Wieder einmal üben wir uns in der Disziplin, in der wir große Erfahrung haben. Warten. Wir warten auf unser neues Achterstag. Natürlich warten wir über die Pfingstfeiertage, dann ist der diesjährige Wäldchestag auf den Azoren auch noch ein Feiertag und der kommende Freitag wird wieder ein Feiertag sein. Drei Feiertage in einer Woche auf den Azoren erscheint sehr viel, doch das ist mehr eine Konzentration von Feiertagen. Außerdem wird von den meisten Menschen normal gearbeitet. Der Supermarkt hat auf, man kann im Bootsbedarfsladen einkaufen und auch die Leute der einzelnen Jachtservice-Firmen sind normal am Arbeiten. Lediglich die Kirchenglocke wird so schnell geläutet, als würde der Glöckner vorher eine große Nase voll Aufputschmittel schnupfen.
Wir brauchen jedenfalls nicht mehr mit dem Gas sparen, sondern können den Herd wieder einmal komplett zur Essensproduktion nutzen. Auch auf den Pizzateig warten wir über mehrere Stunden – Stunden, nicht Tage. Unsere Schwester hat die Angewohnheit, den Pizzateig so lange im Kühlschrank gehen zu lassen, bis dieser einen Namen bekommen hat. Unseren Teig hat Jens sofort getauft und damit darf er noch am gleichen Tag verarbeitet werden.
Irgendwo im Fernsehen haben wir neulich vom sogenannten Broccolispargel gehört, den dann im Supermarkt gesehen und gleich einmal gekauft. Er soll angeblich einen feinen Geschmack nach Spargel haben und durfte somit auf unsere Kreation Pizza Horta, doch in meinen Augen ist es Etikettenschwindel. Den Spargel im Namen könnte man sich sparen, das Gemüse schmeckt doch sehr nach Broccoli. Lecker ist die Pizza trotzdem.
Neben dem, was wir oben in unsere Körper hinein füllen, gibt es noch das andere Ende. Auch dafür muss ich warten, genauer gesagt möchte unsere Bordtoilette eine Wartung. Der Pumphebel ist doch inzwischen arg schwergängig geworden. Das fällt einem über die Zeit gar nicht auf, es fällt erst dann auf, wenn nach der Wartung wieder gepumpt wird.
Auch Sissi hat schon einige Wochen gewartet, nämlich auf eine gründliche Innenreinigung. Mitten auf dem Atlantik kommt niemand auf die Idee, den Putzlappen großartig zu schwingen. Deswegen ist es im Hafen um so wichtiger, damit wir uns wieder wohlfühlen können. Außerdem schmeckt das leckere Essen viel besser, wenn man es in einer sauberen und appetitlichen Umgebung zu sich nehmen kann.
Klaus hat mir mit seinen Emails einen Floh ins Ohr gesetzt. Er schreibt immer wieder über Coq-au-vin, also einem Hühnchen in Rotwein gekocht. Ich frage ihn nach seinem Rezept. Das passe ich dann an die im hiesigen Supermarkt verfügbaren Zutaten an. Die wichtigste Zutat, das Hühnchen, bekommen wir sogar in exzellenter Qualität von den Azoren.
Ich wäre so gar nicht auf die Idee gekommen, das Huhn vorher zu braten, doch eigentlich ist die Idee total einfach. Zuerst das Huhn schön anbraten, dann im übriggebliebenen Fett das Gemüse braten und das alles anschließend in den Topf werfen, mit dem Wein übergießen und ewig lange schmoren. Dann müssen wir wieder warten. Warten auf das Essen.
Während das Huhn im Rotwein schwimmen lernt, brate ich die Pilze an. Das konzentriert den Pilzgeschmack. Außerdem soll ich die Pilze laut Rezept erst kurz vor Schluss, nach dem Abschmecken der Sauce hinzugeben. So hat es Klaus geschrieben. Das ergibt Sinn, sonst kann sich der feine Pilzgeschmack nicht gegen den Rotwein behaupten. Danke für das Rezept. Wenn genug Rotwein übrig ist, ist er zum Hühnchen der pure Genuss.
Überall um uns herum wird an den Booten gearbeitet. Der direkte Nachbar wartet auf sein Vorstag. Der Nachbar hinter unserem Heck hat auf dem Ozean ebenfalls Teile des Vorstags verloren. Der Nachbar auf der anderen Seite braucht für seinen Motor einen neuen Anlasser. Der Nachbar daneben dichtet gerade die Notausstiegsluken wieder ab.
Ich glaube inzwischen, dass Segelboote für alles geeignet sind, nur nicht zum Segeln. Schätzungsweise 95% der Boote, die in Horta ankommen, haben mehr oder minder große Schäden, die vor der Weiterfahrt behoben werden müssen. Es gibt den Bootsbauer, der sich immer wieder vor den Kunden verstecken muss, weil sie ihm mehr Aufträge nachwerfen, als er bearbeiten kann. Der Rigger ist beinahe rund um die Uhr im Einsatz, er und seine Angestellten haben Kunden ohne Ende. Meinem Nachbarn habe ich mit ein paar Elektronikproblemen geholfen, jetzt kommen plötzlich Segler von anderen Booten und fragen um Hilfe. Das müsste man doch monetarisieren können…
Eigentlich bin ich ja ein IT-Fuzzi, Softwareentwicker und Datenbankspezialist. Doch hier in dieser Umgebung und mit den Möglichkeiten, die sich hier bieten, wächst mehr und mehr der Gedanke, dass ich auch anderweitig arbeiten könnte. Ich unterhalte mich mit dem Bootsbauer, einem Deutschen. Der sagt, dass die Saison hier ein halbes Jahr dauert und dass es für die ganze Elektronik, die man heutzutage auf den Booten verbaut, in Horta keine Reparaturfirma gibt. Azoren ist Portugal. Portugal ist EU. Das eröffnet im Gegensatz zu Aruba durchaus Möglichkeiten. Als ich in Aruba so manche Jacht elektronisch wieder flott bekommen habe, war das immer Schwarzarbeit – bar auf die Hand. Hier könnte ich das sogar legal… Jetzt gehe ich aber erst einmal zum Supermarkt und hole die Zutaten für eine Lasagne.
Diese Lasagne soll eine ganz besondere werden, den in der kommenden Nacht erwarten wir die Samai. Die sind aus Französisch Guyana in nur drei Wochen zu den Azoren gefahren und damit fast eine Woche schneller auf 3000 Meilen als Sissi. Natürlich bekommt die Samai zunächst auch keinen Hafenplatz. Deswegen fällt die gemeinsame Lasagne vorerst aus, doch die für Jens und mich zubereitete Pasta, auf die wir auch sehr lange warten müssen, während sie im Ofen ist, schmeckt uns auch zu zweit.
So ist die Samai endlich hier und doch noch nicht angekommen. Ihr Dinghi ist leider verstorben, ich habe ihnen mein Mini-Dinghi geliehen. Damit kann die vierköpfige Familie aber leider nicht an Land gehen. Wir hoffen alle, dass die Wartezeit bald ein Ende hat.