Die Sonne geht unter, Jens ist schon vor einer Stunde in der Koje verschwunden. Der Mond ist nicht zu sehen. Je weiter wir nach Norden kommen, desto später sehen wir den Sonnenuntergang. Der Wind weht angenehm mit drei bis vier Windstärken. Auf Halbwindkurs kommen wir gut voran. Die Zahl der Nächte, die ich noch im Cockpit verbringen werde, ist nicht mehr groß. Das Wetter ist unbeständig, Regen ist vorhergesagt. Ich lege mir Polster und Kissen auf die Bank, lege mich hin und beobachte, wie mit zunehmender Dunkelheit mehr und mehr Sterne am Himmel erscheinen. Ich fange an zu träumen und meinen Gedanken freien Lauf.
Krrrch. Krrrch. Geräusche kommen aus dem Funkgerät. Das nervt. Ich klettere die Treppe runter und stelle das Funkgerät leiser. Obwohl wahrscheinlich nicht ein einziges Schiff in Reichweite unseres Funks ist, empfangen wir diese Störungen von Zeit zu Zeit. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme mir ein Bier heraus. Das gönne ich mir heute angesichts des herrlichen Sternenhimmels. Mein Papagei hüpft mir auf die Schulter. (*)
„Kommst du mit nach oben Sterne gucken?“, frage ich ihn. „Wenn ich auch ein Bier bekomme.“, lautet seine Antwort. Okay, denke ich, warum eigentlich nicht. „Wir verraten Jens einfach nicht, dass du sein Bier getrunken hast. Vielleicht merkt er es gar nicht.“ Der Papagei und ich genießen unser Bier unter dem Sternenhimmel.
„Was ist das für ein Sternbild?“, fragt mich der Papagei. „Meine Sterne-App funktioniert nicht mehr, seit sie offline ist und mir keine Werbung mehr einspielen kann.“ Ich habe wirklich keine Ahnung von Sternbildern. Den Großen Wagen erkenne ich, dann hört es aber auch schon auf. Ich habe aber keine Lust zu allzu viel Konversation und antworte kurz und knackig mit „keine Ahnung!“. „Und was ist dort drüben für ein Sternbild?“ „Keine Ahnung.“ „Und da?“
Langsam wird es mir zu bunt. „Weiß ich nicht, verdammt noch mal. Ich will Sterne gucken und nicht Sternbilder raten. Ich kenne die nicht.“
PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP
„Alarm! Alarm! Alarm!“, ruft der Papagei, „Du musst jetzt was machen! Alarm!“
PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP
Ich springe nach unten und deaktiviere den AIS-Kollisionsalarm. Warum hat er gefeuert? Weder im Cockpit noch unten auf dem Bordcomputer ist ein anderes Schiff auf dem AIS zu sehen. Aber der Alarm war deutlich zu hören. Auch Jens wurde geweckt. „Hi Jörg“, sagt er, „wen haben wir denn auf dem AIS zu bewundern? Einen Segler oder einen Frachter?“ „Nichts und niemand ist zu sehen.“, antworte ich und nehme das Fernglas mit nach oben ins Cockpit. Der Papagei ist nicht zu sehen, ein anderes Schiff allerdings auch nicht.
Plötzlich kreischt der Papagei von oben „Da taucht ein U-Boot auf!!!“. Tatsächlich. Offenbar ist der Alarm durch das U-Boot ausgelöst worden. Langsam geht der Mond auf, man kann etwas mehr sehen in der dunklen Nacht. Das U-Boot ist gelb und auf dem Turm steht mit schwarzen Lettern der Name Nautilus angeschrieben.
Plötzlich sieht man einen Mann oben auf dem Turm stehen. Er winkt. Irgendwie kommt mir sein Gesicht bekannt vor. Ich kann es allerdings nicht sofort zuordnen. „Hello sir, my name is John!“, spricht die Gestalt, die jetzt mehr und mehr vom Mond angeleuchtet wird. „Can you tell me the course to Liverpool please? My Yellow Submarine and I are lost.“ Mir wird sofort klar, mit wem ich es zu tun habe. Er ist gar nicht tot! „Mr. Lennon, it‘s great to see that you are alive. Your position is 34°37‘N 42°56‘W. You should sail course 60°. It‘s a honour to help you.“ Der Papagei ist inzwischen wieder neben mir gelandet.
Ich drücke dem Papagei einen USB-Stick in den Schnabel. „Flieg‘ rüber, bring‘ ihm die Seekarte und komm‘ nicht ohne ein Autogramm zurück.“ Der Papagei fliegt los und ist nach zwei oder drei Minuten schon wieder zurück. „John wusste nichts mit dem Stick anzufangen.“, spricht der Papagei. Er ist jetzt seit einem halben Jahrhundert unterwegs. Damals waren Computer noch nicht erfunden. Ein Autogramm hat er mir aber gegeben.“
Wir sehen beide dem gelben U-Boot beim Abtauchen zu. Komisch, vor 50 Jahren gab es auch kein AIS. Das Boot ist nicht mehr zu sehen. Es ist, als wäre nie etwas gewesen. Doch die Autogrammkarte halte ich in meinen Händen. Kaum zu glauben, John Lennon lebt. Vielleicht sehen wir noch ein Schiff mit Elvis. Die Autogrammkarte hat ein Loch, wo der Papagei sie im Schnabel gehalten hat. Leider ist es vorbei mit dem schönen Sternenhimmel, jetzt scheint der Mond.
PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP
Ich schrecke hoch, irgendwie muss ich eingedöst sein. Hatte ich den AIS-Alarm nicht gerade deaktiviert. Der Alarm geht aus. Ich gehe trotzdem runter, weil ich wissen will, warum er wieder gefeuert hat. Jens steht vor dem Computer und schaut mich etwas vorwurfsvoll an: „Kannst du den Alarm nicht schneller ausschalten? Er hat mich geweckt. Oder warst du eingeschlafen?“
Auf dem Bildschirm sehen wir einen 400 Meter langen Flüssiggastanker, dessen Kurslinie sich in knapp 30 Minuten mit unserer schneidet. Ich greife zum Funkgerät, wecke dessen Wachoffizier und der Tanker ändert schnell seinen Kurs. Irgendwie bin ich eingeschlafen und habe wirres Zeug geträumt. Um auf meiner Wache nicht wieder einzuschlafen, höre ich erst einmal eine Platte der Beatles.
Etmal: 104 nm
Position: 26°07’N 57°34’W
(*) Das kommt davon, wenn man die falschen Bücher liest. Ich muss zugeben, dass mir dieser Beitrag einen Riesenspaß gemacht hat.