Stell’ dir vor…

…es ist der 27. Februar 2020. Du startest mit deinem Segelboot auf den Kapverden, um den Atlantik zu überqueren. Du bist guter Dinge, das Boot ist fit und du hast noch zwei dänische Anhalter dabei, damit die Wachen kürzer werden. Dieses Virus, das sich in den Nachrichtensendungen festgesetzt hat, ist weit weg und treibt sein Unwesen in China.

Stell’ dir vor, dass der Wind schwach ist, die Überfahrt ein paar Tage länger dauert als geplant und du unterwegs nur per SMS kommunizieren kannst. Ein paar Wetterdaten. Du bist auf deiner schwimmenden Insel der Seligen. Der Atlantik ist blau, die Langeweile groß und du schaukelst jeden Tag näher an die karibischen Inseln.

Während du unterwegs bist, dreht sich der Globus immer schneller, schneller und schneller. Infizierte Menschen fliegen um die Welt, sitzen in Kreuzfahrtschiffen oder verteilen das Virus in Skihütten. Die Nachrichtensendungen kennen nur noch das Thema “Hamsterkäufe von Toilettenpapier”. Im ehemals grenzenlosen Europa klappt ein Schlagbaum nach dem anderen herunter. Überall auf der Welt werden Grenzzäune gezogen, Einreisen verboten und die Nationen igeln sich ein. Man kann im Internet beobachten, wie sich das Virus auf der Welt verteilt.

Du bekommst von alledem nichts mit. Du sitzt auf deinem Segelboot und segelst in die Karibik. Draußen ist der Atlantik und der Atlantik ist blau.

Die Welt dreht sich noch schneller und schneller. Manche Länder verhängen eine Ausgangssperre, kappen Flug- und Fährverbindungen und die Politik beginnt irre Dinge zu tun. Die Bevölkerung soll “durchinfiziert” werden oder es wird auf den vermeintlichen Urheber gezeigt. Der Teufel wird vielfach bemüht. Die Aktienmärkte fliegen tiefer als Militärflugzeuge. Gesundheitssysteme stehen mancherorts vor dem Kollaps. Kreuzfahrtschiffe bleiben in den Häfen. Hotels werden geschlossen. Schulen, Restaurants, Kinos und Bordelle ebenso.

Du bekommst nicht viel mit. Du sitzt auf deinem Segelboot und bist schon fast in der Karibik. Der Atlantik ist blau und dein Schiff segelt durch Seetang. Manchmal siehst du einen Delphin oder zwei.

Es ist der 16. März. Du bist fast am Ziel und stellst fest, dass dich keiner nehmen möchte. Die Grenzen sind geschlossen, Einreisebestimmungen wurden verschärft, schärfer als ein japanisches Messer aus dreihundertfach gefaltetem Stahl. So etwa geht es unseren Freunden auf der Chapo.

Deutscher Honorarkonsul auf Aruba

Ich habe heute eine Stunde beim deutschen Honorarkonsul auf Aruba verbracht. Die Konsulin ist sehr nett, spricht aber kein Wort deutsch. Das ist auch nicht nötig. Sie kennt die richtigen Telefonnummern. Ich bekomme die Zusage, dass Aruba die Chapo nicht abweisen wird. Die Freude auf der Chapo ist groß.

Dann war ich noch beim Hafenbüro. Der Hafenmeister freut sich sehr, dass doch noch ein Boot zu ihm in den Hafen hereinkommen wird. Die Chapo bekommt den Platz direkt neben uns. Jetzt müssen die Chapos nur noch die letzten 500 Meilen schaffen. Die beiden dänischen Anhalter haben zwar keinen Urlaub mehr, aber da müssen sie jetzt durch.

Alles wird gut.

Die Freude bei uns ist auch groß. Zum einen freuen wir uns auf Jutta und Charly, zum anderen freuen wir uns auf die Palette Apfelwein, die dort seit Lanzarote an Bord ist.

Geisterstadt Oranjestad

Geisterzug – nur mit Fahrer und Schaffner besetzt. Normalerweise sitzen da noch viele Kreuzfahrer drin.

Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung. Manchmal werden Träume wahr. Wenn du regelmäßig in diesem Blog liest, ist dir sicher nicht entgangen, dass ich bei vielen Begegnungen mit Kreuzfahrtschiffen etwas zu meckern habe. Sie stinken, sie fluten die Ziele mit Menschen, sie halten sich nicht an die Verkehrsregeln auf See, sie sehen scheiße aus und verbauen auch noch oft den Blick auf die Landschaft oder den Horizont. Ich habe mir immer eine Welt ohne Kreuzfahrer gewünscht.

Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Im Augenblick haben wir unsere Ruhe vor den Kreuzfahrtschiffen.

Kreuzfahrerterminal in Oranjestad – hier liegen normalerweise jeden Tag zwei Schiffe

Der Grund dafür, dass in den nächsten vier Wochen keine Kreuzfahrer nach Aruba kommen, ist natürlich inzwischen jedem bekannt. Es liegt am Coronavirus. Auch Flüge nach Europa sind abgesagt.

Plakat mit Verhaltensregeln

In den umliegenden Ländern wurden die Grenzen geschlossen. Wir Segler fahren normalerweise dort hin, wo uns der Wind hinbläst. Dann gehen wir zu den Behörden, füllen einen riesigen Berg Formulare aus und bekommen Stempel in unsere Pässe. Anschließend sind wir im Land und können tun und lassen, wozu wir Lust haben.

Wir lesen im Internet, dass in Europa ein Land nach dem anderen seine Schlagbäume herunter lässt. Das ist auf den Inseln in der Karibik nicht anders. Deswegen bleiben wir erst einmal hier und harren der Dinge, die uns in den nächsten Wochen erwarten. Mir ist klar, dass das Jammern auf einem recht hohen Niveau ist, denn wir sind an einem sehr schönen Ort, haben Zugang zu guter Versorgung in Infrastruktur und hätten im Fall der Fälle auch eine ordentlich ausgestattete Klinik zur Hand. Es bereitet uns aber keine Freude. Wir sind auch mit unseren Gedanken bei Familie und Freunden in Deutschland.

Leere Fußgängerzone in Oranjestad

Viel ist in Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, dass sich das Virus auf die Wirtschaft auswirken wird. Dass es irgendwann die meisten Menschen bekommen werden. Über die Gefährlichkeit wird viel spekuliert und die Entwicklung eines Impfstoffs wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es wird viel Panik geschürt, Halbwissen beherrscht den virtuellen Raum im Netz, blöde Witze werden gerissen.

In Oranjestad sehen wir überdeutlich, dass ein Schaden für die lokale Wirtschaft sofort eintreten kann. Die Fußgängerzone ist leer, die Geschäfte sind es auch.

Leeres Geschäft, sie sehen jetzt alle so aus.

Die Welt hat sich innerhalb weniger Tage verändert. Wir haben nun einen anderen Planeten. Teilweise drehen verrückte Politiker am Rad, setzen krude Theorien in Umlauf und zeigen mit ihren Fingern auf andere Länder, anstatt sich um die Eindämmung der Seuche zu kümmern.

Die verunsicherten Menschen reagieren mit Handlungen, die sie unter normalen Umständen niemals ausführen würden. Wer (außer uns Seglern) braucht für mehrere Monate Toilettenpapier im Haus? Unser Vorrat würde bis Australien reichen. Wer isst eigentlich gerne Dinkelnudeln? Und wer ist so bekloppt, sich die Nase mit Essig auszuwaschen?

Die Kassiererin im Supermarkt gleich um die Ecke unserer Marina trug gestern eine OP-Maske und Gummihandschuhe. Vor der Kasse stand ein Teller mit aufgeschnittenen rohen Zwiebeln. Vernunft und Wahnsinn direkt nebeneinander.

Ich will hoffen, dass der Planet in den nächsten Wochen wieder zur Normalität zurück findet. Wir hängen fest, wir können nicht weiter. Die Lage kann sich jeden Tag, jede Stunde ändern. Wenn wir weiter fahren, können wir uns nicht sicher sein, dass wir am Ziel auch in den Hafen gelassen werden. Dazu haben wir zu viele Berichte aus erster Hand von anderen Seglern bekommen, die es am eigenen Leib erfahren haben.

Für meine persönliche Stimmung ist das Gift. Für unsere Pläne ist es sehr, sehr unglücklich. Für die Menschen hier in Oranjestad ist es eine Katastrophe.

Der Zug ist abgefahren.

Für ein Leben ohne das neue Coronavirus ist der Zug jedenfalls abgefahren.

Corona am Freitag, den 13.3.2020

Corona (nicht ansteckend)

Als wir im letzten Jahr losgefahren sind, war Corona für mich nur ein schlechtes Bier. Ich habe es bis vor ein paar Tagen nie getrunken, aufgrund der Problematik mit dem Coronavirus haben wir uns jedoch zwei Flaschen davon gekauft und später ausgetrunken. Das Bier schmeckt wirklich nicht. Wir können aber sagen, dass wir Corona hatten und nun unser Boot coronafrei ist.

Die Welt dreht sich weiter und vor unserer Atlantiküberfahrt war Corona ein Problem in China. China ist weit weg. Mit China haben wir nichts am Hut, waren nie dort und deswegen hatten wir kein Problem damit.

Corona-Brüter und -Verteiler

In der Karibik lasen wir, dass Corona seinen Weg auf Kreuzfahrtschiffe gefunden hat. Ein Schiff wurde in Japan unter Quarantäne gestellt. Anderen Schiffen wurde auf karibischen Inseln die Einfahrt verwehrt. Das kann uns natürlich nicht passieren, wir sind coronafrei und nicht in China, Italien oder sonstwo gewesen. Wir sind fein raus, dachten wir.

Auf entsprechenden Seiten im Internet, insbesondere Noonsite, haben wir uns immer wieder informiert und dann in Sicherheit gefühlt. Zwar müssen Segler immer öfter zur Gesundheitsprüfung, aber das war es dann auch. Zuletzt haben wir heute Nachmittag ein Bild von Bekannten geschickt bekommen, die in Kolumbien bei der Einreise einen Corona-Schnelltest machen mussten. Ist ja kein Problem, wir sind Segler. Wir haben das nicht.

Nach dem Abendessen erreicht mich dann eine Nachricht von der Gentoo, die wir zuletzt in Portugal gesehen haben. Die sind schon in Panama.

Good day Sailors, Regretfully, the Health Ministry has sent a circular yesterday, stopping all activities of pleasure boats, yachts, megayachts. No one is allow to land or move in dinky or tender boats until further notice. Currently no check in or check out of the country. Shelter bay marina is not accepting any boats to enter, neither dinky boats. No personnel from yachts are allow to come ashore. Difficult to transit without 4 handliners view they must remain on board after transit. La Playita marina, Flamengo marina and Balboa yacht club are not working. Please hold and do not head down to Panama until the scenario has change. San blas Island is not accepting tourism, border with Costa Rica also not accepting tourist. Will keep you posted in due course when scenario changes.

Wir sitzen hier auf Aruba und sehen zu, wie überall um uns herum die Schlagbäume herunter geklappt werden. Das macht keinen Spaß. Dabei sind wir Segler nicht wirklich die Risikogruppe.

Es hilft nichts, es ist wie es ist. Wir halten uns an die lokale Biermarke, die den passenden Namen hat. Wir können nur abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Sollten wir hier allerdings länger festhängen, fahren wir zurück nach Bonaire. Dort ist der bessere Supermarkt. Wenn sie uns in Bonaire wieder herein lassen.

Chill