Überfahrt zu den Kanaren – Tag 2

Wir prüfen unseren Kurs regelmäßig, denn mit der Windfahnensteuerung fahren wir bei einem Winddreher in die falsche Richtung. So müssen wir am frühen Nachmittag einmal an den Steuerleinen ziehen, denn wir haben einen Winddreher bemerkt, der uns seit drei Stunden in die falsche Richtung pustet. Drei Stunden sind kein Problem, das bringt uns nicht wirklich von unserem Kurs weg.

Sissi steuert selbst

Ansonsten beginnen wir, uns an das langsame Leben zu gewöhnen. Wenn wir durch das Schiff gehen, müssen wir uns gut festhalten und jeden Schritt vorher planen, denn die Wellen sind immer noch so bösartig, dass sie einem den Boden unter den Füßen wegziehen wollen. Ähnlich ist die Planung des Abendessens. Wir haben uns in Lagos Thunfischsteaks besorgt, dazu machen wir Kartoffeln und Karotten. Für eine Essenszeit gegen 19 Uhr fängt meine Vorbereitung schon um 16 Uhr an. Zwiebeln schneiden dauert dreimal so lang wie im Hafen. Bei den Karotten ist das nicht anders. Auch das Schälen der Kartoffeln nimmt eine ordentliche Zeit in Anspruch, denn es drohen nicht nur die Kartoffeln sondern auch der Koch durch das Schiff zu fliegen.

Flugfähig ist grundsätzlich alles. Obst, Gemüse, Messer, Teller, Gewürze, Töpfe, Pfannen und die Thunfischsteaks natürlich auch. Gegessen wird dafür um so schneller, denn es ist schließlich alles flugfähig. Die warmen Speisen auf dem Teller besonders, der Tellerrand ist geformt wie die Startbahn eines Flugzeugträgers. Meine blauen Flecken geben Zeugnis von verschiedenen Landungen. Besonders gern lande ich auf dem Motor, dort gibt es schöne Kanten, an denen ich mich stoßen kann.

Nach dem Essen geht Jens wie immer ins Bett, ich übernehme die erste Wache und kann mir auch noch die Zeit damit vertreiben, das Geschirr abzuspülen, ohne es im Salon zu verteilen. Gelungen. Dann döse ich etwas auf der Couch, kontrolliere in regelmäßigen Abständen den weiten, leeren Ozean um uns und werde plötzlich hellwach, als ein kräftiger Regenschauer durchzieht. Sofort das Badezimmerfenster schließen! Sissi luvt in der folgenden Bö kräftig an und beginnt im Galopp über die Wellen zu reiten. Die Windfahne steuert das prima aus. Leider schläft der Wind nach einer Viertelstunde wieder fast ein und wir sind wieder dazu verdammt, mit besserer Schrittgeschwindigkeit nach Lanzarote zu fahren. Alles ist wie immer. Nur das Cockpit ist jetzt patschnass.

Gegen 4 Uhr machen wie wie immer den Wachwechsel. Ich darf bis 10 Uhr schlafen, anschließend serviert mir Jens einen Kaffee und geht selbst ins Bett.

Bis etwa 13 Uhr ist der Wind noch richtig mau, dann aber legt er los. Während ich noch auf der Couch döse, fällt eine Bö von 32 kn ein und die Windfahne lässt uns erst einmal wieder in Richtung Portugal drehen. Gleichzeitig setzt strömender Regen ein. Toll. Ich zupfe und ziehe die Windfahne wieder richtig, öffne das Segel etwas und Sissi legt richtig los. Sie galoppiert jetzt mit 6 bis 7 kn über den Atlantik. Die lahmen Etmale von heute und gestern sind fast schon vergessen. Das Windkraftwerk produziert Strom, dass wir Sissi beleuchten könnten wie einen Kreuzfahrer. Wenn da nur nicht der Regen wäre, aber irgendwas ist ja immer.

Stromproduktion läuft gut

Heute spielt die Eintracht in Lüttich. Wir haben uns eine Email mit dem Ergebnis bei unserem Vater bestellt. Selbstverständlich werden wir den Schal hochziehen, sonst klappt es mit dem Auswärtssieg nicht. Wir brauchen kein Torfeuerwerk wie gegen den unterklassigen Gegner aus München, wir sind auch mit einem einfachen 1:0 Auswärtssieg zufrieden.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 40°39‘N 10°32‘W
Zweites Etmal: 87,3 nm (immer noch langsamer als DHL)
Reststrecke: 359 Meilen

Überfahrt zu den Kanaren – Tag 1

Am frühen Nachmittag verlassen wir die Marina in Lagos und machen uns auf den Weg zu den Kanaren. Das Ziel ist erst einmal Lanzarote, die von uns aus gesehen erste der Kanareninseln. Außerdem ist dort eher Platz in den Marinas als beispielsweise auf Gran Canaria, von wo aus die ARC starten wird.

Der perfekte Wind bläst uns auf dem Zielkurs mit 6,5 Knoten voran. Für etwa eine halbe Stunde, dann sind wir um das Kap herum und der Wind lässt nach. Alles ist wie immer. Sissi verlangsamt auf 4 Knoten und der Schwell vom Atlantik setzt ein. Wir sind guter Dinge, denn endlich sind wir wieder unterwegs. So lange das Telefonnetz noch verfügbar ist, scherzen wir mit unseren Freunden und tauschen Nachrichten aus. Nach drei Stunden ist das auch vorbei, das Webradio verstummt, die Handys werden zur Seite gelegt und die Sonne geht schnell unter. Alles ist wie immer.

„Sag‘ das bloß nicht den Chapos!“, meint Jens zu mir, als er sein Mittagessen mit Neptun geteilt hat. „Sonst bekommen die Angst.“ Offenbar haben wir zu lange an derselben Stelle gelegen, sein Magen verträgt das Rollen nicht mehr. Alles ist wie immer.
Also mache ich nur ein leichtes Abendessen, Pasta Bolognese aus der Dose. Mehr lohnt sich nicht, Jens schafft es nicht einmal, seinen Teller komplett leer zu essen. Außerdem ist das Rollen so brutal, dass mir die frischen Zutaten durch den Salon geflogen wären. Sonst ist er ja das Pastatier. Jens geht schon um 19 Uhr ins Bett, ich übernehme die erste Wache. Alles ist wie immer.

Keine Pasta für Jens – das Spaghettimonster schaut kritisch

Zunächst sieht es spannend auf dem AIS aus. Wir kreuzen mehrere Fahrspuren für Frachtschiffe und dort ist auch einiges los. Ein Fischer zielt eine Stunde lang immer wieder auf Sissi, ich kann ständig seine rote und grüne Positionslampe sehen. Doch er fischt langsam, wir entkommen ihm dank des wieder leicht auffrischenden Windes und müssen keinerlei Korrekturen unseres Kurses vornehmen. Gegen Mitternacht stellt sich Ruhe auf den Bildschirmen ein, eine gepflegte Langeweile macht sich breit.
Es ist unsere fünfte mehrtägige Ozeanpassage. Wir haben dreimal die Nordsee überquert, einmal die Biskaya und sind jetzt wieder für mehrere Tage auf dem blauen Wasser. Die Nordsee ist vergleichsweise kurzweilig, man kann sich mit dem Bohrinsel-Slalom beschäftigen und sieht regelmäßig Frachtschiffe und Fischerboote. Hier ist nichts los.

Ich höre mir die Sissiphonie Nr. 5 in Atlantik-Moll an und vermisse die Pauke aus dem Wassertank zunächst einmal nicht. Ein leichtes Surren vom Windgenerator, dazu das Knarzen der Inneneinrichtung bei jeder Schiffsbewegung. Dumpfe Schläge der Wellen-Drums, die gegen die Bordwand klatschen werden rhythmisch unterlegt von den im Takt klirrenden Gläsern im Glasregal. Dieser Takt gilt auch für den Herd, dessen halbkardanische Aufhängung nach einem Tropfen Öl schreit. Die Brotbackform hat sich losgerissen und schlägt in der Lasagneschale hin und her, ein paar Geschirrtücher schaffen Abhilfe. Ich liege auf der Couch, unter mir tanzen die Konservendosen in der Vorratslast Tango. Ich sortiere sie neu. Das Besteck in der Schublade schlägt seinen leisen Beat, wesentlich lauter ist der Blumenkohl, der aus seinem Netz heraus auf den Vorratsdosen für das Mehl trommelt. Mit einem dumpfen Schlag fällt der Hackenporsche in der Vorschiffskoje auf den Boden, die Ausstiegsleiter hin terher. Eine schlecht gesicherte, offene Packung Tagliatelle verteilt sich anmutig vor dem Herd.

Glasregal – entklirrt!

Nach dem Monduntergang ist die Nacht sternenklar. Ich schalte für eine halbe Stunde jedwede Beleuchtung auf der Sissi aus und genieße die Unendlichkeit über mir. Sterne, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. In der Mitte zieht sich das Band der Milchstraße hindurch. Ab und an fällt eine Sternschnuppe. Ich wünsche mir mehr Wind. Gegen halb Vier wecke ich Jens, der in seiner Koje immer von einer Seite zur anderen gerollt ist und nicht viel Schlaf bekommen hat. Dafür ist seine Unpässlichkeit wie weggeblasen. Sehr gut. Alles ist wie immer. Auch ich werde durch die Gegend gerollt und finde lange keinen Schlaf.

Winsch

Die vier Meter hohen Wellen sind überhaupt nicht schlimm, auf denen fährt Sissi einfach rauf und runter. Das Problem sind die kleinen Wellen, die sich darin verbergen. Die neigen, drehen und schütteln Sissi, bringen uns immer wieder vom Kurs ab und lassen das Segel schlagen und knallen.

Die Pauke aus dem Wassertank ist jetzt wieder da. Wir haben 120 Liter Wasser gemacht, der Tank ist jetzt fast ganz voll. Damit ist unser Sissiphonieorchester wieder komplett. Wir werden wohl den Rest des heutigen Tages noch brauchen, um uns an die Situation auf See zu gewöhnen. Alles ist wie immer.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 35°49‘N 9°40‘W
Erstes Etmal: 93,2 Meilen (mit 3,7 kn langsamer als ein DHL-Paket)
Reststrecke: 450 Meilen

Perfekter Wind

Es ist mal wieder so weit. Wir wollen los. Heute ist ein besonderer Tag, denn wir verlassen das kontinentale Europa. Eine besondere Stimmung. Nervenkitzel und doch Normalität. Sissi ist bereit, wir haben alles geprüft. Das Rigg ist gecheckt, der Motor auch, die Vorratslasten biegen sich und der Frischwassertank ist auch voll. Was kann da noch schief gehen?

Windvorhersage für heute

Natürlich kann alles schief gehen. Wir sind aber zuversichtlich. Nicht nur für heute, auch für die nächsten Tage wird schöner Wind aus der richtigen Richtung vorhergesagt. Wir erwarten zwischen 15 und 25 Knoten Wind aus nördlichen Richtungen, können also bequem vor dem Wind fahren – unsere Lieblingsrichtung. Wir erwarten, irgendwann im Laufe des Sonntags wieder Land zu sehen. Die Kanaren.

Dort waren wir beide noch nicht. Als Flugverweigerer wollte ich dort niemals hin. Hier in Lagos wurde es in den letzten Tagen kalt und regnerisch. Ich habe heute Nacht sogar mal wieder die Winterdecke aus ihrer Versenkung geholt. Das wird sich ändern, denn angeblich herrscht auf den Kanaren „ewiger Frühling“. Mal sehen, wie sich das so anfühlt.

Mittwoch

Uns stehen fünf Tage ohne Internet bevor. Fünf Tage Dauerbetrieb des Schiffs. Fünf Tage abwechselnd schlafen und wach sein. Fünf Tage Wind, Wellen, Bewegung im Schiff, Lärm aus der Takelage und Knarzen der Inneneinrichtung. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Atlantiküberquerung im kommenden Monat und doch ein großer Schritt auf unserer Reise.

Die Windvorhersage ist für die kommenden Tage ziemlich stabil. Wir beobachten das nun schon einige Zeit und sehen auf dem Nordatlantik dicke, fette Tiefdruckgebiete, die in Richtung Nordeuropa ziehen. auf deren Rückseite bläst unser Wind. Unser perfekter Wind.

Donnerstag

Jetzt gehen wir noch einmal unter die Dusche, das ist die letzte warme Dusche bis zu den Kanaren. Anschließend ist Abfahrt. Wir fahren mal wieder in den Sonnenuntergang.

Freitag

Es ist noch sehr voll auf den Kanaren. Wir konnten in keiner Marina einen Liegeplatz reservieren und hoffen darauf, Sissi irgendwo in der Nähe einer Dusche festmachen zu können. Noch ist die ARC nicht gestartet, es liegen noch mehrere hundert Boote in Las Palmas auf Gran Canaria, die gegen Ende des Monats über den Atlantik wollen. Doch den guten Wind können und wollen wir nicht auslassen. Einen solch perfekten Wind werden wir auf absehbare Zeit nicht mehr bekommen.

Wieso ich so über die Vorhersage schwärme? Weil wir ausnahmsweise zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Weil die Vorhersage ausnahmsweise so unglaublich stabil ist. Und weil ich die Nase voll von Lagos habe.

Ferry Cat

Nur von den süßen Katzen haben wir die Nase nicht voll. Da würden wir uns noch ein paar einpacken wollen, wenn es denn machbar wäre.

Auf geht es zu neuen Ufern!