Vor ein paar Tagen schickte mir die Honorarkonsulin die Nachricht, dass ein Sonderflug von Aruba nach Amsterdam angesetzt ist. Es ist ein Flug der Niederlande nach Amsterdam, der auch Angehörige anderer EU-Mitgliedsländer mitnimmt. Jens und ich diskutierten das ausgiebig. In der Folge haben wir unsere Pläne etwas geändert.
In wenigen Wochen besteht die Möglichkeit zum Start in Richtung Europa. Ende April öffnet sich das typische Zeitfenster. Auf unserer Route liegen Jamaika (geschlossen), Kuba (geschlossen), Bermuda (geschlossen), die Azoren (geschlossen), Portugal (geschlossen), Spanien (geschlossen), Frankreich (geschlossen und Segeln verboten) und England (noch offen). Ob England in zwei Monaten noch offen ist, kann heute noch keiner wissen. Das Zeitfenster schießt sich irgendwann Ende Juni mit dem Beginn der Hurrikansaison, die üblicherwese bis Ende November dauert.
Der direkte Weg nonstop nach Deutschland ist uns selbstverständlich nicht verbaut. Wir haben ein Segelboot mit unbegrenzter Reichweite, wir haben für Monate Proviant an Bord und wir müssen nicht tanken. Es handelt sich lediglich um schlappe 5500 Seemeilen (10175 Kilometer), die von uns in ca. 55 Tagen gesegelt werden können. Dazu kommen noch 14 Tage Selbstquarantäne vor der Abfahrt, damit wir sicherstellen können, dass wir die Seuche nicht schon an Bord haben. Also zwei Monate das Boot nicht verlassen. Irgendwie steht uns der Sinn gerade nicht danach.
Jens fliegt zurück nach Frankfurt, ich bleibe an Bord und auf Aruba. So sieht die Entscheidung aus. Nach der Hurrikansaison kommt Jens wieder zurück und wir fahren die Route, die ich oben beschrieben habe. Irgendwann machen die Länder ihre Grenzen wieder auf. Irgendwann können wir uns wieder so frei durch den Ozean bewegen, wie wir es lieben.
Der Abflug ist am 3. April um 16:30 Uhr angesetzt. Am 3. April hat aber auch Jutta Geburtstag. Wir sind zur Chapo eingeladen. Wir erklären Jutta, dass sie in ihrem Geburtstag hineinfeiern muss, wenn sie mit uns feiern möchte. Für den Abend des 2. April besorge ich die Zutaten für eine feine Abschiedslasagne. Die tragen wir zur Chapo. Dann feiern wir den letzten Abend. Dann feiern wir den Geburtstag von Jutta. Dann ist das Bier alle.
Am Morgen des Abflugtags werden mit leichtem Kater erst einmal die Sandalen beerdigt, die Jens schon mindestens seit einem Jahrzehnt durch Europa und nun durch die ganze Welt getragen haben. Zumindest bei mir kommt keine Sentimentalität auf. Berühren hätte ich die nicht mehr wollen.
Wir werden sentimental. Jens hat seine Sachen gepackt und kommt mit dem Gewicht gerade noch unter die Freigrenze. Ein letztes Foto gemeinsam mit Sissi. Ein letzter Schwatz mit den Chapos. Wir stehen an der Hauptstraße und warten auf Lel, einen Arubaner, den wir vor ein paar Wochen kennengelernt haben. Er hatte uns damals angeboten, dass er uns mit dem Auto fährt, wenn wir mal ein Problem haben. Das Problem liegt auf der Hand. Wir müssen zum Flughafen, es fahren aber keine Busse und keine Taxis. Lel fährt und bietet mir an, dass er mich auch wieder zurück bringt. Danke!
Am Flughafen ist erst einmal nichts los. Wir sind viel zu früh da. Natürlich haben sämtliche Grill- und Imbissbuden, Kaffeeläden und Minimärkte geschlossen. Der Flughafen ist geschlossen. Das ganze Land ist geschlossen. Wir waren so blöd, dass wir nicht daran gedacht haben. Zum Glück haben wir genug Wasser mitgenommen.
Zweieinhalb Stunden vor der geplanten Abflugzeit öffnet das Terminal. Wir haben zu diesem Zeitpunkt schon von Sicherheitsleuten erfahren, dass der Flug sich aufgrund von technischen Problemen eine Stunde verspäten wird. Jens organisiert über diesen Sicherheitsmann eine Pizza beim Lieferdienst.
Das Terminal öffnet und der Sicherheitsabstand zu den anderen Menschen ist leicht einzuhalten. Es gibt heute nur einen einzigen Flug.
Am Schalter erfährt Jens, dass er nicht auf der Passagierliste steht. Er kommt wieder nach draußen. Ich schicke der Konsulin eine Nachricht. Sie verspricht, dass sie sich sofort darum kümmert. Eine Viertelstunde später erscheint bei uns ein Mitarbeiter des Flughafens. Jens sei doch auf der Passagierliste. Er könne jetzt einchecken.
Jens kommt wieder mit seinem Gepäck zurück. Er steht zwar auf der Passagierliste, es können aber derzeit nur Holländer abgefertigt werden. Der Mann, der die beiden deutschen Passagiere abfertigt, ist noch nicht eingetroffen. Also ist wieder Warten angesagt. Ich habe zwar Hunger – Jens hat vergessen, mich zu fragen, ob ich auch eine Pizza möchte – will aber nicht zurück zu Sissi, bevor Jens eingecheckt hat. Ich habe schließlich die kurze Leitung zur Konsulin.
Es kommt wieder ein Mitarbeiter des Flughafen zu uns. Jens kann jetzt einchecken. Der dritte Versuch ist erfolgreich. Gut. Ich rufe Lel an, damit er mich abholt. Dann verabschiede ich mich von Jens. Kurz. Ich hasse Bahnhofsabschiede. Lel bringt mich zurück zu Sissi.
Den Nachmittag verbringe ich mit Telefonaten mit Freunden und der Familie. Donald Trump schickt Kriegsschiffe nach Venezuela. Wir können von Aruba aus nach Venezuela rüberschauen. Militärflugzeuge sind am Himmel zu sehen. Ich unterhalte mich noch etwas mit den Chapos.
Die Verspätung von Jens Flieger wird größer und größer. Er ist immer noch nicht in Paramaribo gestartet. Irgendwann erfährt Jens, dass der Flug auf den folgenden Tag verschoben wurde. Nach einer längeren Wartezeit kommt ein Bus und bringt die meisten verhinderten Passagiere in ein Hotel, das extra für diesen Flug wieder geöffnet wurde. Jens kommt zu Sissi zurück.
Wir feiern in kleinem Kreis den letzten Abend auf Aruba, nur Jens und ich. Im Radio hören wir, dass Deutschland erwägt, die Grenze zu Holland zu schließen. Das wäre blöd für Jens, denn er muss ja noch von Amsterdam nach Frankfurt kommen. Über die geschlossene Grenze fährt der ICE sicher nicht.
Am 4. April bekommt Jens regelmäßig Updates. Es wurde ein Ersatzteil für den Flieger nach Surinam geflogen. Der Flieger wird repariert. Es gibt eine Abflugzeit. Die Abflugzeit wird verschoben. Der Flug wird letztendlich wieder abgesagt und auf den 5. April verschoben. Ein Ersatzflugzeug kommt. Wir feiern noch einmal auf der Chapo. Wir können jetzt auf die Chapo, die Quarantänezeit ist vorbei.
Am Morgen des 5. April steckt mir der vorherige Abend in den Knochen. Die große Zahl der „letzten Abende“ zieht sich hin. Ich habe keine Lust mehr auf den letzten Abend. Wir beobachten auf flightradar24 den Flug Ersatzmaschine auf dem Weg nach Paramaribo. Es sieht alles gut aus. Die Maschine landet. Jens bekommt die Nachricht, dass sein Flug verspätet sein wird. Verspätet ist besser als verschoben.
Die Ankunft der Busse an der Marina verzögert sich auch, es wurden nicht alle Fluggäste im Hotel gefunden. Das Hotel soll sehr gut gewesen sein. Hört man. Dann kommen sie doch, ich nehme kurz Abschied von Jens und das war es dann. Für die nächsten Monate.
Der Flug nimmt eine spannende Route nach Aruba. So viel Abstand zu Venezuela, wie es möglich ist. Herr Trump hat seinen Spaß in Venezuela.
Jens ist derweil im Terminal und wartet auf den Abflug. Wir tauschen Nachrichten aus. Ich bin traurig und gleichzeitig glücklich. Ich freue mich für Jens, dass er die nächsten Monate in Frankfurt verbringen kann. Ich bin gespannt, wie es mir jetzt ergehen wird. Ich bin traurig, welche Richtung der Segeltörn ohne unser Verschulden genommen hat.
Während wir noch Nachrichten tauschen, geht plötzlich alles ganz schnell. Der Flieger schwebt über dem Hafen ein, ich kann ihn von Sissi aus sehen. Ich wechsle noch zwei kurze Nachrichten mit Jens, dann muss er sein Telefon ausschalten. Dafür dauert es wieder ewig, bis ich den Start des Fliegers im Internet beobachten kann. Wir sehen uns im Spätherbst wieder.