motor. Ich fürchte, das Auto hat seine besten Tage hinter sich. Stay positive.
Also hinterlasse ich das Auto, wie ich es vorgefunden habe. Schlüssel im Zündschloss. Und wie immer mit mehr Benzin im Tank, als vorher drin war. Der Wagen startet sowieso nicht mehr. Nur wenige Minuten muss ich warten, bis ich einen Minibus anhalten kann. Er bringt mich zurück in die Marina. Als ich Eike die Nachricht vom Ende seiner Fahrstunden überbringe, fällt dieser ob der Geschichte fast vor Lachen ins Wasser. Stay positive. Edward hat gestern Nacht mit dem Benzin noch eine größere Sause gemacht. Anschließend ist er auf die Idee gekommen, dass der Wagen jetzt dringend einen Ölwechsel braucht. Ein guter Mechaniker kann auch betrunken ein Auto reparieren. Nur sollte man vor dem Einfüllen des frischen Öls das alte Öl auch aus dem Motor entfernen. Sonst… Stay positive. Edward meint, dass er den Wagen starten und reparieren kann. Ich bin gespannt.
Auch meine Selbsttests sind weiterhin positiv. Eike hat zu Anfang ebenfalls einen Test gemacht, der negativ war. Also trage ich das Virus immer noch in mir, ich verbreite es jedoch nicht mehr. Also brauche ich gar nicht zu probieren, einen negativen PCR-Test für Bonaire zu bekommen. Also muss ich mir erst einmal keine Gedanken darüber machen, wir wir ohne Auto zum Testcenter kommen. Vielleicht kann Edward den Wagen ja reparieren, er hat ein großes Geschick darin. Stay positive.