Der Tod kündigt sich an!

Wenn es hier richtig gut läuft, habe ich nicht viel zu erzählen. So ist es im Augenblick. Gestern ist nichts kaputt gegangen, wir mussten nichts reparieren. Wir sind gesund und Sissi schaukelt uns unserem Ziel entgegen. Also erzähle ich mal wieder etwas über Elektrizität.

Kurz vor meiner Abfahrt in Aruba ist die erste von drei Batterien verstorben, durch die Sissi mit Strom versorgt wird. Kurz nach meiner Ankunft in Guadeloupe ist die zweite Batterie zusammengebrochen. Die Batterien waren nicht einmal drei Jahre alt. Entgegen der ursprünglichen Planung habe ich sie aber über Monate mit dem Landstrom-Ladegerät gefoltert. Insbesondere in meinem ersten Jahr in Aruba kam ich nicht auf die Idee, das Boot trotz Landstrom über Batterie laufen zu lassen. Im zweiten Jahr war es dann wohl zu spät.

Gestern schrieb ich über das Logbuch und dass ich jeden Tag Stromerzeugung und Verbrauch dokumentiere. Es lohnt sich wirklich, die Aufzeichnungen auch mal über längere Sicht rückwirkend zu lesen. Bisher habe ich immer nur von Tag zu Tag geschaut. Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht, alle Informationen in ein modernes Datenbanksystem (aka Excel) zu überführen und mit komplizierten Rechenformeln in verständliche Zahlen umzuwandeln.

Im Winterlager in Stavoren habe ich mühsam den Stromverbrauch von Sissi ermittelt. Dazu habe ich die Verbraucher einzeln eingeschaltet und protokolliert, wie viel sie aus den Batterien saugen. Ich kam auf einen theoretischen Gesamtverbrauch von 125 Ah pro Tag. In Portugal habe ich noch zwei Solarpaneele ergänzt, seit dem hat sich nur einmal etwas grundsätzlich an der Konfiguration geändert.

1. Jahr: Von Portugal bis Aruba war der Stromverbrauch von Sissi während der Fahrt immer bei ca. 125 Ah. Auf der Atlantiküberquerung lag er bei 129 Ah pro Tag, da waren wir allerdings zu dritt und hatten jede Menge kleine elektronische Spielzeuge zu laden. Die durchschnittliche Produktion entsprach in etwa dem Verbrauch.

2. Jahr: Auf den mehrtägigen Törns war der Stromverbrauch im Schnitt bei 165 Ah pro Tag. Es sind aber keine neuen Geräte an Bord gekommen, die diesen Strom verbrauchen hätten können. Durch die vielen Kurse am Wind ist uns der erhöhte Stromverbrauch nicht aufgefallen.

3. Jahr: Neu an Bord ist die Gefrierbox. Aufgrund der Batteriesituation war sie jedoch außer Betrieb, als ich mit Eike nach Guadeloupe gefahren bin. Der Stromverbrauch lag inzwischen trotzdem bei 180 Ah pro Tag. Aufgrund der vielen Kurse am Wind und des Flautentages mit Motornutzung ist es mir nicht aufgefallen. Jetzt auf dem Atlantik mit Gefrierbox liegen wir bei knapp 240 Ah pro Tag.

Fazit: Bei unverändertem Boot hat über die Zeit der Stromverbrauch mehr und mehr zugenommen. Der Strom wurde in den Batterien verheizt. Das werde ich mir für die Zukunft zu Herzen nehmen und regelmäßige Bilanzen erstellen. Die Zahlen sind ja da, ich muss sie nur auswerten. Der Batterietod kündigt sich von langer Hand an.

Vielleicht fällt mir ja ein Thema ein, über das ich morgen schreiben kann. Ansonsten mache ich einen kleinen Beitrag über die Versprechen der Hersteller von Solarpaneelen und die tatsächlichen Erträge auf hoher See.

Ich kann es immer noch nicht glauben, wie ruhig diese Überfahrt verläuft. Sitze ich unten im Salon, merke ich eigentlich nur durch das Knarzen des Mobiliars, dass Sissi auf See ist. Die Schaukelbewegungen sind so sanft. Dabei sind wir mit wenig Wind recht flott unterwegs. Das ist nichts, worüber ich mich beschweren wollen würde, das erleichtert den Alltag an Bord ungemein und macht die Fahrt sehr entspannend.

5. Etmal: 123 nm
Position: 24°12’N 60°08’W

Die Taube

Als ich am Morgen aufstehe, begrüßt mich Jens aus dem Cockpit. Wir haben einen blinden Passagier bekommen. Tatsächlich sitzt eine kleine, graue Taube auf dem Dach unseres Cockpits. Sie ist gegen 9 Uhr morgens in mehreren Versuchen gelandet und klammert sich mit zerzausten Federn an der Kante unserer Solarzellen fest. Jens kocht uns den Morgenkaffee und geht anschließend für ein Nickerchen in seine Koje. Ich vergesse die Taube, schreibe den gestrigen Blog fertig und mache den ganzen „Papierkram“.

Papierkram, etwa das Logbuch. Ich notiere die Stromproduktion des Tages und den Stromverbrauch. So kann ich über lange Sicht den Stromverbrauch des Boots optimieren. Natürlich notiere ich auch die Position des Schiffes und den Kurs, Luftdruck und alles, was man sonst üblicherweise so macht. Ich übertrage den Blog vom Computer auf das Handy von Jens und mache ihn versandfertig. Den Tracker aktualisiere ich auch noch. Das ist so etwa der Papierkram nach dem Frühstück. Mit dem Stromverbrauch sind wir gut dabei. Bisher waren die Batterien jeden Nachmittag wieder auf 100% vollgeladen.

Irgendwann ist Jens wieder wach und sieht als erstes nach der Taube. Sie ist noch da und sitzt an derselben Stelle. Wir überlegen, ob wir ihr irgendwie helfen können, es fällt uns aber nichts ein. Warum fliegt ein Vogel wie diese Taube 300 Meilen auf die offene See hinaus, um dann auf einem Segelboot zu landen? Tauben kenne ich als Orientierungskünstler. Brieftauben sind doch dafür bekannt, dass sie von überall wieder nach Hause finden. Das funktioniert womöglich nur über Land, Jens und ich haben keine Ahnung. Dafür kennen wir uns zu wenig mit Tauben aus.

In den heißen Stunden des Tages sind wir unter Deck. Hin und wieder steckt natürlich einer von uns schon seinen Kopf nach draußen. Irgendwann ist die Taube weg, nur zwei Haufen Taubenkacke erinnern noch an sie. Sie ist umgezogen, Jens entdeckt sie schon auf den hinteren Solarpaneelen. Später sitzt sie für Stunden auf einer Stange des Geräteträgers.

Mein Blick fällt auf den Batteriemonitor. Die Solarzellen laden nur mit 0,7A. Das ist praktisch nichts. Die Sonne scheint aus dem unbewölkten Himmel, da müssten mindestens 15A auf der Uhr stehen. Es könnte noch viel mehr sein, wenn die Paneele auf dem Cockpitdach gerade nicht im Schatten des Großsegels lägen. Mit dem Voltmeter ist die Ursache des Problems ziemlich schnell geklärt, die beiden achteren Paneele laden gar nicht. Die im Schatten auf dem Dach bringen wacker 0,7A. Gestern schrieb ich noch von der Abwesenheit von Katastrophen und über das Wetter. Jetzt also ist ein Laderegler hin.

Zum Glück haben wir drei Laderegler für zwei Gruppen Solarzellen. Also kann ich das irgendwie einigermaßen zurechtschlumpfen. Leider ist der leistungsfähigste der drei Regler zusammengebrochen, so dass ich die Solarkapazität reduzieren muss. Sandra von der Samai meinte noch zu mir, ich solle mir von Jens etwas mitbringen lassen. Ich habe gescherzt, dass er mir das mitbringen soll, was als nächstes kaputt geht. Es wäre ein Laderegler gewesen. Die Batterien sind noch fast voll, damit kommen wir ein paar Tage weit. Dann sind wir entweder in der Flaute und machen Strom mit dem Motor, oder wir sind in den Starkwind geraten und haben Windstrom im Überfluss.

Am späten Nachmittag sitzen Jens und ich im Cockpit und unterhalten uns über das Abendessen. Die Taube fliegt plötzlich auf. Sie macht mehrere Versuche, erneut auf der Sissi zu landen. Wir haben Angst, dass sie vom Rotor des Windgenerators gehäckselt werden könnte. Sie versucht es vergeblich auf der Saling. Sie versucht es erneut auf den Solarzellen. Irgendwann fliegt sie gen Süden davon.

4. Etmal: 107 nm
Position: 22°36’N 61°26’W

Das Wetter von Übermorgen

Auf dem Weg von Europa in die Karibik ist die Segelstrategie normalerweise ganz simpel. Man segelt gegen Ende des Jahres von den Kanaren gen Süden, hat einen optionalen Zwischenstopp auf den Kapverden und dann findet man irgendwann den Passat. Der weht beständig von Ost nach West und bringt den Segler zuverlässig in die Karibik. Für uns waren es drei unerwartet entspannte Segelwochen, in denen wir allenfalls dann und wann von einem Squall begossen wurden.

In die Gegenrichtung ist es nicht ganz so leicht, die Strategie ist etwa ähnlich. Wenn Iridium das Bild nicht verhunzt, kann man auf der ersten Kachel die grobe Route sehen. Sie geht in etwa mit dem Golfstrom und es war ziemlich schwer, diesen blöden roten Pfeil auf dem bewegten Boot mit der Maus zu zeichnen. Alle sagen, dass diese Richtung härter zu segeln ist. Aber schon Kolumbus hat diese Route gemeistert und der hatte noch keine Wettervorhersage wie wir.

Hier geschehen gerade keine seglerischen Katastrophen, wir haben keine IT-Probleme mehr und sind gesund, also schreibe ich ein paar Zeilen über das Wetter. Das ist nämlich leider nicht so beständig, wie auf der Passatroute. Es will ständig beobachtet werden, die Route wird daran angepasst. Manch ein Segler kauft sich Wetterrouting ein, d.h. er bestellt bei einem Wetterdienst individuelle Wettervorhersagen inklusive Segelempfehlungen. Wir schauen selbst auf die Wetterkarte.

Zum Abendessen mache ich Frikadellen. Wir haben fünf Portionen Bourgignon-Fleisch in der Gefriertruhe. Das klingt viel schöner, als das profane Gulasch. Heute wird eine Portion davon gewolft und eben zu diesen Fleischklopsen verarbeitet. Eigentlich wäre Jens heute mit dem Kochen dran, doch er traut sich und seiner Seekrankheit noch nicht über den Weg. Also erledige ich den Job. Lecker. Während des Abendessens legt Jens plötzlich mit der Essgeschwindigkeit zu, sein Gesicht erhellt sich und er erklärt, dass die Seekrankheit jetzt vorbei ist. Magische, heilende Buletten.

Jens geht zu Bett und ich beginne meine Abendschicht. Heute habe ich seit langer Zeit mal wieder ein deutsches Buch in der Hand. In Aruba gibt es Bücher in Englisch oder Dutch. In Guadeloupe sind die Druckerzeugnisse logischerweise in Französisch. Im Reisegepäck von Jens war das Buch „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling. Ich genieße meine Wache und sehe plötzlich aus dem Augenwinkel, dass ein Schiff auf dem AIS angezeigt wird. Natürlich besiegt die Neugier den Hunger nach Lektüre. Klammheimlich hat sich von hinten die Helios an uns angenähert, ein Segelboot von 12 Metern Länge wie wir. Nur etwas schneller auf einem etwas höheren Kurs am Wind unterwegs.

In vermeintlicher Kenntnis der Wettervorhersage wundere ich mich über seinen Kurs. Meines Erachtens hält er auf eine Flautenzone zu. Allerdings ist er schon der zweite französische Segler an diesem Abend auf diesem Kurs. Der andere war größer und viel schneller. Ich greife zum Funkgerät und rufe ihn auf Französisch an. Die Helios ist auch zu den Azoren unterwegs. Wir diskutieren eine Viertelstunde über das Wetter. Er hat Wetterrouting eingekauft und diesen Kurs vorgeschlagen bekommen. Da wir mit seiner Geschwindigkeit mithalten können, ändere ich den Kurs. Von sanftem Halbwind auf moderaten Am-Wind-Kurs.

Am Morgen ruft die Helios die Sissi. Ich schlafe, Jens antwortet auf Englisch. Der Skipper der Helios stellt fest, dass Sissi nun Englisch spricht, dass also jemand anderes am Funk ist. An der Stimme kann man Jens und mich nicht auseinanderhalten. Er teilt Jens eine Kursänderung mit. Das ist sehr freundlich. Vielleicht können wir noch eine Weile den Kontakt halten, das würde mich sehr freuen. Klappt aber wahrscheinlich nicht, denn die Helios ist einen Viertelknoten schneller als wir.

Ich hoffe, dass auf dem Bild die Wettersituation der kommenden 10 Tage zu erkennen ist. Von Grönland her kommt ein größeres Tiefdruckgebiet, an dessen Rand wir entlang segeln müssen. Sind wir zu weit drin, wird es sicherlich ungemütlich. Sind wir zu weit weg, landen wir in einem Flauteband. Der neue Kurs spart uns einen Haufen Meilen, weil er direkter ist. Die Kunst ist es, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu sein. Ich bin gespannt.

3. Etmal: 133 nm
Position: 21°01’N 62°14’W