Es ist Zeit, allerhöchste Zeit. Die Wettervorhersage ist recht gut. Der Wind wird nicht allzu stark, dafür kommt er aber aus der richtigen Richtung. Er kommt auch für den gesamten Vorhersagezeitraum aus der richtigen Richtung. Insofern gibt es keinen Grund, die Abfahrt auch nur einen Tag herauszuzögern. Fred hat mich in den letzten Tagen immer mal wieder angesprochen, dass wir uns über die Rechnung unterhalten müssen. Gerne, habe ich gesagt. Das hat Fred dann immer wieder verschoben. Er weiß seit vergangenem Wochenende, dass wir heute fahren wollen. So wird er mir die Rechnung wohl per Mail schicken und auf sein Geld ein wenig warten müssen. Ich gehe ins Marinabüro und erledige die Formalitäten.
Im Marinabüro steht ein Computer, an dem man selbst die Daten fürs Ausklarieren eingibt. Der hat eine französische Tastatur. Ein Albtraum für jemanden wie mich, der es gewohnt ist, auf der deutschen Tastatur blind zu schreiben.
Wir holen im Supermarkt die frischen Vorräte. Frisches Gemüse kommt in den Kühlschrank, das Fleisch kommt in die Gefriertruhe. Was für ein Luxus. Ich kann jetzt schon vorhersagen, dass in den ersten beiden Wochen der Strom nicht reichen wird. Dann können wir den Kühlschrank wohl abschalten, weil er leer ist.
Wahrscheinlich werde ich in den nächsten Wochen wieder sehr regelmäßig schreiben, denn auf See gibt es nicht gar so viel zu tun. Wenn dieser Beitrag erscheint, sind wir schon unterwegs.
Es ist Freitag. Wir haben um 12:30 Uhr einen Krantermin. Wir können ihn aber nicht wahrnehmen, denn an unserer Steuerbordseite ist ein Segelboot vertäut. Der Besitzer weiß von unserem Krantermin. Es ist vereinbart, dass wir während des Kranens mit unseren Booten die Plätze tauschen, dass also Sissi außen und der Nachbar innen liegt. Ich spaziere ins Marinabüro, um den Kran zu bezahlen und zu fragen, wie ich weiter vorgehen soll. Falls er nicht kommt, soll ich um 11 Uhr über Funk auf Kanal 9 Bescheid sagen. Dann kümmert sich die Marina um das Problem. Bezahlen kann ich noch nicht, ich habe die Versicherungsunterlagen nicht dabei. Also spaziere ich zurück und wieder ins Büro. Da kommen schon einige Meter zusammen. Natürlich kommt der Nachbar nicht. Natürlich meldet sich die Marin am Funk nicht. Also spaziere ich ein drittes Mal los. Als ich fast im Marinabüro angekommen bin, meldet sich die Funke.
Der Hafenmeister kommt mit einem Abschleppboot und befreit uns von unserem Ballast. Dann können wir an den Kran fahren und Sissi während der Mittagspause von unten ein wenig säubern. Nach eineinhalb Jahren im tropischen Wasser und zwei Monaten in der hintersten Ecke der Marina hat sich ein gewisser Bewuchs gebildet. Der bremst uns aus.
Beim Streichen in Aruba im November 2020 haben Jens und ich gute Arbeit geleistet. Der Bewuchs ist viel weniger schlimm als befürchtet. Wir machen uns an die Arbeit. Nicht mit dem Hochdruckreiniger, der würde auch den letzten Rest der Farbe abwaschen. Wir machen es mit dem Schrubber. Das dauert zwar länger und ist anstrengender, es belässt uns aber noch ein wenig von der bewuchshemmenden Farbe.
Jens und ich wechseln uns ab. Die Arbeit ist anstrengend. Ich habe heute noch Muskelkater im rechten Arm bzw. mein sogenannter „Golferellenbogen“ meldet sich. Dabei habe ich noch nie Golf gespielt. Wir schaffen den ganzen Rumpf in den zur Verfügung stehenden eineinhalb Stunden. Dann sind wir fix und fertig. Eigentlich wollten wir noch zu einer Probefahrt unter Segeln aufbrechen, das lassen wir aber sein. Außerdem herrscht Flaute, es regt sich kein Lüftchen.
Die Wasserung ist so unproblematisch wie das Heben des Boots. Wir müssen noch eine Ehrenrunde drehen, während der Hafenmeister jetzt nach seiner Mittagspause den Nachbarn an den Steg verholt. Dann sind wir an der Reihe und können Sissi in zweiter Reihe parken. Jetzt sind wir unabhängig und können raus fahren, wann immer wir wollen.
Später am Freitag zieht sich der Himmel zu. Wir freuen uns, die Temperaturen sind unerträglich. Ein leises Lüftchen regnet. Nach dem Abendessen öffnen sich die Schleusen des Himmels. Es regnet in Mengen, wie man sie aus Aruba kennt. Es dauert aber stundenlang. In der Nacht zieht ein Gewitter nach dem anderen durch. Am Samstagmorgen warte ich vergeblich darauf, dass mein Kaffeewasser zu kochen anfängt. Der Strom ist ausgefallen. Der Batteriemonitor zeigt, dass er schon seit Stunden weg sein muss, denn die Akkus sind schon auf 94% heruntergerutscht. Die Sicherungen sind alle drin. Es fällt mir auf, dass alle Geschäfte geschlossen sind. Der Strom ist großflächig ausgefallen, wohl eine Folge des Gewitter. Folgen für uns: Wir können einige geplante Tätigkeiten nicht durchführen, weil dazu der Besuch eines der Geschäfte nötig wäre. Also machen wir Inventur der Lebensmittel und Schädlingsbekämpfung in einem Rutsch.
Im Laufe der Zeit mit immer mehr Wissen über den Eindringling hat sich das Arsenal ein wenig gewandelt. Insbesondere ist es wichtig, den Käfern Fressgifte anzubieten. Dazu ist die Spritze in der Bildmitte. Es wird an den Lieblingsplätzen unserer Untermieter, die wir an der entsprechenden Menge Kakerlakenkacke erkennen können, ein Tropfen ausgebracht. Das ist für uns Menschen völlig ungefährlich, denn der Tropfen geliert dann und verteilt sich nicht selbständig im Boot. Im Küchenbereich, wo mit Lebensmitteln gearbeitet wird, kommen die Insektenhotels zum Einsatz. Da will ich kein Gift haben. Für schwer zugängliche Ritzen unter den Bodenbrettern ist die Sprühflasche mit der langen Tülle geeignet. Es wird eine Art Schaum ausgelegt. Auch dieses Zeug verteilt sich nicht selbst, sondern ist ein Fressgift. Nicht mehr zum Einsatz kommen die Sprühflaschen aus der hinteren Reihe. Gegen Kakerlaken bringt systematisch weder der direkte Beschuss etwas noch die großflächige Vernebelung von Gift in der Raumluft. Wir wollen uns ja nicht selbst vergiften.
Irgendwann im Laufe des Samstagabends kommt der Strom wieder. Wir haben während des Samstags nicht auf den Konsum von 230V Wechselstrom verzichtet. Unsere Ventilatoren haben im Dauerbetrieb aus den Invertern gesaugt. Der große Inverter kann sogar den Wasserkocher befeuern. Es hat schon Vorteile, auf einem Boot zu leben. Mit Hilfe der Inventurliste planen wir die Bevorratung. Wir checken das Wetter. Voraussichtlicher Start ist Mittwoch. Damit haben wir Montag und Dienstag zur Bevorratung und für kleine Aufräumarbeiten. Außerdem ist da noch der abgebrochene Flaggenstock, den ich gerne wieder schön gemacht hätte.
Während des Morgenkaffees haben wir einen ungewohnten Anblick. Am Kranplatz wird ein U-Boot angeschleppt. Es sieht aus, als sei beim Kranen ein Unfall passiert. Auftriebskörper halten den Rumpf über Wasser. Jens und ich verschieben den Start der Einkaufsfahrt, wir wollen erst einmal ausgiebig gaffen.
Während der Wartezeit auf den Kran, ein anderes Boot muss zuerst ins Wasser gelassen werden, entspannt sich der Taucher. Er wird nach Stunden bezahlt. Dann ist es soweit, der Abschlepper kann das Boot zum Kran bugsieren.
Nun beginnt der Kranführer mit einem langsamen Prozess. Das Boot wird ausgegossen. Man kann es als mit Wasser gefüllte Badewanne nicht hochheben. Es würde durchbrechen. Mehr und mehr nimmt die Schräglage zu, das Wasser fließt hinaus. Ich treffe Fred auf dem Steg, der Motorbootbesitzer ist sein Kunde. Während des Stromausfalls Freitagnacht hat die Bilgepumpe die Batterie leer gesaugt und ist dann irgendwann stromlos stehengeblieben. Die starken Regenfälle haben dann das Boot versenkt.
Immer wieder vergesse ich die Geburtstage von Freunden. Gerade ärgere ich mich ziemlich darüber, dass ich am Samstag vor lauter Stromausfall vergessen habe, Soraida zum Geburtstag zu gratulieren. Jetzt will sie offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben. Es wäre sehr traurig, wenn das jetzt so enden würde. Außerdem mache ich mir Sorgen um die Samai. Von denen habe ich seit einer Woche nichts mehr gehört, auch meine Mails an ihre Unterwegs-Adresse gehen offenbar ins Leere. Doch es ist Zeit, die Maus zu parken und zum Supermarkt zu fahren. Die Einkäufe werden nicht von selbst an Bord kommen.
Der Supermarkt hat geschlossen. Wasserschaden durch den Starkregen. Wir fahren quer durch die Stadt, um zu einem angemessen großen Laden zu kommen und sind erst spät wieder zurück an Bord.
Französisch ist in meinen Ohren eine wunderschöne Sprache. Im Alltag gestaltet es sich aber oft unmöglich, sie in ihrer vollen Pracht zu nutzen. Der Tag wäre vorbei, bevor man zu Ende gelesen oder gesprochen hätte. Während die deutsche Sprache so kreative Wortschöpfungen wie „Schienenersatzverkehr“ kennt, sagt der Franzose in derselben Situation „die Busse, die die Züge ersetzen“. Bei uns wird kombiniert, hier wird beschrieben. Okay, das ist der eine Teil der Geschichte.
Der andere Teil der Geschichte ist der Abkürzungsfimmel. Die französischen Worte für „bitte“ sind „s’il vous plaît“, praktisch überall im Alltag abgekürzt mit SVP. Wäre sonst ja auch viel zu umständlich, wenn man es ausschreiben würde. Ich gebe zu, auch wir verkürzen das Universitätsklinikum zur Uniklinik. Hier wird es zu CHU. Außer auf dem Schild am Eingang kann man den ausgeschriebenen Namen nirgends finden. Auf Wegweisern oder den Zielanzeigen der Busse gibt es nur die drei Buchstaben CHU. Wegweiser nach Pointe-à-Pitre sucht man auch meist vergeblich, es steht PAP auf den Schildern.
Als ich das CRIJ-Schild erstmals aus dem Bus heraus gesehen habe, kam mir die Idee zu diesem Beitrag. Ich denke, dass man bei uns irgendeinen griffigen Namen suchen würde. Faszinierend finde ich, dass ein ziemlich großer Teil dieser Abkürzungen auch sprechbar ist, so wie CRIJ oder CREPS. Es ist tatsächlich so, dass der große Mr. Bricolage (Mr. ist die Abk. von Monsieur) gegenüber von CREPS ist, auch die Bushaltestelle heißt CREPS.
Die Autowerkstatt bietet ihre Dienstleistungen mit oder ohne Terminvereinbarung an. Ganz einfach erkennbar an der geläufigen Abkürzung RDV für Rendez-vous. Spart gar nicht so viele Buchstaben ein, passt aber zu den Gewohnheiten.
Bei einem Spaziergang durch Basse-Terre springen mir gleich zwei Abkürzungen auf einem Motiv ins Auge. An der Wand steht in großen Lettern CCAS geschrieben, darunter auf dem Wegweiser ist eine weitere rätselhafte Buchstabenkombination: CASBT
Mein Blick wendet sich nach rechts und tatsächlich sehe ich oben am Hang sogar noch das zugehörige Gebäude der – wie soll man es übersetzen? – Wasserverwaltung? Keine Ahnung, da hört es dann bei mir auf.
Ganz alleine ist dieses Schild mit den Buchstaben C.A.F. Für die Betroffenen sicherlich vollkommen ausreichend, ich glaube man könnte es mit der schönen Wortkonstruktion Familienbeihilfekasse einigermaßen übersetzen.
Die Recherche nach G.R.E.T.A. hat mich einiges Kopfzerbrechen gekostet. Es werden nämlich nur drei Worte mit fünf Buchstaben abgekürzt. Groupements d‘établissements ist ein Fundstück auf einer französischen Regierungswebseite. Hinter den Buchstaben steckt eine Einrichtung der Erwachsenenbildung.
Die Bushaltestelle vom der Marina nahe gelegenen Einkaufszentrum ist übrigens ebenfalls ein Abkürzungswunder: Ctre Cial Bas Du Fort RN4. Ist schon recht lang auf dem Haltestellenschild. Ausgeschrieben wäre es Centre Commercial Bas Du Fort Route Nationale 4. Die Abkürzungen sind also nicht nur irgendeine Marotte, sie sind eine Überlebensstrategie für alle, die sich der französischen Sprache bedienen müssen.
Darauf ein gezapftes Bier, „bière à la pression“. Sagt doch keiner. Man bestellt eine „demi“ oder eine „pression“ oder so. Im Bistro wird jedenfalls sozialverträglich abgekürzt. Ach ja, „demi“ bedeutet übersetzt „Halbe“. Ist jedoch nur eine halbe Halbe, die der Wirt dann bringt, ein Viertelliter Bier.