Die gestrige Nacht hat für einige Unordnung im Boot gesorgt. Unsere beiden Hauselefanten haben wohl Pogo getanzt. Die Vorschiffskoje sieht aus wie… ein Franzose würde sagen “une bordelle”. Bei unserem heißen Ritt haben sich Gegenstände umsortiert, die ich eigentlich sicher verstaut geglaubt habe. Letztendlich haben all diese Dinge ihren vorläufigen Platz auf dem Fußboden gefunden und müssen nun wieder weggeräumt werden. So ist das Bordleben.
Ich studiere den Reeds Nautical Almanach. Der ist von 2018, also praktisch brandaktuell. In Cork gibt es mehrere Marinas. Die Innenstadtmarina fällt sofort aus der Liste der möglichen Ziele. Man muss ewig lange den Fluss entlang fahren und landet dann an einem Pontoon ohne Dusche, ohne Toilette und ohne Sicherheit. Es wird vor Diebstählen gewarnt. Danke, brauche ich nicht. Eine weitere Marina ist in Monkstown, einem Vorort von Cork. Und drei Marinas liegen nebeneinander in Crosshaven, am Ende der Welt. Dafür aber direkt an der Einfahrt in die Bucht. Wir werden uns morgen für eine der vier entscheiden müssen. Nebenbei fällt mir noch auf, dass ich perfekt vorbereitet bin für die Einfahrt in ein Tiderevier. Mein Tidekalender ist von 2019. Eine Email an Jens geht raus, er soll mir die Zeiten für Hoch- und Niedrigwasser beschaffen. Außerdem frage ich bei den Marinas an, ob sie einen freien Platz für uns haben.
Den ganzen Nachmittag über segeln wir gar nicht so langsam auf unser Ziel zu. Meist machen wir noch über 5 kn Fahrt. Der abflauende Wind ist so schön, ich hätte gerne mehr davon. Das ist der richtige Wind, nur die Wellen passen noch nicht dazu. Die Wellen sind immer noch relativ hoch, es ist aber kein Vergleich mehr zu gestern Nacht. Mário daddelt am Kartenplotter. Es sind noch 158 Meilen bis zur Ansteuerungstonne von Cork. Eine Stunde später sind es noch 153 Meilen. Mário zählt die Stunden, die Minuten bis zur Ankunft. Ich versichere ihm, dass wir am frühen Vormittag des Mittwochs ankommen werden. Mário möchte sicher sein, rechnet und rechnet und rechnet. Wenn wir einen halben Knoten mehr fahren, dann kommen wir vielleicht noch am Dienstag an.
Ich halte die Wettervorhersage dagegen. Außerdem möchte ich nicht bei Nacht in den unbekannten Hafen einfahren. Ich werde die Ankunftszeit schon so regeln, dass wir Tageslicht haben. Das ist der einzige Vorteil, wenn man mit dem Motor unterwegs ist. Auf dem AIS ploppen plötzlich mehrere Signale auf. Fischerboote sind bei der Arbeit. Zwei AIS-Bojen liegen irgendwie auf unserer Kurslinie. Wir bekommen keine von ihnen zu Gesicht, ändern aber dennoch unseren Kurs. Mário ist unzufrieden, auf dem geänderten Kurs sind wir etwas langsamer. Kann ich leider nicht ändern.
Zum Abendessen gibt es Hackbraten mit Reis und Dosengemüse. Man muss Abstriche machen. Das Gericht gerät viel zu trocken, ich habe es nicht gewagt, eine adäquate Sauce dazu zu kochen. Aber es ist ein Gericht, das nicht sofort zu Seekrankheit führt. Eine Portion für den kommenden Tag bleibt auch übrig. Für die Motorfahrt werde ich dann noch eine Sauce dazu kochen.
Irgendwann kommt eine Email von der Samai rein. Sie sind wohlbehalten in Brest angekommen, haben ausgiebig geduscht und schlafen erst einmal aus. Meine Frühstückmöwe wurde von Samuel als Eissturmvogel identifiziert. Er hat nie einen vor seine Kamera bekommen. Wir werden den ganzen Tag schon von mehreren dieser fliegenden Pinguine umkreist. Also versuche ich, noch ein besseres Bild zu bekommen (siehe untenstehendes Foto). Was freue ich mich auf die Dusche in Cork. Unter einer halben Stunde werde ich es nicht machen. Auch die Informationen zur Tide landen wohlbehalten in meiner Mailbox. Nur von den Marinas gibt es keine Antwort. Wir werden schon einen Liegeplatz bekommen.
In der Nacht sehe ich Leuchttürme an allen Ecken und Enden. Backbord, Steuerbord, weit voraus und hinter dem Heck tummeln sich Fischerboote. Der AIS-Bildschirm zeigt nichts. Die wollen ihren Kollegen nicht verraten, wo sich die Fische gerade herumtreiben. Aber irgendwie fahren die alle mit den gleichen Suchalgorithmen, sie sind mehr oder minder alle an der Kante, an der sich die Wassertiefe von gut 1000 Metern auf wenige als 200 Meter ändert. Ich heize das Radar an. Jetzt kann ich wenigstens die Entfernung bestimmen. Nur mit den Lichtern ist das bei Nacht praktisch unmöglich. Normalerweise haben wir Segelboote ja so etwas wie “Vorfahrt” gegenüber den Motorbooten gleich welcher Größe. Doch leider hat Fischers Fritz gegenüber den segelnden Segelbooten diese “Vorfahrt”, wenn er frische Fische fängt. Irgendwie finde ich einen Weg durch den Fischerslalom, wir gehen nicht ins Netz.
Statt dessen schläft der Wind ein. Damit ist klar, der Segeltörn ist nunmehr beendet. Der Wind wird nicht vor Donnerstag wiederkommen. Onkel Benz nimmt seine Arbeit auf. Der elektrische Autopilot gurrt wie immer wie ein kleines Täubchen unter meinem Kopfkissen. Als ich Mário zu seiner Wache wecke ist er sehr enttäuscht, dass es immer noch über 100 Meilen Reststrecke sind. Ich gebe ihm eine schnelle Einweisung in das Radar, dann gehe ich dem Täubchen zuhören.
Bei meinem Morgenkaffee erfahre ich, dass wir in der Nacht teilweise sehr langsam mit nur 3 kn unterwegs waren. Inzwischen sind wir sehr schnell unterwegs. Wir fahren mit der gleichen Motordrehzahl 4,8 kn. So langsam kommen wir in den Einflussbereich der Tide hinein. Hochwasser in Cork ist am Mittwoch um 6:05 Uhr. Wenn wir zu spät ankommen, müssen wir in der Bucht also noch gegen den ablaufenden Strom motoren. Ungünstig. Unangenehm. Nicht zu ändern. Wir werden im Laufe des Tages einen oder zwei Kanister Diesel nachtanken, dann können wir auf jeden Fall ordentlich Gas geben.
12. Etmal: 95 nm
Position: 50°51‘N 9°40‘W
Reststrecke nach Cork: 75 nm