Sie sind unterwegs!

Heute sind Daphe und Gentoo in Richtung Madeira bzw. den Kanaren gestartet. Wir wünschen euch eine gute Reise und feinen Wind aus der richtigen Richtung. Die Windvorhersage sieht gut aus, wir würden dieses Wetterfenster wohl auch nutzen, wenn wir so in Eile wären. Als Teilnehmer der ARC müssen sie zur rechten Zeit in Las Palmas sein.

Leerer Liegeplatz

Damit sind wir mal wieder eines der langsamsten Boote. Die Fairytale ist uns davon gefahren und auf dem Weg ins Mittelmeer. Also werden wir Karma wahrscheinlich nicht mehr sehen. Die Milena Bonatti ist schon auf Gran Canaria. Wo sich die Tonic und die Cosa aufhalten, wissen wir nicht.

Wir sind nicht zum Ankern rausgefahren, weil heute die Roede Orm nach Lagos in die Marina kommt. Wir fahren morgen und freuen uns auf das Wiedersehen heute Abend.

Inzwischen frage ich mich nicht mehr, ob wir zu langsam sind. Wir sind genau so schnell, wie wir sein sollen und wollen. Wir fahren mit dem richtigen Tempo. Wir fahren mit unserer Geschwindigkeit und werden die Boote wieder treffen, die nicht ins Mittelmeer abgebogen sind. So viel ist sicher. Wir wissen nur noch nicht, wo und wann das sein wird.

Miles and more

Viele ziehen eine 100-Tage-Bilanz. Das hatte ich auch vor, aber mir sind die 100 Tage irgendwie entwischt. Deswegen öffnen wir unser Logbuch und ziehen jetzt eine 118-Tage-Bilanz:

Logbuch

Wir sind jetzt seit 118 Tagen unterwegs und haben in dieser Zeit 2340 Meilen Kielwasser hinterlassen – das sind etwa 4329 km (für die Landratten). Richtig unterwegs waren wir in diesen 118 Tagen an 41 Tagen, also sind wir an 77 Tagen keinen Meter gesegelt. Das passt irgendwie zu den Erzählungen anderer Langfahrtsegler, die von maximal 30% Segeltagen sprechen oder schreiben.

Den Motor haben wir in dieser Zeit 210 Stunden laufen lassen und dabei 343 Liter Diesel verbrannt. Das sind pro gefahrenem Tag ca. fünf Motorstunden. Wir haben oft Segeltage von 24 Stunden Länge. Die Motorzeit ist inklusive der Kanalfahrt durch den Caledonian Canal und inklusive der Zeit, in der der Motor unproduktiv vor bzw. in Schleusen vor sich hin brummt. Wir stellen ihn zwar so oft wie möglich ab, manchmal musste er in den Schleusen jedoch brummen.

Die Tendenz ist bei den Motorstunden klar fallend, wir warten inzwischen lieber auf passenden Wind.

Mit dem Watermaker haben wir seit dem 1. August 1395 Liter Wasser hergestellt. Damit liegt unser gemittelter Wasserverbrauch bei ca. 20 Litern am Tag oder bei 10 Litern pro Person. Ich glaube, wir sind da gar nicht so schlecht mit. Wir sparen kein Wasser und trinken einen großen Teil der Eigenproduktion.

Die besten Duschen haben wir in Oban, Port Ellen, Belfast und Sines gefunden. Die miesesten Duschen waren in Wicklow (keine), Dublin (kalte) und Douglas (fühlt man sich wie im Knast).

Wir hatten drei größere Defekte. Zuerst war der Watermaker inkontinent, der Hersteller hat uns auf Garantie ein Ersatzgerät geliefert. Danach machte uns der Watermaker keine Probleme mehr, sondern nur noch Wasser. Wir mussten den Wärmetauscher der Motorkühlung auswechseln, glücklicherweise hatten wir ein Ersatzteil an Bord. Und dann ist uns noch eine Reffkausche aus dem Großsegel ausgerissen. Der Segelmacher konnte das schnell beheben.

Außergewöhnliche Vorkommnisse haben zwei im Logbuch notiert: Einmal empfingen wir den Pan-Pan-Ruf eines belgischen Seglers kurz vor Guernsey, der eine Motorstunde von uns entfernt ohne Ruder, Maschine und ohne Segel herum trieb. Wir haben unseren Kurs geändert, zum Glück wurde der Belgier jedoch von einem Fischer an den Haken genommen. Und dann haben wir zwischen Peniche und Oeiras noch das Mann-über-Bord-Signal eines 3 Meilen entfernten AIS-SART-MOB-Alarmsenders empfangen. Nach einem kurzen Funkgespräch mit dem Besitzer konnten wir den Alarm zu den Akten legen, die haben das Gerät zum Glück nur im Cockpit getestet.

Raum und Zeit

Welchen Wochentag haben wir heute? Wie lange sind wir schon unterwegs? Ist die Wurst schon lange abgelaufen, die unten links im Kühlschrank liegt?

Fragen, die ich mir zu Hause nie stellen musste. Knapp einen Monat leben Jens und ich jetzt schon auf Sissi, es kommt mir manchmal vor, als wären wir gestern erst losgefahren. In anderen Momenten scheint es, als seien wir schon eine halbe Ewigkeit gemeinsam auf dem Wasser unterwegs. Auf längeren Seepassagen, wie etwa bei der Überquerung der Nordsee, kommt noch erschwerend der veränderte Tag- und Nachtrhythmus hinzu, denn wir schlafen bei jeder Gelegenheit, die sich bietet.

Datum und Uhrzeit werden nur dann wichtig, wenn der Tidekalender konsultiert werden muss. Die Tide hält sich unerbittlich an ihren Fahrplan und ist zuverlässiger als die Schweizer Eisenbahn. Verpassen wir die Tide, können wir erst 12 Stunden später fahren oder verbrennen eine Unmenge Diesel, damit wir gegen die Strömung motoren können.

Insgesamt ist es spannend, wie sich unsere Einstellung gegenüber den äußeren Gegebenheiten ändert. Wenn zu Hause die Bahn nicht fuhr, weil der Blitz in ein Stellwerk eingeschlagen hat, überlegte ich mir immer, wie ich so schnell wie möglich aus dem Schlamassel heraus komme. Heute liege ich oberhalb von Neptunes Staircase und kann nicht herunter, weil unten eine Eisenbahnbrücke vom Blitz getroffen wurde und erst repariert werden muss. Ob wir morgen herunter kommen, ist nicht sicher. Mir ist es aber egal, denn ich muss mir keinen Stress machen und es macht mir niemand Stress.

Jens meinte heute zu mir, dass er in diesem Urlaub noch kein Fish & Chips gegessen hätte. Die Bezeichnung „Urlaub“ finde ich für unsere Tour unangemessen, aber wie soll man das sonst nennen? Egal wie wir es nennen, wir werden einfach dieser Tage mal ein weniger fettiges Restaurant aufsuchen und Fish & Chips essen. Wo ist das Probem? Wir müssen nicht nach ein paar Wochen wieder zu Hause sein und danach zur Arbeit gehen, sondern sind ganz woanders und schauen uns dort Land und Leute an.

Auf die Leute muss man zugehen. Die Schotten sprechen einen Deutschen nicht einfach so an, das kann schon daran liegen, dass sie möglicherweise mit sprachlichen Schwierigkeiten rechnen (die gibt es) oder woran auch immer. Wenn wir aber auf sie zu gehen, kommt meist eine freundliche, gute Begegnung dabei heraus. Dafür sind wir doch unterwegs, wir wollen Land und Leute kennenlernen. Überall.

Wie sehr mir Zeit und Raum entfleucht sind, habe ich heute im Coop in Corpach bemerkt. Ich war auf der Suche nach einem Mittel, das das Jucken der Midgee-Bisse lindert. Sie hatten zwar ein Anti-Midgee-Mittel, sie hatten jedoch kein Mittel gegen den Juckreiz. Also fragte ich nach einer Apotheke. Der Verkäufer erklärte mir den Weg und meinte im Nachgang, dass die aber am Sonntag geschlossen hat. Wie bitte? Natürlich! Heute ist Sonntag!

Wie wird das wohl weiter gehen? Im Logbuch unserer Reise stehen zwar für jeden Tag Datum und Uhrzeit, aber das schreibt sich leicht hin und ist dann schnell vergessen. Allein die Gewohnheit gebietet, dass um Mitternacht ein neuer Tag anfängt. Mitternacht ist aber oft eine Zeit, zu der wir unterwegs sind. Wir schlafen dafür am nächsten Tag. Wenn wir nach Mitternacht im Hafen einlaufen, ausschlafen, anschließend die Hafengebühren bezahlen und dann die Gegend erkunden, bekommen wir noch eine zweite Nacht gratis, denn wir zahlen nur für Kalendertage. Das ist lustig, dann werden aus einem Tag plötzlich zwei Tage. Es fühlt sich auf jeden Fall so an. In der zweiten Nacht schläft es sich genau so gut wie in der ersten.

Ich bin gespannt, was dieser Törn aus mir noch macht. Jens geht es ähnlich.