Seilstierkampf

Nach der ersten Nacht in Terceira bin ich immer noch nicht richtig wach. Sissi hat sich im Schwell hin und her gerollt. An der Ankerkette herrscht fast so viel Bewegung im Boot, wie auf einer Überfahrt unter Motor. Der Kühlschrank ist ausgestiegen, ebenso der Gefrierschrank. Letzterer hat zwar noch -5°C, doch es droht der Totalverlust des Inhalts. Sind die Batterien aus Guadeloupe etwa schon wieder am Ende? Auch der Motor macht mir weiterhin Sorgen. Der Hafenmeister hat leider keinen Platz für uns im Hafen, so dass ich die Probleme erst einmal vertagen muss. Kein Mechaniker kommt per Dinghi an den Ankerplatz. Neue Batterien sind viel zu schwer für unser kleines Schlauchboot. Jens und ich steigen in den Bus nach Angra do Heroismo, wo heute die Feierlichkeiten starten sollen.

Busfahrkarte von Angra nach Praia

Die Busfahrkarte für eine knappe Stunde Busfahrt kostet den horrenden Betrag von 2,67€. Nimm das, Rhein Main Verkehrsverbund! Es gibt sogar eine Online-Fahrplanauskunft, die ich übrigens hinter dem Bild verlinkt habe. Der ÖPNV in Terceira bekommt von mir das Prädikat benutzbar. In Angra überwältigt mich dann der Lärm und die vielen Menschen machen mich komplett wuschig. Ich nehme den nächsten Bus zurück zu Sissi.

Wieder normale Werte auf den Instrumenten

Dort finde ich endlich die Muße, mich um die Probleme zu kümmern. Ich schreibe an Holger, der mir in Guadeloupe schon sehr geholfen hat. Holger ist ein begnadeter Diagnostiker und findet aus der Ferne den Wackelkontakt am Öldrucksensor. Der darauf folgende Testlauf treibt mich wieder in Richtung Wahnsinn. Plötzlich riecht es im Inneren des Bootes total nach Dieselabgasen. Es riecht, als wäre der Auspuff undicht. Ich suche mit der Taschenlampe, doch nirgendwo kann ich eine Undichtigkeit erkennen. Dann fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Am Heckspiegel habe ich ein Fenster geöffnet, das unsere Schlafkabine sehr gut durchlüftet. Dort kommen die Abgase in das Boot hinein. Ich schließe das Fenster und alles ist wieder normal.

Stecker des Gefrierschranks

Auch die Batterieprobleme lösen sich in Luft auf, denn es hat sich „lediglich“ ein Kabel in der Stromversorgung des Kühlschranks etwas gelockert. Kein Wunder bei der vielen Schaukelei, das Kabel ist jetzt besser verlegt. Der Gefrierschrank „durfte“ ebenfalls abschalten, denn sein Stecker war einfach nicht mehr gut. Diese Art Gefrierschrank ist mehr für Wohnmobile als für Boote gebaut, der Stecker zerlegt sich, als ich ihn in die Hand nehme. Eine spannende Koinzidenz, doch es sind unterschiedliche Ursachen. Kühlschrank und Gefrierschrank machen nun wieder ihren Job.

Teile der Familie kommentieren den leckeren gegrillten Oktopus mit „igitt“ und „eklig“. Finde ich gar nicht.

Jens und ich gehen am Abend ins Restaurant essen. Fisch kann man auf den Azoren überall in hervorragender Qualität bekommen, der wird direkt vor der Tür aus dem Wasser gezogen.

Am nächsten Tag gebe ich Angra noch eine Chance. Es kann ja nicht sein, dass ich mich nicht mehr unter Menschen begeben kann. Und es ist auch nicht so. Jens und ich wohnen einem Straßenstierkampf bei. Diese Stierkämpfe sind Tradition und Bestandteil des 10-Tägigen Fests auf Terceira.

Der Stier wird gelockt

Jens und ich fragen eine ansässige Familie, ob wir auf ihren Balkon kommen dürfen. Sie lassen uns herein, das hat eine gewisse Tradition bei diesen Feiern. So können wir aus sicherer Höhe dem Stierkampf zusehen.

Jetzt legt der Stier los…

Das ganze ist zumindest für die Zuschauer einigermaßen ungefährlich, denn der Stier ist an einem langen Seil befestigt. Das andere Ende des Seils halten mehrere kräftige Männer.

Jetzt geht es ein paar Mal im Kreis, bis der Stier keine Lust mehr hat.

Der Torero bekommt nach einer Runde mit dem Stier von allen Zuschauern kräftigen Applaus. Insgesamt gibt es vier Stiere zu sehen, dann ist für den Tag der Seilstierkampf beendet. Jeden Tag finden diese Inszenierungen an verschiedenen Orten auf der Insel statt.

Den dritten Stier sehen wir uns dann von der Straße aus an. In einer Hausecke steht ein alter Mann. Wir denken, dass er erfahren ist und sich einen guten Platz ausgesucht hat. Wir glauben nicht, dass er über die Gartenmauer klettern kann. Dann kommt der Stier, die Leute rennen davon. Wir sehen plötzlich, dass der alte Mann doch über die Mauer geklettert ist und zwischen uns und dem Stier befindet sich niemand mehr.

Direkt neben dem Stier

Das Tier ist beeindruckend, wie es uns mit seinen Augen mustert und ihm der Speichel aus dem Maul tropft. Jetzt versuchen wir auch, auf die andere Seite der Mauer zu kommen. Es gelingt uns, ich habe nur einen kleinen Kratzer vom Stacheldraht am Arm, Jens hat ein Loch in der Hose.

Am Ende werden die Stiere wieder verladen.

Nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Die Stiere werden auf einen LKW verladen und abtransportiert. Die Fressbuden und Bierstände klappen innerhalb von Minuten ihre Läden zu. Die Straßenreinigung ist sofort mit dem Besen dabei. Eine halbe Stunde nach dem Spektakel ist nichts mehr davon zu sehen, kein Dreck liegt mehr herum und keine leere Bierflasche kullert mehr den Berg herunter.

Die Straßenkehrer sind fix

Wir haben noch eine gute Stunde Zeit, bis unser Bus nach Praia zurück fährt. So lange gehen wir in eine Burger-Bar und genießen ein After-Stier-Bier. Außerdem einen kleinen Snack, ein Knoblauchbrot belegt mit leckerem Azorenkäse.

Anschließend spazieren wir zum Bus. In diesem Bus habe ich dann wahrscheinlich meine Kamera liegen gelassen. Ich wollte noch eine bestimmte Aufnahme aus dem Bus machen, doch der Bus fährt eine andere Strecke als am Tag zuvor. Vermutlich habe ich sie neben meinen Rucksack gelegt und nicht hinein. Leider hat ein Anruf bei den Verkehrsbetrieben nichts gebracht, die Kamera wurde nicht abgegeben.