Boostern. Endgültig.

Schon wieder klingelt der Wecker um 6 Uhr morgens. Diesmal kann ich mich nicht motivieren, sofort aufzustehen. Ich erlaube mir noch, bis um 8 Uhr zu schlafen. Um diese Zeit öffnet das Impfzentrum. Meinen Kaffee genieße ich diesmal, ohne mich beim Trinken zu verbrühen. Die Windschutzscheibe ist zwar noch nicht geputzt, doch die Sonne steht schon höher. Ich kann etwas sehen.

Der Parkplatz ist ganz gut gefüllt.

Es fühlt sich heute besser an, auf den Parkplatz zu fahren. Mindestens einhundert Autos stehen dort in der Sonne herum. Die Warteschlange windet sich einmal um das Gebäude bis zur Rückseite. Doch es geht zügig voran. Nach nicht einmal einer halben Stunde Wartezeit bin ich schon fast auf der Vorderseite angekommen.

Diesmal ist die Warteschlange echt. Hier gibt es wirklich den guten Impfstoff.

Es werden immer wieder kleine Gruppen von Wartenden eingelassen. Im Gebäudeinneren geht es dann erst einmal zur Registrierung. Ich habe mir die Aruba-Health-App auf dem Telefon installiert, konnte aber in meinem Account keine Einträge für die Impfung anlegen. Schließlich bin ich kein Bewohner von Aruba und habe keine hiesige Krankenversicherungskarte. Ich habe das Recht auf die Impfung, weil ich illegal im Land bin. An der Registrierung dauert es dann auch ziemlich lange, bis meine Daten auf den aktuellen Stand gebracht sind. Leute, die in der Warteschlange weit hinter standen, ziehen mit ihrer korrekt installierten App und ihrer Krankenversicherungskarte einer nach dem anderen an mir vorbei. Nach Abschluss der Arbeit kann ich in meiner App das Zertifikat für die bisher bekommenden Impfungen finden und einen international gültigen QR-Code. Sehr schön.

Registrierung. Die meisten können diesen Flaschenhals schnell passieren.

Heute ist wenig los. Vielleicht ein Drittel der Stühle in der Halle sind mit Wartenden besetzt. Dementsprechend schnell kommt die Nadel bis zu meinem Arm. Ich schaue auf die Uhr. Es ist exakt die gleiche Uhrzeit wie vor zwei Wochen, als ich nach drei Stunden Warten wieder nach Hause geschickt wurde. Das ging fix. Beim Checkout wird die neue Impfung ebenfalls in der App registriert. Wegen einer fehlenden Impfung wird mir auf der weiteren Reise jedenfalls nichts mehr passieren.

Frisch geboostert.

Den Rest des Tages ruhe ich mich aus. Ich hoffe, dass mich der Booster nicht umhaut. In meinem Bekanntenkreis waren einige Leute betroffen. Die Symptome haben aber immer weniger als 24 Stunden gedauert. So können wir morgen oder übermorgen los. Ich arbeite mich durch die Einreisebestimmungen von Bonaire. Ohne gültigen Covid-Test kann ich noch gar nichts machen. Die letzten Jahre haben mir aber gezeigt, dass ich inzwischen ganz gut in Sachen Formulare bin.

Wir wissen, dass Edward das Auto jederzeit verkaufen kann. Also gönne ich Eike noch eine letzte (?) Fahrstunde. Wir fahren zur Natural Bridge, einer der wenigen Sehenswürdigkeiten, die Eike noch nicht gesehen hat. Das Wasser ist sehr ruhig, gar nicht so spektakulär, wie es bei unserem Besuch am Natural Pool war. Das ist gut, ein gutes Zeichen für unsere Passage nach Bonaire. Inzwischen macht sich Eike am Steuer richtig gut. Der deutsche Straßenverkehr wird ihn mit Sicherheit überraschen, dort läuft alles etwas anders. Hier in Aruba sind die Menschen am Steuer zumeist nett zueinander.

Wo ist Eike?

Boostern, zweiter Versuch

Wir schreiben den 3. Januar. Mein Wecker ist auf sechs Uhr gestellt. Ich will möglichst früh am Impfzentrum sein. Diesmal ist meine geplante Ankunftszeit schon um sieben Uhr. Das sollte mich frühzeitig in die Halle bringen. Ich verbrühe mir den Mund am viel zu heißen Kaffee, den ich viel zu schnell zu trinken versuche. Es herrscht Windstille, eigentlich ideale Bedingungen, das Großsegel hochzuziehen. Soll ich Eike so früh aus dem Bett holen, dass wir vor dem Impfen noch schnell das Segel anschlagen? Da nichts an Bord „mal eben schnell“ gemacht werden kann, folge ich dem ursprünglichen Plan.

Die Scheiben des Autos müssen gewaschen werden. Den ganzen Weg entlang fahre ich in die tief stehende Morgensonne. Doch mein Plan geht auf. Pünktlich um Sieben bin ich in Santa Cruz. Der Wachmann grüßt mich, als ich auf den Parkplatz fahre. Sehr gut, der Parkplatz ist noch ganz leer. Es scheint, als würde mein Plan wirklich aufgehen. Ich reihe mich in die kurze Warteschlange ein. In einer Stunde werde ich in der Halle sein und unter den ersten, die gepiekst werden.

Mein Plan geht auf. Nur wenige Menschen warten vor mir in der Schlange.

Es ist erstaunlich, dass ich noch Datenvolumen übrig habe. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit Spiegel-Online, chatte mit der Familie in Deutschland und sehe den anderen zu, die sich nach und nach in der Schlange einreihen. Eigentlich hätte mein Datenvolumen vor Weihnachten schon ablaufen müssen, doch es funktioniert noch einwandfrei. Anneke meinte gestern zu mir, dass es bei ihr genauso sei. Sie vermutet, dass es ein Geschenk von Setar zu den Feiertagen ist. Setar ist einer der beiden örtlichen Telefonanbieter. Etwas kommt mir aber in der ganzen Zeit komisch vor. Bei meinem letzten Besuch sind auch schon vor 8:00 Uhr Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes die Schlange entlang gelaufen und haben gefragt, wer Erstimpfung, Zweitimpfung oder Booster möchte. Aber am 3. Januar ist der Andrang so gering, das ist wahrscheinlich eingeplant und sollte mir keine Sorgen machen.

Der einzige Wagen auf dem Parkplatz ist meiner.

Wenige Minuten nach 8:00 Uhr kommt ein Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes und erklärt, dass heute keine Impfungen stattfinden. Er vertröstet uns auf den morgigen Tag. Ich gehe etwas frustriert zum Parkplatz und finde mein einsames Auto.

Zurück an Bord wecke ich Eike viel früher als von ihm erwartet. Plötzlich läuft eine Gestalt über das Deck und damit über seine Koje. Er vermutet einen Fremden an Bord, findet aber nur mich. Mich mit meinem Frust. Doch der Wind ist immer noch ziemlich gering. Eike bekommt eine Tasse Kaffee, dann ziehen wir das Großsegel hoch. Es ist viel weniger Arbeit, als wir mit der Genua hatten. Böiger Wind und fast kein Wind ergeben einen großen Unterschied. Sissi ist wieder ein vollwertiges Segelboot.

Sissi trägt wieder ihre Segel

Was bleibt sonst noch zu tun an einem Tag wie diesem, wenn man unerwartet früh mit dem Tagewerk fertig ist? Bevorraten. Einkaufen. Wir brauchen Getränke. Getränke sind schwer und in Bonaire ist der gute Supermarkt 20 bis 30 Gehminuten vom Dinghi entfernt, je nachdem in welches Dinghidock man fährt. Das wollen wir nicht unbedingt schleppen. Eike darf die Einkaufstouren fahren. Doch schon drei oder vier Minuten nach Verlassen der Marina fällt uns ein bislang unbekanntes Geräusch am Auto auf. Ein Kratzen oder Schaben. Eike lenkt den Wagen an den Straßenrand und wir finden einen platten Vorderreifen. Unangenehm. Es ist kurz vor Mittag, die Sonne brennt. Edward wird noch mindestens drei Stunden auf der Arbeit sein. Er kann uns nicht helfen. Drei oder vier Minuten Autofahrt können als Spaziergang zurück in die Marina sehr, sehr lang werden. Ich zermartere mir das Gehirn. Dann fällt mir ein, dass von unserem Standort aus ein Reifenreparatur-Laden lediglich 500 Meter entfernt ist. Zuerst wollen wir loslaufen, doch natürlich müssen wir das Auto mitnehmen. Sonst können die den Reifen nicht machen. Jetzt fahre ich. Den platten Reifen zu fahren ist Eike zu heikel. Wir schleichen mit 30 km/h zum nächsten Kreisverkehr, überqueren den vierspurigen Highway fast im Schritttempo und landen im Hof der Werkstatt.

Eike bespaßt den Werkstatthund, während wir auf den neuen Gebrauchtreifen warten.

Der Reifenhändler ist freundlich und kann auch sofort mit der Arbeit beginnen. Mir war schon vorher klar, das der alte Schlappen auf der Felge nicht mehr repariert werden kann. Was von ihm noch übrig war, habe ich mit der Fahrt auf der Felge endgültig zerstört. Ich bestelle den günstigsten Gebrauchtreifen und bekomme für 40 Florin einen neuen gebrauchten Reifen mit einigermaßen Restprofil sowie ein neues Ventil. Das alte war nämlich undicht. So können wir die Einkäufe endlich starten. In Bonaire wird es eine Weile dauern, bis wir das erste Mal in den Supermarkt laufen müssen.

Unser Schachspiel. Magnetisch. Fast schon seetauglich.

Den Tag beschließen wir mit ein paar Partien Schach. Ich bin sehr glücklich, dass ich endlich einmal einen Schachspieler an Bord habe. Auf den geplanten mehrtägigen Überfahrten wird Eike hoffentlich nicht seekrank, so dass wir uns die Zeit mit dem königlichen Spiel verkürzen können.

Neujahr

Am Neujahrstag wache ich erst gegen Mittag wieder auf. Die Nacht war sehr schön gewesen, wir haben viele neue Menschen kennengelernt und ich konnte alte Bekannte wieder treffen. Normalerweise schreibe ich nicht viel zum Thema Corona, doch eine Bemerkung muss ich hier schon machen. Alle besuchten Feiern fanden unter freiem Himmel statt. Die Teilnehmer saßen in Gruppen zusammen mit Abstand untereinander, jeweils so wie sie miteinander wohnen. Die Zahl der Covid-Fälle ist in den vergangenen beiden Wochen etwa verzehnfacht und Omikron ist auf der Insel angekommen.

Bitte, bitte, kümmere Dich um mich!!!

Nach dem Morgenkaffee wollen Eike und ich etwas Sinnvolles tun. Zum Beispiel das Großsegel hochziehen. Leider pustet der Wind immer konstant mit fünf Windstärken von achtern, es ist völlig aussichtslos. Ich sinniere über das Segeln und Segelboote nach, als mir plötzlich eine Erinnerung böse durch das Gehirn schießt. Bei einem unserer Startversuche in Richtung Azoren ist mir die Winschkurbel auf der Backbordseite beinahe ins Gesicht geschlagen. Irgendwie ist mir diese Tatsache bei der Verwandlung von Sissi in eine schwimmende Wohnung irgendwie entschwunden. Bei der Rückverwandlung in ein Segelboot kommt es aber wieder hoch. Ich schnappe mir Werkzeug und beginne, die Winsch auseinander zu nehmen. Dabei versuche ich mich zu erinnern, wann sie ihre letzte Wartung erhalten hat.

Es wird ein Winschpuzzle mit ca. 30 Teilen.

Die letzte Wartung muss wirklich sehr lange her sein. Als ich anfange, will ich noch mogeln und lediglich eine Ladung neues Fett in die Zahnräder geben. Doch die kleinen Sperrklinken, die normalerweise verhindern, dass sich die Winsch zurückdreht und damit dem Benutzer die Winschkurbel ins Gesicht schlägt, lassen sich kaum noch bewegen. Sie kleben fast in einer Masse aus altem Fett und Dreck. Ich beiße in den sauren Apfel und befreie alle Zahnräder von altem Fett. Auch den grünen Korrosionsspuren rücke ich auf den Pelz.

Nach der Reinigung bewegen sich die beiden Teile wieder wie bei einer neuen Winsch.
Die beiden Federn haben jedwede Rückstellwirkung verloren.

Es gibt insgesamt vier dieser kleinen Sperrklinken, von denen sind nur noch zwei funktionsfähig. Die anderen beiden sind in der offenen Stellung fest. Es kostet mich einige Mühe, die Einzelteile aus dem alten Fett zu stemmen. Zwei kleine Federn müssen ersetzt werden. Es kostet mich einige Mühe, die vor Monaten schon gekauften Ersatzteile zu finden. Sie sind winzig klein. Ich bin überrascht, dass sie sich am Ende genau dort befinden, wo ich sie ursprünglich vermutet aber übersehen habe. Ich werde mir noch ein paar an Bord legen, man kann davon eigentlich nicht genug haben. Das Puzzle lässt sich am Ende erstaunlich leicht wieder zusammensetzen. Drehe ich sie nun, höre ich ein zartes Klickern aus dem Inneren. Samtweich. Herrlich. Es hat nur zwei Stunden gedauert. Nun wird es schon dunkel, die andere Winsch muss bis morgen warten.

Gut gefettet und von den meisten Korrosionsspuren befreit dreht sich die Winsch wieder superleicht

Edward schickt eine Nachricht. Sein Vater würde uns gerne zu seinem selbst gemachten Seafood einladen. Er kommt uns gerne abholen. Nach dem Essen können wir mit dem Wagen nach Hause fahren. Der Autoverkauf zieht sich in die Länge, weil natürlich an den Feiertagen die entsprechenden Behörden keine Papiere ausstellen. Auch eine Autoversicherung kann man nicht abschließen, da ist keiner zu Hause. Wir freuen uns sehr, für Eike war es der erste Tag seit langem, an dem er keine Fahrstunde hatte.

Eike und Micheline. Sie ist die Mutter der beiden Söhne. Die beiden Töchter sind nicht da, sie leben bei ihrer Mutter.
Edward mit seinen zwei Söhnen. Daneben ein Cousin und hinten mit entsprechendem Abstand Dickie, der älteste Freund von Edward.

In der luftigen Veranda setzt sich das Feiern mit Abstand fort. Ich kann verstehen, warum sie das machen, denn in dieser Familie sind die meisten ungeimpft. Edwards Vater serviert uns je einen Teller mit Tintenfisch, Muscheln, Garnelen, angemacht mit Zwiebeln, Oliven und verschiedenem anderen Gemüse. Es ist – hm – gewöhnungsbedürftig. Alle dieser eigentlich leckeren Zutaten schwimmen in einer essiglastigen, sehr scharfen Marinade. Der stolze Koch erklärt, dass er das Seafood schon am 23. Dezember eingelegt hat. Ich würge mir mit Mühe einen Teller rein, Eike geht es nicht viel anders. Dann verabschieden wir uns, Eike drängt zum Aufbruch. Ich habe ihm versprochen, dass er uns in einer Nachtfahrt zu Sissi fahren darf. Er scharrt mit den Hufen. Zu Hause gönnen wir uns eine frische Carbonara. Die schmeckt so richtig gut. Außerdem gefällt mir besonders gut, dass die Carbonara von Eike gekocht wird. Er freundet sich mehr und mehr mit meinem Herd an. Vielleicht kann ich mich in Zukunft immer mal wieder bekochen lassen…